Kapitel 5

D rei Stunden später schlug Persh’al mit der Faust auf den Schreibtisch in seinem Lagerhaus. »Komm schon, Mädchen. Du musst mir etwas geben.«

»Nein, muss ich nicht.« Cheyenne hatte sich auf der alten, durchgesessenen Couch hinter dem Troll und seinen Computern ausgestreckt, die Augen geschlossen und die Arme hinter dem Kopf verschränkt.

Persh’al drehte sich in seinem Schreibtischstuhl um und blinzelte, als er die Halbdrow in dieser Position auf seiner Couch liegen sah. »Sogar in menschlicher Gestalt verursachst du bei mir ein starkes Déjà-vu.«

»Ich weiß nicht, was du meinst.«

»Vergiss es.« Der Troll drehte sich wieder um und tippte weiter. »Du willst mich wohl verarschen. Nichts . Als hätte sie sich einfach in Luft aufgelöst.«

Cheyenne öffnete ein Auge, um die Frustration des Trolls zu beobachten. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass das ihre Intention ist.«

»Nein.« Er wackelte mit seinem Zeigefinger, ohne sich umzudrehen und tippte immer noch mit einer Hand. »Es gibt immer eine Spur. Das muss so sein.«

»Viel Glück.« Die Halbdrow schloss wieder die Augen und atmete tief ein. Es fühlt sich nicht nach Zeitverschwendung an. Wenn er es aufgibt, sie zu suchen, werde ich es wissen. Dann wird es sich lohnen.

»Ja, ich hatte viel Glück dabei, deinen Server anzupingen und deine ganze Einrichtung wie eine Marionette zu nutzen. Aber ich kann diese berühmte Nachtpirscherin, die nur zwei Stunden entfernt wohnt, einfach nicht finden.«

Cheyenne setzte sich schnell auf der Couch auf und blickte ihn empört an. »Das warst du

»Nun, ja. Ich bin überrascht, dass du das nicht schon längst bemerkt hast, Mädel.« Persh’al zuckte mit den Schultern und drehte sich immer noch nicht wieder zu ihr um. »Du hast übrigens eine wirklich nette Einrichtung. Normalerweise brauche ich nur halb so lange, um mir die Zügel eines anderen Fahrzeugs zu schnappen. Du hast dich also gut geschlagen, so wie du es gebaut hast.« Er hielt inne und lachte leise. »Ich schätze, meine Warnung hat nicht gereicht, um L’zars Tochter davon abzuhalten, zu tun, was sie will, oder?«

Die Halbdrow schüttelte langsam den Kopf. »Hey, wenn du willst, dass jemand eine Suche abbricht, solltest du vielleicht einen Grund nennen. Ich lasse nicht einfach alles stehen und liegen, nur um zu tun, was mir ein Fremder im Internet sagt.«

»Vielleicht solltest du das aber tun.« Persh’al tippte weitere Befehle in sein System und seufzte frustriert. »Das hätte dich davor bewahrt, blindlings in diesen FRoE-Schlachtzug zu rennen und dich mit diesen Idioten einzulassen. Die haben keine Ahnung, was sie da tun.«

Cheyenne legte sich langsam wieder auf die Couch zurück. Als ob ich das nicht wüsste. »Du hast mir nachspioniert, um mich von der FRoE fernzuhalten?«

»Ich versuche nur, dich aus Schwierigkeiten herauszuhalten. Das tun wir alle, Kleine.« Der Troll schlug neben seiner Tastatur auf den Schreibtisch und ließ sich so heftig in seinem Stuhl zurücksinken, dass das ganze Ding einen halben Meter zurückrollte. »Du bringst mich damit um. Wie wär’s mit einem Nachnamen? Maleshi kann sich ohne einen solchen nicht lange verstecken. Und sei keine Klugscheißerin, indem du mir sagst, dass ich nach Maleshi Hi’et suchen soll. Das habe ich schon versucht.«

»Ich habe dir gesagt, dass ich dir nicht helfen werde, sie zu finden«, murmelte Cheyenne. »Ich habe es versprochen.«

»Ja, ja. Die stärkste Vertragsbindung. Ich habe es verstanden. Das heißt aber nicht, dass ich es mögen muss.«

Die Tür zum Lagerhaus flog auf und Corian trat ein, mit zwei großen Tüten voller Sandwiches. »Also, wo ist sie?«

»Ja, das ist die Frage des Tages, Mann.« Persh’al rieb sich den kahlen, gefleckten Kopf neben dem abstehenden Irokesen und starrte auf die Symbole auf seinem Monitor, die Cheyenne nicht lesen konnte.

Die Plastiktüten landeten auf dem langen Mitteltisch. »Du hast sie noch nicht gefunden?«

»Okay, vielleicht sollten wir einen Nachtpirscher eine Nachtpirscherin suchen lassen«, murmelte der Troll. »Gibt es nicht so eine Art geheime Kommunikation, die ihr untereinander habt? Sowas wie gegenseitig eure Pheromone erschnüffeln oder so?«

Cheyenne schnaubte. »Ist das wirklich ein Ding?«

Corian ignorierte die beiden, während er auf die Symbole auf dem Monitor des Trolls starrte. »Schau dir die Professoren der Virginia Commonwealth Universität an. Finde ein Bild oder so.«

Stirnrunzelnd drehte sich Persh’al in seinem Schreibtischstuhl um, um Cheyennes Reaktion zu beobachten. Offenbar genügte es ihm, dass sie ihn starr ansah. »Ja, ich wette, das wird funktionieren. Du musst doch kein Versprechen brechen, um etwas zu verraten, oder?«

Seine Finger flogen über die Tastatur und Cheyenne warf Corian einen amüsierten Blick zu. Der Nachtpirscher zog zwei Sandwiches aus den Plastiktüten und brachte sie mit, als er sich der Couch näherte. Die Halbdrow setzte sich widerwillig auf und schwang ihre schwarzen Vans auf den Boden des Lagerhauses.

»Ich weiß, was du tust und warum.« Er hielt ihr ein Sandwich hin und wartete. Die Halbdrow streckte ihre Hand aus und das dicke, schwere Bündel plumpste in ihre Handfläche. »Vielleicht verstehst du jetzt besser, warum ich dir nicht alles sagen kann, Cheyenne. So sehr ich es auch möchte.«

»Ich weiß, was es heißt, ein Versprechen zu halten, Corian.« Sie ließ das Sandwich in ihren Schoß sinken und starrte auf das weiße Butterbrotpapier, das fest darum gewickelt war. »Und ich habe von Anfang an verstanden, warum du mir bestimmte Dinge nicht sagen kannst. Ich dachte auch, ich könnte darauf vertrauen, dass du alles, was ich dir gesagt habe, für dich behältst.«

»Kannst du.« Er nahm einen tiefen Atemzug. »Der Versuch, Maleshi zu beschützen, ist Zeitverschwendung, Mädchen. Besonders jetzt, mit dem neuen Grenzportal und allem, was wir nicht darüber wissen. Nur damit du es weißt: Sie braucht keinen Schutz. Nicht die Maleshi, die ich kenne. Wenn jemand Schutz braucht, dann sind es die Idioten, die sich ihr in den Weg stellen.«

»Oder die Idioten, die sie nach Jahrhunderten des Versteckens aufspüren. Das hat sie sich doch ausgesucht, oder?«

»Sie wird verstehen, warum wir das tun, wenn wir ihr erzählen, was wir heute Morgen gesehen haben.«

Cheyenne schüttelte den Kopf und warf einen Blick auf das Sandwich. »Viel Glück beim Versuch, sie zum Zuhören zu bewegen. Bei mir hat das nie geklappt.«

»Nun, die Dinge haben sich seitdem geändert, nicht wahr?«

Als sie wieder zu ihm aufsah, hob der Nachtpirscher nur eine Augenbraue.

»Ja. Es hat sich viel verändert. Nur nicht das, was man mir nicht sagen will.« Sie schauten einander eindringlich an. »Was passiert, wenn ich es selbst herausfinde, bevor dein Versprechen eingelöst wird?«

Schmunzelnd nickte der Nachtpirscher Persh’al zu und packte sein Brot aus. »Ich werde ihm wahrscheinlich dieselbe Bestätigung geben, die du ihm gerade gegeben hast und du wirst nicht einmal einen Trollhacker brauchen, um den Rest zusammenzusetzen. Wenn du es bis dahin herausfindest, kann ich dir schon jetzt sagen, dass du im Dark Web nichts mehr darüber finden wirst.«

»Vielleicht nicht. Aber ich wette, ich könnte mich in Persh’als System hacken, wenn ich genug Zeit hätte.«

»Ha! Das würde ich gerne sehen.« Der Troll drehte sich und zeigte auf die Halbdrow. »Bitte versuch es nicht. Du wirst dich nur verletzen.«

Lächelnd schaute Cheyenne wieder auf ihr Sandwich hinunter und begann, es auszupacken. Keine schlechte Idee. Ich werde mir schon nicht wehtun.

Persh’al klatschte erneut auf seinen Schreibtisch, aber dieses Mal mit einem triumphierenden Lachen. »Wow! Sieh dir das an, Corian.«

Der Nachtpirscher riss ein großes Stück von der Oberseite seines Sandwiches ab. Seine Augen weiteten sich beim Anblick des Bildes auf dem Bildschirm.

»Professor Mathilda Bergmann, Ph.D.« Der Troll sah seinen Freund an. »Sieht sie aus, wie jemand, den wir kennen?«

Corian kaute auf seinem Bissen herum und schluckte. »Iss auf.«

»Ja, ich werde sie in weniger als einer Minute finden. Heb mir eins von den Sandwiches auf, ja? Ich weiß, wie du die Dinger verschlingst.«

Der Nachtpirscher drehte sich zu Cheyenne um, schob sich einen weiteren großen Bissen des voll beladenen Sandwiches in den Mund und zog die Augenbrauen hoch.

Ja, herzlichen Glückwunsch. Du hast deine vermisste Gener a lin gefunden.

Sie hob ihr Sandwich zu einem halbherzigen Gruß in seine Richtung, bevor sie einen großen Bissen nahm.

»Genau das meine ich!« Persh’al sprang von seinem Stuhl auf und schnappte sich sein Handy aus der Gesäßtasche, als es gerade mit einer neuen Benachrichtigung piepste. »Wir haben es.«

»Okay.« Corian kaute nachdenklich und schaute sich in der größtenteils leeren Lagerhalle um. »Was ist mit den Terrorzwillingen?«

Der Troll schnaubte. »Sie wollten nicht die Klappe halten, also habe ich ihnen gesagt, sie sollen ihren Mist draußen klären und Unkraut zupfen.«

»Unkraut?«

Mit einem zweifelhaften Schmunzeln zuckte Persh’al mit den Schultern. »Ich denke darüber nach, sie als Vollzeit-Gärtner einzustellen. Netter Gedanke, oder?«

Corian nahm noch einen Bissen von seinem Sandwich und murmelte mit vollem Mund: »Sag ihnen, dass wir unterwegs sind.«

»Ja.« Persh’al umrundete die Ecke des Schreibtisches und schnappte sich eine Tüte mit Sandwiches, bevor er zu einer schlichten Metalltür auf der anderen Seite des Lagerhauses ging.

Nach nur drei Bissen ihres Sandwiches packte Cheyenne es wieder ein und stand von der Couch auf. Corian beobachtete sie schweigend, bis sie das Sandwich auf der Ecke des mittleren Tisches ablegte.

»Nicht hungrig?«

»Ich bin kein Fan von Spitzpaprika.« Sie saugte das Brot zwischen ihren Zähnen weg und wischte sich die Hände an den Seiten ihrer Hose ab.

»Du machst Witze. Wer mag denn keine Spitzpaprika?« Der Nachtpirscher stopfte sich noch einen weiteren Bissen ins Gesicht.

»Ich, zum Beispiel.«

»Na ja, such sie einfach raus. Ich werde sie essen.«

Sie schüttelte den Kopf. »Passt schon.« Und ich bin nicht hungrig. Nicht, bevor wir Mattie ihre Vergangenheit unter die Nase reiben und es als Bitte um einen Gefallen bezeichnen.

Die Hintertür des Lagerhauses öffnete sich quietschend, bevor Persh’al wieder hineinging, gefolgt von den Kobolden.

»Wir fahren doch nicht den ganzen Weg nach Richmond , oder?«, jammerte Byrd. »Im Ernst, vier Stunden im Auto mit euch waren mehr als ich für ein weiteres Jahrhundert brauche.«

»Du bist unglaublich.« Lumil schüttelte den Kopf, während sie sich die schmutzigen Hände an ihrer Hose abwischte. »Wir haben Maleshi Hi’et gefunden und du heulst rum, weil du in einem Auto mitfahren musst.«

»Wenn ich wieder in der Mitte sitzen muss, dann ja.« Byrd breitete seine Arme aus und sprang vor dem festen Schwung der Koboldfrau weg. »Ich brauche mein eigenes Fenster.«

Corian nahm noch einen großen Bissen von seinem Sandwich, bevor er es schließlich auf dem Schreibtisch ablegte.

»Hey, pass auf den PC auf, ja?« Persh’al zeigte auf seinen Computer. »Das Letzte, was ich brauche, sind Nachtpirscher-Krümel, die meine Tastatur versauen.«

Corian ignorierte den Scherz des Trolls, trat in die Mitte des Lagerhauses und bewegte seine Finger in einer schnellen Reihe von Gesten. Auch seine Lippen bewegten sich und sprachen leise die Worte seines Zaubers aus, bevor sich eine kleine, dunkle Kugel in der Luft öffnete.

Byrd blieb stehen, als er das neue Portal des Nachtpirschers sah und grinste. »Endlich.«

»Übertreibe es nicht.« Corian warf dem Koboldmann einen warnenden Blick zu und nickte in Richtung des schnell wachsenden Portals. »Wir gehen da verdeckt durch.«

»Geheimmodus. Nett.« Bei dieser Bemerkung verdrehte Lumil die Augen, aber sie lächelte genau wie Byrd.

Cheyenne ging um die drei langen Tische herum und gesellte sich zu den anderen, die um das Portal versammelt waren. »Ich schätze, wir brauchen dafür noch einen anderen Zauberspruch.«

Byrd stieß ein untypisches Kichern aus, das in einem Schnauben endete. »Der war gut. Nur weiter so, Halbdrow.« Seine türkisfarbenen Finger bewegten sich schnell und präzise, dann schimmerte die Luft um ihn herum und er verschwand.

Lumil lächelte Cheyenne an, streckte die Hand aus und schlug in die leere Luft neben ihr. Ihre Faust schlug mit einem dumpfen Aufprall ein, gefolgt von dem schnellen Schlurfen torkelnder Füße.

»Im Ernst?«, rief der unsichtbare Byrd. »Ich kriege hier einfach keine Pause.«

»Würdest du, wenn du schnell genug aus dem Weg gingst.« Die Koboldfrau blickte die Halbdrow mit hochgezogenen Augenbrauen an, bevor sie einen Zauber sprach und wie Byrd verschwand.

Persh’al war als Nächster dran und Corian ging auf Cheyenne zu, bevor er mit leiser Stimme murmelte: »Behalte den Anhänger erst einmal an. Wir kehren zu unseren normalen Vorsichtsmaßnahmen zurück.«

Die Halbdrow nickte und schaute in die dunkle, schimmernde Luft des ovalen Portals vor ihr. Auf der anderen Seite führte ein kurzer Betonweg durch einen Hof mit grünem Gras zu einem kleinen, weißen, einstöckigen Haus mit marineblauen Fensterläden und einer passenden Tür. »Keine Kerzen für dieses Haus?«

Er schnaubte. »Dieses Lagerhaus hat genug Schutzwälle, um eine Ogerhöhle fernzuhalten, Cheyenne. Niemand wird von hier aus eine Portalspur entdecken.«

Als sie sich zu ihm umdrehte, um eine Bemerkung über Ogerhöhlen zu machen, war der Nachtpirscher weg. »Woah. Okay, ich schreibe das auf die Liste der Zaubersprüche, bei denen du mir hilfst.«

»Klar.«

Byrd kicherte leise auf der anderen Seite des Portals. Seine Stimme wurde lauter und klang näher, als die anderen unsichtbaren magischen Wesen sich offenbar hinter der Halbdrow aufstellten. »Bringst du unserem Mädchen jetzt auch Zaubersprüche bei, Corian?«

Cheyenne starrte in die Luft und drehte sich instinktiv um, als sie die Hitze von drei weiteren Körpern hinter sich spürte. »Kann mir jemand die Unsichtbarkeitstaktik beibringen?«

Sie hörte das leise Lachen von Corian durch seine Nase. »Ein anderes Mal, Kleine. Du gehst da so durch, wie du bist.«

»Und das ist, weil …?«

»Du wirst das Erste sein, was sie sieht, wenn sie die Haustür öffnet. Nach dir.«

Tauche niemals unangemeldet bei jemandem zu Hause auf, Cheyenne. Mom wäre wütend, wenn sie davon wüsste. Mit schief gelegtem Kopf trat Cheyenne auf das Portal zu, das zum Bürgersteig vor dem Haus von Professor Mathilda Bergmann führte.