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Drei Tage später

Zur Feier des Tages hatte Hilla eine Runde Fischbrötchen spendiert. Deshalb standen David und sie, die Staatsanwältin Charlotte Kröger und die Kriminalhauptkommissarin Senta Klatt aus Flensburg einträchtig kauend am Hafenbecken und schauten den Polizeitauchern bei der Suche nach Davids Dienstwaffe zu. Das hieß vielmehr, sie betrachteten die Luftblasen, die an der Wasseroberfläche zerplatzten und anhand derer man den ungefähren Aufenthaltsort der Taucher abschätzen konnte. Dass auch David an diesem Tag dabei sein konnte, hatte er Charlotte zu verdanken. Sie hatte sich noch am Sonntag bei Gericht dafür eingesetzt, dass der Haftbefehl gegen ihn aufgehoben wurde, da nun neue Erkenntnisse vorlagen.

»Wie geht es jetzt weiter?«, wollte Hilla von Charlotte wissen.

»Klaus Grein, Langners Halbbruder wird sich wegen Urkundenfälschung verantworten müssen.«

»Ich meinte wegen Lehmann.« Mats Lehmann saß mittlerweile wegen Verdunkelungsgefahr in Untersuchungshaft.

»Es wird wohl auf einen Indizienprozess hinauslaufen«, meinte Charlotte.

Senta Klatt, die die Ermittlungen übernommen hatte, zuckte mit den Schultern. »Wir arbeiten fieberhaft daran, sämtliche Beweise gegen ihn auszuwerten.«

Davids Blick schweifte zu Hilla. Noch immer wirkte sie etwas blass, was jedoch kein Wunder war. Letzte Woche hatte sie einiges durchgemacht. Auch er selbst hatte sich noch nicht an die neue Situation gewöhnt. Sofort am Sonntagmorgen hatte er sich nach Flensburg aufgemacht und der Polizei gestellt. Das hatte dazu beigetragen, den Richter davon zu überzeugen, dass er unschuldig war. Er atmete tief durch und sog die salzige Meerluft ein, bevor er versuchte, sich auf das Gespräch zu konzentrieren.

»Man wird Lehmann nicht endgültig nachweisen können, dass er Langner ermordet hat, wenn wir die Waffe mit seinen Fingerabdrücken nicht finden. Falls da welche drauf sind«, setzte Klatt hinzu.

»Warten wir erst mal ab, was die Suchaktion ergibt«, entgegnete Charlotte und biss in ihr Fischbrötchen.

Mats hatte doch einen Fehler gemacht: Seine Fingerabdrücke waren klar und deutlich auf dem Fläschchen zu identifizieren gewesen. Die Bilder der Überwachungskameras am Fähranleger waren ebenfalls ausgewertet worden. Auf einem der Filme aus der Tatnacht war eine Person zu sehen, die gegen 22:40 Uhr etwas ins Hafenbecken warf. Herauszufinden, ob es sich dabei wirklich um Mats handelte, war jetzt Sache der KTU, die das Videomaterial inzwischen auf Herz und Nieren prüfte und mit dem Bewegungsmuster von Lehmann abglich.

»Hoffentlich kommt er nicht ungeschoren davon«, sagte David leise.

»Verlass dich auf uns«, erwiderte Charlotte bestimmt. »Wir werden genug Beweise finden, um ihm den Prozess zu machen und ein Urteil gegen ihn zu erwirken.«

Hilla zuckte mit den Schultern. »Na, zum Glück ist das nicht mehr unser Problem.«

»Vielleicht doch«, sagte David verlegen und scharrte mit der Fußspitze über die Steine am Rande des Hafenbeckens.

Er war sich bisher nicht sicher, aber vielleicht nahm er das Angebot an, das der Polizeipräsident ihm gemacht hatte, und ging zurück nach Flensburg. Er hatte David die Leitung der Mordkommission nahegelegt. Jetzt, wo Mats in Untersuchungshaft saß, war die Stelle wieder frei. Bedingung war allerdings, dass Charlotte und er ihre Affäre ein für alle Mal beendeten. Das war wohl das geringste Problem. Die Sache zwischen ihnen war sowieso schon vorbei gewesen und hatte nie wirklich eine Zukunft gehabt.

Aber ... Er mochte Föhr. Inzwischen hatte er sich hier eingelebt und die Insel gefiel ihm. Er konnte sich durchaus vorstellen, für immer herzubleiben, für immer. Andererseits war der Job in Flensburg das, worauf er immer hingearbeitet hatte. Zwischen den beiden Optionen hatte er deshalb noch keine endgültige Entscheidung getroffen.

»Wenn du zusagst, würde ich es verstehen«, murmelte Hilla. »Du bist ein guter Polizist und könntest dort viel bewirken.«

»Hier werde ich doch auch gebraucht«, gab er zurück und sah sie von der Seite an. »Oder?«

»Na ja«, antwortete Hilla gedehnt. »Mach dir um uns mal keine Sorgen, wir kommen schon zurecht. Aber ...«

»Aber was?«

»Wenn hier doch mal wieder was passiert«, begann sie und biss sich auf die Unterlippe. »Kann ich dann auf dich zählen?«

Lächelnd schüttelte David den Kopf. »Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich irgendjemand anderes herschicken würde?«

»Nein.« Ein erleichtertes Lächeln glitt über Hillas Lippen.

»Irgendwer muss ja schließlich auf dich aufpassen, wenn du dich mal wieder in unnötige Gefahr bringst.«

»Jetzt mal nicht frech werden«, fuhr sie auf und drohte ihm mit dem Zeigefinger. »Und überhaupt: Wer von uns beiden hat sich denn in unnötige Gefahr gebracht? Wenn du nicht Hals über Kopf abgehauen wärst, wäre es vielleicht gar nicht so weit gekommen.«

»Dann hätte mich Mats direkt eingebuchtet«, wandte David ein. »Ob ich dann jemals wieder freigekommen wäre, steht in den Sternen.«

»Wir hätten dich trotzdem irgendwie da rausgeboxt«, sagte Hilla und knuffte ihm in die Seite. »Ich hab doch gesagt, beim nächsten Mal rette ich deinen süßen Hintern«, fügte sie mit einem verschmitzten Grinsen hinzu.

»Ich weiß nicht, ob das der exakte Wortlaut war.« Höchstwahrscheinlich nicht, da war er sich ziemlich sicher. Aber fest stand: Hilla hatte ihm verdammt noch mal den Arsch gerettet, und dafür würde er ihr immer dankbar sein.

»Danke«, sagte er und sah ihr fest in die Augen. »Ohne eure Hilfe wäre ich echt aufgeschmissen gewesen.«

»Gern geschehen«, gab sie zurück. »Ich schätze, dann sind wir wohl quitt.«

»Genau genommen habe ich noch ein Mal gut«, bemerkte er. »Aber ich will mal nicht so sein.«

Im Hafenbecken tat sich was. Es blubberte, als ein ganzer Schwall Luftblasen auf einmal hochstieg, und kurz darauf durchbrach der Kopf eines Tauchers die Wasseroberfläche.

In der einen Hand schwenkte er einen Beutel, mit der anderen schob er seine Maske hoch, bevor er Daumen und Zeigefinger zu einem Kreis formte und das Okay-Zeichen gab.

Obwohl er damit gerechnet hatte, atmete David innerlich auf. Die Hauptsache war, dass er vom Mordvorwurf entlastet würde. Und wie es weiterging, stand in den Sternen. Er ließ seinen Blick in die Ferne gleiten und sah hinaus aufs Meer.

Auf jeden Fall wurde ab jetzt alles wieder gut.