Mardi – Dienstag Bitterer Digestif

Kapitel 39

Der Wagen der Gendarmerie hatte vor dem Hotel gewartet, und wieder hatten Restaurantgäste voller Neugier von der Terrasse heruntergeschaut, als handelte es sich bei Ly Hoang um eine ganz besondere Sehenswürdigkeit.

»Fahren Sie sie bitte aufs Revier in Mont-de-Marsan und nehmen Sie dort ihre Aussage auf. Behandeln Sie sie so behutsam wie möglich, die Dame hat eben ihren Freund verloren. Merci , Kollegen.«

Die Gendarmen nickten und ließen die junge Köchin hinten einsteigen.

Luc ging ein paar Schritte voraus in Richtung Strand und blickte auf die Dunkelheit dort unten, das Meer, das nur schemenhaft zu erkennen war. Er spürte, dass er zitterte. Er musste seine Gefühle unter Kontrolle bringen. Er konnte es nicht glauben. Nein. Er wollte es nicht glauben.

Wie konnte das sein? Und vor allem: Warum?

Er atmete tief ein und aus, mehrmals, ganz langsam, die Pause zwischen den Atemzügen ließ er immer länger werden, bis er spürte, dass er sich langsam beruhigte, dass sein Nervensystem allein durch die salzige Luft in den Lungen auf Entspannung umschaltete. Das war wichtig. Er musste jetzt nachdenken. Keine voreiligen Schlüsse, mahnte er sich. Auch wenn es schwer war.

»Na?« Er sagte es ganz leise, als er Anouks Anwesenheit hinter sich spürte. Das war von Anfang an so gewesen, schon bei ihrem ersten Zusammentreffen – er spürte ihre Nähe. Anouk Filipetti hatte eine so starke Anziehungskraft auf ihn gehabt, sie hatten sich von Anfang an blind verstanden, aber auch ihre Körper hatten immer miteinander interagiert, ohne Worte, auch ohne Berührungen.

»Wie geht es dir?«, fragte sie und trat neben ihn, auch sie atmete die salzige Luft tief ein. Der Sturm hatte den Staub und den Sand hinweggefegt, übrig geblieben war nur der Meergeruch.

»Das kann doch nicht sein«, antwortete Luc leise. »Wir waren doch die ganze Zeit dort.«

»Ich kann es auch nicht fassen. Und auf einmal ergibt nichts mehr einen Sinn.«

»Hm«, murmelte er. »Oder alles ergibt einen Sinn, wir haben es nur noch nicht begriffen.«

Er nahm sein Telefon aus der Tasche und wählte noch einmal die Nummer, die ihm in den letzten Tagen so oft weitergeholfen hatte. Und wieder, auch so spät am Abend, nahm der treue, fleißige Hugo sofort ab. »Ja?« Er flüsterte.

»Schläft sie etwa?«

»Aurélie? Natürlich. Meinen Sie, wir spielen noch Schach, Commissaire?«

Hugo war einfach gut darin, die Menschen in seiner Umgebung aufzuheitern, ein weiterer kostbarer Zug an ihm.

»Tut uns leid, aber es wird noch etwas dauern. Geht das?«

»Klar. Sie schläft tief und fest auf meiner Deckenburg, sie ist warm zugedeckt, und ich arbeite nur beim Licht der Schreibtischlampe.«

»Du bist ein Schatz, Pannetier. Und jetzt sag endlich Luc zu mir.«

»Oh. Vielen Dank. Luc.« Hugo sagte es mit einer gewissen Ehrfurcht, die gar nicht zu ihm passte.

»Hör mal, kannst du mir noch einen Gefallen tun? Auch wenn’s spät ist?«

»Klar. Was denn?«

Luc erzählte es ihm. Und spürte, wie der Mann am anderen Ende immer stiller wurde. Bis er entsetzt aufstöhnte.

»Echt jetzt? Aber das ist ja …«

»Ich weiß. Das würde ein Erdbeben geben.«

»Ich kümmere mich. Ich melde mich, sobald ich etwas weiß.«

»Merci , Hugo. Wir fahren jetzt dorthin. Schreib mir.«

»Wird gemacht. Danke. Und Luc?«

»Ja?«

»Passt auf euch auf.«