D as Chesterfield Towne Center war nur etwa fünf Autominuten von der Klinik entfernt und als Cheyenne auf den Parkplatz fuhr, lachte Ember und bedeckte ihren Mund mit beiden Händen. »Ist das jetzt dein Ernst?«
»Hey, du hast mir keine Anhaltspunkte gegeben, also habe ich die nächstgelegene Auswahl genommen.« Beim Einparken drehte sich die Halbdrow um und hob eine Augenbraue. »Oder wolltest du, dass ich bei dem McDonald’s da hinten anhalte?«
»Nein. Das habe ich nicht gesagt.« Die Fae schaute sich auf dem Parkplatz um. »Aber ein Einkaufszentrum voller Highschoolkinder an einem Montagnachmittag hätte es nicht mal auf die Liste geschafft, wenn es eine Liste gäbe.«
»Weißt du was? Ich glaube, die ganze Magie hat einen Kurzschluss in deinem Gehirn verursacht.«
Ember schnallte sich ab und hob mit einer kapitulierenden Geste ihre Hände. »Du bist einer der ärgerlichsten Menschen, die ich kenne.«
»Das höre ich oft. Zu deinem Glück machst du nur Witze.« Die Halbdrow schenkte ihrer Freundin ein strahlendes Lächeln, das eine Sekunde später wieder verschwand. Mit einem weiteren ungläubigen Lachen kniff Ember ihre Augen zusammen und Cheyenne öffnete den Kofferraum, um den Stuhl zu holen.
Sie setzte Ember in Rekordzeit hinein, dann packte die Halbdrow die Griffe und schob ihre Freundin zum Eingang des Kaufhauses. Die Leute drehten sich nach dem glänzenden schwarzen Panamera um, als Cheyenne ihre Hand in die Tasche steckte, um ihn abzuschließen.
»Das wird dir nie langweilig werden, oder?« Ember schaute über ihre Schulter. »Zu sehen, wie viele Leute sich wünschen, sie hätten dein Auto.«
»Würde es dir langweilig werden?«
»Ich weiß im Moment gar nichts.«
»Mach einfach mit, Em. Außerdem ist es besser, wenn die Leute auf mein Auto schauen als auf uns beide, oder?«
»Ich weiß, warum die Leute dich anschauen«, sagte Ember, lachte und rückte ihre Handtasche auf ihrem Schoß zurecht, »aber warum mich ?«
»Ach, weißt du. Nur für den Fall, dass deine Magie überall ausläuft.«
»Ernsthaft?«
»Hey, ich bin in der perfekten Position, um ernsthaftes Mitgefühl mit dir zu haben, okay?« Cheyenne unterdrückte ein weiteres Lachen und sprach in ihrer besten Imitation von Bianca Summerlin. »Ich hatte die seltene Gelegenheit, in solchen Situationen persönliche Erfahrungen zu sammeln, Miss Gaderow. Ich bin gerne bereit, Ihnen einen Einblick zu geben, wenn Sie meinen Bedingungen zustimmen.«
»In Ordnung, Bianca«, murmelte die Fae durch zusammengebissene Zähne. »Nennen Sie Ihren Preis.«
»Oh, sehr gut.« Sie lachten. »Das hast du sofort verstanden, was?«
»Deine Mutter ist die einzige Person, die du je nachgemacht hast, also war es nicht so schwer.«
Cheyenne lief in einer geraden Linie durch das Kaufhaus und hinaus auf den Mittelgang des Einkaufszentrums. Gruppen von Teenagern wichen entweder in letzter Sekunde aus oder teilten sich in der Mitte, um der Gothic-Frau und ihrer Freundin aus dem Weg zu gehen. »Ich schätze, ich muss mich breiter aufstellen, was?«
»Weißt du, Matthew hat erwähnt, dass er sich auch im Handel versucht.«
»Warum bin ich nicht überrascht?« Die Halbdrow schaute die Reihe der Geschäfte entlang und suchte nach der Fressmeile, die sie dort vermutete. »Neue Regel. Ich werde mich nicht mehr über die ganze Sache mit der Faemagie lustig machen, wenn du nicht über Matthew Thomas, den Dilettanten, sprichst, es sei denn, es ist unmittelbar bevor oder nachdem wir uns aus irgendeinem Grund mit ihm befassen müssen.«
»Erledigt. Oh, mein Gott! Was soll ich jetzt mit ihm machen?«
Cheyenne schnaubte und nickte mit hochgezogenen Augenbrauen einem Paar Frauen in ihren Siebzigern zu, die mit verschränkten Armen an den magischen Freundinnen vorbeigingen und nicht aufhören konnten, die Aufmachung der Goth-Frau anzustarren. »Ich hoffe, du hast dasselbe vor, was du mit ihm vorhattest. Nämlich, dass er sich nicht überall einmischen darf, richtig?«
Ember lehnte sich gerade so weit über ihren Stuhl, dass sie einen letzten Blick auf die grauhaarigen Frauen erhaschen konnte, die Cheyennes Rücken anschauten und den Kopf schüttelten. »Diese Damen haben ein ernsthaftes Problem mit ihrem Urteilsvermögen.«
»Das ist gar nichts. Ein Typ hat mir mal gesagt, ich käme in die Hölle, weil ich den Teufel anbete.«
»Wie einfühlsam von ihm.«
»Ich weiß, oder? Ich habe versucht, ihn zu fragen, was er mir vorschlägt, was ich tun soll, um mich zu retten und er ist weggelaufen.«
Ember brach in Gelächter aus und drehte sich zu dem Schaufenster auf der rechten Seite um. »Oh, Mann.«
Cheyenne warf einen Blick auf das Schild über der Tür, auf dem in dicken, schwarzen Buchstaben ›Hot Topic‹ stand und beugte sich hinunter, um ihrer Freundin ins Ohr zu murmeln: »Pass mal auf.«
Sie verlangsamte ihr Tempo ein wenig und schaute in den Laden, als sie vorbeikamen. Vier Teenager standen um einen der Kleiderständer in der Mitte des Ladens. Alle trugen eine punkigere Version der Goth-Klamotten, die die Halbdrow seit 2012 trug. Die drei Mädchen und ein Junge blickten vom Kleiderständer auf und sahen, wie Cheyenne Ember langsam an der Schaufensterfront vorbeischob. Die Halbdrow wischte sich jeden Ausdruck aus dem Gesicht und begegnete jedem von ihnen mit einem Blick. Nur eines der Kinder hatte Piercings – zwei Nieten auf beiden Seiten seiner Unterlippe – und zwei der Mädchen hatten ihr Augen-Make-up mit Regenbogenglitzer aufgepeppt. Das dritte trug überhaupt kein Make-up und sie war die einzige, die nicht wie die anderen Grimassen schnitt, während sie die Halbdrow anschauten, die sie ansah.
Ja, okay. Cheyenne blieb ganz am Ende des Schaufensters stehen und schaute die Teenager an, die versuchten, die falsche Person in Verlegenheit zu bringen. Die drei, die herumalberten und Grimassen schnitten, merkten ziemlich schnell, dass die Gothic-Tussi, die durch das Fenster starrte, nirgendwo hingehen würde. Ihr Grinsen verging in Sekundenschnelle und Cheyenne warf einen Blick auf das ungeschminkte Mädchen. Ein langsames, bewunderndes Lächeln hob die Mundwinkel des Mädchens an und das war’s.
Die Halbdrow wandte sich langsam vom Fenster ab und schob Ember wieder die Einkaufsmeile hinunter. »Amateure.«
Ember schaute über ihre Schulter und schenkte der Halbdrow ein ungläubiges Lächeln. »Vielleicht solltest du lieber Highschoollehrerin werden.«
»Was und im Computerraum unterrichten? Auf keinen Fall.« Sie lächelte, als Ember ihren Kopf zurückwarf und kicherte. »Die am Ende war aber gar nicht so schlecht.«
»Die, die dich angelächelt hat?«
»Ja. Ich glaube, sie wusste die Geste zu schätzen.«
Ember zeigte über ihre Schulter auf ihre Freundin. »Ich glaube, sie wollte du sein .«
»Oh, jung und naiv zu sein!« Sie lachten wieder und Cheyennes Blick blieb auf einem Mann und seinen beiden Söhnen haften, die unter zehn Jahre alt sein mussten und auf sie zukamen. Die Jungen starrten sie mit großen Augen an und ihr Vater war auch nicht gerade ein tolles Vorbild. Die Halbdrow grüßte den Mann mit einem Nicken und ging weiter. »Wie geht’s denn so?«
Der Mann versuchte, die Geste zu erwidern, aber sein Kopf zuckte stattdessen von ihr weg, bevor er jedem seiner Kinder eine Hand auf die Schulter legte und sie von der unheimlichen Frau, die Hallo gesagt hatte, wegschickte.
»Wow. Ist das bei dir normal?« Ember warf einen Blick auf die Jungs und winkte ihnen zu. Sie beeilten sich, ihren Vater zwischen sich und die viel normaler aussehende Frau im Rollstuhl zu bringen.
»Auf jeden Fall.« Cheyenne zwinkerte einer Frau im maßgeschneiderten Anzug zu, die zügig auf sie zuging und deren Absätze auf dem glänzenden Boden klapperten. Die Dame stolperte von der Gothic-Frau weg, drehte sich um und eilte auf die gegenüberliegende Seite des Mittelgangs des Einkaufszentrums, um nicht in Reichweite der beiden zu kommen.
Ember brach erneut in Gelächter aus. »Leute .«
»Ich weiß. Es ist ziemlich aufschlussreich. Manchen Leuten ist es egal, wie jemand aussieht und dann komme ich in ein gutes Gespräch. Wie dieser alte Mann neulich in Union Hill. Der Kerl hat mein Auto vollgesabbert und mir seine Visitenkarte gegeben.«
»Für dein Auto?«
»Ja, irgendwelche individuellen Schliffe oder so. Ein normal aussehender Typ mit einem riesigen, weißen Schnurrbart.«
»Was?« Ember riss den Mund weit auf und wackelte mit dem Kiefer, damit ihre Wangen nicht mehr schmerzten, nachdem sie so lange über all die Leute hier gelacht hatte.
»Wer weiß? Vielleicht schaue ich mal nach, was er kann.«
»Willst du dem Porsche ein Gothflair verpassen?«
»Warum nicht?« Achselzuckend erblickte die Halbdrow das Red Robin am Ende der Geschäfte vor dem nächsten Ausgang des Einkaufszentrums. »Da ist es. Isst du gerne Burger?«
»Das ist mir im Moment egal.«
»Super.« Sie gingen weiter und Cheyenne hielt inne, als ihr Handy in ihrer Gesäßtasche summte. »Oh. Warte mal kurz.«
»Was ist los?«
»Anruf.« Die Halbdrow zog ihr Handy heraus und runzelte die Stirn. »Von meiner Mutter.«
»So wie du das gesagt hast, denke ich, dass das nicht normal ist.« Ember drehte sich im Stuhl um und blickte auf das Handy und dann auf den verwirrten Gesichtsausdruck der Halbdrow. »Alles in Ordnung?«
»Wer weiß? Macht es dir was aus?«
»Du brauchst meine Erlaubnis nicht, um ans Handy zu gehen.« Ember lachte und drehte sich wieder um.
Cheyenne nahm den Anruf entgegen und hielt das Handy an ihr Ohr. »Hey, Mom.«
»Hi, Cheyenne. Ich habe gerade mit deinem Finanzmanager telefoniert. Er hat mich angerufen, um mir mitzuteilen, dass über das Wochenende verdächtig viele Aktivitäten auf deiner Karte stattgefunden haben. Das sind seine Worte, nicht meine. Es geht mich zwar nichts an, was du mit deinen Finanzen machst, aber alle Beteiligten wollten sicher sein, dass die Aktivitäten autorisiert waren. Du verstehst schon.«
Die Halbdrow lächelte und unterdrückte das Lachen, das aus ihr herauszusprudeln drohte. Niemand lacht über Bianca Summerlin während eines Höflichkeitsbesuches. »Es ist alles genehmigt, Mama. Danke.«
»Gut. Ich rufe den Mann noch einmal an und werde ihn bitten, meine Kontaktdaten aus deinem Konto zu löschen. Du wirst das wahrscheinlich bestätigen müssen, aber ich möchte nicht durch den Verdacht eines anderen belästigt werden, wenn du doch offensichtlich alles unter Kontrolle hast.«
»Ja, it kein Problem. Tut mir wirklich leid für die Unannehmlichkeiten.«
Ember drehte sich wieder um und warf ihrer Freundin einen verwirrten Blick zu und Cheyenne schüttelte nur den Kopf.
»Ich habe es schon vergessen«, antwortete Bianca. »Wo bist du? Es ist etwas schwierig, dich bei all den Hintergrundgeräuschen zu hören.«
Cheyenne biss sich auf die Lippe, um sich wieder unter Kontrolle zu bringen. Wegen Embers Gesicht werde ich noch angeschrien. »Im Einkaufszentrum mit Ember, um genau zu sein.«
»Oh. Interessante Wahl für einen Montagabend.«
»Nur zum Essen.«
»Ist das dieselbe Ember, die du in deinem ersten Jahr an der VCU kennengelernt hast?«
Die Halbdrow schaute Ember mit einem überraschten Gesichtsausdruck an. Eine Frage über meine Freunde. Ein ganzer Tag voller Überraschungen. »Ja, das ist sie. Sie ist jetzt meine Mitbewohnerin.«
»Wirklich?«
»Ja. Bis jetzt klappt es ganz gut.«
»Nun, das erklärt die ganzen Ausgaben. Da ich Stimmen höre, aber kein Geschirrklappern, Cheyenne, nehme ich an, dass ihr beide noch kein Essen bestellt habt.«
Cheyenne zuckte bei Embers fragendem Blick mit den Schultern, als die Fae ihre Arme ausbreitete und die Augenbrauen hochzog. »Nein, noch nicht.«
»Warum kommt ihr nicht zu uns? Es ist noch früh. Ich sage Eleanor, dass sie zwei zusätzliche Plätze einrichten soll und dann habe ich endlich die Gelegenheit, deine Freundin kennenzulernen. Abendessen gibt es um sieben. Du wirst rechtzeitig hier sein, um noch einen oder zwei Cocktails zu trinken, bevor wir essen.«
»Verlockend. Lass es mich mit ihr besprechen.«
»Klar.«
Cheyenne drückte das Handy gegen ihren Oberschenkel und wackelte mit den Augenbrauen Richtung Ember. »Wir sind zum Abendessen bei meiner Mutter eingeladen. Was sagst du dazu?«
»Ich … denke, ich kann da nicht nein sagen.«
Grinsend hielt die Halbdrow das Handy wieder an ihr Ohr. »Wir steigen wieder ins Auto und fahren los.«
»Wunderbar. Wir sehen uns bald.« Bianca legte in ihrer üblichen kühlen Art auf und Cheyenne kicherte.
»Ist das gerade passiert?«
Die Halbdrow zuckte mit den Schultern und steckte ihr Handy in die Tasche. »Sieht so aus.«
»Wow. Ich bin im Begriff, mit Bianca Summerlin zu Abend zu essen.« Das überraschte Lächeln verschwand von Embers Lippen und wurde durch einen geschockten Blick ersetzt.
»Okay, Em. Du siehst aus wie eine Maus, die auf ein Stück Käse in einer Mausefalle starrt.«
Die Fae schluckte. »Es ist unheimlich, wie treffend du das Gefühl gerade beschrieben hast.«
»Sieh mal, wer jetzt jemanden wie ein offenes Buch lesen kann.« Cheyenne lachte und drehte den Rollstuhl um, um zurück zum Auto zu gehen. »Entspann dich. Es sind nur du, ich, meine Mutter und Eleanor. Nichts Ausgefallenes. Nichts Besonderes, nur ein lockeres Abendessen bei den Summerlins. Du wirst schon klarkommen.«
»Ehrlich gesagt, war das das Unwirklichste, was ich heute von dir gehört habe. Ich … ich meine, ich habe keine Ahnung, wie ich mit jemandem wie deiner Mutter umgehen soll.«
Die Halbdrow schüttelte den Kopf und machte sich nicht einmal die Mühe, noch einmal einen Blick in das Hot Topic zu werfen, da sie dieses Mal viel schneller daran vorbeikamen. »Sei einfach du selbst.«
»Das ist der schlechteste Rat, den du mir jetzt geben kannst und ein totales Klischee.«
»Okay, okay. Wie wär’s damit? Versuche nicht, sie zu beeindrucken. Lüge sie nicht an. Versuche nicht, dich selbst zu filtern. Bianca Summerlins Bullshit-Detektor ist Millionen wert.«
Ember ließ ihren Kopf zurück auf die dünne Kante der Stuhllehne fallen. »Du machst es nur noch schlimmer.«
Cheyenne verzog das Gesicht gegenüber ihrer auf dem Kopf stehenden Fae-Freundin. »Wir schaffen es noch rechtzeitig für ein oder zwei Cocktails vor dem Abendessen. Das waren ihre Worte, Em.«
»Oh, jetzt trinken wir mit Bianca Summerlin.«
»Hey, nicht so laut, ja?«
»Tut mir leid.«
Cheyenne warf einen schnellen Blick auf die anderen Fußgänger, die an den Schaufenstern des Einkaufszentrums vorbeigingen und schüttelte den Kopf. »Das ist eine gute Sache. Solange sie nicht den guten Scotch herausholt, ist alles in Ordnung.«
»Ich weiß nichts über Scotch.«
»Kein Problem. Sie hat immer eine gut gefüllte Bar. Gin Tonics für Frau Gaderow. So viele, wie du willst.«
Ember hob schließlich den Kopf und fuhr sich mit den Händen über beide Gesichtshälften. »Ich fühle mich etwas besser.«
»Wir müssen nicht gehen …«
»Willst du mich verarschen? Ja, ich bin ein bisschen erschrocken, aber der Gedanke, eine Einladung von Bianca Summerlin zum Essen auszuschlagen, ist einfach nur schrecklich.«
Cheyenne brach in Gelächter aus und entriegelte den Panamera, als sie näher kamen. »Ja. Sie wird dich lieben.«