Guillaume war sicher gerade erst in Grenade-sur-l’Adour losgefahren, und die beiden Polizisten wollten sich eben auf den Weg in Richtung Villa Auguste machen, als Luc die Stimme des Gendarmen hörte, der an der Absperrung stand.
»Nein, Monsieur Fontaine, ich bitte Sie, Sie dürfen hier nicht …«
»Ist er es? Sagen Sie es mir schon.«
Luc raste los wie ein Irrer und auf den alten Koch zu, der mit seinem Gardemaß an dem Uniformierten vorbeidrängelte. Der Commissaire stellte sich genau vor ihn und öffnete seine Arme. Mehr brauchte es nicht. Auguste Fontaine ließ sich in Lucs Arme fallen. Der Commissaire spürte, wie der alte Mann zusammensackte.
»Es tut mir sehr leid«, flüsterte Luc.
Er konnte nicht sagen, wie lange sie so dort standen, Luc sah den jungen Arzt pietätvoll den Kopf abwenden. Irgendwann löste sich Monsieur Fontaine von ihm, wischte sich einmal über das Gesicht, streckte die Brust heraus und richtete sich ganz gerade auf. Mit heiserer Stimme sagte er: »Kann ich meinen Sohn sehen?«
»Natürlich«, antwortete Luc. Er wusste, dass jeder Widerspruch zwecklos war. Zweifellos würde Auguste Fontaine die Brutalität des Anblicks in die Glieder fahren, aber die reine Vorstellungskraft wäre wohl noch schrecklicher gewesen.
Langsam gingen sie auf den Toten zu, Luc hatte seinen Arm immer in der Nähe des alten Kochs, falls der ins Straucheln käme. Aber er ging wie ferngesteuert auf sein Ziel zu. Dort angekommen, ging er in die Knie und legte seinem Sohn die Hand auf die Wange, so zärtlich, dass es Luc das Herz brach. So verharrte er regungslos. Keiner sagte ein Wort, sogar der Lärm des Regens auf dem Blätterdach schien nachzulassen.
Nach langer Zeit räusperte sich der alte Auguste und richtete sich wieder auf. Er starrte auf den Bauch und die rote Wunde, die durch die schwarze Schürze zu sehen war.
»Wer war das?«, fragte er leise und bedrohlich. »Wer hat das getan?«
»Kommen Sie, Monsieur Fontaine, gehen wir zurück.«
»Wer war das?« Sein Schrei, wütend und gellend, hallte durch den Wald. »Wer hat es auf meine Familie abgesehen?« Das Gesicht der alten Kochlegende war tiefrot, seine Brust bebte, als hätte er die unvermeidliche Erkenntnis erst jetzt gewonnen, dass dieser Nachmittag, so nah am Ort seines größten Triumphes, nun das Ereignis sein würde, das seinem Leben einen tragischen Abschluss bescheren, ja, sein ganzes Lebenswerk hinwegfegen würde, dass da nur noch Trauer bliebe.
»Ist der Rettungswagen angekommen?«, fragte Anouk den Gendarmen an der Absperrung.
»Ja, er steht am Restaurant.«
»Rufen Sie ihn hierher. Der Notarzt soll Monsieur Fontaine etwas zur Beruhigung geben. Er kann nicht ins Restaurant, dort sind zu viele Zuschauer.«
»Das mache ich, Capitaine.«
»Merci beaucoup.«
Sie gab Luc ein Zeichen, während der Gendarm erst in sein Funkgerät sprach und dann näher kam, um Monsieur Fontaine zu stützen. Gerade als kurze Zeit später der Krankenwagen um die Ecke bog, hörten sie auch eine starke Maschine näher kommen. Das Motorrad von Guillaume Fontaine nahm den matschigen Waldweg, als wäre er eine Autobahn, er bremste fuchsteufelswild und sprang ab, bockte die Maschine gerade noch auf, bevor sie umfiel, riss den Helm vom Kopf und rannte auf seinen Vater zu.
»Was ist hier los?«, rief er, und sein Blick kreiste wild umher, bis er, gerade als er Auguste erreichte, die Leiche seines Bruders sah. Unglauben und Fassungslosigkeit im Gesicht, nahm er den alten Koch in die Arme, der fortwährend Rémys Namen murmelte.
Dabei warf er Luc einen finsteren Blick zu.
»Sie kümmern sich lieber um anderer Leute Privatsachen? Während das hier passiert!«
Die Worte waren wie Schläge, und Luc konnte nicht anders, er musste hier weg, jetzt gleich. Doch er spürte Guillaume Fontaines Wut noch, als er ihm längst den Rücken zugewandt hatte.