A ls das Schwindelgefühl nachließ, erhob sich Cheyenne langsam auf ihre Füße und betrachtete die umgestürzten Säulen, die über dem Riss des neuesten Grenzportals lagen. Ein kalter Luftstrom stieg aus dem klaffenden Spalt im Boden unter den zerbrochenen, schwarzen Türmen auf, aber sonst regte sich nichts.
»Wahrscheinlich nur eine vorübergehende Sache, was?«
Corian legte den Kopf in den Nacken und lachte herzlich.
Sie drehte sich zu ihm um und hob eine Augenbraue. »So lustig ist das nicht.«
»Nicht das …« Ein weiteres Lachen brach aus ihm heraus, bevor er sich zusammenriss und sich räusperte. »Nein, Cheyenne. Das Problem, das wir hier haben, ist nicht zum Lachen, das gebe ich zu. Aber du ? Du verblüffst mich immer wieder aufs Neue.«
»Danke. Denke ich.« Die Halbdrow ging auf den offenen Teil der Lichtung zu und holte tief Luft. Sie blickte auf ihren Knöchel und die Einstichstellen im Stoff ihrer Hose hinunter. »Das ist nicht gut.«
»Das sehen wir uns später an, Kleine.« Corians Lächeln war verblasst, aber sein gleichgültiger Blick auf ihr verwundetes Bein beruhigte sie ein wenig.
»Was zum Teufel habe ich da gerade gesehen?«, rief Byrd, als er auf sie zustürmte.
Lumil schüttelte einen Klumpen schwarzen Schleims von ihrer Faust und schloss sich ihm an, wobei sie auf O’gúleesh fluchte. »Das war viel schlimmer als jeder Grenzübergang, den ich je gemacht habe. Ich würde sie alle noch einmal machen, wenn ich dann nie wieder mit dieser Scheiße zu tun haben müsste.«
Hinter Corian streckte Persh’al seine Hand aus und seine grüne, magische Peitsche verschwand. »Ich sage dir was, Halbblut. Das hast du ganz sicher nicht von L’zar.«
»Du und deine phänomenalen Einblicke in das Offensichtliche.« Byrd schlug sich mit der Handfläche gegen die Stirn und schüttelte den Kopf.
Cheyenne schüttelte ihre Hände aus, wobei die Ketten an ihren Handgelenken klirrten und atmete schnell und schwer aus. »Was habe ich nicht von ihm bekommen?«
»All das.« Der Troll deutete mit der Hand auf die zerbrochenen Türme, die aneinandergepresst waren und zeigte dann auf den Erdhügel, der noch immer in Richtung des Portalkamms ragte, wo sie ihn aufgeworfen hatte. »Das ist ja mal echt fortgeschrittener Drowscheiß.«
»Und wer hat dich zum Experten dafür gemacht?«, fragte Lumil und verschränkte ihre Arme.
Persh’al sah sie blinzelnd an und deutete auf die Zerstörung jenseits des Grenzkamms. »Wir haben alle genug Drowmagie gesehen, um zu wissen, dass das normalerweise nicht in ihrer Trickkiste ist. Es sei denn, du hast das schon mal gesehen und bist noch nicht dazu gekommen, uns die Geschichte fünfzig Millionen Mal zu erzählen.«
Die Koboldfrau schmunzelte und legte den Kopf schief, wobei ihr gelber Haarschopf über ein Auge fiel. »Nein. Das war verdammt beeindruckend.«
Als Lumil Cheyenne zunickte, erwiderte die Halbdrow nur die Geste.
»Also, was jetzt?«, fragte Byrd.
Corian kratzte sich an der Seite seines fellbedeckten Gesichts und schüttelte den Kopf. »Das Ding scheint ziemlich verschlossen zu sein. Für den Moment. Wir wissen immer noch nicht, ob das alles von allein passiert ist oder ob jemand im Eiltempo daran arbeitet, das Portal von Ambar’ogúl aus zu öffnen.«
Persh’al starrte auf den schwarzen Spalt in der Erde, der zwischen den umgestürzten Pfeilern kaum zu sehen war. »Glaubst du wirklich, dass sie da drüben so eine Feuerkraft hat?«
Die Lichtung wurde still, als die O’gúleesh-Wesen unsichere Blicke austauschten.
Cheyenne beobachtete ihre Interaktionen mit einem leichten Stirnrunzeln. Niemand will es einfach so sagen. Was auch immer es ist.
Corian schüttelte den Kopf. »Wir sind schon lange auf der Erde, Persh’al.«
»Du sagtest, du hättest Berichte bekommen.«
»Ich habe zu Hause Augen, aber nicht genug, um alles zu sehen.« Die Nase des Nachtpirschers verzog sich zu einem Knurren, als er auf die umgestürzten Türme blickte. »Und ich kenne nur eine Person, die in der Lage ist, die Wahrheit dahinter zu erschnüffeln.«
Lumil lachte spöttisch. »Nun, gut, dass wir wissen, wo sie ist. Ach ja, stimmt ja. Wir wissen es nicht .«
»Stimmt.« Corian drehte sich zu Cheyenne um und sah sie mit seinen glühenden, silbernen Augen an. »Aber Cheyenne schon.«
»Was?«
»Weißt du, wo man Maleshi Hi’et finden kann?« Lumil verschränkte die Arme und schmunzelte trotz der dunklen Falten, die in der türkisen Haut zwischen ihren Augenbrauen auftauchten.
Die Halbdrow warf einen Blick auf die Koboldfrau und den Nachtpirscher. »Nicht an einem Sonntag.«
Persh’al kicherte leise.
»Cheyenne, wir müssen sie finden.« Corian trat auf die Halbdrow zu und neigte sein Kinn, um sie unter den pelzigen Brauenbüscheln anzusehen. »Sie ist das einzige magische Wesen, das ich kenne, das in der Lage ist, den Ursprung dieses neuen Portals zu finden, ohne dass wir nach Ambar’ogúl zurückkehren müssen.« Er warf einen schnellen Blick über seine Schulter auf den zerbröckelten Stein. »Und nach den letzten zehn Minuten zögere ich noch mehr, das zu tun.«
Die Halbdrow schluckte, schürzte die Lippen und versuchte, ihre Fassung zu bewahren. »Meinst du das ernst?«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich dir den Eindruck vermittelt habe, dass ich Scherze übermäßig mag, Mädchen.«
»Du denkst …?« Sie lachte kurz, bevor sie den Kopf schüttelte. »Auf keinen Fall. Mattie wird damit nichts zu tun haben wollen, so viel weiß ich. Sie hat fast aufgehört, mit mir zu reden, weil ich Fragen über die FRoE gestellt habe.«
»Igitt.« Lumil verdrehte die Augen.
»Wer zum Teufel ist Mattie?« Byrd legte den Kopf schief, ein riesiges Ohr berührte seine Schulter.
Corians Kopf drehte sich zu dem Koboldmann, aber sein Blick wich nicht von Cheyenne. »Maleshi hat sich einen neuen Namen zugelegt.«
»Wie bitte?«
Der Nachtpirscher ignorierte ihn. »Hör zu, Cheyenne. Ich will nicht riskieren, dass sich das Portal wieder öffnet. Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, dass das, was beim nächsten Mal herauskommt, viel schlimmer sein wird als das, was wir fünf fast nicht wieder reingekriegt hätten. Willst du so eine Last auf deinen Schultern haben?«
»Sprich nicht so, als wäre es meine Schuld«, fauchte die Halbdrow.
»Es ist nicht deine Schuld, aber nichts zu tun, wird deine Schuld sein. Ich habe das Gefühl, dass du das sehr gut verstehst.«
Cheyenne sah ihn finster an. Er weiß nichts von Ember. »Mattie ist meine Freundin, okay? Sie hat ganz klar gesagt, dass sie diesen ganzen verrückten Scheiß hinter sich gelassen hat, als sie hinübergegangen ist und dass sie damit nichts mehr zu tun haben will.«
»Sie kann denken, dass es das ist, was sie will.« Corian zeigte auf den Grenzkamm. »Aber wenn wir ihr sagen, was hier passiert, wird sie ihre Meinung ändern.«
Die Halbdrow verschränkte ihre Arme, legte den Kopf schief und sah ihn stirnrunzelnd an. »Woher weißt du das?«
Das Lächeln, das er ihr schenkte, war hart und bitter. »Nur ein Gefühl.«
Byrd kicherte. »Ja, ihr hattet auch mal viele Gefühle , nicht wahr?«
Lumil gab ihm einen Klaps auf den Hinterkopf und warf ihm einen angewiderten Blick zu, während sie den Kopf schüttelte. »Ernsthaft?«
Der Nachtpirscher ignorierte die beiden. »Ich bitte dich um einen Gefallen, Cheyenne. Bitte! Sag uns, wo sie ist.«
Cheyenne biss sich auf die Lippe. »Ich kann nicht. Ich weiß nicht, wo sie wohnt.«
»Aber du weißt, wie du es herausfinden kannst, oder?«
»Oh, nein.« Sie schüttelte ein wenig den Kopf und erwiderte sein bitteres, humorloses Lächeln. »Nein, ich setze mich nicht an einen Computer, um herauszufinden, wo sie wohnt. Schon gar nicht, damit du an ihre Tür klopfen und sie zwingen kannst, dir bei diesem … was auch immer dieses Portal macht, zu helfen.«
»Ha.« Lumil schüttelte den Kopf. »Niemand zwingt Maleshi Hi’et zu irgendetwas, Mädel. Ich bin überrascht, dass du das noch nicht herausgefunden hast. Wenn du wirklich mit ihr befreundet bist.«
Die Halbdrow warf der Koboldfrau einen kurzen Blick zu. »Ich werde sie nicht ausspionieren und ihre persönlichen Daten ausgraben, damit Leute, mit denen sie nichts zu tun haben will, sie finden können. Sie hat sich an keinen von euch gewandt und wenn ihr sie nicht selbst gefunden habt, ist das ein klares Zeichen dafür, dass sie nicht will, dass man sie findet.«
»Außer dir.«
Cheyenne drehte sich um und sah, dass Persh’al sie mit hochgezogenen Augenbrauen ansah. »Das ist etwas anderes.«
»Ja? Sie hat dir gesagt, wer sie ist. Sie hat sich dir offenbart, dem einzigen lebenden Nachkommen von L’zar Verdys.«
»Mattie weiß nicht, wer mein Vater ist.« Die Halbdrow schüttelte den Kopf. »So weit sind wir nie gekommen.«
Die Augen des Trolls weiteten sich, aber er sagte nichts weiter.
»Sie weiß vielleicht nicht, dass er dein Vater ist«, fügte Corian hinzu, »aber glaub mir, Cheyenne. Maleshi weiß definitiv, wer L’zar Verdys ist.«
»Habt ihr alle zusammen für die Krone gekämpft oder so?«
Die vier O’gúleesh tauschten noch eine Runde wissende Blicke aus.
Corian zuckte mit den Schultern. »Oder so. Wenn du uns nicht helfen willst, sie zu finden, Mädchen, dann mache ich es selbst.«
Persh’al schnaubte. »Du meinst, du lässt es mich für dich tun.«
Der Nachtpirscher lachte kurz. »Klar. Dann statten wir der Generalin einen kleinen Besuch ab. Das ist längst überfällig.«
Cheyenne warf einen Blick auf die Gruppe der magischen Wesen, die alle erwarteten, dass sie nachgeben würde. Mist. Sie meinen es ernst und ich kann sie nicht aufhalten, wenn sie sie wirklich finden wollen. »Ich werde euch nicht helfen, sie zu finden. Ich werde sie nicht einfach so aufgeben. Aber wenn ihr herausfindet, wo sie wohnt, komme ich mit.«
Der Nachtpirscher senkte zustimmend den Kopf. »Klingt fair für mich.«
»Lasst uns von hier verschwinden, hm?« Persh’al schlug sich mit dem Handballen gegen die Stirn. »Bei dem Gewusel hier höre ich langsam Stimmen.«
Lumil schnaubte. »Du hast schon Stimmen gehört, bevor du auf die Erde kamst, Troll.«
»Ich habe genug von dir gehört, das steht fest.« Persh’al drehte sich um und ging zurück in den Wald.
Lachend trat die Koboldfrau neben Cheyenne und klopfte der Halbdrow auf die Schulter. »L’zar hätte seine helle Freude an deiner kleinen Show gehabt.«
Byrd schnaubte. »Der Typ hätte uns alle dazu gebracht, uns vor dem nächsten in der Reihe der Verdys zu verbeugen und unsere Dienste anzubieten.«
Gemeinsam verbeugten sich die Kobolde spöttisch vor Cheyenne. Byrds Schulter stieß gegen die von Lumil und er fiel fast mit dem Gesicht in den Dreck, als sie ihn von sich schob.
»Das ist alles, was du im Moment bekommst«, murmelte der Koboldmann und zwinkerte Cheyenne kurz zu. »Bis L’zar beschließt, sich wieder blicken zu lassen. Dann werden wir sehen, was für einen unausgegorenen Plan er ausgeheckt hat, um uns alle in die Knie zu zwingen.«
»Das wirst du noch bereuen, du Idiot.« Lumil schubste ihn, als sie hinter Persh’al auf die Baumgrenze zusteuerten.
Der Koboldmann lachte. »Ja. Du hast noch nie etwas gesagt, das dir in den Hintern gebissen hat.«
»Nicht über den Cu’ón. «
Corian blickte den Kobolden mit einer Mischung aus Belustigung und Verwirrung hinterher. Dann drehte er sich zu Cheyenne um und hob eine Augenbraue. »Ich schätze deinen Versuch, sie zu beschützen, Kleine. Maleshi hat in dir eine gute Freundin gefunden, auch wenn sie nicht weiß, wer du wirklich bist.«
Die Halbdrow zuckte mit den Schultern. »Versprechen müssen gehalten werden, oder?«
»Das müssen sie. Wir wissen beide, wie wichtig das ist.« Mit einer Geste in Richtung Wald beugte sich der Nachtpirscher vor, es sah fast wie eine kleine Verbeugung aus.
Cheyenne ging hinter den scherzenden Kobolden und Persh’al her. Er muss nicht wissen, dass ich Mattie nicht offiziell etwas versprochen habe. Ich werde nicht diejenige sein, die sie hierzu zwingt.