Kapitel 25

D u willst mich wohl verarschen.« Knapp zwei Stunden später stand Ember der Mund offen, als sie die flache Steigung der Schotterauffahrt hinauffuhren und Bianca Summerlins Villa in Sichtweite kam. »Du bist hier aufgewachsen?«

»Ich bin hier aufgewachsen.« Cheyenne betrachtete das Anwesen und rümpfte die Nase. »Also, ich will ganz offen sein, Em. Du bist die erste Person, die ich hierher mitgenommen habe. Also, jemals.«

»Was?«

»Ich weiß, es mag überraschend sein, aber ich bin kein großer Menschenfreund. Sozusagen von Natur aus.«

Ember blinzelte nur und schüttelte langsam den Kopf. »Mir fehlen die Worte.«

»Na gut, dann mach wenigstens deinen Mund zu, bevor wir an der Haustür sind. Sie achtet sehr auf den ersten Eindruck.«

»Als ob jemand einen besseren ersten Eindruck hinterlassen könnte als das hier .« Die Fae deutete auf das Haus und lehnte sich auf dem Beifahrersitz vor. »Das ist unwirklich.«

»Ja, bis du dich daran gewöhnt hast, hier zu sein. Dann ist es sehr, sehr real.« Der Panamera kam sanft rollend auf dem Kies zum Stehen, nur wenige Meter von der breiten Steintreppe entfernt, die zur Eingangstür führte. Cheyenne stellte den Wagen ab, schnallte sich ab und erstarrte. »Scheiße.«

»Was?«

»Ich habe nicht an den Kies oder die Treppe gedacht.«

Als die Realität dieser Unannehmlichkeit der Fae dämmerte, stöhnte Ember und schlug ihren Kopf gegen die Kopfstütze. »Erster Eindruck. Das fängt ja gut an.«

»Okay, halt durch. Wir sind hier und wir werden eine Lösung finden, okay? Kannst du eine Minute warten?«

Ember zuckte mit den Schultern. »Ich könnte die ganze Zeit hier bleiben und hätte eine viel bessere Chance, mich nicht zu blamieren.«

»Woah. Em.«

»Was?«

»Komm schon. Schau mich an.«

Die Fae drehte langsam ihren Kopf, eine Augenbraue hochgezogen. »Was?«

»Alle wollen dich hier haben. Alles Andere ist uns egal, verstanden?«

»Es ist mir nicht egal.«

Cheyenne lächelte aufmunternd. »Jetzt hör schon auf damit, okay?«

»Ja, du hast leicht reden. Dir ist es egal, was andere Leute von dir denken.«

»Eine Fähigkeit, die durch jahrelanges Training verfeinert wurde, nur um das klarzustellen.« Die Halbdrow nickte und öffnete den Kofferraum. »Du schaffst das. Ich helfe dir.«

Als die Halbdrow aus dem Auto ausstieg, beruhigte sie der frische Duft der Kiefern, der Erde und der Blumen im Vorgarten. Es war eine Art der Ruhe, von der sie vergessen hatte, dass sie sie verspüren konnte. Es hat immer noch seine Vorteile, ›nach Hause zu kommen. Sie schnappte sich den Rollstuhl aus dem Kofferraum, klappte ihn auf und brachte ihn zur Beifahrertür.

Ember sah sie verwirrt an, als die Halbdrow die Tür öffnete. »Was machst du da?«

»Ich werde dir in dieses Baby helfen.« Cheyenne klopfte auf die Rückenlehne des Stuhls. »Und dann werde ich mir überlegen, wie ich dich am besten ins Haus bringe, bevor du meine Mutter triffst.«

Ember nahm sich vor, einfach mitzumachen. »Okay. Los geht’s.«

»So ist es schon besser.« Cheyenne bückte sich und half ihrer Freundin aus dem Auto. Ember hatte kaum genug Kraft in den Armen, um sich auf den Armlehnen abzustützen, aber sie schaffte es. Als sie drin war, schloss die Halbdrow die Tür. »Das muss ein Rekord sein.«

»Wirklich? Es fühlte sich wie Stunden an.«

Cheyenne warf ihrer Freundin einen mitfühlenden Blick zu und drehte den Stuhl auf dem Kies herum, bis Ember einen Meter vor dem Panamera saß, direkt vor der Tür. »Sieht gut aus. Ich bin gleich wieder da, okay?«

»Ja.«

Die Halbdrow eilte auf die breite Steintreppe zu und musste fast lachen. So viel besser als beim letzten Mal, als ich hier war. Null FRoE-Agenten. Sie hüpfte die Stufen hinauf und strich ihr Hemd glatt, bevor sie schnell an die Haustür klopfte.

Sie öffnete sich und Eleanors stets errötetes, lächelndes Gesicht begrüßte sie auf der anderen Seite. »Na, sieh mal einer an!«

Die Frau öffnete die Tür ganz und breitete ihre Arme aus. Cheyenne ließ sich auf die erdrückende Umarmung ein, die Bianca Summerlins Haushälterin und enge Freundin immer zu bieten hatte und stöhnte ein wenig unter dem Druck. »Hi, Eleanor.«

Die Frau ließ Cheyenne los, trat zurück und drückte die Schultern der Halbdrow, bevor sie sie losließ. »Sag ihr nicht, dass ich es dir erzählt habe.« Eleanor warf einen kurzen Blick über ihre Schulter und senkte ihre Stimme. »Aber sie wäre fast durch das Haus getanzt, als du ihre Einladung ohne zu zögern angenommen hast.«

Cheyenne lächelte. »Sie würde niemals durch irgendetwas tanzen.«

»Ich sagte, fast .« Eleanor schlug die Tochter ihrer Arbeitgeberin spielerisch mit der Hand und schaute dann zur Tür hinaus auf die Treppe. »Ich dachte, du hast eine Freundin zu Besuch?«

»Ja, sie ist hier.« Cheyenne trat zurück auf den geschwungenen Treppenabsatz, drehte sich um und zeigte auf Ember. »Und da ist sie.«

Eleanor lächelte freundlich. »Hallo. Schön, dass du es geschafft hast.«

Als die Haushälterin der Fae enthusiastisch zuwinkte, legte sich Embers Nervosität so weit, dass ihr Kichern echt klang. Sie winkte zurück und rief: »Danke, dass ich hier sein darf!«

»Oh, sie ist wunderbar. Das sehe ich schon.« Eleanor lächelte die Fae im Rollstuhl immer noch an, schlug die Hände vor sich zusammen und murmelte Cheyenne zu: »Ihr braucht ein bisschen Hilfe, um reinzukommen, oder?«

»Ja. Hey, ich werde nichts über das Tanzen sagen, wenn du nichts über das sagst, was wir gleich tun werden.«

Die Haushälterin räusperte sich und legte den Kopf schief. »Du bist ein harter Brocken, Cheyenne.«

»Ich habe von den Besten gelernt.«

»Ich werde so tun, als ob du mich meinst und das als Kompliment auffassen.«

Die Halbdrow schmunzelte. »Natürlich.«

»Dann lasst uns loslegen.« Eleanor schritt schnell die Treppe hinunter und ein neues Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus, als sie und die Halbdrow sich ihrem Gast für den Abend näherten. »Schön, dich kennenzulernen, Ember. Ich bin Eleanor.«

»Freut mich auch, dich kennenzulernen.« Ember schüttelte die Hand der Frau und warf Cheyenne einen neugierigen Blick zu. »Alles in Ordnung?«

»Auf jeden Fall. Kann’s losgehen?«

»Äh, ja. Wie sollen wir …?«

»Warum überlässt du das nicht einfach uns, Ember?« Eleanor nickte mit ihrem gastfreundlichen Lächeln, als Cheyenne um die Stuhllehne trat und ihre Freundin herumwirbelte. Sie kippte den Stuhl gerade so weit zurück, dass die kleineren Vorderräder angehoben wurden, bevor sie Ember rückwärts zur Treppe zog.

Embers Augen weiteten sich und sie warf einen Blick auf die Halbdrow über ihre Schulter. »Cheyenne …«

»Wir machen das, Em. Kein Problem. Noch zwei Minuten, dann bekommst du die große Tour.« Sie erreichten das untere Ende der Treppe und Cheyenne stellte die Hinterräder gerade, bevor sie eine Stufe hinaufstieg. »Nur ein paar Unebenheiten. Wahrscheinlich.«

Eleanor fing den Blick der Fae auf und ließ ein kleines Kichern hören, als sie nach dem Rahmen des Stuhls unter dem Sitz griff. »Weißt du, Ember, Cheyenne hat vergessen zu erwähnen, dass sie heute Abend mit einem neuen Porsche vorfahren wird.« Die Haushälterin grunzte leise, als sie und Biancas Tochter die großen Hinterräder des Stuhls über die erste Stufe hoben. »Ehrlich gesagt bin ich eher geneigt, die Geschichte zu glauben, wie sie das Auto bekommen hat, wenn sie von ihrer Freundin stammt.«

»Wow.« Cheyenne lachte, als sie auf die nächste Stufe trat und sich zum Ziehen bereit machte. »Nach all dieser Zeit vertraust du mir nicht genug, um mir zu glauben, wenn ich mit meinem Auto prahle, was?«

Die Haushälterin richtete sich wieder auf, als die Halbdrow die nächste Hürde genommen hatte, dann stieß sie den Atem aus, den sie angehalten hatte und blickte kurz zu dem Mädchen auf, das sie auf dem Anwesen mit aufgezogen hatte. »Das ist genau das, was ich vermeiden will, meine Liebe. Deine Prahlerei.«

Mit einem weiteren Grunzen der Haushälterin schafften sie es eine weitere Stufe hinauf und hatten damit die Hälfte geschafft.

»Ich prahle eigentlich gar nicht, Eleanor.« Cheyenne richtete sich noch einmal auf und blickte über ihre Schulter. »Ich hebe mir die besten Geschichten nur für dich auf. Ich habe kein Wort über das Auto gesagt.«

»Aber du willst es doch.« Anheben, grunzen, ziehen. »Vergiss nicht, dass ich jeden deiner Schritte erwartet habe, seit du zwei Jahre alt warst.«

Die Halbdrow lachte laut und trat auf die letzte Treppenstufe. »Ach ja? Und ich bin dir immer noch einen Schritt voraus.«

»Nein, du bist – Oh. Du hast es wörtlich gemeint.« Eleanor kicherte und ihr Gesicht errötete noch tiefer, als sie und die Halbdrow Embers Stuhl ein letztes Mal die letzte breite Steinstufe hinauf hoben. »Unterschätze diese grauen Haare nicht, Cheyenne. Wir wissen beide, dass die meisten Leute nicht mit dir mithalten können, aber ich gehöre sicher nicht dazu.«

Die Haushälterin wischte sich die Hände ab, als Cheyenne Embers Stuhl über die Schwelle der Eingangstür und in das große Foyer von Bianca Summerlins abgelegenem Anwesen in Henry County zog.

»So viele Dinge ergeben jetzt viel mehr Sinn«, murmelte Ember.

»Ha! Ich mag sie.«

Cheyenne schmunzelte über die Zuversicht der Vertrauten ihrer Mutter, zuckte mit den Schultern und strich sich lose Haarsträhnen aus dem Gesicht. »Ja, sie ist in Ordnung.«

»Danke, Eleanor. Ich mag dich auch.« Das Lächeln der Fae ließ die andere Frau in ein schnelles, schrilles Lachen ausbrechen, das in dem riesigen Haus widerhallte.

»Das wird ein toller Abend!« Eleanor presste eine Hand an ihre Wange und schüttelte den Kopf. »Das ist …«

»Oh, gut. Ihr seid da« Bianca Summerlin trat vom Nordende des Hauses, vermutlich ihrem Arbeitszimmer, ins Foyer und schenkte den anderen dreien ein ruhiges, abschätzendes Lächeln. Ihr aufmerksamer Blick fiel auf Eleanor und die Augenbrauen der Frau zuckten kurz zu einem Stirnrunzeln. »Ist alles in Ordnung mit dir?«

»Auf jeden Fall.« Die Haushälterin versuchte noch immer, zu Atem zu kommen, als sie schnell nickte.

»Eleanor, du bist noch erröteter als sonst.«

»Oh, das ist nur die Hitze des Ofens und dass ich so schnell wie möglich hierher geeilt bin, um die beiden hereinzulassen.« Als Bianca eine Augenbraue hochzog, nickte Eleanor und warf Cheyenne einen Blick zu, bevor sie einen weiteren kurzen Lachanfall bekam und dann ganz aufhörte. »Ich sehe mal nach dem Essen.«

Die Frau eilte zum anderen Ende des Hauses und in die Küche. Bianca Summerlins Lächeln erblühte erneut, als sie Ember ansah. »Willkommen. Zuerst etwas zu trinken, denke ich, ja?«

»Auf jeden Fall.« Ember nickte und Cheyenne biss sich auf die Lippe, um ihr Lachen zu unterdrücken.

Ja, sie schafft das.