Kapitel 3

C heyenne konnte nicht begreifen, was sie sah, als die riesige Kreatur aus dem sich verbreiternden Spalt im Portalkamm auftauchte. Schwarze Tentakel schlängelten sich in alle Richtungen wie Dutzende von Gliedmaßen, Klauenhänden und Beinen mit Widerhaken, die sich immer wieder ausdehnten. Das Zentrum der Kreatur war ein riesiger, nebulöser Fleck, der sich ständig veränderte, um ein grelles, rotes Auge, eine Reihe messerscharfer Zähne in einem klaffenden Schlund oder einer Art Falte, aus der schwarzer Schleim tropfte, zu zeigen.

Eine riesige Klaue erhob sich aus der Spalte und schlug auf dem Boden auf. Die Erde bebte erneut und Cheyenne taumelte fast in Persh’al hinein, bevor sie sich wieder fangen konnte. Dann trat die Kreatur mit einem weiteren Fuß vor, der wie die Krallen eines riesigen Vogels aussah, bevor sie sich in eine andere Form verwandelte. Das Ding brüllte so laut, dass Cheyenne sich die Hände gegen die Ohren schlug und rückwärts stolperte.

»Habe ich ihn dazu gebracht?«, rief sie über das Heulen hinweg, das von dem sich bewegenden, schwarzen Klumpen ausging.

»Das bezweifle ich«, antwortete Corian. »Wir haben diese Reaktion nur ein wenig vorverlegt. Los geht’s.«

Ohne darauf zu warten, dass irgendjemand etwas sagte, verschwand der Nachtpirscher in einem gleißenden Streifen aus silbernem Licht und stürzte sich auf die sich wandelnde, wogende Kreatur, die sich über die Lichtung ausbreitete. Schwarze Flüssigkeit spritzte in alle Richtungen, als seine blitzschnellen Angriffe den sich ständig verwandelnden Körper durchschlugen. Die Kreatur brüllte erneut und ihre Masse bebte wie schwarzer Wackelpudding, bevor sie zwei Tentakel in schneller Folge herausschleuderte. Corian flog auf die Bäume zu, die die Lichtung säumten und rutschte nach hinten, als er auf beiden Füßen landete und eine Hand mit Krallen in den Boden grub.

Cheyenne wich einer weiteren peitschenden Ranke aus, als das Monster schwarzen Glibber auf Persh’al spritzte. Der Troll duckte sich, rollte sich weg und stieß einen Kampfschrei aus, während er auf die sich ständig verändernde Masse zustürmte. Eine Zange, die so groß war wie ein Haus, schlängelte sich aus dem Zentrum des formlosen Grauens. Die scharfen Enden waren geöffnet, um den Troll in zwei Hälften zu zerschneiden.

Die Halbdrow streckte ihre Ranken aus und wickelte sie um den Rand der Klaue, bevor sie Persh’al erreichte. Die Zange knackte, als sie sie zur Seite riss und die Hälfte fiel auf den Boden. Der Troll wich der anderen rasiermesserscharfen Zange aus und schlug mit seiner grünen Peitsche zu.

Auf der anderen Seite der Lichtung ließen Lumil und Byrd ihre Angriffe in das kugelförmige Ding fliegen. Rote und grüne Funken flackerten bei der Berührung auf, taten aber sonst nicht viel. Corian beschleunigte wieder auf Nachtpirschergeschwindigkeit und steuerte auf das Zentrum der sich abzeichnenden Gestalt des Ungetüms zu.

Die Halbdrow dachte nicht einmal darüber nach, bevor sie ihre erhöhte Geschwindigkeit aktivierte und sich ihm anschloss. Der Anblick der wogenden, schwarzen Masse, die immer langsamer wurde, als sie auf sie zulief, ließ sie fast stehen bleiben.

Es gab Gesichter in diesem schwarzen, sich bewegenden Fleisch. So viele Gesichter, die sich gegen die dicke, schleimige Schicht des Monsterfleisches drückten, als würden sie gegen ein Fenster hämmern und versuchen, hinauszukommen.

»Ignoriere es!«, rief Corian und schlug auf das Zentrum der Kreatur ein.

»Hilf mir! «, schrie eine Stimme aus dem Inneren der nebligen Gestalt des Monsters.

Cheyenne zögerte nur einen Augenblick, als sie ein weibliches Gesicht sah, das sich gegen die Haut des Monsters presste. Dann verwandelte sich das Gesicht in ein riesiges Maul mit gefährlichen Reißzähnen, bevor sich eine Ranke an der Stelle der Augen materialisierte. Ohne zu überlegen, schickte die Halbdrow zwei Blitze aus knisternder, schwarzer Energie in die sich verwandelnde Visage. Schwarzes und violettes Licht knisterte im Fleisch der Bestie.

Noch mehr schwarzer Schlamm brach aus der Aufprallstelle hervor und flog durch die Luft, während die Halbdrow einen Angriff nach dem anderen auf die Kreatur losließ. Corian tat das Gleiche neben ihr, dann brach ein schimmernder Strahl schwarzer Energie aus der Haut des Monsters hervor und schickte sie beide rückwärts über die Lichtung, sodass sie aus ihrer erhöhten Geschwindigkeit gerissen wurden.

Cheyenne landete auf ihrem Hintern im Dreck und knurrte. Neben ihr lachte Corian kurz, der die Kreatur mit seinen glühenden Silberaugen anstarrte. »Immer auf den Füßen?«

Er neigte den Kopf. »Meistens, ja.«

Corian reichte ihr die Hand, während Lumil und Byrd weiter schrien und die Kreatur mit ihren Angriffen zerrissen. Persh’al schlug mit seiner Peitsche auf die nächsten beiden Tentakel ein, die ihm entgegenkamen und trennte sie beide mit seiner Magie durch.

»Wir machen keine Delle in dieses Ding«, knurrte die Halbdrow.

»Ich weiß.«

»Was zum Teufel sollen wir tun?«

»Es zurückschieben, Cheyenne. Dieses Ding hat einen Fuß in diesem Reich und den anderen dort, wo es hingehört.«

»Es hat keine Füße!«

»Richtig. Aber wenn dieses Ding freikommt, stehen wir auf der Erde vor einem viel größeren Problem, als wir es geplant haben.«

Die Halbdrow schnaubte, als sie wieder in Richtung der Kreatur rannten. »Ach was.«

Sie schleuderte einen Ball nach dem anderen mit ihrer knisternden, schwarzen Energie und beobachtete, wie die Angriffe Wellen von Kraft durch die wogende Masse schickten, die immer wieder zwischen Festigkeit und einer ekelerregenden Glibberigkeit schwankte. Wie zum Teufel kann man etwas zurückschicken, wenn nichts es aufhält?

Corians silbernes Licht zischte über der riesigen Kreatur hin und her. Schwarzer Schlamm spritzte in alle Richtungen, während der Nachtpirscher hackte und schlug und das Monster erleuchtete. Als Corian anhielt, um die schwarzen Pfeile abzuwehren, die auf das Koboldteam zusteuerten, stieß die Bestie ein kurzes Grunzen aus und verdoppelte fast ihre Größe. Seine gewaltige Gestalt erhob sich noch höher auf der dunklen Lichtung und fünf weitere Säulen aus schwarzem Stein brachen aus der Erde hervor und reckten sich ebenso hoch.

»Der Stein«, murmelte Cheyenne. Sie flüchtete vor der Kreatur, die jetzt so hoch wie ein vierstöckiges Gebäude war und mit ihren Klauen, Zangen und Tentakeln nach ihren Angreifern schlug. »Corian! Es ist der Stein …«

Eine schwarze Rauchwolke schoss auf sie zu. Cheyenne hob einen Schild und teilte den Rauch in zwei Hälften, bevor er über die Lichtung raste und sich wieder auf sie zubewegte. Die nächstgelegene schwarze Rauchwolke stieß einen markerschütternden Schrei aus, als sie auf die Halbdrow zustürmte. Die Dunkelelfe schoss eine Kugel aus schwarzer Energie auf ihr Zentrum, aber das bewirkte nichts. Also hob Cheyenne erneut einen Schild und dieses Mal zersplitterte der Rauch und verschwand.

Dieses verdammte Ding zieht Energie aus den schwarzen Steinen, genau wie die Grenzreservate.

Cheyenne griff nach dem nächstgelegenen schwarzen Turm und tastete nach dem widerständigen Druck in der Luft. Da war er, direkt an den Spitzen ihrer Finger.

Das Monster brüllte und stürzte sich mit einem halben Dutzend peitschender Tentakel auf sie. Sie schaltete auf erhöhte Geschwindigkeit und feuerte einen Schuss nach dem anderen mit ihrer knisternden, schwarzen Energie ab, bevor sich die Tentakel in eine Gischt aus schwarzem Schlamm auflösten. Die abgerissenen Teile des Monsters schwebten zu Boden und Cheyenne ging in die Hocke.

Sie knallte beide Handflächen in den Dreck und drückte.

Eine Welle aus sich bewegender Erde bog sich unter ihr und steuerte auf die Kreatur zu. Der Boden explodierte zwischen Corian und dem albtraumhaften Ding. Der Nachtpirscher wurde über die Lichtung zurückgeschleudert, während das Monster sich gegen den Erdwall stemmte, der sich vor ihm auftürmte.

Cheyenne schwankte in ihrer Hocke und ihre Drowgeschwindigkeit ließ nach. Das neblige Ungeheuer stürzte sich auf sie, wobei sich sein ganzer Körper zu einem riesigen Maul mit triefenden Reißzähnen aufbäumte. Ein weiteres Brüllen brach aus diesem Maul hervor und warf die Halbdrow mit einem heftigen Luftzug und seinem ekelerregend, stinkenden Atem fast um. Es riecht nach Angst und Tod. Und n ach etwas anderem.

Sie zögerte nicht lange und streckte beide Hände nach den schwarzen Steinsäulen aus. Ihre Magie fand den Widerstand sofort wieder und Cheyenne setzte ihre ganze Kraft ein, als sie daran zerrte.

Die nächstgelegene Säule knackte und bewegte sich zur Seite, aber sonst passierte nichts.

»Komm schon!« Sie streckte erneut die Hand aus, aber das Monster schickte ihr zwei weitere Tentakel entgegen, die breiter waren als sie selbst. Die Halbdrow sprang von der Stelle weg, an der sie gehockt hatte, als ein Tentakel in den Boden krachte. Dreck und Felsbrocken flogen auf sie zu. Cheyenne schrie auf, als etwas Schweres sie an der Schädelbasis traf und stolperte zum Rand des Portalkamms.

»Cheyenne!« Corian stürmte auf sie zu, aber selbst mit seiner erhöhten Geschwindigkeit war er nicht schnell genug, um sie zu erreichen, bevor ein weiterer drei Meter breiter Tentakel auf den Boden schlug und ihm den Weg abschnitt.

Zähneknirschend griff die Halbdrow ein weiteres Mal nach dem schwarzen Stein. Nur dass sie jetzt nicht mehr versuchte, ihn zu zerbrechen, sondern ihn nach oben drückte und den Stein in die Höhe zwang.

Das Monster kreischte und wankte und versuchte, sich zu ihr umzudrehen, bevor sie um die riesigen Säulen herumflog. Es war ein enges Gedränge zwischen dem ersten Pfeiler und dem nächsten Baum, aber sie schaffte es, dort hineinzukommen und ihre Hände auf den Felsen zu schlagen, der aus dem Boden ragte. Er war so kalt, dass ihre Hände sofort brannten, aber sie hielt sich fest.

»Verdammt, Cheyenne, geh weg von dem …«

Das Monster spuckte einen Klumpen grauen Schleims auf sie und die Säule. Cheyenne wich zur Seite und nahm vage wahr, wie der Boden hinter ihr zischte und brutzelte. Statt darauf zu reagieren, lehnte sie sich gegen die Säule und streckte ihre Magie aus.

Wenn ich die Erde manipulieren kann, während ich auf der Erde bin, sollte das besser funktionieren.

Ihre Magie erstreckte sich über die gesamte Länge des Portalkamms, weiter, als ihr bewusst war, dass sie reichen konnte. Alles, was sie fühlte, war Kälte und Dunkelheit und etwas wie Angst, aber nicht ganz. Ein nervöses Warten, knapp unter der Oberfläche. Dann kehrte ihr Bewusstsein zu ihr zurück und sie ließ ihre Hände von der schwarzen Spitze zu den Seiten hin ausfahren.

Die Säule aus zerklüftetem Stein zersprang in Tausende von Splittern und folgte der Richtung ihrer Hände. Die Scherben des schwarzen Gesteins prasselten auf das Monster ein, das versuchte, sich um die Säulen herum zu ihr zu quetschen. Jedes Stück Stein wurde im Nu aufgesaugt, aber Cheyenne hatte immer noch jeden einzelnen von ihnen im Griff.

Als die Steinsplitter verschwunden waren, schloss die Halbdrow die Finger ihrer Drowmagie um die kalte Energie, die sie in dem auf sie zukommenden Albtraum spürte und schob alles zur Seite, als würde sie eine Schiebetür ruckartig öffnen.

Die Kreatur stöhnte auf und stieß einen markerschütternden Schrei aus. Dann rutschte sie zur Seite, wand und krümmte sich, als die Steinsplitter in ihrem Inneren gegen die gewaltige Masse der Bestie zogen.

Cheyenne zog erneut und die Kreatur schlitterte über den Boden in Richtung der riesigen Spalte, die es in die Erde gerissen hatte, um auf die Lichtung zu gelangen. Schlangenartige Tentakel peitschten über den Boden und verformten sich zu Klauen, Widerhaken und Zangen, während sie versuchten, sich an irgendetwas festzuhalten, um ihren Abstieg aufzuhalten.

Mit aller Kraft lenkte die Halbdrow den zerbrochenen, schwarzen Stein und das Ungeheuer um sich herum in den offenen Abgrund. Sie hätte bei der Anstrengung schreien können, als der Boden unter ihren Füßen erneut schwankte. Ein dünner, mit Widerhaken versehener Tentakel schlug auf den Boden und fand seinen Weg um ihren Knöchel. Cheyenne schlug auf den Boden. Ignorier das einfach. Schieb weiter.

Die Kreatur zog sie mit sich, während sie sich verwandelte und brüllte und sich in die zerrissene Erde drückte. Cheyenne konnte den schwarzen Stein nicht loslassen und das musste sie auch nicht.

Die Luft vor ihr explodierte in knisterndem, silbernem Licht und Corians ausgefahrene Klauen fielen in Windeseile auf die Ranke um ihren Knöchel. Dunkler Schleim spritzte aus der abgetrennten Gliedmaße, bevor die Kreatur in die Dunkelheit hinabglitt, immer weiter hinab.

»Verdammt! Was zum Teufel hast du dir dabei gedacht?« Corian packte sie unter den Armen und zog sie vom Rand des Spalts weg. »Das ist übrigens keine weitere Trainingseinheit.«

»Ich weiß.« Als sie wieder auf den Beinen war, streifte Cheyenne ihn ab und griff wieder nach den schwarz glitzernden Spitzen des Portalkamms. »Ich hab’s.«

»Du kannst nicht einfach damit herumexperimentieren, bis etwas funktioniert«, rief er. »Wir wissen doch gar nicht …«

Schwarzer Schlamm spritzte wie ein Geysir aus dem offenen Spalt und Cheyenne warf einen Schutzschild um sie beide, bevor er vom Himmel regnete. »Willst du warten, um herauszufinden, was da unten noch ist?«

Corians silberne Augen huschten zu ihrem Gesicht, dann knurrte er und trat einen Schritt zurück.

Die Halbdrow senkte den Schild, als es sicher war und griff erneut nach den schwarzen Säulen, die sie mit ihrer Magie suchte. Das könnte als vergitterte Tür funktionieren, zumindest für eine Weile.

Als ihre Magie die Energie in all dem kalten, sengenden Stein fand, zog sie erneut daran und brüllte unter der Kraft ihrer Magie, die sie durchströmte. Die zerklüfteten Steintürme, die den massiven Riss in der Erde umgaben, erbebten und brachen an der Basis fast wie eine Einheit. Felsen prallten gegen Felsen und übertönten jedes andere Geräusch auf der Lichtung, als die Türme gegeneinander stürzten, rollten und hüpften und sich in ein Gitterwerk aus umgestürztem Stein verwandelten. Riesige Schwaden aus schwarzem Staub und braunem Dreck wirbelten in einer Wolke um sie herum auf und als die letzten kleineren Steine auf den umgestürzten Portalgrat geprallt waren, wurde es still auf der Lichtung.

Die Wand aus pechschwarzer Magie blieb, wo sie war und reichte über die gesamte Länge des vorspringenden Steinkamms in den Himmel. Dann flackerte sie ein- oder zweimal auf und ließ die Dunkelheit los.

Die Sonne drang langsam wieder auf die Lichtung und Cheyenne stolperte zur Seite, bevor sie in die Hocke ging.

»Hey.« Corian beugte sich vor und legte ihr eine Hand auf die Schulter.

»Mir geht’s gut«, keuchte sie. »Gib mir nur eine Minute.«

Der Nachtpirscher nahm seine Hand weg, trat zurück und starrte auf die Zerstörung jenseits des Portals. Seine Lippen zuckten auf seinem katzenhaften Gesicht, bevor sie sich zu einem Lächeln verzogen. »Das war auch nicht das, was ich erwartet hatte.«