Kapitel 29

C heyenne schoss knisternde, schwarze Kugeln auf die beiden Tentakel, die durch den Spalt im Portal peitschten. Einer von ihnen schlug nach ihrem Kopf. Die Halbdrow duckte sich und wich zur Seite aus, um einen weiteren Angriff zu starten, gerade als sich ein winziger Mund an der Unterseite des Tentakels öffnete und spuckte. Ein dicker, rauchender Klumpen traf auf die schimmernde Oberfläche des gut getimten Schildes der Halbdrow und brannte ein Loch in das Gras, sobald er zu Boden ging.

Mit einem Grunzen stellte sich Cheyenne frontal gegenüber dem Portalspalt hin. Nur eine weitere Trainingseinheit, Halb blut . Mehr ist das nicht. Sie schüttelte ihre Hände und wippte ein wenig auf ihren Fußballen. »Los geht’s, Nimlothar. «

Als sie an den glühenden, violettfarbenen Samen dachte, breitete sich in ihrem Inneren ein stärkeres Kribbeln aus. Sie holte tief Luft und beobachtete die Tentakel, die über ihr winkten. Jetzt geht’s los.

Ein dritter Tentakel schoss zwischen den beiden anderen hervor und steuerte auf die Brust der Halbdrow zu. Cheyenne schrie und bewegte sich ohne nachzudenken, indem sie ihre Hand ausstreckte, als wolle sie ein dickes Spinnennetz wegfegen. Ein Kreischen ertönte aus dem Portal, als die dritte Ranke in die gleiche Richtung wie der Arm der Halbdrow zuckte. Das Ding riss in der Mitte auseinander und verspritzte eine schwarze Flüssigkeit, während das Ende des abgetrennten Tentakels in den Wald flog.

»Okay …« Cheyenne schritt langsam vor den anderen Tentakeln her, die wie wild hin und her peitschten. »Zeig mir, was du drauf hast.«

Die Tentakel hörten auf, wild zu flattern, versteiften und bogen sich, bevor sie sich mit spitzen Enden in die Erde bohrten. Sie wich ein paar Schritte zurück und erhaschte einen Blick auf glühende, rote Augen im schimmernden, schwarzen Licht des Portals. Zwei weitere knisternde Kugeln schossen aus ihren Händen in das Zentrum dieser verschwommenen, roten Augen und die Tentakel, die jetzt stachelige Beine waren, erhoben sich, um wieder auf den Boden zu knallen. Dann zog sich das Ding, das aus dem Dazwischen aufgetaucht war, über das Gras.

Ein Bein nach dem anderen knallte in die Erde. Die verschwommenen, roten Augen erstarrten, als sich ein wogendes, sich veränderndes Gesicht aus dem Portal löste. Zwei klaffende Mäuler öffneten sich direkt hintereinander, zeigten jeweils zwei Reihen von Reißzähnen und trieften vor Schleim, den Cheyenne sich nicht ansehen konnte.

Sie beschoss die alptraumhafte Kreatur wieder und wieder mit ihren Energiekugeln und trat langsam rückwärts über das Gras. Ein Schatten tauchte hinter der Portalwand auf, dann segelte ein dicker, schlangenartiger Schwanz mit einer gebogenen Kugel und einer scharfen, glitzernden Spitze durch die Luft auf sie zu.

Cheyenne wich erneut zur Seite aus und schickte weitere Angriffe auf die riesige Spitze des hartschaligen Schwanzes. Toll, jetzt gibt es auch noch Skorpione.

Der Schwanz riss sich von der Stelle los, an welcher der Stachel im Boden steckte und verspritzte Schmutz und Gras in alle Richtungen. Dann schlug er nach ihr aus und die Halbdrow stieß ihn diesmal mit beiden Händen zur Seite. Der Körper der Kreatur taumelte zur Seite. Eines der Beine, die noch immer im Boden steckten, brach mit einem Knirschen ab und das Ding kreischte erneut.

Nächste Prüfungsfähigkeit. Benutze sie.

Sie dachte wieder an den Nimlotharsamen und nutzte den erneuten Schub an magischer Energie, um ihre Hände voneinander wegzuziehen. Der Albtraum-Skorpion zitterte und spaltete sich in der Mitte, wobei ein klaffendes, rotes Maul in zwei Hälften zerrissen wurde, aber die beiden dickeren Tentakel, die auf beiden Seiten des zuckenden Körpers des Dings durch die Portalwand brachen, wischten der Halbdrow die Freude über den Triumph aus dem Gesicht.

Cheyenne beschoss einen mit einer schwarzen Kugel, während sich der andere um ihre beiden Schenkel wickelte. Diesmal hatte er keine Widerhaken, aber er drückte so fest zu, dass sie aufschrie. Sie umklammerte den Tentakel mit ihren Händen und beschwor noch mehr schwarze Energie herauf, aber der zweite Tentakel krachte gegen ihre Hände wie eine Metallstange.

»Ah!« Die Halbdrow riss ihre Hände weg, ihre Beine und Hüften schmerzten unter dem wachsenden Druck. Der zweite Tentakel peitschte um ihren Oberkörper und drückte ihre beiden Arme an ihre Seiten.

»Fick dich!« Cheyenne wehrte sich gegen den immer fester werdenden Griff der pulsierenden, schwarzen Tentakel, die sich immer weiter um sie schoben. Sie drückte ihre Handflächen gegen die Unterseite des fiesen Anhängsels, das ihre Arme nach unten drückte und schaffte es fast, weitere Kugeln zu beschwören. Widerhaken schossen aus den Tentakeln unter ihren Händen und schnitten durch ihre Handflächen und sie konnte nur noch brüllen und ihre Hände wegreißen.

Die albtraumhafte Kreatur erhob sich auf ihren neuen Beinen, taumelte und schleppte sich aus dem neuesten Grenzportal in Bianca Summerlins Hinterhof. Zwei weitere Paare rot glühender Augen schimmerten hinter der Mauer und blinzelten ihr langsam zu, während die Tentakel Cheyenne langsam vom Boden hochhoben.

Sie stöhnte, biss die Zähne zusammen und spannte jeden Muskel gegen den zunehmenden Druck an. Ihr Atem kam in kurzen Stößen und sie ballte ihre Hände zu Fäusten, wobei sie das stechende Brennen ihrer durchbohrten Handflächen ignorierte. So werde ich nicht sterbe n . Auf keinen Fall.

Der Boden bebte erneut, als sich der Rest der tentakeligen Skorpionbestie durch die Portalöffnung schob. Dann hob sich das Ding auf dicke, untersetzte Hinterbeine und öffnete den Spalt, den Cheyenne in seinen Körper gerissen hatte, zu einem weiteren roten Maul. Indem es seine Tentakel zu sich zurückzog, drückte es die Halbdrow noch fester an sich und begann, sie in Richtung der rasiermesserscharfen Zahnreihen in dem klaffenden Maul zu ziehen.

Die Halbdrow konnte nicht atmen. Sie konnte sich kaum bewegen. Sie schloss die Augen und konzentrierte sich wieder auf das Bild des glühenden Nimlotharsamens. Ich bin noch nicht fertig.

Schwarze Flammen züngelten über die Haut der Halbdrow. Die Kreatur kreischte und hob sie zurück in die Luft, aber es war zu spät. Als die Tochter von L’zar Verdys ihre Augen öffnete, wurde ihr goldenes Leuchten durch ein schwarzes Licht ersetzt, das noch stärker war als das des aufgerissenen Portals. Schwarzes Feuer brannte um ihre Augen und während ihre Lungen nach Luft rangen, gab sich Cheyenne der Drowmagie hin, die sie durchströmte.

Die Flammen, die sie umhüllten, verwandelten sich in einen riesigen, brodelnden Ball aus dunklem Licht. Dieser zerfetzte die Tentakel, die das Leben aus Cheyenne herauszuquetschen drohten und fiel über die Arme des albtraumhaften Wesens aus dem Dazwischen her, bis nichts mehr übrig war. Die Tentakel zerfielen zu Asche und die Halbdrow schwebte immer noch in der Luft, im Zentrum des Drowfeuers.

Cheyenne zog tief Luft in ihre leeren Lungen und schrie.

Die Flammen lösten sich von ihr, strömten auf die kreischende Bestie zu und sprengten sie in glitzernde Fragmente aus schwarzem Panzer und verkohlten Überresten. Jedes Stück des Dings, das von jenseits des Portals in diese Welt eingedrungen war, löste sich auf und schnitt das letzte durchdringende Kreischen ab, bevor nichts mehr übrig war.

Die Halbdrow schwebte zurück auf den Boden und brach zusammen, weil ihre Beine sie nicht mehr aufrecht halten konnten. Das Feuer war verschwunden und als sie ihre Augen mit einem weiteren keuchenden Atemzug und einem Stöhnen öffnete, war das goldene Glühen hinter ihnen zurückgekehrt.

»Cheyenne!« Biancas Ruf hallte über der grünen Wiese zwischen ihnen wider.

Knurrend rappelte sich die Halbdrow auf und kämpfte darum, wieder zu Atem zu kommen. Sie musste sich bücken und sich mit beiden Händen auf den Knien abstützen, aber sie hob eine dieser Hände in Richtung des Hauses.

»Mir geht es gut«, keuchte sie. »Mir geht’s gut!«

Das leise Echo drang kaum bis zu Bianca Summerlin durch, die am Rand der Veranda stand und sich mit beiden Händen am Geländer festhielt. Sie schluckte und riss sich zusammen, aber sie bewegte sich nicht, bis sie sah, wie ihre Tochter sich aufrichtete und zurück zum Haus ging.

Das Augenlid der Frau zuckte, als sie auf die offene Balkontür des Hauses zuging. Eleanor stand neben Ember und ihre Münder blieben offen stehen, als sie entgeistert auf den dunklen Steinwall und die Halbdrow blickten, die sich von ihm entfernte. Bianca warf ihnen einen flüchtigen Blick zu, bevor sie ins Haus trat. »Es geht ihr gut.«

Eleanor schloss ihren Mund und räusperte sich. »Ich werde einfach …« Sie klopfte Ember auf die Schulter und drehte sich verwirrt um, um zur Vorderseite des Hauses zu gehen.

Die Fae beobachtete Cheyenne, bis die Halbdrow unter dem breiten Rand der Veranda verschwand, dann drehte sie den Rollstuhl langsam herum. Eine ihrer verschwitzten Hände rutschte auf dem Rad ab, aber sie fing sich und versuchte es erneut.

An der Bar füllte Bianca ihr Glas mit Wodka und kümmerte sich weder um das Soda noch um die Zitrone. Nicht einmal Eis. Sie nahm einen großen Schluck und atmete tief durch ihre Zähne ein. »Das war auf jeden Fall unterhaltsam.«

Embers Mund öffnete und schloss sich schnell wieder, bevor sie ihre Stimme fand. »So kann man es auch sagen.«

»Mmhmm.« Bianca nahm noch einen langen Schluck und stellte das halbleere Glas wieder auf den Tresen. »Das ist genug.« Sie schaute Ember an und atmete tief durch ihre Nase ein. »Falls du dich fragst, Ember, ich bin immer noch sehr froh, dass ihr euch entschieden habt, uns heute Abend Gesellschaft zu leisten.«

Ein ungewolltes Lachen entrang sich dem Mund der Fae, den sie sofort wieder verschloss. »Ich auch.«

Die Frau nickte und wies mit einer Geste auf die andere Seite der Treppe. »Sollen wir?«

»Nach dir.« Ember senkte den Kopf und ihre Augen brannten, weil sie irgendwie nicht blinzeln konnte.

Bianca ging schnell an der Fae vorbei und Ember zwang sich, den Schock zu überwinden, um über die glänzenden Böden der Summerlin-Villa zu rollen.

Als sie das Foyer erreichten, hatte Eleanor bereits die Haustür geöffnet. Die Gothversion von Cheyenne erschien auf der rechten Seite des Hauses. Sie ging achtlos an den Büschen im Vorgarten vorbei und riss dabei Äste ab. Keiner sagte etwas dazu.

Die Halbdrow stieg die breiten Steinstufen hinauf und hielt inne, als sie alle drei Frauen in der Tür stehen sah. »Nun, zumindest wissen wir, was das Erdbeben verursacht hat.«

Dann trat sie ins Haus und drängte sich an allen vorbei, um sich selbst ein wenig Platz zu verschaffen. Eleanor schloss die Tür fest und blieb mit der Hand auf dem Türknauf stehen.

»Vielleicht möchtest du uns aufklären, was das für ein Ding war?«, murmelte Bianca.

Cheyenne holte ihr Handy aus der Gesäßtasche, entsperrte es und sah ihre Mutter an. »Etwas, das nicht hier sein sollte.«

»Ja, das ist mehr als offensichtlich, Cheyenne. Aber das habe ich nicht gefragt.«

»Nun, du hast mich eigentlich gar nichts gefragt«, entgegnete die Halbdrow. Sofort ließ sie das Handy sinken und sah Bianca an. »Es tut mir leid, Mom.«

»Ich weiß deine Entschuldigung zu schätzen, Cheyenne, aber ich hätte es dir nicht übel genommen, wenn du sie nicht gegeben hättest.« Bianca hob die Augenbrauen und nickte. »Ich würde trotzdem gerne wissen, was gerade in meinem Garten passiert ist.«

»Auch wenn es magisches Zeug ist?«

Im Foyer herrschte eine angespannte Stille. Bianca trat zurück und drehte sich um, um Embers Blick zu begegnen. »Da du nicht reagierst, gehe ich davon aus, dass du schon viel darüber weißt?«

Die Fae legte den Kopf schief und zuckte leicht mit den Schultern. »Ich könnte ein Teil dieser Welt sein, ja.«

»In Ordnung.« Bianca nickte und schaute Eleanor an. »So aufschlussreich diese Information auch sein mag, sie ändert nichts an dem, was gerade draußen passiert ist.«

»Ich weiß.« Cheyenne hob ihr Handy wieder hoch und fing den Blick ihrer Mutter auf. »Ich muss einen Anruf machen. Danach werde ich hoffentlich auch mehr wissen. Dann kann ich dir sagen, was das war, wenn du es immer noch hören willst.«

Bianca betrachtete ihre Tochter und schürzte ihre Lippen. »Wir lassen dich ein bisschen allein.«

Eleanor zuckte zusammen, als ihre Arbeitgeberin um die Seite der riesigen Villa herum in Richtung ihres Arbeitszimmers im hinteren Teil des Hauses verschwand. Die Haushälterin folgte ihr schnell und blieb stehen, um ihre Arme um Cheyenne zu legen und die Wange der Halbdrow ebenso kräftig zu küssen, wie sie sie umarmte. Die Halbdrow zuckte zusammen und Eleanor ließ sie sofort los. »Tut mir leid. Es tut mir leid. Was tut dir weh?«

Cheyenne verzog das Gesicht und schüttelte den Kopf. »Alles.«

»Hmm.« Die Haushälterin hob eine Hand an die Wange der Halbdrow, nickte und trat um sie herum, um Bianca nachzueilen.