W illst du mir sagen, was das alles sollte?«, fragte Cheyenne, als sie den überwucherten Parkplatz verließ und in die Seitenstraße des fast leeren Viertels einbog.
»Ach, komm schon, Cheyenne. Wir wissen beide, dass du jedes Wort des Gesprächs gehört hast. Ich bin mir sicher, dass du dir die Teile selbst zusammensetzen kannst.« Ein langsames Lächeln breitete sich auf Maleshis nun menschlich aussehendem Gesicht aus, als sie die Halbdrow neben sich anschaute. »Das kannst du schon ziemlich gut, oder?«
Cheyenne ignorierte den Scherz der Professorin. Ich schätze, wir werden weder über die Soldaten noch Corian reden. Na gut. Sie warf einen Blick auf das Stück Käferpanzer, das auf dem Schoß der Nachtpirscherin lag und schnaubte. »Ich habe aber immer noch Probleme mit diesem Ding.«
»Ah. Ja.« Maleshi tippte mit ihren Fingernägeln auf die gebogene Schale und zuckte mit den Schultern. »Ich habe keine Ahnung, was es ist, ehrlich gesagt.«
»Warum hast du es genommen?«
»Bist du eifersüchtig, dass ich daran gedacht habe, ein Souvenir mitzunehmen?«
Die Halbdrow verdrehte die Augen und konzentrierte sich auf die Straße. »Du warst nicht einmal bei dem Kampf dabei.«
»Wenn etwas übrig bleibt, wenn wir fertig sind, gebe ich es dir gerne, damit du es dir an die Wand hängen kannst.«
»Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll.«
»Kein Problem. Fahr einfach weiter.«
Cheyenne legte ihre Hände auf das Lenkrad und warf einen schnellen Blick auf die Nachtpirscherfrau neben sich. Maleshi schaute nur aus der Windschutzscheibe, ihre Lippen bewegten sich lautlos. »Äh, ich weiß nicht, wo du wohnst. Wenn wir wieder in der Stadt sind, musst du mir sagen, wo du wohnst.«
Maleshi beendete ihren stillen Spruch und drehte ihren Kopf so schnell zu Cheyenne, dass die Halbdrow zur Seite zuckte. »Das wird nicht nötig sein.«
Der Halbdrow starrte auf das wilde Grinsen der Nachtpirscherin und runzelte die Stirn. »Du willst nicht, dass ich dich nach Hause bringe?«
»Nein. Ich möchte, dass du alles vergisst, was du über das Ausweichen von Hindernissen auf der Straße weißt und einfach weiterfährst.«
Als die Ex-Generalin zur Straße hin nickte, schaute Cheyenne rechtzeitig aus der Windschutzscheibe, um ein dunkles, schimmerndes Oval eines weiteren Portals vor ihnen schweben zu sehen.
»Was zum …?« Sie riss das Lenkrad herum und trat auf die Bremse, aber die Zeit reichte nicht aus. Als der Panamera zum Stehen kam, befanden sie sich nicht mehr in einer Seitenstraße außerhalb von DC. Der Hinterreifen stieß gegen den Bordstein einer ganz anderen Straße und Cheyenne legte den Schalthebel auf Parken. »Bist du wahnsinnig?«
»Sehr sogar. Ich dachte, das hätten wir schon besprochen.« Maleshi schnallte sich ab, öffnete die Tür und sprang flink auf den Bürgersteig.
Mit einem frustrierten Knurren stellte die Halbdrow den Motor ab, riss den Sicherheitsgurt fast aus der Schnalle und stieg aus, um ihrer Freundin zu folgen. Ich dachte, sie hätte mich vorher schon verrückt gemacht. Ihre Verärgerung hielt sie nicht davon ab, daran zu denken, das Auto abzuschließen, aber das Piepen und die blinkenden Lichter brachten sie diesmal nicht zum Lächeln. »Du kannst nicht einfach mitten auf der Straße Portale zaubern, während ich fahre.«
»Ich glaube, das hat ganz gut geklappt.« Die Nachtpirscherin blieb vor einem Gebäude stehen, das Cheyenne nur vage erkannte und deutete mit dem Käferpanzer statt mit der Hand auf die zerbeulte Eingangstür des dreistöckigen Komplexes. »Ich wette, du hast nicht gedacht, dass du hierher zurückkommen würdest, oder?«
»Und du bist nicht einmal ein bisschen besorgt, dass jemand ein dunkles Oval und einen Panamera aus dem Nichts auftauchen sieht? Das ist nicht gerade unauffällig in der – was?« Die Halbdrow nahm schließlich das alte Industrieviertel, die Bahngleise und die schmutzige Tür des Gebäudes vor ihnen in Augenschein. Diesmal war die Tür geschlossen, aber es fiel ihr sofort auf. »Du hast ein Überraschungsportal geöffnet, um das Raugorakel zu sehen.«
»Du hast lange genug gebraucht.«
Cheyenne warf der Nachtpirscherin einen warnenden Blick zu. »Nun, das letzte Mal gab es eine Menge Gezeter und einen Haufen Hühner, die herumliefen. Außerdem wurde ich nicht ausgetrickst und gezwungen, durch ein Portal zu fahren .«
»Ich habe dich nicht ausgetrickst, Kleine.« Maleshi winkte ab und ging den kurzen Betonweg hinunter zur Haustür des Wohnhauses. »Ich weiß nur, wie sehr du schon an diesem Auto hängst.«
»Das hätten wir auch auf dem Parkplatz machen können.« Als Maleshi die verbeulte Haustür öffnete, griff Cheyenne danach und zog eine Augenbraue hoch.
Die Nachtpirscherin kicherte. »Willst du dir wirklich anhören, wie Corian sich über meine Fahrlässigkeit aufregt? Er ist sehr darauf bedacht, seine Spuren zu verwischen, das muss ich ihm lassen. Ich habe seine Kopfschmerzen gelindert und uns erst teleportiert, als er uns nicht mehr sehen konnte.«
»Was ist, wenn uns jemand hierher folgt?« Die Tür schloss sich mit einem Knarren und einem metallischen Knall, als die Frauen den staubigen Flur entlanggingen, der immer noch mit Blättern und Kieselsteinen übersät war. Hühnerfedern flatterten auf, als Cheyenne über sie lief.
»Wow. Du kennst den Kerl seit … vielleicht einer Woche? Und du fängst schon an, wie er zu klingen.«
Cheyenne rieb sich die Stirn, versuchte nicht zu schreien und murmelte: »Es ist nicht so schwer, eine Frage direkt zu beantworten, weißt du?«
»Wir sind sicher , Mädchen. Wenn jemand eine Portalspur mitten auf der Straße entdeckt und ihr folgen will, muss er auf Ärger aus sein.«
»Die meisten magischen Wesen sind auf Ärger aus, wenn sie vor mir auftauchen.«
Maleshi winkte ab und blieb vor der Wohnungstür des Orakels auf der rechten Seite stehen. »Dann sind wir uns einig, dass die meisten dieser magischen Wesen Idioten sind. Wenn die Absichtslosigkeit meines Portals sie nicht abgeschreckt hat, dann wird es das Auftauchen vor der Haustür eines Raug sicherlich tun. Oder sie gehen trotzdem hindurch und bekommen genau das, was sie verdienen. Wie auch immer, keine große Sache.«
Die Nachtpirscherin klopfte zügig an die Wohnungstür und wartete, während sie den Rand des Käferpanzers wiederholt in ihre Handfläche schlug.
Cheyenne sah die Frau an und steckte die Hände in ihre Taschen. »Es ist erstaunlich, dass dich vierhundert Jahre lang niemand gefunden hat.«
»Nicht wirklich. Aber die Katze ist jetzt aus dem Sack, nicht wahr?« Maleshi seufzte. »Igitt, jetzt mache ich auch schon Katzenwitze. Ich habe vierhundert Jahre damit verbracht, begrenzte Zauber zu sprechen und all diese brillante Magie in eine winzige Kiste in einer staubigen Ecke eines vergessenen Zimmers zu packen, Mädchen. Corian hat mich trotzdem gefunden, also warum nicht ein bisschen leben, hm?«
»Das ist kein guter Grund, um …«
Die Tür öffnete sich mit einem Knarren und Gúrdus riesiger, grauer Kopf und seine leuchtenden, orangefarbenen Augen erschienen aus der Dunkelheit seiner Wohnung. »Was willst du?«
»Verdammt. Hat heutzutage jeder vergessen, wie man eine alte Freundin grüßt?« Maleshi blickte schnell den Flur auf und ab, bevor ein silbernes Licht an ihren Fingerspitzen aufblitzte. Dann verschwamm die schwarzhaarige, grünäugige Universitätsprofessorin und verwandelte sich in die Nachtpirscher-Ex-Generalin. »Ich freue mich auch, dich zu sehen, Gúrdu.«
Die Augen des Kerls weiteten sich und er machte ein groteskes, klebrig saugendes Geräusch mit seiner Zunge, bevor er die Tür ganz öffnete. »Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.«
»Nun, wir auch nicht. Deshalb sind wir ja hier.« Maleshi trat in die Wohnung und wartete darauf, dass Cheyenne ihr folgte, bevor Gúrdu die Tür mit einer riesigen Hand mit roten Krallen schloss.
Das Orakel blinzelte die Nachtpirscherin ausdruckslos an, dann wanderte sein Blick zu der Halbdrow und dem Herz der Mitternacht -Anhänger, der über ihrem Kapuzenpulli baumelte.
Cheyenne stopfte die Halskette schnell unter den Stoff und hob die Augenbrauen. Ich muss aufhören, dieses Ding für jedes verärgerte magische Wesen sichtbar zu machen.
»Wenn du wieder wegen deines Drow-Schmuckstücks gekommen bist, kannst du dich gerne verpissen.«
Die Halbdrow funkelte ihn an und Maleshi lachte schallend. »Du hast dich kein bisschen verändert, nicht wahr? Wir sind nicht wegen Cheyennes Erbe hier. Zumindest nicht direkt.«
Die orangefarbenen Augen des Raug wanderten langsam zurück zu Generalin Hi’et und verengten sich. »Du bist diejenige, die sie hergeschickt hat.«
»Wer sonst würde dir eine Freundin schicken, Gúrdu?« Die Nachtpirscherin lächelte breit.
»Jemand, der denkt, dass der Name ›Mattie‹ ausreicht, um sie hinter falscher Ehre und der Lüge zu verstecken, dass sie das Exil beansprucht.«
Cheyenne spürte die aufkommende Spannung und lehnte sich gegen die Wand des Eingangs. Sie rümpfte die Nase über den Geruch von verrottender Orange, den sie vor einer Woche bei der Nachtpirscherfrau wahrgenommen hatte. Zusammen mit dem süßlichen Geruch dessen, was das Orakel in seinem mit Kissen vollgestopften Wohnzimmer auf der anderen Seite des Eingangs verbrannt hatte, machte sie der Geruch ein wenig schwindelig.
Maleshis Lächeln verschwand. »Meine Ehre und mein Exil sind mein Anspruch, Gúrdu. Ich bin wegen deiner Visionen hier, nicht wegen deiner Meinung.«
»Ich gebe keine Meinungen ab. Die bringen nicht annähernd so viel ein wie Prophezeiungen und Rauch.«
»Heute wirst du für nichts davon bezahlt.« Die Nachtpirscherin stieß den Panzer des Käfer-Dings gegen die Brust des Raug. »Du schuldest mir noch etwas für Felagtrok.«
Das Orakel grunzte. »Ich hätte dich an diesem Tag mit Naturalien bezahlen sollen.«
»Und ich bin mir sicher, dass dir dieser Gedanke durch den Kopf ging, bis du dich in den Kosmos hinausgestreckt und gesehen hast, wie viel mehr ich am Ende für dich tun würde. Ich habe heute schon zu viel Zeit mit der Vergangenheit verbracht, Orakel. Ich will die Zukunft sehen. Entweder du lässt mich deinen Schuldschein einlösen oder du hörst auf, mit Beleidigungen um dich zu werfen und sie Erkenntnisse zu nennen.«
Gúrdu blickte auf den schwarzen Panzer in ihrer Hand, der selbst im schwachen Licht seiner Wohnung glitzerte und blinzelte. »Bist du fertig?«
»Ich weiß es nicht. Bin ich das?«
Langsam wanderten die leuchtend orangefarbenen Augen wieder zu Cheyenne. »Du warst viel unterhaltsamer.«
Die Halbdrow hob ihr Kinn und sah ihn direkt an. »Du warst eine Nervensäge.«
Das Orakel grunzte. »Bringen wir es hinter uns, Generalin.«
Er drehte sich um und stakste den Flur hinunter zu dem Perlenvorhang, der den Eingang vom Rest der Wohnung trennte. Die Holz- und Glasperlen rasselten, als er sie beiseite schob und sich bückte, um seine unglaubliche Körpergröße durch die Türöffnung zu bekommen.
Maleshi schaute die Halbdrow an und fragte sie schmunzelnd: »Netter Kerl, oder?«
Cheyenne schüttelte langsam den Kopf. »Du hast eine seltsame Definition von ›Freund‹.«
»Ja, du auch. Noch ein Grund, warum ich dich so sehr mag, Mädchen.« Maleshi zwinkerte, dann drehte sie sich um und folgte dem Raug durch den Perlenvorhang. Sie hielt kurz inne und betrachtete die baumelnden Fäden am Ende. »Hm.«
Die Halbdrow wartete darauf, dass die Perlen hinter der Nachtpirscherin wieder an ihren Platz fielen. Sie klingt fast wieder wie Mattie, aber ich glaube nicht, dass die Mattie, die ich kannte, zurückkommt.