31

Holger wollte den Computer gerade wieder ausschalten, als Hilla ihn zurückhielt.

»Und was ist das?« Sie tippte auf ein Ordnersymbol in der rechten oberen Ecke des Monitors.

Bjarne war neben die beiden getreten und füllte zum zweiten Mal die Kaffeetassen auf. Hilla konnte seinen Atem in ihrem Nacken spüren, als er über ihre Schulter schielte.

»Nur Urlaubsbilder. Hab sie nicht alle angeschaut. Das sind Tausende. Der Typ ist weit rumgekommen«, erwiderte Holger.

Weit rumgekommen. Hilla steckte den Kugelschreiber in den Mund und kaute gedankenversunken an der Kappe. Wann hatte Matthias dazu Zeit gefunden? Sie starrte durch das Fenster hinaus auf den Hafen. Es war mittlerweile fast dunkel, die Umrisse der Boote nur graue Schatten. Sie wandte sich um und wollte Bjarne für den Kaffee danken, als ihr eine Idee kam. Sie stöhnte auf und schnellte hoch. Bjarne ließ vor Schreck fast seine Tasse fallen, als sie ihn anrempelte.

»Verdammt«, stieß sie aus. »Warum ist uns das nicht gleich eingefallen?«

»Was?«, fragten Bjarne und Holger wie aus einem Mund.

»Das sind womöglich nicht alles Urlaubsbilder. Langner hat mir doch erzählt, dass er auf Kreuzfahrtschiffen unterwegs war.« Sie schüttelte den Kopf über ihre eigene Dummheit.

Holger tat es ihr nach. »Das hättest du mir vielleicht sagen sollen. Wirft ja ein ganz anderes Licht auf das alles.« Er klickte den Ordner auf und platzierte den Monitor so, dass alle ihn gut sehen konnten.

In dem Bilderordner befanden sich einige Unterordner, die Langner ordentlich beschriftet hatte. Wenigstens das, dachte Hilla und biss die Zähne zusammen, um ein Gähnen zu unterdrücken. Sie brauchte dringend Schlaf, konnte sich kaum noch konzentrieren. Hilla rieb sich die Augen und zwang sich, fokussiert zu bleiben.

Sie las: »Montego Bay«, »Puerto Limón«, »Colón« und …

Holger hatte mittlerweile den vierten Unterordner geöffnet und sie konnte gerade noch einen Blick auf dessen Bezeichnung erhaschen: »Cartagena.«

Soviel sie wusste, lag das in Kolumbien. Selbst war sie zwar nie dort gewesen, aber die bunten Häuser auf den ersten Bildern entsprachen in etwa dem, was sie sich vorgestellt hatte. Langner hatte wohl einen schnellen Finger auf dem Auslöser seiner Kamera gehabt und genauso schnell klickte Holger sich durch die Fotos. Die Umrisse von Gebäuden, Straßen, Kreuzungen, Menschen verschwammen vor Hillas Augen, bis Holger auf einmal sein wildes Rumgeklicke stoppte. Sein Finger schnellte nach vorn zum Monitor.

»Ist er das?«, fragte Holger und tippte auf das Bild. Es zeigte Matthias, der in einer strahlend weißen Uniform vor einem ebenso strahlenden blauen Himmel an der Reling eines riesigen Schiffes stand.

»Klar ist er das«, meinte sie. »Du kennst ihn doch.«

»Hab ihn nur zweimal gesehen. Einmal unten im Deichvorland, als wir Marias Leiche abgeholt haben. Und einmal, als er bereits tot hinten in der Arrestzelle lag.«

»Sorry«, murmelte Hilla und wandte sich Bjarne zu. »Der in der Uniform ist Matthias Langner. Er hat sich wohl auch auf Kreuzfahrtschiffen als falscher Arzt ausgegeben.« Viel interessanter war jedoch der Mann, der neben ihm stand. »Das gibt’s doch nicht!«, entfuhr es Hilla.

»Ist das nicht der neue Hausmeister der Klinik? Dieser Klaus Grein?«, erkundigte sich Bjarne und beugte sich interessiert näher an den Bildschirm.

Holger runzelte die Stirn. »Im Ernst? Der, von dem der Diercks gesagt hat, Langner habe ihm den Job zugeschustert? Beziehungsweise er sei nur wegen dem gefeuert worden?«

Zufrieden lehnte Hilla sich zurück. »Genau der. Wir wissen ja mittlerweile, dass Langner den von früher kennt. Das hat Grein mir gegenüber auch zugegeben. Dass sie aber auch schon auf dem Kreuzfahrtschiff zusammengearbeitet haben, hat er wohl vergessen, mir zu sagen.«

»Oha«, meinte Bjarne. »Vergessen trifft es vielleicht nicht ganz. Möglicherweise bringt ihn Langner immer dort unter, wo er selbst angestellt ist.«

»Aber warum sollte er das tun?«, fragte Bjarne.

»Weil er ihm einen Gefallen schuldig ist?«, gab Holger zurück und zuckte mit den Schultern.

Hilla schüttelte den Kopf. »Dann sind es aber mindestens zwei Gefallen. Oder?«

Das war zwar möglich, allerdings schätzte sie Langner nach allem, was sie über ihn wusste, nicht so ein, dass er derartige Dinge aus purer Freundlichkeit tat.

»Was, wenn Grein ihn wegen irgendwas erpresst hat?«, sprach sie den Gedanken aus, der ihr in diesem Augenblick gekommen war.

»Nicht wegen irgendwas«, meinte Holger trocken. »Falls die sich so lange kennen, muss Grein ja gewusst haben, dass Langner kein echter Arzt war.«

Bjarne schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Vielleicht hat Grein den Langner ja sogar umgebracht, weil der sich nicht mehr erpressen lassen wollte.«

Sie schüttelten den Kopf, woraufhin Hilla sich an ihren eigenen Computer setzte und eine Suche nach dessen Polizeiakte startete.

Hilla wartete gedankenversunken, während vor ihren Augen das Ergebnis der Anfrage im Polizeicomputer geladen wurde.

Als sie es überflog, war sie auf einmal so aufgeregt, dass sie befürchtete, ihre Stimme würde versagen, wenn sie den anderen mitteilte, um wen es sich bei Klaus Grein wirklich handelte.