O h , nein. Nein, nein, nein. Stopp. Mach das nicht.« Maleshi lief schwankend zurück durch das Kissenmeer und streckte die Hand nach der Halbdrow aus. Sie fiel fast hin, bevor sie Cheyenne erreichte und eine Hand fest auf die Schulter der Halbdrow legte. »Es ist Zeit, von hier zu verschwinden, Mädchen. Das Gehirn dieses Kerls ist inzwischen von mindestens einem Dutzend Zauberstäben gebraten worden.«
Die Halbdrow sah die Nachtpirscherin finster an. »Ich will hören …«
»Pst. Halt die Klappe. Kein Wort mehr.« Maleshi zerrte an Cheyennes Kapuzenpulli und nickte in Richtung der Tür zum Flur. »Ich meine es ernst. Wir reden draußen weiter.«
Cheyennes Schultern schmerzten von der Anspannung ihrer Wut und sie hatte keine Möglichkeit, sie herauszulassen. Sie warf einen Blick auf das Orakel, das sich mit dem Rücken an die Kissenmasse hinter sich lehnte und kicherte. Er spielt mit mir.
Das machte es nur noch schlimmer. Mit zusammengebissenen Zähnen folgte die Halbdrow Maleshi durch die verstreuten Kissen und die niedrigen, runden Tische, die den riesigen Raum zierten. Die Nachtpirscherin winkte dem Orakel mit dem Finger und gab Cheyenne ein Zeichen, weiterzugehen. »Du bist heute etwas knapp dran, Gúrdu. Wenn du so viel Zeit in der realen Welt verbringen würdest, wie du auf deinem Arsch sitzt und so tust, als wüsstest du mehr als alle anderen, würdest du deine Meinung über die falsche Ehre revidieren. Zwing mich nicht, dich noch einmal daran zu erinnern.«
Ohne auf eine Antwort zu warten, taumelte die Nachtpirscherin aus dem Raum. Das tiefe, dröhnende Lachen des Raugorakels verfolgte sie wie ein schlechter Traum. Sie musste sich wieder am Türrahmen abstützen, schüttelte den Kopf und atmete lang und langsam aus.
»Geht es dir gut?« Cheyenne beobachtete sie von der anderen Seite des Perlenvorhangs aus.
»Fast. Bring mich raus, dann bin ich so gut wie neu. Oder so.« Maleshi winkte die Halbdrow nach vorne, bevor sie loslief. Die Perlen klimperten, als Cheyenne durch sie hindurchging. Die Nachtpirscherin schlug nach den baumelnden Fäden, um sie zur Seite zu schieben. Sie verfehlte die Hälfte davon und die Perlen trafen sie genau im Gesicht. »Okay, was …? Warum kann er nicht einfach …?«
Mit einem Zischen packte sie zwei dicke Handvoll der baumelnden Stränge und riss sie von der Decke herunter. Die Holzstange, die sie oben zusammenhielt, löste sich von ihrem Haken und schlug gegen Maleshis Rücken, als sie sich duckte, um auszuweichen. Nach einem wahnsinnigen Gerangel, um die Sachen von ihr herunter zu bekommen, klapperten der ganze Perlenvorhang und die Holzstange zu Boden. Maleshi holte mit einem letzten irritierten Tritt aus, verfehlte die Stange und wäre dabei fast auf ihren Hintern gefallen.
»Brauchst du Hilfe?« Cheyenne runzelte besorgt die Stirn, als die Ex-Generalin ins Taumeln geriet und sich schließlich aufrichtete.
»Ich brauche einen Drink. Zwei. Ich brauche …« Maleshi krümmte sich mit weit aufgerissenen Augen und presste eine Hand auf ihren Bauch. »Raus.«
Die Halbdrow wartete nicht darauf, dass ihre Freundin ihr die Haustür zeigte. Sie eilte den Rest des Flurs entlang, bevor sie die Tür öffnete und sie der magiekranken Nachtpirscherin aufhielt.
Maleshi stolperte durch, schmatzte wieder mit den Lippen und runzelte die Stirn. »Ich hasse Cranberrys. Ich wette, er macht das nur, um mich zu nerven.«
Cheyenne zog die Tür hinter sich zu und machte einen großen Bogen um die Ex-Generalin. »Ja, ihr zwei scheint euch ziemlich nahezustehen.«
»Ha.« Mit einem tiefen Atemzug richtete sich die Nachtpirscherin auf und hielt ihre Hände vor sich. Als sie festgestellt hatte, dass sie nicht kotzen musste, nickte sie und schenkte der Halbdrow ein schwaches Lächeln. »Manche Freunde findet man nur aus der Not heraus, Mädchen. Damals hatte ich die Wahl, entweder eines von vielleicht ein paar hundert Orakeln mit dem Rest seines Clans untergehen zu lassen oder den zwei Meter großen Kriegsgefangenen an meinen Männern vorbeizuschmuggeln und ihm auf der Erde in den Arsch zu treten. Sieht so aus, als hätte sich mein kurzzeitiger Ausrutscher in Sachen Brutalität für uns alle gelohnt.«
Cheyenne steckte die Hände wieder in die Taschen und warf einen Blick auf die geschlossene Eingangstür des Orakels, während sie und die Nachtpirscherin den luftigen Flur zurück zur Eingangstür des Wohnhauses gingen. »Er ist schon länger hier als du.«
»Weißt du, das ist ein bisschen weit hergeholt, weil das kann man über jedes Orakel sagen. Aber technisch gesehen? Ja. Um einige Jahrhunderte, mehr oder weniger.« Ein silbernes Licht blitzte an den Fingerspitzen der Nachtpirscherin auf und die jahrhundertealte menschliche Illusion von Mattie Bergmann ersetzte die katzenhafte Erscheinung der Ex-Generalin.
Cheyenne trat durch die ramponierte Tür und hielt sie für ihre Freundin offen. »Das klingt nicht nach einer Freundschaft, die man unbedingt haben muss.«
»Na ja, für ihn schon, denke ich.« Als Maleshi hinaus in die frische Herbstluft trat, wurde sie noch ein bisschen munterer. »Das hat ihn aber nicht davon abgehalten, dich in seine miesen, kleinen Krallen zu locken, oder?«
Die Halbdrow schaute genauso verblüfft wie am ersten Tag, als sie Mattie Bergmanns Büro betreten hatte, um über Magie zu sprechen.
Maleshi legte ihren Kopf schief. »Du wärst vorhin fast in eine Prophezeiung hineingezogen worden, Mädchen. Alles, was du als Nächstes gesagt hättest, hätte in diesem fiesen Raum gegen dich verwendet werden können und müssen.«
»Weil ich wollte, dass er sich erklärt?« Cheyenne schüttelte den Kopf, als sie den kurzen Weg zum Bürgersteig entlanggingen. »Ich habe ihm beim letzten Mal, als ich hier war, viele Fragen gestellt und hey, nicht einmal eine zufällige Prophezeiung.«
»So sind sie nun mal. Orakel.« Die Nachtpirscherin schüttelte den Kopf und ein kleiner Schauer lief ihr über den Rücken. »Es hörte sich so an, als wollte er dir eine kostenlose Deutung geben, Mädchen. Das heißt, wenn du ihn weiter gedrängt hättest, hättest du eine Freikarte für eine Prophezeiung verbraucht, die du nicht wolltest. Das macht die Sache nur komplizierter, weißt du?«
»Nicht wirklich. Ich hätte immer noch mehr Antworten, als ich aus ihm herausbekommen habe.«
»Nein, hättest du nicht.« Sie erreichten den Panamera, der fünfzehn Zentimeter vom Bordstein entfernt geparkt war und hielten auf dem Bürgersteig an. »Die falsche Frage an einen dieser Typen zu stellen, ist, als würdest du Spielhallenmünzen in einen Automaten stecken. Das funktioniert nur, wenn du noch in der Spielhalle bist. Glaube ich.«
Cheyenne seufzte und ging um ihr Auto herum zur Fahrertür. »Ich schätze, wenn ich das nächste Mal eine echte Prophezeiung brauche und eine Opfergabe oder was auch immer habe, bekomme ich ein Gratisgeschenk.«
Maleshi rülpste und verzog das Gesicht. »Wenn du das tust, Mädchen, lass dir nicht einreden, dass er sich nicht daran erinnert, dass er gesagt hat, dass du nicht bezahlen musst. Ein Raug vergisst nicht viele Dinge. Ein Raugorakel merkt sich jedes noch so kleine Detail, bevor und nachdem es passiert. Apropos nächstes Mal : Was ist beim ersten Mal passiert?«
»Ich habe ihm die Vermächtniskiste gebracht, wie du gesagt hast.«
»Oh, ja.« Die Nachtpirscherin kicherte, obwohl ihre sonst so gesunde Gesichtsfarbe verblasste. »Damals, als wir beide nur dachten , wir würden uns kennen. Wie hat er es aufgenommen?«
Der Porsche piepte, als Cheyenne ihn mit dem schlüssellosen Autoschlüssel entriegelte. »Er hat sich fast in die Hose gemacht und gesagt, er würde die Kiste nicht anfassen, wenn es um sein Leben ginge. Anscheinend ist sie furchterregender als eine wütende Halbdrow, die ihm einen Angriffszauber unter die Nase hält.«
Ein schwaches, abgelenktes Lachen entwich Maleshi. »Manchmal ist es besser, wenn man es nicht weiß …«
Die Worte wurden unterbrochen, als die Nachtpirscherin ihre Lippen zusammenpresste und sich wieder nach vorne beugte.
Cheyenne warf ihr einen mitfühlenden Blick zu. »Du siehst ein bisschen bleich aus. Bist du sicher, dass es dir gut geht?«
»Oh, ja. Ich komme schon klar. Ich muss nur …« Maleshi stieß ein ersticktes Hecheln aus und ging zur Beifahrertür. »Los geht’s, Mädchen. Ich brauche ein Sixpack und eine ganze Packung Salzcracker.«
Der Panamera piepte erneut, kurz, bevor die Nachtpirscherin am Türgriff zerrte.
Sie sah Cheyenne an und schüttelte den Kopf. »Was machst du da?«
»Du steigst erst in mein Auto, wenn du kotzen oder zwei Minuten stehen kannst, ohne so auszusehen, als würdest du gleich kotzen.«
»Komm schon, Cheyenne. Du reagierst über. Mir geht es gut.« Maleshi schluckte heftig und sah dabei nicht so aus, als ob es ihr gut ginge. »Das geht vorbei, okay? Es ist wie umgekehrte Autokrankheit. Ich muss nur in Bewegung bleiben.«
»Nicht im Porsche.« Die Halbdrow schaute ihre Freundin an und hob langsam die Schultern. »Ich stehe auf den Geruch eines Neuwagens. Ich werde das nicht riskieren.«
»Ich bin nicht …« Maleshi blinzelte, taumelte zurück, drehte sich dann vom Auto weg und erbrach sich auf das trockene, braune Gras vor dem kleinen Wohnhaus. Es ging schnell und heftig und dann war es vorbei. Seufzend richtete sich die Nachtpirscherin auf und drehte sich zu Cheyenne um, um ihr einen verärgerten Blick zuzuwerfen. »So. Bist du jetzt zufrieden?«
»Ich wäre glücklicher gewesen, wenn du dein Haar zurückgehalten hättest.«
Maleshi griff nach einer dicken, gewellten, schwarzen Haarsträhne, die ihr über die Schulter fiel und schnaubte angewidert. »Dafür sind Freunde doch da, oder?«
»Nicht, wenn du mich nicht vorwarnst.«
»Okay, weißt du was? Gut.« Die Ex-Generalin konnte die Ilussion des Beleidigtseins nur sehr kurz aufrechterhalten. Ein Kichern entkam ihr. »Nein, so wirst du mich nicht nach Hause fahren müssen. Geh einfach. Ich fühle mich viel besser, also ist alles gut.«
»Bist du sicher?«
»Sehe ich noch blass aus?«
Cheyenne lächelte. »Nö.«
»Da hast du’s.« Maleshi blickte die verlassene Straße auf und ab und hob die Hände. Einen schnell gemurmelten Zauberspruch und einige Handgesten später deutete die Nachtpirscherin auf ein nagelneues Portal, das über dem Bürgersteig vor ihr schwebte. »Ich gehe nach Hause. Das solltest du auch. Hol dir etwas zu essen, leg die Füße hoch und sobald ich weiß, wie es weitergeht, erfährst du es als Erste.«
»Okay.« Cheyenne lächelte der Frau zu, die mit ihr die ersten Schritte auf dem Weg dahin gegangen war, ihre Drowmagie zu kontrollieren. Auch wenn sie nicht die ist, für die ich sie gehalten habe. »Ich schätze, ich … sehe dich morgen?«
»Nö. Ich unterrichte meinen eigenen Kurs, Mädchen. Schau einfach in deine E-Mails und mach dir keine Sorgen, wenn du vor einer Gruppe von Studierenden stehst, die fast so alt sind wie du. Du wirst schon klarkommen.«
»Klingt wie anderthalb Stunden im Paradies.«
Kopfschüttelnd trat Maleshi durch das Portal in etwas, das wie das Innere ihres Hauses aussah, dann verschwanden sie und die Tür aus dunklem Licht mit einem kleinen Knall.
Cheyenne blinzelte und schloss ihr Auto wieder auf, bevor sie sich hinter das Lenkrad setzte. Als die Tür geschlossen, der Motor angelassen und der Sicherheitsgurt angelegt war, warf sie noch einen Blick aus dem Fenster auf Gúrdus baufälliges Wohnhaus und seufzte. »Und ich dachte, gestern wäre viel gewesen.«