C heyenne.« Es war keine Frage, wie Ember sie davor gestellt hätte. Nicht von Bianca Summerlin.
»Ich weiß es nicht, Mom.« Die Halbdrow drehte Ember in Richtung Bianca und Eleanor, legte dann eine Hand leicht auf die Schulter ihrer Freundin und nickte ihrer Mutter zu. »Ich bin gleich wieder da.«
»Wenn du es nicht weißt, Cheyenne, halte ich es für keine gute Idee, dem hinterherzujagen.«
»Ja, aber wenigstens wird es mich nicht bis in dieses Haus verfolgen.« Die Halbdrow warf ihrer Mutter einen warnenden Blick zu und die feurige Entschlossenheit, die Bianca in den Augen ihrer Tochter sah, verschlug ihr den Atem. »Bleib einfach hier.«
»Was ist los?«, quietschte Eleanor.
Keiner hatte die Zeit, ihr zu antworten, bevor das Haus wieder wackelte. Cheyenne rannte schwankend zu den Doppeltüren und riss sie auf. Die ruhige Luft draußen auf der Veranda stand im Widerspruch zu dem zitternden Stein unter ihren Füßen und dem Echo der ächzenden Bäume und der Erde, bevor beide aufbrachen. Schwarzes und violettfarbenes Licht erstrahlte in langen Blitzen zwischen den Bäumen.
Auf halbem Weg zum Balkon blieb die Halbdrow stehen und riss sich zum gefühlt tausendsten Mal das Herz der Mitternacht vom Hals. Das wird langsam wirklich langweilig.
Sobald die Kette zerbrach, flammte Cheyennes Magie mit einer überwältigenden Intensität ihre Wirbelsäule hinauf und durch ihren ganzen Körper. Die Kraft der Magie ließ violettfarbene Funken aus ihren Fingerspitzen schießen, während ihr Haar von schwarz zu weiß wechselte und ihre blasse Haut sich verdunkelte. Für eine Sekunde färbte sich alles in ihrer Sicht violett, als violettfarbenes Licht hinter ihren goldenen Augen aufblitzte, dann verschwand das lilafarbene Licht und die Dunkelelfe sprintete auf das Geländer am Rande der Veranda zu.
Sie sprang darüber und fiel fast zwei Stockwerke tief.
»Oh, mein Gott, Cheyenne !« Ember versuchte, die Räder ihres Stuhls zu fassen zu bekommen, aber Bianca trat auf sie zu und berührte mit ihren Fingerspitzen sanft den Oberarm der Fae.
»Das ist in Ordnung. Das macht sie schon, seit sie neun ist.«
»Was?«
Eleanor schlug ihre Hände zusammen und führte sie an ihre zitternden Lippen, während alle drei Frauen auf den Rand der Veranda starrten. »Wir haben sie gefragt, warum sie diese Fähigkeit jemals brauchen würde.«
»Anscheinend, Eleanor, haben wir uns geirrt.«
Cheyenne landete auf dem Gras und rollte sich ab. In der nächsten Sekunde war sie wieder auf den Beinen und rannte über den gepflegten Rasen auf die blinkenden Lichter und das riesige Feld aus gefällten Bäumen und abgebrochenen Ästen zu. Es ist mir egal, was es ist, solange es sich vom Haus fernhält.
Sie wechselte in ihre Drowgeschwindigkeit und sprintete auf die Baumgrenze zu. Sie taumelte fast zurück, als sie sah, was sich hinter dem dunklen Lichtblitz vor ihr befand.
Ein gefrorener, schwarzer Tentakel erhob sich auf halber Strecke hinter dem Licht, zwei weitere kreuzten sich hinter ihm, verschwommen durch den gefrorenen Schimmer des Lichts. »Das soll wohl ein Scherz sein.«
Sie verließ die übernatürliche Geschwindigkeit, um die blinkenden Lichter in Echtzeit zu betrachten. Der Boden bebte erneut unter ihr und weitere Bäume splitterten und fielen krachend um. Eine riesige, dicke Eiche ächzte, bevor sie zur Seite fiel. Dreck, Gras, Blätter und Zweige flogen auf, als der massive Stamm am Rande des Feldes auf den Boden krachte und das ganze Wurzelsystem aus der Erde riss. Ein Regen aus Dreck und zerfetzten Wurzeln regnete auf den Waldboden.
Cheyenne streckte ihre Finger aus, biss die Zähne zusammen und atmete schwer, als sie den Wald absuchte. Sie können n ur durchkommen, wenn es ein richtiges Portal gibt.
Als ob die Erde ihre Gedanken gelesen hätte, erhob sich ein weiterer ohrenbetäubender Knall aus dem Boden und eine gezackte, schwarze Linie zog sich über die Erde, wo der riesige Baum entwurzelt worden war. Der Riss lief im Zickzack auf die Halbdrow zu und zwischen ihren Füßen durch, bevor sie zur Seite sprang. Dann bebte der Boden und ein Brüllen ertönte. Die schwarzen und violettfarbenen Lichter blitzten schneller zwischen den Bäumen auf.
Der Blick des Halbwesens huschte über die Baumgrenze, bis sie den magischen Blitzen nicht mehr folgen konnte. Ein dumpfes Grollen, das klang, als würde ein Raubtier in ein Kissen brüllen, erhob sich zu Cheyennes Füßen. Ihr Drowgehör war mehr als ausreichend, um zu wissen, dass es von unten kam. Von der Grenze. Aus dem Dazwischen.
»Scheiß drauf.« Sie stählte sich und wartete, denn das war alles, was sie tun konnte. Vielleicht auch nicht.
Sie konzentrierte sich auf ihre Magie und auf den zerklüfteten Riss in der Erde, der sich nicht viel weiter als einen oder zwei Meter geöffnet hatte. Sie streckte ihre Kraft aus und tastete nach dem Widerstand in und um die Erde und fand ihn.
Ihre Arme und Schultern schmerzten, als sie ihre Finger über den magischen Vorsprung hakte und ihre Fähigkeit nutzte, Erde und Stein zu manipulieren, um alles wieder zusammenzuziehen, bevor das Chaos noch schlimmer werden konnte. Der Boden bebte und ächzte wieder und die Ränder des zerklüfteten Risses schoben sich zusammen. Ja .
Der Boden brach erneut unter ihren Füßen auf und ein schwarzer Steinspeer schoss genau dort aus dem Boden, wo die Halbdrow stand. Er warf Cheyenne nach hinten und sie schlitterte über den Boden. Die Luft dröhnte, als eine glitzernde Spitze nach der anderen aus der Nichtwelt des Dazwischen in diese sehr reale Welt eindrang.
Die Halbdrow sprang wieder auf die Füße und rannte die Reihe der ausbrechenden Steinsäulen hinunter. Sie streckte beide Hände aus und versuchte, die Energie ihrer Magie zu nutzen, um den Rest des Portalkamms aufzuhalten. Zwei weitere Säulen brachen kurz hinter der Baumgrenze durch und schleuderten ein halbes Dutzend Bäume in die Luft. Dann stoppte der Portalkamm und erstreckte sich nur noch etwa zehn Meter weit.
Cheyenne ließ ihre Hände fallen und zischte, als sie nach Luft schnappte. Der Wald verstummte, als die letzten Brocken Erde von den Spitzen der schwarzen Türme herabstürzten. Dann war da nichts mehr.
»Okay.« Die Halbdrow nickte mit dem Kopf und beäugte die Linie der Felsspeere in der Mitte ihres Gartens. Also nur ein kleines Stück. Vielleicht wird es nicht …
Ein durchdringendes Pfeifen wie ein Teekessel ließ sie von der Pforte weg taumeln, kurz, bevor eine Wand aus schimmerndem, dunklem Licht zwischen den schwarzen Türmen direkt in den Himmel schoss. Sie war nicht annähernd so hoch wie das Portal vom letzten Mal, aber das spielte keine Rolle. In dem Reich, das eigentlich nicht hier sein sollte, bewegten sich dunkle, schlängelnde Gestalten hin und her.
»Verdammt!« Cheyenne beschwor Kugeln aus knisternder, schwarzer Energie in beiden Händen und wartete.
Zurück im Haus stand Bianca hinter Embers Stuhl am Rande der offenen Doppeltür. Neben ihr bedeckte Eleanor ihren Mund mit beiden Händen und schaute auf den riesigen, gezackten Grat aus schwarzem Stein, der in einer geraden Linie vom Waldrand über den Rasen ragte. Ember hielt sich an den Armlehnen ihres Stuhls fest und biss sich auf die Lippe.
Bianca hob ihr Kinn und zog eine Augenbraue hoch. »Ich glaube nicht, dass selbst George danach noch in der Lage sein wird, die Landschaft zu reparieren.«
Eleanor schnalzte mit der Zunge. »Oh, ja. Ja, natürlich. Das ist im Moment das größte Problem.«
»Wenn du darauf wartest, dass ich mir Sorgen um meine Tochter mache, Eleanor, wirst du sehr lange warten müssen. Cheyenne kann damit umgehen.«
»Ich verstehe nicht, wie du dir da so sicher sein kannst.«
»Ich weiß es einfach.« Bianca blickte auf die junge Frau vor ihr hinab. »Ich bin mir sicher, Ember wird mir zustimmen. Du hast sie kämpfen sehen.«
Die Fae schluckte heftig. »Ehrlich gesagt, nein. Habe ich nicht.«
»Hmm. Nun, ich schon.« Die Mutter der Halbdrow seufzte. Ich hätte doch den Wodka mitnehmen sollen.
Fast hätte sie sich umgedreht, um genau das zu tun, aber der Anblick zweier langer, schlangenartiger Tentakel, die aus dem dünnen, dunklen Lichtstreifen schossen, den sie kaum sehen konnte, ließ sie innehalten.
Die Tentakel peitschten auf Cheyenne zu und schlugen auf den Boden, während die Halbdrow von einer Seite zur anderen hüpfte und Angriffszauber ausstieß.
Eleanor warf ihrer Arbeitgeberin einen Seitenblick zu. »Hast du auch gesehen, wie sie mit so etwas kämpft?«
Bianca presste ihre Lippen zusammen. »Hör auf zu reden.«