N ach einer Stunde Fahrt verließ Persh’al den Highway an einer Raststätte. Corian klopfte auf die Rückenlehne des Fahrersitzes. »Was machst du da?«
»Ich bin am Verhungern, Mann. Ich werde diese Lichtung nicht noch einmal mit leerem Magen betreten. Tut mir leid.«
Der Nachtpirscher lehnte sich in seinem Sitz zurück. »Ich habe extra Sandwiches mitgebracht.«
»Und du bist der Einzige, der Zeit hatte, etwas zu essen.«
»Jetzt geht’s los«, witzelte Byrd vom Rücksitz. »Jemand, der sich um das ganze Team kümmert.«
»Halt die Klappe«, murmelte Lumil.
»Hey, du kannst machen, was du willst«, fügte Persh’al hinzu. »Ich kümmere mich um den einzigen Troll hier, okay?«
Cheyenne zwang sich, nicht zu lächeln und beobachtete, wie die Raststätte näher kam, als der Geländewagen auf einen großen Parkplatz einbog, auf dem einige Sattelschlepper zum Tanken angehalten hatten.
Persh’al parkte vor einem Subway, der sich eine Wand mit einem McDonald’s teilte und stellte den Motor ab. Sein Illusionszauber schimmerte um seinen Körper und ein kleiner, braun gebrannter Mensch mit einem tiefschwarzen Irokesenschnitt öffnete die Tür. »Wir müssen auftanken. Dann geht’s gleich weiter mit der Aufregung. Ich verspreche es.« Ohne auf jemanden zu warten, ging er schnell zur Tür des Subways.
»In Ordnung. Komm schon.« Byrd klopfte auf Cheyennes Rückenlehne und nickte in Richtung Autotür. Sowohl er als auch Lumil hatten ihre Illusionszauber aktiviert und sahen jetzt aus wie zwei breit lächelnde Menschen aus dem mittleren Westen, die von einer Woche Sonnenbaden an den Stränden Floridas zurückkamen. »Bitte, Halbdrow? Ich brauche etwas zu essen.«
Cheyenne schnallte sich ab, stieg aus und stellte sich neben die offene Tür, während Byrd und Lumil sich an dem halb nach vorne geklappten Sitz vorbeidrückten.
»Willst du etwas?«
Die Halbdrow schüttelte den Kopf. Beide Kobolde zuckten mit den Schultern, dann stieg auch Corian endlich aus dem Auto und folgte den anderen ins Innere. Cheyenne wartete darauf, dass die Beifahrertür geöffnet wurde. Sie wird nicht aussteigen und ich werde nicht auf rohen Eiern um eine Nachtpirscherin herumtänzeln. Nicht einmal, wenn es Gener alin Hi’et ist.
Cheyenne kletterte zurück auf den Sitz hinter Mattie und schloss die Tür. »Okay, hör zu. Ich weiß, dass du wütend bist. Ich habe alles getan, was ich konnte, um zu verhindern, dass sie dich finden. Ich meine, abgesehen davon, dass ich Persh’als Sattelschlepper in eine Million Stücke zerschlagen habe.« Allein der Gedanke daran ließ sie erschaudern. »Du sollst nur wissen, dass ich deine Informationen nicht einfach weitergegeben habe, ohne darüber nachzudenken, was du willst. Sie haben dich von selbst gefunden.«
»Wir wissen beide, dass sie es nicht getan hätten, wenn wir uns nicht kennen würden.«
Der Magen der Halbdrow verknotete sich und Cheyenne atmete ruhig, währen Schuldgefühle sie plagten. »Ja. Vielen Leuten sind schon viele Dinge passiert, nur weil sie mich kennen. Aber das hier, Mattie? Ich bin zwar noch nie auf eine der beiden Seiten gewechselt, aber der Scheiß, der aus dem Portal kam … Das war wie ein Kampf gegen eine Art lebenden Albtraum.«
»Oh, ich weiß sehr wohl, was es im Dazwischen gibt, Cheyenne.«
»Dann verstehst du, warum ich mit ihnen gekommen bin, oder? Es tut mir leid, dass ich dich so ausgetrickst habe. So hätte ich es sonst nicht gemacht …«
»Vielleicht nicht, aber es ist genau das, was ich in deiner Situation getan hätte.« Mattie hielt sich an der Seite des Beifahrersitzes fest und drehte sich ganz um, um dem Blick der Halbdrow zu begegnen. »Du hast es bis zum Ende durchgezogen, weil es das Richtige war, auch wenn du dich dabei gekrümmt hast. Du brauchst dich nicht dafür zu entschuldigen.«
Cheyenne schluckte. »Okay.«
»Ich versuche nicht, mich selbst zu loben, Mädchen, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich die Einzige bin, die die brennende Frage zu diesem Portal beantworten kann. Ich hoffe wirklich für uns alle, dass die Krone noch mehr dunkle und wahnsinnig mächtige Magie aufgedeckt hat. Die Art, die nötig ist, um ein weiteres Grenzportal aufzureißen. Andernfalls …«
»Ja, andernfalls sind wir alle am Arsch. Das hast du schon erwähnt.«
Mattie lachte kurz auf und drehte sich um, um durch die Windschutzscheibe zum Subway zu blicken. Sie sahen beide Persh’al an einem Tisch am Fenster sitzen und die Nachtpirscherfrau sagte: »Wir haben ein bisschen Zeit. Rutsch rüber.«
»Was?«
Mattie stieß die Tür auf und stieg aus, um eine der hinteren Türen zu öffnen und Cheyenne einen verärgerten Blick zuzuwerfen. »Weg da.«
»Oh.« Die Halbdrow setzte sich auf den mittleren Sitz und sah die Nachtpirscherfrau an, als Mattie die Tür wieder hinter sich schloss.
»So.« Die grünen Augen der Frau glitzerten wachsam, als sie ihre ehemalige Studentin ansah. »Wir haben zumindest etwas Zeit, um die Dinge zu klären. Lass sie uns nicht verschwenden.«
»Ich … weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.«
»Das höre ich oft. Dann übernehme ich ab hier. Du kannst mich gerne unterbrechen, wenn dir etwas einfällt.« Mattie schlug die Hände zusammen und legte sie ordentlich in ihren Schoß. »Ich schätze, der allererste Punkt, der das alles verbindet, ist, dass du mein Selbstgespräch belauscht hast. Du hast gefragt, wer Maleshi ist und ich war nicht bereit, diese Frage zu beantworten. Jetzt ist es wohl eine Notwendigkeit.«
Cheyenne konnte nicht anders, als ein wenig zu kichern. »Ja, ein bisschen.«
»Richtig.« Die Frau senkte den Kopf und holte tief Luft. »Ich habe den Namen Mathilda Bergmann gewählt, als ich die Überfahrt gemacht habe, Cheyenne. Das war vor über vierhundert Jahren und damals hatte der Name viel mehr Geschmack als heute. Wie ich schon sagte, Mathilda klingt wie eine alte Katzendame.«
»Ich meine, das bist du irgendwie auch.«
Matties Lippen zuckten, als ihr die doppelte Bedeutung dämmerte, dann schüttelte sie den Kopf. »Ich mag Mattie so viel lieber. Aber, bevor ich mein Leben auf der Erde begann, war ich, wie du sicher weißt, jemand anderes. Generalin Maleshi Hi’et, füge bedeutungslose Titel ein, et cetera, et cetera. Ich war ein halbes Jahrhundert lang die Kriegsberaterin und führende Strategin der Krone. Ich habe Tausende von Legionären ausgebildet, während ich der Krone diente. Ich habe das Volk von Ambar’ogúl beschützt, so gut ich konnte. Ich habe Armeen niedergeschlagen und Rebellionen ausgelöst. Die Liste lässt sich endlos fortsetzen.«
Die Augen der Halbdrow weiteten sich. »Klingt ganz danach.«
»Aber das ist alles nicht mehr wichtig, verstehst du? Der neue Zyklus begann … Nun, ich verabscheue Euphemismen, also sage ich einfach, dass es eine blutige Angelegenheit war, die schon lange vor seiner Zeit stattfand.«
»Du meinst, jemand hat sich den Thron geschnappt.«
»In gewisser Weise, ja.« Mattie blickte auf ihre verschränkten Hände und biss sich auf die Lippe. »Der neue Arsch auf dem sprichwörtlichen Thron – und ich meine ›Arsch‹ im wahrsten Sinne des Wortes – hat der ganzen Welt gezeigt, wer sie wirklich ist, als sie die Dinge wortwörtlich selbst in die Hand nahm. Die Dinge haben sich geändert, Mädchen. Ich habe kein Problem damit, mir ein bisschen die Hände schmutzig zu machen, wenn es von mir verlangt wird, aber zu sagen, dass die Dinge mit dem Beginn des neuen Zyklus chaotisch wurden, ist eine ekelhafte und widerliche Untertreibung. Blut, Schlamm und schwarze Magie. Nimm noch eine gehörige Portion Gier und Anspruchsdenken dazu und du hast ein ziemlich genaues Bild der Lage. Verstehst du?«
»Ja.« Cheyenne betrachtete den Schmerz in den grünen Augen ihrer Freundin und runzelte die Stirn. »Deshalb bist du gegangen, nicht wahr?«
Die Nachtpirscherin antwortete: »Das ist der Grund, warum ich gegangen bin. Ich habe Dinge gesehen, von denen ich Albträume habe, Mädchen. Trotzdem. Die Dinge, die ich im Auftrag der Krone getan habe, waren viel, viel schlimmer und kein noch so guter Ratschlag oder Schimpfen meinerseits hat etwas daran geändert. Also, ja. Ich habe meine Fahne niedergelegt, meine Abzeichen abgelegt und der Krone ein dickes ›Fick dich‹ zugeworfen, als ich mich aus dem Staub gemacht habe. Es ist immer noch mein Zuhause, Cheyenne. Und es … ruft mich von Zeit zu Zeit zu sich. Seit vierhundert Jahren bin ich zufrieden damit, dass die Krone keine Generalin Hi’et mehr an ihrer Seite hat, welche die Drecksarbeit macht, die sie mir so gerne befohlen hat.«
»Und du hast es niemandem erzählt.«
Mattie lachte traurig und zuckte mit den Schultern. »Keiner Menschenseele. Ich habe alles aufgegeben, woran ich geglaubt habe, weil ich es einfach nicht mehr konnte und anscheinend bin ich damit in die Geschichte der O’gúl als Auslöserin der verdammten Rebellion eingegangen!«
Das traurige, bittere Lachen aus dem Mund der Nachtpirscherin brachte Cheyenne dazu, sich wegzudrehen. Sie hasst sich immer noch dafür.
»Aber wenn das nötig war, um zu verhindern, dass es auf der anderen Seite so schlimm wird, wie es hätte werden können, Mädchen, dann würde ich es sofort wieder tun. Alles davon.«
Die Halbdrow nickte.
Mattie bemerkte das Zögern in der Haltung der Halbdrow und beugte sich zu ihr vor. »Was? Und erzähl mir nicht, dass es nichts ist, Cheyenne. Ich habe genug Übung darin, dich zu lesen, um einen Zweifel zu erkennen, wenn ich ihn sehe.«
Cheyenne kniff die Augen zusammen und drehte sich dann gerade so weit um, dass sie Matties Blick von der Seite sehen konnte. »Du hast vielleicht aus Versehen eine Rebellion ausgelöst, aber ich glaube nicht, dass das verhindert hat, dass es dort drüben noch schlimmer wurde.«
»Natürlich nicht. Es hätte sowieso schlimmer kommen müssen. Das wird immer meine Schande sein und ich muss damit leben.« Die Augen der Frau verengten sich. »Warum? Was hast du gehört?«
»Ein paar neue Freunde von mir haben mir von ihrem Dorf auf der anderen Seite erzählt. Das Oronti-Tal.«
»O Gott. Ich habe seit Jahrhunderten nicht mehr an diesen Ort gedacht. Wunderschön. Ruhig. Ich wollte schon immer mal ein paar Monate dort Urlaub machen und mir eine Hütte an einem der Seen bauen. Sehr glückliche Menschen. Ich meine wirklich glücklich.«
»Nicht mehr.« Cheyenne wartete, bis die Nachtpirscherfrau zur Einsicht kam, bevor sie etwas anderes sagte. »So wie ich es gehört habe, gibt es dort nichts mehr. Nicht einmal im Tal.«
Die glückselige Nostalgie in Matties Lächeln verschwand sofort. »Ich verstehe.«
»Dadurch werden noch mehr magische Wesen gezwungen, die Überfahrt zu machen. Ganze Familien. Kinder. Mein Gott, nach dem, was ich heute Morgen am neuen Portal gesehen habe, kann ich mir nicht vorstellen, ein Kind auch nur durch ein Zehntel davon zu bringen.«
»Ja.« Mattie verschränkte wieder ihre Finger. »Klingt so, als ob die Leute zu vielen Dingen gezwungen werden, die sie sich vorher nicht vorstellen konnten. Genau da kommen deine Prüfungen ins Spiel.«
Cheyenne sah ihre ehemalige Mentorin an und zwang sich, die Frau nicht mit jeder Frage zu bombardieren, die ihr durch den Kopf ging. Endlich kommen wir weiter. »Es ist zwar erst eine Woche her, aber es kommt mir vor, als hätte ich ewig darauf gewartet, dass es mir jemand erklärt.«
»Heute muss dein Glückstag sein, Mädchen.« Mattie legte den Kopf schief, um das zu bestätigen. »Zumindest in dieser Hinsicht. Offensichtlich kennst du die Prophezeiungen über L’zar Verdys.«
»Ja. Und alle seine toten Kinder.« Und meine Träume, die mich glauben ließen, er hätte sie getötet.
»Weißt du, ich finde es toll, dass du genauso ein Fan von Euphemismen bist wie ich.« Die Nachtpirscherin schmunzelte. »Dieser Drow hat unheimlich viel Zeit damit verbracht, ein Schlupfloch durch die Prophezeiungen zu finden, Cheyenne. Ehrlich gesagt waren diejenigen von uns, die ihn kannten, bereit, ihn über die Grenze zu werfen, nur damit er damit aufhört. Er hat uns verrückt gemacht. Er hat während seiner verrückten Suche mehr als genug Ärger in Ambar’ogúl verursacht.«
»Seine anderen Kinder …« Die Halbdrow wusste nicht so recht, wie sie den nächsten Teil formulieren sollte, ohne dass es so klang, als wolle sie sein besonderes prophetisches Schlupflochkind sein. »Waren sie so wie ich?«
»Du meinst, ob es Halbwesen waren?« Mattie zuckte mit den Schultern. »Einige von ihnen müssen es gewesen sein, kein Zweifel. Die meisten waren es aber nicht. Das ist das Wesen von Prophezeiungen, nicht wahr? Sie sagen dir selten alles, was du wissen musst und lassen fast immer das Wichtigste weg. L’zar Verdys hat auf beiden Seiten der Grenze eine Spur von Mini-L’zars hinterlassen. Wenn er denkt, dass du diejenige bist, die seine Nachfolge antritt, Mädchen, bin ich verdammt geneigt, ihm zuzustimmen.«
»Deshalb will die Krone mich finden, nicht wahr? Deshalb haben sie alle Nimlothar-Bäume abgeholzt und nur den einen behalten. Deshalb muss die Krone alle Drowprüfungen überwachen, wenn jemand sie abschließen will. Weil sie nach L’zars Kind sucht.«
Matties Augen leuchteten in ihrer ganzen Intensität, als sie Cheyenne frei von jeglichem Humor beäugte. »Nur ein Nimlothar?«
»Das hat mir Corian gesagt.«
»Ha! Und Corian geht hin und her, um sich über den Stand der Dinge zu informieren, ja?«
»Das glaube ich nicht.« Cheyenne schüttelte den Kopf. »Er hat etwas davon erzählt, dass er Nachrichten von der anderen Seite bekommt. Wie auch immer das funktioniert.«
»Ich verstehe.« Der Blick der Nachtpirscherfrau schweifte durch das Innere des Wagens. »Nun, ja. Ich würde sagen, die seelenlose Hexe, die die Krone trägt, hat das alles nur angeordnet, um dich zu finden.«
»Weil L’zar will, dass ich seinen Kampf weiterkämpfe.«
»Ich sehe, dass sich die Räder wieder drehen, Mädchen.« Matties sanftes, wissendes Lächeln kehrte zurück. »Mach weiter.«
»Mit was? Ich kenne den Kerl nicht einmal. Für mich ist er ein Verrückter, der aus dem Gefängnis ausgebrochen ist, um meine Mutter zu schwängern, bevor er sich wieder gestellt hat, um den Rest seiner sinnlosen Strafe mit Psychospielchen abzusitzen.«
Mattie stieß ein lautes Lachen aus. »Das ist eine hervorragende Beschreibung.«
»Danke, aber ich weiß immer noch nicht, warum sich die Krone einen Dreck um das Kind eines verrückten Drows schert.«
»Oh, ich glaube, das tust du. Versuch’s doch einfach mal, ja?«
Die Halbdrow musterte ihre ehemalige Professorin mit starrer Miene.
»Komm schon, Cheyenne. L’zars beste Freunde sind ein Nachtpirscher, der weiß, was er tut, um dich durch die Prüfungen zu führen und ein verfärbter Troll, der ein System gebaut hat, um magische Aktivitäten auf dieser Seite zu verfolgen, während er sich ein drei Meter langes Subway-Sandwich in den Mund schiebt. Irgendwie, so wie diese verrückte Welt funktioniert, kennen sie mich alle.«
Cheyenne blinzelte die ehemalige Generalin Maleshi Hi’et an und wusste, dass sie die Hitze an ihrem Rücken spüren würde, wenn sie den verdammten Anhänger nicht tragen würde. »L’zar ist Teil der Rebellion.«
Das langsame, raubtierhafte Nachtpirscher-Lächeln breitete sich auf Matties Gesicht aus und ihre grünen Augen blitzten vor Stolz und Aufregung und einer schrecklichen Kraft, die sogar durch ihren Illusionszauber hindurchging. »So kann man es auch ausdrücken.«