Kapitel 10

W isst ihr«, rief Maleshi den verstreuten magischen Wesen in schwarzen Uniformen zu, »ich bin ein bisschen beleidigt, dass mich niemand zu der Party eingeladen hat.«

Ein Troll mit einer riesigen Lücke an der Stelle, wo eigentlich seine Vorderzähne sein sollten, blickte von dem Kistenstapel auf dieser Seite der Lichtung auf. »Bei der verdammten Krone«, murmelte er und seine Augen weiteten sich, als er die schwarzhaarige Nachtpirscherin auf sich zukommen sah.

»Ja, ich dachte mir schon, dass sie daran schuld ist.«

»Hey. Hey!« Der Troll stürzte fast, als er von den gestapelten Kisten und der Ex-Generalin wegtrat. »Gu’urs!«

Der Raug in der schwarzen Jacke schaute über seine Schulter und knurrte den herumhuschenden Troll an. »Ich führe gerade ein verdammtes Gespräch, Soldat. Wer hat dir gesagt, du sollst eine Pause machen?«

»Um ehrlich zu sein, ist das wahrscheinlich meine Schuld.« Maleshi breitete ihre Arme aus und legte den Kopf schief. »Ich versuche nur, mit demjenigen zu reden, der hier das Sagen hat.«

Der Troll stolperte erneut, unfähig, den Blick von der Nachtpirscherin abzuwenden, während er nach dem Jackenärmel des Raug tastete. »Sie ist es. Es ist verdammt noch mal Maleshi.«

Gu’urs knurrte und stieß dem Troll seine rote Hand ins Gesicht, um ihn zur Seite zu stoßen. Dann wandte sich der Raug der Nachtpirscherin zu und hob sein Kinn. »Ich bin derjenige, der das Sagen hat.«

»Das dachte ich mir.« Maleshi blieb stehen und schaute sich auf der Lichtung um.

Der Troll stolperte die ganze Zeit umher und plapperte in panischem Flüsterton über Generalin Maleshi Hi’et, die direkt neben ihnen stand. Ungläubiges und ängstliches Geflüster machte auf der Lichtung die Runde und jedes magische Wesen mit dem Stierkopfsiegel der Krone hielt inne, um die Begegnung mit dem Befehlshaber zu beobachten.

Die Nachtpirscherin legte den Kopf schief. »Klingt, als müsste ich mich nicht vorstellen. Aber zu deinem Gesicht fällt mir kein Name ein, Soldat.«

Gu’urs machte einen Schritt nach vorne und zupfte das Revers seiner Offiziersjacke mit einem Grinsen herunter. »Den habe ich dir nicht genannt. Ich habe es auch nicht vor.«

»Das ist nicht sehr diplomatisch von dir.«

»Wer zum Teufel bist du, Nachtpirscher?«

»Ist das nicht klar?« Maleshi schenkte ihm ein kleines, trockenes Lächeln und nickte in Richtung der anderen magischen Wesen, die wie angewurzelt auf der Lichtung standen. Diejenigen, die ihrem Raugkommandanten am nächsten standen, traten zurück. »Wenn ich das Geflüster von hier aus hören kann, ist es schwer vorstellbar, dass du es nicht mitbekommen hast.«

Der Raug ließ seinen Blick verächtlich über sie wandern. »Maleshi Hi’et hat sich vor Jahrhunderten abgesetzt. Ich habe gehört, dass sie danach nicht mehr lange gelebt hat.«

»Wirklich? Die Generalin ist tot, hm? Sieh mal einer an.« Sie stemmte die Hände in die Hüften und legte den Kopf schief. »Keine Einladung zur Party und ich habe auch immer noch nichts von meinem Tod gehört. Diese Kommunikationswege haben einige ernsthafte Schwachstellen, meinst du nicht auch?«

»Ich habe es satt, mir deinen Scheiß anzuhören, nilsch úcat … «

»Und ich bin fertig mit meinen Erklärungen, Raug!« Die Stimme der Nachtpirscherin schallte mit erschreckender Intensität über die Lichtung. »Wenn du dich für ein freundliches Gespräch nicht zusammenreißen kannst, kann ich das auch gerne auf die harte Tour machen. Für dich, versteht sich.«

Gu’urs fuhr mit seiner dicken, grauen Zunge an den Rändern seiner verfärbten Zähne entlang und knurrte. »Hi’et oder nicht, ich bringe deinen Kopf auf einem Eisenspieß zurück zur Krone.«

»Siehst du, das ist reine Zeitverschwendung für alle.« Maleshi trat vor und zeigte auf die Kistenstapel. »Ich will das erklärt haben. Jetzt.«

»Ich nehme keine Befehle von dir an.« Gu’urs leere Hand flackerte mit einem knisternden Zauber aus grauem und rotem Licht.

»Das ist die einzige Warnung, die du bekommst«, stellte die Nachtpirscherin klar. »Verschwende sie nicht.«

Die verängstigten magischen Wesen, die beobachteten, wie ihr Befehlshaber die größte O’gúl-Generalin bedrohte, die je einen Finger für die Krone gerührt hatte, blickten nervös auf den Zauberspruch in Gu’urs riesiger Hand. Angespannte, unbehagliche Schritte gingen über die Lichtung.

Ein leises Glucksen ertönte aus der Kehle des Raug. In der nächsten Sekunde schleuderte er die knisternde Masse aus grauer und roter Energie auf den Eindringling.

Silbernes Licht explodierte auf der Lichtung, bevor der Zauber die Hand des Kommandanten verlassen hatte. Maleshi beschleunigte auf Nachtpirschergeschwindigkeit, knurrte und ballte die Fäuste an den Seiten, als sie um den sich drehenden Ball aus Energie herumschritt, der sich jetzt in Zeitlupe bewegte. »Es sind immer die harten Lektionen, nicht wahr? Schieb die ganze harte Arbeit auf mich. Klar.«

Sie bäumte sich auf und schwang eine Faust in die Unterseite des Kiefers des Raug, dann wechselte sie zurück in die normale Geschwindigkeit und sah zu, wie er durch die Luft flog.

Gu’urs brüllte. Das knisternde, silberne Licht, das über sein Kinn, seinen Kiefer und die Außenseite seiner Kehle lief, verwandelte das Brüllen in einen Schrei. Das riesige, graurote magische Wesen schlitterte über den Boden, als es aufkam. Dünne Rauchschwaden stiegen aus seinem grauen Fleisch auf.

An der Baumgrenze stand Cheyenne und blinzelte entgeistert. »Mein Gott.«

Corian schüttelte den Kopf. »Maleshi halt.«

Die Ex-Generalin stapfte über das plattgedrückte Gras auf den Raug-Kommandanten zu und hielt erst an, als sie fast über ihm war. Sie betrachtete die schwarze Jacke mit dem militärischen Siegel der Krone auf einer Schulter und schnalzte mit der Zunge. »Neue Klamotten. Wie ich sehe, hat sich ihr Stil nicht verbessert.«

Ein ersticktes Krächzen kam von dem gefallenen Raug, als er sich mühsam vom Boden hochstemmte. Er schaffte es nur, sich aufzusetzen, blinzelte heftig und schwankte ein wenig. Spucke flog von seiner obszön geschwollenen Unterlippe.

»Du bist tot

»Das hast du mir schon gesagt.« Maleshi schenkte ihm wieder dieses grimmige, schmallippige Lächeln und zeigte auf einen weiteren Stapel Metallkisten. »Jetzt sag mir, was du auf die Erde schmuggeln sollst und warum und ich sorge dafür, dass du nicht in einem Erdloch landest. Ich verspreche dir, dass es für dich viel schwieriger sein wird, von den Toten zurückzukehren, als für mich.«

»Verräterin!« Der Schrei kam aus einer Gruppe verängstigter Skaxen und Kobolde mit großen Augen, als ein orangefarbener Flammenstrahl über die Lichtung schoss. Maleshi zischte und wich geschickt aus der Schusslinie aus. Sie ging in die Hocke und verspottete den verletzten Gu’urs. »Du musst deine Leute besser in den Griff kriegen, Kommandant. Erlaube mir, das zu demonstrieren.«

Ein weiterer heller Blitz aus silbernem Licht explodierte um die Nachtpirscherfrau, dann verschwand sie.

Ein Schrei nach dem anderen ertönte, silbernes Licht blitzte überall gleichzeitig auf, während die Soldaten der Krone darum rangen, zu begreifen, was geschah. Zaubersprüche und geschriene Befehle flogen in alle Richtungen und die meisten Zauber erreichten die Quelle des silbernen Lichts Sekunden, nachdem die rasende Nachtpirscherin die Stelle längst verlassen hatte. Körper flogen oder fielen ohne ersichtlichen Grund. Zwei Oger eilten an Gu’urs Seite, um ihrem Anführer auf die Beine zu helfen, während Generalin Hi’et ihre Operation durcheinanderbrachte.

Cheyenne riss sich den Anhänger vom Hals und verwandelte sich in ihre Drowgestalt. »Wir müssen da rein …«

»Warte.« Corian packte ihren Arm und die Halbdrow drehte sich um und sah auf seine Finger hinunter, die ihren Oberarm umklammerten. Sie brauchte nicht zu sagen, dass sie diese Finger im Handumdrehen brechen konnte, wenn sie es wollte. Der Nachtpirscher ließ sie los und deutete mit einem Nicken in Richtung des Chaos auf der Lichtung. »Warte einfach.«

Nachdem er das gesagt hatte, machte sie immer noch einen Schritt auf den Kampf zu. Persh’al, Byrd und Lumil folgten ihr und jeder von ihnen beschwor magische Angriffe, um bei Bedarf einzugreifen.

Zwei Orks arbeiteten auf der gegenüberliegenden Seite der Lichtung daran, eine der Kisten mit den roten Griffen aufzuhebeln. Während die Zaubersprüche gegen die schwarzen Säulen des Portalkamms prasselten und alle paar Sekunden Gras und Schmutz aufwirbelten, war Maleshis blitzendes Silberlicht allen einen Schritt voraus.

Als die Orks sich über der offenen Kiste aufrichteten, hievte einer von ihnen ein massives Rohr aus schwarzem Metall auf seine Schulter, gestützt von einem anderen Ork.

Cheyenne ballte ihre Fäuste. »Das ist ein Fellwerfer.«

»Nein, ist es nicht.« Corian rannte los und stürzte sich in den Kampf, gefolgt von den anderen drei O’gúleesh. Die Halbdrow hatte keine andere Wahl, als sich ihnen anzuschließen.

Ein Ork schlug eine Ladung in das hintere Ende der schwarzen Waffe auf der Schulter seines Mit-Orks und schrie etwas Unverständliches. Der Raketenwerfer explodierte in einem Blitz aus rotem Licht und dichtem, grauem Rauch und schleuderte den Ork fast rückwärts in einen weiteren Kistenstapel.

Ein hohes Heulen erfüllte die Luft, als das Geschoss über die Lichtung flog und die verschwindende und wieder auftauchende Maleshi Hi’et in ihrem Element anvisierte.

»Tracker!«, rief Corian.

Maleshi schlug zwei Skaxen beiseite, die mit ausgestreckten Krallen auf sie zuflogen und verschwand dann wieder. Der abgeschossene Tracker drehte und wendete sich und folgte ihrer Spur aus silbernem Licht, bis er endlich sein Ziel traf.

Die Nachtpirscherfrau stieß einen markerschütternden Schrei aus, als elektrisch rote Energie ihren Körper durchzuckte und sie bewegungsunfähig machte. Corian beschleunigte auf übernatürliche Geschwindigkeit und stürmte auf die Orks zu, die das verdammte Ding geschossen hatten, bevor sie es nachladen konnten. Silberne Klauen blitzten im Sonnenlicht auf, die Orks umklammerten ihre Kehlen und gingen zu Boden, dann verschwand der Nachtpirscher wieder.

»Macht sie fertig !«, brüllte der Raug-Kommandant.

Der Oger zu seiner Linken sah Lumil auf ihn zukommen und hatte genug Zeit, einen Unterarm gegen ihren ersten Schlag zu heben. Die Koboldfrau schickte ihre Faust, um die magisches Licht wirbelte, in seinen Bauch und ließ ihn zu Boden gehen.

Persh’al schlug mit seiner grünen Peitsche nach den Loyalisten-Trollen, die von der Lichtung fliehen wollten. Er packte erst den einen und dann den anderen an den Knöcheln und zerrte sie über den Boden zurück, bevor er eine Reihe von K.O.-Schlägen landete.

Byrds orangefarbene Flammen versengten einen Loyalisten nach dem anderen und Cheyenne traf den Kobold, den er verfehlt hatte, mit einer knisternden Kugel aus schwarzer und lilafarbener Energie. Der Kobold ging mit einem Schrei zu Boden, Byrd drehte sich um und nickte der Halbdrow dankbar zu, dann stürzte sich Cheyenne auf Mattie.

Die Nachtpirscherin hatte sich von dem Elektroangriff erholt und drehte sich, um einen gewaltigen, silbernen Blitz auf den Oger zu schießen, der auf sie zudonnerte. Er traf ihn an der Schulter und warf ihn nach hinten, aber er rappelte sich auf und ging weiter auf sie zu.

Ein geifernder Skaxen sprang auf den Kistenstapel hinter ihr und seine Stiefel schlugen mit einem metallischen Klirren auf. Als er von seiner Position absprang und seine Krallen nach Maleshi Hi’ets Hals ausstreckte, beschleunigte Cheyenne auf Drowgeschwindigkeit und ließ ihre peitschenden, schwarzen Ranken los. Sie wickelten sich um den Hals und die Brust des fliegenden Skaxen, bevor sie ihn gegen den Kistenstapel schleuderten.

Nachdem die oberste Kiste umgekippt war, blieb sie in Zeitlupe liegen und Maleshi/Mattie drehte sich mit einem wilden Grinsen zu der Halbdrow um. »Sieh mal einer an, wer den Dreh raus hat, was?«

Cheyenne zog ihre peitschenden Ranken zurück und musterte das katzenhafte Gesicht ihrer ehemaligen Professorin, das vor Kampfeswut glühte. »Geht es dir gut?«

»Danke, dass du nachfragst, Cheyenne.« Mattie trat auf den gefrorenen Oger zu und streckte ihre Hand an ihrer Seite aus. Aus ihren Fingerspitzen schossen blitzende, silberne Krallen, die wie dünne Stahlklingen aussahen und sie packte den Oger vorne an seinem schwarzen Uniformhemd. »Aber ich schaffe das. Nur ein weiterer Kampf auf dem Spielplatz.«

Sie riss den Oger zu sich heran und stieß die bösartigen, vier Zentimeter langen Klauen in seine Seite unterhalb seiner dicken Rippen. Dann ließ sie ihn los und wandte sich wieder der Halbdrow zu. »Lustig, oder?«

Cheyenne starrte den Oger an, der noch nicht realisiert hatte, was mit ihm passiert war. »Ich will gar nicht wissen, auf was für einem Spielplatz du aufgewachsen bist.«

»Viel rauer als das hier, so viel kann ich dir sagen.« Die Nachtpirscherin stürmte über das Gras auf den Raug-Kommandanten zu, sein geschwollener Kiefer war mitten im Schrei eingefroren.

Corian gesellte sich zu ihnen und ging auf Maleshi zu, wobei er sie leicht vorwurfsvoll ansah.

»Eine kleine Vorwarnung wäre nett gewesen.«

»Oh, ist es das, was du tust? Warnungen aussprechen?«

»Du weißt, was ich meine.«

Maleshi zeigte auf den Raug. »Ich weiß, dass wir gleich ein paar Antworten bekommen werden. Bist du bereit dafür?«

Corian warf ihr einen verärgerten Blick zu, woraufhin die Ex-Generalin lachte.

Dann drehte sie sich wieder zu Cheyenne um. »Wir schaffen das, Mädchen. Du kannst gerne aus dieser kleinen Blase heraustreten. So geht es viel schneller, ja?«

»Was geht so schneller?« Die Halbdrow warf einen Blick auf die Nachtpirscher, einer mit hellbraunem Fell, der andere pechschwarz und grau. Ihre leuchtenden Augen waren sich verblüffend ähnlich.

»Nur ein kleiner Trick, den ich in den Oberen Aegúrs gelernt habe. Magische Reißverschlüsse und so weiter. Ja, bevor du fragst, dafür ist ein zusätzlicher Zauber nötig, den wir dir im Moment nicht beibringen können.« Maleshi schenkte Cheyenne ein keckes Lächeln und nickte einmal.

Und das ist mein Zeichen, dass ich entlassen bin.

»Sicher.« Die Halbdrow nickte und kehrte zurück zur normalen Geschwindigkeit. Die Lichtung blitzte alle paar Sekunden in gleißendem Silberlicht auf und Cheyenne drehte sich langsam um, um die Ergebnisse in Echtzeit zu sehen. »Heilige Scheiße.«