Hilla beobachtete Davids Reaktion genau. Er war erbleicht. In seinem Gesicht las sie zunächst Unglaube, dann Zorn.
»Mats hätte auch kein stärkeres Motiv für den Mord an Langner als Müller.« David sprang auf und begann durch die Amtsstube zu wandern. »Aber im Gegensatz zu seinem Schwager hätte er durchaus einen Grund, mich wie einen Mörder aussehen lassen zu wollen.«
»Zwei Fliegen mit einer Klappe.« Vaddern stöhnte.
»Haltet ihr das nicht für ein wenig konstruiert?«, warf Bjarne ein und fügte an David gewandt hinzu: »Sorry, Chef, aber …«
»Nee, nee.« Hilla schüttelte den Kopf. »Entschuldige dich mal nicht, du hast ja recht. Zutrauen würde ich Lehmann das auf jeden Fall. Er hat David von Anfang an verdächtigt. Hat nie eine andere Meinung zugelassen. Die Frage ist nur: Warum jetzt?«
Vaddern glotzte sie an. »Ich kenne ja diesen Lehmann nicht. Aber deine Frage kann ich auch nicht nachvollziehen. Der nimmt diesen Langner fest und erkennt ihn ihm den Typen, der seine Schwester dahin gebracht hat, ihr Leben in einem Pflegeheim zu fristen. Und er hatte genau am Dienstag die Möglichkeit, sich an diesem Mann zu rächen und gleichzeitig David aus dem Weg zu schaffen.«
Hilla nickte ihrem Vater zu. »Ist ja alles möglich, Vaddern. Was ich meinte ist die Frage, warum er David genau jetzt aus dem Weg schaffen will. Das war doch gar nicht mehr nötig. David hat sich versetzen lassen. Lehmann hat den Posten, für den eigentlich David vorgesehen war, und der hatte doch gar keinen Grund, ihn …« Sie sah, dass David den Zeigefinger hob, und hielt inne.
»Der Anruf«, meinte er. »Der Polizeipräsident hat mich bereits nach dem Fall Meister gefragt, ob ich nicht zurück nach Flensburg möchte. Er meinte, wenn ich meinen privaten Krempel in Ordnung bringe, steht der Sache nichts im Wege. Er sagte, er wolle keinen so guten Mann wie mich an die Provinz verlieren.«
Eine Welle der Enttäuschung schwappte über Hilla zusammen. Das hatte David ihr überhaupt nicht erzählt.
»Da hat er nicht unrecht, der gute Mann«, sagte Vaddern und blinzelte seiner Tochter zu.
Sie zwinkerte zurück und hoffte, dass die anderen ihren kurzen Blickwechsel nicht bemerkt hatten. Hilla stimmte Vaddern zu. Jetzt ging es nicht um ihre eigenen Befindlichkeiten. Sie würde mit David darüber reden, wenn alles ausgestanden war.
»Dann hatte er also Angst, seinen Chefsessel wieder zu verlieren«, sagte sie und legte mehr Gelassenheit in ihre Stimme, als sie im Augenblick besaß.
»Genau.« Holger klang regelrecht zufrieden. »Stellt euch das mal vor. Der hasst diesen Arzt, der seiner Schwester das angetan hat, sowieso schon. Und dann erfährt er auch noch, dass der sich nur als Arzt ausgegeben hat. Bei dem ist eine Sicherung durchgebrannt.«
»Na, na«, meinte Vaddern. »Du klingst ja gerade so, als hättest du Verständnis für das Schwein. Aber genauso könnte es gewesen sein.«
Hilla kam eine Idee. »Moment mal kurz«, sagte sie und zog das Telefon zu sich rüber. Sie blätterte ihre Notizen durch und wählte die private Handynummer von Schmidts Sekretärin, die diese ihr für den Fall gegeben hatte, dass weitere Informationen nötig wären. In der Detektei sei sie ja jetzt nicht mehr erreichbar, wo doch ihr Chef tot sei, hatte sie gesagt.
»Hallo Frau Hormann«, sagte sie, als jemand abnahm. »Hier ist Hilla Petersen, Polizei Amrum Föhr. Entschuldigung für die Störung am Wochenende, aber ich habe eine kurze Frage. Es ist sehr wichtig.«
»Fragen Sie nur«, sagte Frau Hormann und redete mit jemandem im Hintergrund. »Meine Familie ist zum Abendessen da, aber der Braten braucht noch ein paar Minuten in der Röhre.«
»Wir haben ja neulich über den Eintrag im Terminkalender gesprochen.«
»Ja, da stand was von Müller.«
»Haben Sie denn den Mandanten gesehen? Waren Sie in der Detektei, vielleicht bei einem seiner früheren Besuche?«
»Das weiß ich nicht. Ich weiß ja nicht einmal, ob es ein Mann oder eine Frau ist. Das ist aber nicht ungewöhnlich, da ich ja nur stundenweise für Herrn Schmidt gearbeitet habe.«
Hilla suchte ein Foto von Mats Lehmann aus der Mitarbeiterkartei, die sie auf dem Bildschirm aufrief. Sie schickte Frau Hormann das Bild.
»Haben Sie diesen Mann schon einmal gesehen?«
Es dauerte keine zwei Sekunden, bis Frau Hormann sagte: »Natürlich habe ich das. Seinen Namen kenne ich nicht, aber der Herr war einige Male hier. Bezahlt hat er bar, wollte auch keine Quittung.«
»Bingo«, sagte Hilla tonlos, nachdem sie aufgelegt hatte. »Mats Lehmann hat also Konrad Schmidt beauftragt, sich bei Langner umzuschauen. Vielleicht hat er seit mehreren Jahren nach Langner gesucht; er hat womöglich sämtliche Matthias Langners in ganz Deutschland auf dem Schirm gehabt. Keiner von denen war aber der richtige.«
»Klar, weil der erst auf dem Kreuzfahrtschiff war. Dann aber hat er neue Infos im Internet gefunden. Auf Föhr. Der hat den Detektiv auf den angesetzt, ohne zu wissen, dass Langner ein falscher Arzt war«, sagte Bjarne und rieb sich die Hände.
»Und Langner hat ihn umgebracht, weil er dachte, Schmidt wäre ihm auf die Schliche gekommen.«
»War er ja vermutlich auch«, erwiderte Hilla. »Auf jeden Fall hat Lehmann mir nicht erlaubt, die Kundendatei aus Husum zu holen, weil er Angst hatte, dass sein Name darin auftauchen würde. Er wollte mögliche Hinweise auf ihn selbst einfach verschwinden lassen.«
»Verdammte Scheiße«, sagte David und stützte sich auf dem Tisch ab. »Dann hat der Zufall ihm in die Hände gespielt. Wir haben Langner gemeinsam festgenommen und in der Zelle saß er dann wie auf dem Präsentierteller.«