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Während David die kleine Espressomaschine auf der Gasflamme beobachtete und auf das bekannte Blubbern lauschte, das entstand, wenn der Kaffee hochstieg, wischte er mit der Handfläche ein paar Krümel von dem Geschirrtuch, das Lennart auf dem Regalbord ausgebreitet hatte.

Harry betrat die Kajüte in dem Moment, in dem David den fertigen Kaffee eingoss. Lächelnd blieb er stehen und schwenkte die Brötchentüte, die er mitgebracht hatte.

Wenige Minuten später hatte David sich neben Harry auf die eingebaute Bank geschoben und biss in das knackfrische Marmeladenbrötchen.

Das Handy gab einen melodischen Ton von sich, und David griff fast automatisch danach. Er hielt jedoch in der Bewegung inne und schaute Harry fragend an.

»Mach nur, Junge. Du kennst dich mit dem Teil besser aus als ich. Mich irritiert das immer ein wenig, wenn das Ding piept, bimmelt oder sich anhört wie ein ganzes Symphonieorchester.«

David nickte, kaute und warf einen Blick auf das Display.

»Nachricht von Hilla. Wir sollen sie anrufen, wenn wir Zeit haben.«

»Zeit?« Harry riss die Augen auf. »Schreibt sie das? Was denkt sie denn, womit wir uns beschäftigen?«

David zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung. Aber wir sollten das gleich erledigen. Womöglich hat sie Neuigkeiten.«

»Willst du nicht erst mal zu Ende frühstücken?«

David verdrehte die Augen, aber Harry nickte ihm bereits gutmütig zu. »Ich verstehe schon. Los, ruf sie an.«

Mit ein paar Klicks aktivierte David die Videotelefonie und wählte Hillas Nummer. Es tutete ganze zwei Mal, dann ging sie ran.

Ein Blick genügte, um David klarzumachen, dass sie hinter dem Revier auf dem engen Hof stand, wo sich die Müllcontainer befanden.

»Du siehst müde aus«, sagte Hilla trocken. »Wie geht es meinem Vater?«

Harry rutschte dichter neben David und winkte. »Alles in Ordnung, min Deern. Und bei dir?«

Hilla zuckte mit den Achseln und David bemerkte die Anspannung in ihrem Blick. »Gut, dass ihr euch sofort gemeldet habt, auch wenn ich nicht damit gerechnet habe, dass es per Video sein wird. Lehmann ist gerade mit seinen Leuten in der Klinik wegen der Leiche von diesem Schmidt. Ich wollte die Gelegenheit nutzen, wenn wir ungestört sind.« Sie zog die Stirn in Falten und schaute kurz rüber zur Hintertür, wie David schien.

»Hast du neue Informationen für uns?«, fragte er gespannt.

»Die schlechte zuerst«, sagte Hilla. »Heute morgen lag der Bericht der KTU vor. Langner wurde mit einer Polizeidienstwaffe erschossen.«

David nickte. »Das weiß ich bereits. Lennart hat mir gestern davon erzählt. Sie prüfen jetzt, ob das Profil mit meiner Waffe übereinstimmt.«

Hilla blinzelte auf eine Art und Weise, die David ahnen ließ, was in ihr vorging.

»Du musst mir glauben, Hilla. Ich habe nichts mit Langners Tod zu tun.«

»Kannst du dich wieder erinnern?«

»Das nicht, aber …« Er schwieg, weil er nicht wusste, was er sagen sollte.

Hilla wischte seinen Einwand weg. »Langner war Arzt in einer Klinik in Zingst. Dort ist ihm ein Kunstfehler unterlaufen. Das hat mir Grein erzählt.« Sie zögerte. »Tut mir leid, aber ich weiß manchmal gar nicht, welche Infos ich euch schon gegeben habe und welche noch fehlen. Klaus Grein ist jedenfalls der Halbbruder von Matthias Langner. Grein hat die Papiere gefälscht, mit denen Langner seine Karriere als Arzt gestartet hat.«

Sie redete ein paar Minuten über die Zusammenhänge und David saugte alles gierig in sich auf. Ein Kunstfehler, bei dem die Klinik verklagt worden war. Eine Patientin, die bis an ihr Lebensende einen Hirnschaden haben würde. Und an alldem trug Langner die Schuld. Das waren Informationen, die durchaus nach einer näheren Untersuchung schrien.

»Du musst dorthin, Hilla«, meinte auch Harry, aber Hilla schüttelte den Kopf.

»Mats Lehmann ist strikt dagegen. Er sieht das definitiv nicht als heiße Spur an«, sagte Hilla. »Ich werde versuchen, mit der Klinikleitung dort Kontakt aufzunehmen. Vielleicht erfahre ich von denen mehr.«

»Bist du bei diesem Privatdetektiv weitergekommen«, fragte David und kam sich hilflos vor. Er hätte einiges darum gegeben, Hilla bei dieser Angelegenheit besser unterstützen zu können.

»Mats hat die Kundendatei aus Husum mitgebracht. Die habe ich bereits durchgeschaut. War aber nicht viel daraus zu entnehmen. Auf jeden Fall habe ich mit den drei Kunden telefoniert, die Schmidt aktuell hatte. Keiner von denen hat den Detektiv auf Langner angesetzt.«

»Entschuldige die Frage«, sagte David. »Aber hältst du sie für glaubwürdig?«

Hilla zog die Stirn in Falten. »Ich denke schon, es würde zu weit führen, dir das alles jetzt zu berichten, weil Lehmann gleich zurückkommen kann. Aber ja. Ich denke, die Aussagen stimmen. Holger ist gerade dabei, die Kontounterlagen von Schmidt zu checken. Vielleicht ergibt sich da noch was im Hinblick auf seinen Auftraggeber.«

David wusste nicht, was er noch fragen sollte, da er nicht zu fordernd wirken wollte.«

»Es tut mir sehr leid und ich bin dir so dankbar, dass du das alles auf dich nimmst. Ich werde es wiedergutmachen, das verspreche ich.«

Nun lächelte Hilla zaghaft. »Pass einfach nur gut auf meinen Vater auf«, sagte sie und legte auf.

Noch eine ganze Weile starrte David auf das mittlerweile schwarze Display, bis Harry sich räusperte.

»Nicht so schlecht, diese neue Technik. Ist doch ein bisschen anders, wenn man seinen Gesprächspartner auch sehen kann.« Er erhob sich und stellte sein Geschirr in das kleine Spülbecken. »Wie machen wir jetzt weiter?«

In diesem Moment klingelte das Handy erneut und David nahm das Gespräch an.

»Hodi hier.«

Davids Pulsschlag beschleunigte sich. »Ja«, sagte er, merkte aber, dass es wie eine Frage klang.

»Die Ergebnisse der Schmauchspurenuntersuchung sind da«, sagte Hodi. »Nichts.«

»Nichts?«, sagten David und Harry gleichzeitig.

»Nicht die geringsten Spuren von Barium und Blei an deiner Hand. Was das heißt, wisst ihr ja selbst.«