Kapitel 1

S ind wir schon da?«

»Ernsthaft, Byrd? Du bist über fünfhundert Jahre alt und hast immer noch nicht aufgehört, das nervige Kleinkind auf dem Rücksitz zu sein?«

Cheyenne Summerlin drehte sich zu den Kobolden, die neben ihr auf dem Rücksitz von Persh’als Geländewagen saßen und lächelte breit. Die Koboldfrau schlug Byrd auf die Schulter und verdrehte die Augen.

Byrd zuckte zusammen und sah Lumil finster an. »Ich weiß nicht, warum wir mit einem verdammten Auto zu diesem neuen Portal fahren müssen. Wir hätten in zwei Sekunden da sein können, statt in zwei Stunden.«

»Glaubst du, es gefällt mir, die ganze Fahrt über neben dir zu sitzen? Vierhundert Jahre lang habe ich dir beim Jammern zugehört und ich werde dich immer noch nicht los …«

»Haltet die Klappe .« Persh’al schlug seine Hände auf das Lenkrad und grunzte. Er justierte den Rückspiegel und beobachtete die Kobolde, die sich neben Cheyenne unterhielten, wobei seine Augen zwischen der Straße und dem Spiegel hin und her flogen. »Zwingt mich nicht, zu euch nach hinten zu kommen und euch beiden eine neue Siegesnarbe zu verpassen, ja? Das wird mein Zeichen sein, nicht eures.«

»Sie hat angefangen. Au! Was ist los mit dir?« Byrd lehnte sich von Lumil weg, seine Nasenflügel blähten sich und er zog eine Grimasse.

Cheyenne drückte sich weiter gegen die Tür hinter Persh’al und starrte aus dem Fenster. Wenn ich vierhundert Jahre lang Zeit mi t jemandem verbringen müsste, würde ich ihn wahrscheinlich auch schlagen.

»Weniger als fünf Minuten«, murmelte Corian vom Beifahrersitz aus. Persh’al nickte stumm und drehte den Rückspiegel zurück in seine normale Position.

»Benutze deinen Verstand, Mann«, flüsterte Lumil, obwohl jeder im Geländewagen sie noch hören konnte. »Wir kundschaften die Gegend aus, also pass auf.«

»Das würde ich, wenn ich mein eigenes Fenster hätte.«

»Scheiße, nimm meins . Du kannst doch noch sehen, oder?«

Cheyenne rieb sich die Stirn und schloss die Augen mit einem tiefen Atemzug, während die Kobolde neben ihr weiter zankten. Ändere einfach das Gesprächsthema.

Sie schaute schnell zum vorderen Teil des Wagens. »Wonach suchen wir?«

Persh’al antwortete: »Es gab kein neues Grenzportal mehr seit … hm. Ich kann nicht einmal sagen wie lange. Länger, als ich sie beobachte, das ist sicher.«

»Ihr wisst also nicht, was wir finden werden.« Die Halbdrow blickte aus dem Fenster auf die Bäume, die auf der langen Schotterstraße vorbeizogen, die offenbar mitten ins Nirgendwo führte.

»Nicht wirklich.« Der Troll auf dem Fahrersitz zuckte mit den Schultern und warf Corian einen kurzen Blick zu. »Aber es reicht aus, um alle zwei Stunden einen schrillen Alarm durch mein System zu schicken und das ist Grund genug, um Vorsichtsmaßnahmen zu treffen.«

»Was ist das für ein System?« Cheyenne lehnte sich in ihrem Sitz zurück und beobachtete den Rückspiegel, falls er noch einmal hineinschauen würde. Das tat er nicht.

»Ich weiß, dass du es zu schätzen wissen würdest, Kleine.« Persh’al lächelte, seine Verärgerung über die Kobolde war für einen Moment vergessen. »Ich habe es selbst erschaffen.«

»Okay, cool.« Cheyenne wartete auf mehr Informationen und drängte weiter, als nichts mehr kam. »Aber wenn sich nicht gerade ein neues Grenzportal mit eigenem WLAN öffnet, verstehe ich nicht, wie du auf irgendeinem System einen Hinweis sehen kannst.«

Die Kobolde hörten auf zu flüstern und drehten sich um, um sie anzuschauen. Byrd grinste. Corian starrte auf dem Beifahrersitz geradeaus.

Persh’al neigte den Kopf zur Seite und sein stolzes Lächeln wurde breiter. »Nun, es ist verdammt einfach, wenn ein Teil des Systems so eingerichtet ist, dass es hohe magische Aktivitäten auf der Erde aufspürt. Es schickt alles zu mir zurück.«

Cheyenne blinzelte. »Wie zum Teufel funktioniert das?«

»Weißt du, Kleine, wenn ich meine Ausrüstung von zu Hause hätte, würde ich das ganze Ding auseinandernehmen, nur um dir zu zeigen, wie es funktioniert.« Persh’al lachte. »Das Zeug, das wir auf der Erde haben? Bestenfalls rudimentär. Als ich versucht habe, menschliche Technologie mit Magie zu verbinden, habe ich mir fast die Haare ausgerissen.«

»Was von deinem Haar übrig ist«, murmelte Lumil. Sie und Byrd kicherten gemeinsam.

»Hey, ich rasiere das Ding absichtlich jeden zweiten Tag.« Der Troll zeigte auf seine blaue Kopfhaut, die mit orangefarbenen Punkten übersät war und auf den riesigen, mit Stacheln besetzten, leuchtend orangefarbenen Irokesen, der fast das Dach des SUVs erreichte. »Du solltest vielleicht mal einen Friseur aufsuchen, Lumil. Sieht aus, als hätte eine Katze deinen Kopf als Bett benutzt.«

Lumil schnaubte und winkte ab.

Die Halbdrow ignorierte das Geplänkel und beugte sich vor. »Ich habe einiges über O’gúl-Technik gehört.«

»Oh, hast du das?« Persh’al nickte. »Ich sag’s dir, Mädel. Das Zeug hier ist nichts im Vergleich zu dem, was wir da drüben haben. Es sei denn, es wurde in den letzten paar hundert Jahren alles zerstört.«

Corian drehte sich zu dem Troll um und runzelte ein wenig die Stirn. »Das wurde es nicht.«

»Ja? Bist du dir da sicher?«

»Ich habe Berichte bekommen.«

»Aha. Du kannst deine Geheimnisse haben, Nachtpirscher. Ich weiß, dass du gut mit ihnen umgehst.« Persh’al lachte auf, ohne den Blick von der Straße zu nehmen.

Cheyenne beäugte das stoische, ausdruckslose Profil von Corian. Ich bin also nicht die Einzige, mit der er nicht reden will. Wenigstens hält der Typ seine Versprechen. Sie lehnte sich gegen den Sitz, nickte und schaute in den Rückspiegel. »Ich würde trotzdem gerne sehen, wie du eine Anlage gebaut hast, die nach Magie sucht.«

Persh’al begegnete schließlich ihrem Blick im Spiegel und hielt ihn fest. Dann grinste er. »Ich kann gar nicht fassen, wie sehr du ihm ähnelst, Kleine. Klar. Wenn wir herausgefunden haben, was dieses neue Portal angerichtet hat, zeige ich dir alles. Wie hört sich das an?«

»Ich werde dich beim Wort nehmen.« Cheyenne schaute wieder aus dem Fenster, während die Kobolde neben ihr lachten.

»Auf keinen Fall bist du nicht L’zars Kind«, lachte Byrd.

»Vorsichtig, Persh’al.« Lumil zeigte auf den Troll hinter dem Lenkrad. »Diese Halbdrow hält dich jetzt an einem Versprechen fest. Du weißt, was passiert, wenn du einen Rückzieher machst.«

»Das wird nicht passieren.« Persh’al griff fester nach dem Lenkrad, seine Verärgerung kehrte zurück. »Wenn ich etwas sage, meine ich es auch, Lumil. Es hilft, dass in meinem Vorstrafenregister nicht steht, dass ich ein Verräter bin.«

Lumil schnaubte. »Bitte. Wenn wir nicht schon alle einen fetten, schwarzen Fleck auf unserem Namen haben, dann werden wir das sicher noch früh genug. Sag mir nicht, ich wüsste nicht, wie man ein Versprechen hält.«

»Nö. Ich habe es nur angedeutet.« Das kleine Tablet, das in dem Fach unter dem Armaturenbrett lag, gab eine Reihe von hohen Tönen von sich. Persh’al warf einen Blick darauf und verlangsamte den Geländewagen auf Schritttempo. »Wir sind nah dran.«

»Wo ist es?«, fragte Corian und musterte die umliegenden Bäume durch sein Fenster und die Windschutzscheibe.

»Etwa einen Kilometer westlich.« Der Troll hielt an und zeigte in den dichten Wald zu ihrer Linken. »Ich kriege das Ding nicht durch den Wald. Wer hat Lust auf eine kleine Wanderung?«

Byrd seufzte. »Ich sage dir, Portale sind der richtige Weg.«

»Es sei denn, du willst, dass dir der Kopf weggeblasen wird, sobald du durchgehst«, murmelte Lumil, während sie ihren Sicherheitsgurt löste und die Hintertür aufstieß.

»Du weißt nicht, dass dort etwas darauf wartet, mir den Kopf wegzupusten.« Byrd bewegte sich auf die offene Tür zu, als die Stiefel des anderen Kobolds über den Kies knirschten.

Corian drehte sich auf dem Beifahrersitz um und fing den Blick des Kobolds auf. »Du weißt nicht, ob da nicht etwas auf uns wartet.«

Byrd zuckte mit den Schultern und sprang Lumil hinterher.

Als alle aus dem Auto ausgestiegen und die Türen geschlossen waren, deutete Persh’al mit einem Nicken auf die anderen Seite des Weges. »Es ist nicht allzu weit zu Fuß. Findet noch jemand, dass es seltsam günstig zu einer Straße liegt?«

»Bequemlichkeit oder Zufall?« Corian legte den Kopf schief. »Das werden wir gleich herausfinden.«

Cheyenne folgte der Gruppe von L’zar Verdys langjährigen magischen Freunden in die dichten Wälder, die sich zu beiden Seiten des Feldwegs erstreckten. Die fünf bewegten sich mit geübter Stille durch die Bäume und machten kaum ein Geräusch. Sie haben schon viel mehr Erfahrung damit und ich bin genauso still. Byrd sollte aufhören, durch seinen Mund zu atmen.

Sie hatten etwa einen halben Kilometer zurückgelegt, als die Halbdrow ein fremdartiges Kribbeln in sich spürte. Die anderen blieben neben ihr stehen, als sie die gleiche magische Energie spürten und tauschten Blicke aus. Corian deutete auf seine Augen, dann auf die Kobolde. Ohne ein Wort zu sagen, nickten Byrd und Lumil und machten sich auf den Weg nach Norden und Süden.

Jetzt sind sie auf Spurensuche.

Der Nachtpirscher nickte Persh’al zu, dann fiel sein Blick auf die Halbdrow. Er zeigte geradeaus und Cheyenne nickte, obwohl ihr ein Schauer über den Rücken lief.

Irgendetwas ist hier nicht in Ordnung. Sie alle spüren es auch.

Für den Bruchteil einer Sekunde kämpfte ihr Körper gegen den Befehl an, weiterzugehen. Sie zwang sich, Corian und Persh’al durch den dichten Wald und das Unterholz zu folgen.

Auf den nächsten fünfhundert Metern ihrer kleinen Wanderung gab niemand einen Laut von sich. Selbst die natürlichen Geräusche des Waldes fehlten – keine Vogelstimmen, kein Rascheln von Kleintieren im Gebüsch. Das Einzige, was sie begrüßte, war das leise Pfeifen des Windes, der über die Baumkronen wehte.

Cheyenne hörte das leise Brummen schon eine ganze Minute, bevor sie, Persh’al und Corian auf die Lichtung traten – wie ein riesiger Motor, der irgendwo unter der Erde dröhnte. Das kribbelnde Summen einer Magie, die sie noch nie zuvor gespürt hatte, verstärkte sich auf ihrer Haut.

Sobald sie die Bäume hinter sich gelassen hatten, standen sie vor einem Hügel aus zerklüftetem, schwarzem Fels, der aus dem Waldboden ragte. Sieht eher wie gesplittertes Holz aus, als wie Stein. Cheyenne starrte auf die zwei Meter hohen Spitzen und runzelte die Stirn. Das sollte nicht hier sein.

Neben ihr bewegten sich Corians Hände schnell und seine Lippen murmelten leise einen weiteren Zauberspruch. Eine Welle schimmernden Lichts breitete sich von ihm in alle Richtungen aus und überspülte Persh’al und die Halbdrow, bevor sie sich zu den schwarzen Steinspeeren ausbreitete, die sich aus der Erde erhoben. Dann verschwand das Schimmern und der Nachtpirscher schüttelte den Kopf. »Niemand hier.«

»Das hätten wir dir auch sagen können«, verkündete Byrd, als er um die unterste Erhebung auf sie zukam. »Dieser Bergrücken geht noch mindestens eineinhalb Kilometer weiter nach Westen.«

Lumil erschien rechts von Corian und strich sich ihr struppiges, gelbes Haar aus dem Gesicht. »Auf der Nordseite ist nichts zu sehen.«

Corian wandte sich dem Troll zu. »Persh’al?«

»Bei all der Magie hier wundert es mich, dass mein Alarm nicht alle halbe Stunde losgeht.« Persh’al kratzte sich an der rasierten Seite seines Kopfes und zuckte mit den Schultern. »Diese Lichtung ist groß genug, um einen anständigen Betrieb zu beherbergen. Ich denke, das ist Bequemlichkeit.«

»Ja, ich auch.« Corian verschränkte die Arme und wandte sich wieder den Felsen zu. »Vor allem, wenn dieser Grat so weit verläuft, wie Byrd sagt. Es dürfte nicht allzu schwer sein, von hier aus einen aktiven Turm zu errichten.«

»Nein.« Persh’al legte den Kopf schief. »Etwa eine Woche, mit der richtigen Ausrüstung.«

Cheyenne ging über die Lichtung, um einen besseren Blick auf den schwarzen Stein zu werfen. Das könnten Zähne in einem riesigen, verunstalteten Maul sein.

Ein dunkler Schatten bewegte sich zwischen den aufragenden Türmen – nur ein Flackern, das im einen Moment da war und im nächsten hinter einer anderen Faust aus schwarzem Stein verschwand. Sie räusperte sich. »Wenn du von ›Bequemlichkeit‹ sprichst, meinst du, dass jemand dieses Portal absichtlich geöffnet haben könnte, richtig?«

Alle vier magischen Wesen drehten sich zu ihr um.

»Ja, Cheyenne.« Corian nickte einmal, seine silbernen Augen verengten sich misstrauisch. »Es besteht die Möglichkeit, dass jemand auf der anderen Seite viel Arbeit in die Öffnung eines unregulierten Grenzportals gesteckt hat. Aber ohne Beweise ist es schwer zu sagen, ob das wirklich passiert ist.«

Die Halbdrow nickte in Richtung der hohen Steinkämme, die sich weiter im Westen erstreckten, als sie sehen konnte. »Vielleicht gibt es dort Beweise.«

Corian drehte sich um und betrachtete den Stein. Eine weitere dunkle Gestalt erhob sich zwischen den schwarzen Türmen und glitzerte im Morgenlicht, das auf die Lichtung fiel. Der Nachtpirscher schritt über die Lichtung auf Cheyenne zu, schnell gefolgt von Persh’al und den Kobolden. Alle Augenpaare suchten nach weiteren Bewegungen in dem neuen Grenzportal.

»Ich würde sagen, du hast recht«, murmelte Corian. »Es gibt nur einen Weg, das herauszufinden.«

Ein Blitz aus silbernem Licht schoss aus der Hand des Nachtpirschers in Richtung des schwarzen Steins. Er zischte zwischen den beiden nächstgelegenen Türmen hindurch und traf auf etwas. Silberne Funken loderten auf, als Corians Magie über ihr Ziel krachte und zwischen den schwarzen Steinsäulen in beide Richtungen blitzte. Ein leises Knurren erhob sich aus der Mitte des Steinkamms. Das Knurren verwandelte sich schnell in ein ohrenbetäubendes Brüllen und eine riesige Gestalt, die so schwarz war wie der Stein des Portals, erhob sich zwischen den Felspfeilern.

»Was zum Teufel ist das?«, murmelte Persh’al.

Die Bestie im Stein hob sich über die schwarzen Türme und warf einen noch längeren Schatten auf die Lichtung, als sie sich über ihnen aufbaute.

Corian sog einen Atemzug durch seine Zähne ein. »Nicht das, was ich erwartet habe.«