E mber schaute Cheyenne schockiert an, nachdem beide Frauen hinter der Kurve der großen Treppe in der Mitte des Foyers verschwunden waren. »Hat sie vor irgendetwas Angst?«
»Nicht viel, nein.« Die Halbdrow rief Corians Nummer auf und drückte das Handy an ihr Ohr.
Er nahm nach dem dritten Klingeln ab. »Ich weiß, dass du schlau genug bist, mich nicht wegen derselben Sache anzurufen, nachdem du vorhin mit der SMS einen kleinen Fehler gemacht hast.«
»Ja, mir geht’s gut. Danke, dass du gefragt hast. Ich wäre aber gerade fast gestorben.«
»Wo ist der Anhänger?«
»Es ist hier. Ich lege ihn um, wenn wir fertig sind.«
»Cheyenne, ich werde warten.«
Sie seufzte, steckte das Handy in ihre Gesäßtasche und zog die kaputte Silberkette mit viel zu vielen Knoten heraus, um einen neuen zu machen. Das Herz der Mitternacht blitzte in einem blassen, silbernen Licht auf und sie holte ihr Handy wieder heraus. »So. Ich glaube übrigens, dass es jetzt ziemlich schnell nachlassen wird.«
»Das musste ja passieren. Wir werden uns darum kümmern, wenn wir müssen. Was ist passiert?«
»Okay. Das kleine Problem, das wir gestern auf unserer Fahrt nach Maryland hatten? Beim ersten Mal.«
»Ja?«
Cheyenne warf einen Blick auf die gewölbte Decke des Foyers. »Nun, ich habe gerade noch so eins gefunden. Oder es hat mich gefunden. Ich habe keine Ahnung.« Die Leitung war still und die Halbdrow nahm das Handy vom Ohr, um sich zu vergewissern, dass sie noch verbunden waren. »Corian?«
»Wo?«
»Im Haus meiner Mutter.«
Ein leises Fluchen kam über die Leitung. »Hat es sich schon geöffnet?«
»Oh, ja. Auf jeden Fall. Ich glaube, ich habe es für den Moment erledigt, aber ich habe keine Ahnung, wie lange das so bleiben wird.«
»Ganz allein?«
Cheyenne nickte und warf Ember einen enttäuschten Blick zu. »Ja, ganz allein. Ich bin die Einzige hier, die etwas dagegen tun kann.«
»Ist es eine so große Bedrohung wie das letzte?«
»Corian, ich habe keine Ahnung. Deshalb rufe ich dich an. Es ist nicht annähernd so groß wie das letzte, aber es liegt direkt hinter dem Haus meiner Mutter. Auf ihrem Grundstück. Wäre es noch näher am Haus gewesen, hätte es das ganze Haus einstürzen lassen können.«
»Das ist ein gutes Zeichen, dass du dich selbst darum gekümmert hast.«
Die Halbdrow schnaubte. »Nicht wirklich. Das mit dem Fast-Sterben war kein Scherz. Schwarzes Feuer. Mehr kann ich am Handy nicht sagen …«
»Cheyenne, hör auf. Hast du das gerade benutzt ?«
»Ich meine, vielleicht vor zehn Minuten, aber ja. Das ist der einzige Grund, warum ich noch hier bin, um mit einem so fröhlichen Kerl zu telefonieren.«
»Überprüf die Kiste.«
Sie biss die Zähne zusammen. »Kann ich nicht. Ich habe sie zu Hause vergessen.«
»Ich werde sehen, ob ich das umgehen kann. Aber wir müssen sehen …«
»Hey, das ist mir im Moment egal. Das Einzige, was ich tun muss, ist sicherzustellen, dass sich das Ding nicht wieder öffnet und den Laden in Stücke reißt. Was sollen wir denn jetzt machen? Deshalb habe ich dich angerufen.«
Corian hielt wieder inne und die Halbdrow machte sich diesmal nicht die Mühe, auf ihr Handy zu schauen. »Am besten ist es, wenn alle, die im Haus wohnen, das Grundstück verlassen. Geht an einen sicheren Ort. Entfernt euch von der Bedrohung. Ich bin sicher, das weißt du bereits.«
»Ja und ich bin mir auch sicher, dass das nicht passieren wird. Ich werde sie darum bitten, aber was soll ich tun, wenn sie sich weigert?«
»Das Nächstbeste ist, deine F-Force-Freunde zu rufen.«
Cheyenne verdrehte die Augen. »Oh ja, Forencode am Handy, ganz toll.«
»Ruf sie an, Cheyenne. Sie sollen ein Team schicken, das zumindest für eine Weile Wache hält. Wenn noch etwas anderes durchkommt, werden sie es erledigen.«
»Keiner von ihnen hat die Überfahrt gemacht. Sie werden nicht wissen, was sie tun sollen.«
»Das spielt keine Rolle. Sie sind Soldaten. Mehr oder weniger. Ihre Waffen sind fast so stark wie unsere Waffen. Verstehst du? Lass sie Wache halten und es wird ihr nichts passieren.«
»Gut. Was ist mit dir?«
»Was soll mit mir sein?«
»Kannst du hierherkommen?«
»Nein. Ich bin komplett damit beschäftigt, die Teile zusammenzusetzen, die wir gestern gefunden haben und wir sind gerade dabei, eine Spur zu diesem Namen zu verfolgen.«
»Oh, toll. Danke, dass du mir gesagt hast, dass du etwas gefunden hast.«
Corian räusperte sich. »Es ist einfach passiert, Kleine. Ich bin fast nicht an mein Handy gegangen. Mach deinen anderen Anruf, warte ab und schick mir deine Adresse.«
»Wirklich?«
»Wenn ich Zeit habe, komme ich vorbei, um ein paar Sachen zu holen. Wo hast du die Kiste gelassen?«
»Nachttisch. Hey, wenn du dich doch in meine Wohnung schleichst, nimm auch die Salbe aus Schwarzzunge mit. Bitte! Ich muss das Zeug immer bei mir haben.«
»Hast du es schon benutzt?«
»Mhm.«
Ein leises Kichern entkam dem Nachtpirscher, dann kam Persh’als Stimme von irgendwo anders im Raum. »Ich muss los, Mädel. Ich sage dir Bescheid, wenn ich weiß, wann ich komme. Wenn sich etwas anderes ergibt, schick mir eine weitere SMS. Sauber . Mein Handy wird heute Abend eine Weile auf lautlos gestellt sein.«
»Okay. Danke.«
»Cheyenne? Wenn du dich so gekümmert hast, wie du sagst, dann sind wir nah dran. Verstehst du?«
»Ja.«
»Ich bin stolz auf dich.«
Die Halbdrow stieß ein peinlich berührtes Lachen aus. »Viel Spaß dabei, deiner Spur zu folgen.«
Sie legte auf und holte tief Luft. »Scheiße.«
»Was ist los?« Ember saß starr auf ihrem Stuhl und schaute ihre Freundin mit großen Augen an.
»Ich kann nicht glauben, dass ich mich darüber aufrege, dass ich das Wegwerfhandy nicht bei mir habe.«
Die Fae runzelte die Stirn. »Ich hätte nicht gedacht, dass das alles noch viel mit der FRoE zu tun hat.«
»Normalerweise nicht, aber Corian scheint zu glauben, dass sie damit umgehen können. Zumindest besser als gar nichts zu tun. Ich habe keine Möglichkeiten mehr.«
»Hey, ich würde dir anbieten, nach Hause zu fahren und es zu holen, wenn das auch nur im Entferntesten möglich wäre.«
Cheyenne sah auf und schenkte ihrer Freundin ein schwaches Lächeln. »Danke, Em. Ich brauche das Handy nicht. Ich habe nur versucht, nicht dieses hier zu beschmutzen, indem ich sie damit anrufe.« Die Halbdrow tippte sich an die Schläfe. »Ich habe die Nummer schon so oft gesehen, dass sie mir im Gedächtnis geblieben ist.«
»Das ist ein Glück, denke ich.«
»Ja. Hey, du kannst gerne mit den anderen abhängen. Sie sind wahrscheinlich gerade dabei, sich zu besaufen, also wird es wenigstens entspannt sein.«
Ember lachte. »Du könntest einfach sagen, dass du deine Ruhe haben willst, weißt du?«
»Bleib, wenn du willst. Es macht mir nichts aus. Es wird aber eine … harte Unterhaltung.«
Die Fae blinzelte und schürzte ihre Lippen. »Ich glaube, in meinem Glas ist noch etwas Gin übrig. Ich werde mal nachsehen.«
Cheyenne schnaubte und sah zu, wie ihre Freundin aus dem Foyer auf den breiten Flur an der Seite des Hauses zurollte. »Sag ihr bitte nicht, wen ich gerade anrufe, okay?«
»Ich bezweifle ernsthaft, dass irgendjemand von uns darüber reden will.« Die Fae zwinkerte ihrer Freundin zu und hielt inne. »Das war ganz schön knapp da draußen, oder?«
Die Halbdrow kaute auf ihrer Unterlippe und nickte. »Nah dran, aber keine Chance.«
Ember lachte angespannt, schüttelte den Kopf und ließ die Halbdrow allein im Foyer zurück, um noch einen Anruf zu tätigen.
Cheyenne starrte auf das Display ihres Handys und seufzte. »Er ist mir was schuldig und danach wird er mir noch was schuldig sein.«
Sie wählte die FRoE-Nummer von Major Sir Carson, die sie auswendig konnte und hob das Mobiltelefon langsam an ihr Ohr. Sie dachte, er würde nicht abnehmen, als der Anruf fünf Mal klingelte, aber er nahm beim sechsten Mal ab.
»Wo ist das verdammte Handy, das ich dir gegeben habe, Halbblut?«
Sie runzelte die Stirn. Natürlich hat er meine Nummer nachgeschlagen. »Nicht verfügbar.«
»Nun, stell es zur Verfügung. Das ist Teil der Abmachung.«
»Das ist doch jetzt egal, oder? Sie haben meine persönliche Nummer schon seit einer Weile und Sie können es aufgeben, das zu erklären. Im Moment ist mir das scheißegal.«
Sir räusperte sich. »Also, was ist passiert?«
Auf geht’s. »Ich brauche ein Team im Haus meiner Mutter, so vor zehn Minuten.«
Er schnaubte. »Bist du gerade besoffen oder so? Vielleicht zu viel LSD oder du hast zu viele Magic Mushrooms geraucht?«
»Äh, ich glaube nicht, dass das so …«
»Weil mir kein anderer verdammter Grund einfällt, warum du mich von deiner Privatnummer aus anrufen solltest, um Forderungen zu stellen, Halbblut. Ich mag es nicht, wenn man mich betrunken anruft.«
Cheyenne hielt inne und schloss langsam ihre Augen. »Sind Sie fertig?«
»Bist du das?«
»Nein und Sie wollen wirklich hören, was ich jetzt zu sagen habe.«
»Das entscheide ich selbst. Los.«
Mein Gott, er ist verrückt. »Nur damit Sie mir nicht wieder vorwerfen, dass ich auf Drogen bin, ich sage das so, weil wir eine offene Verbindung haben.«
»Willst du mir sagen, dass du nicht irgendeinen raffinierten Trick mit deinem Handy gemacht hast, um es besonders privat zu halten?«
»Nein, habe ich schon. Aber ich bin mir auch ziemlich sicher, dass Leute, von denen Sie nichts wissen, es trotzdem anzapfen könnten, also hören Sie mir einfach zu. Es gibt noch eine andere Möglichkeit.«
»Eine was?«
»Einen anderen Ort zum Passieren.«
»Zieh deinen Kopf aus deinem Arsch und sag etwas Intelligentes.«
Cheyenne brummte frustriert und zwang sich, ihr Handy nicht quer durchs Haus zu werfen. »Das ist der ganze Grund, warum ihr das macht, was ihr macht, Mann. Kommen Sie schon! Die verdammten Öffnungen, die ihr überall auf der Welt reguliert. Klingelt da was?«
Sir hielt beunruhigend lange inne. »Willst du mir sagen, dass es auf der schicken Ranch deiner Mutter gerade eine gibt?«
Endlich. »Ja.«
»Bist du …?«
»Ja, ich bin mir sicher.«
»Verdammt noch mal!«, brüllte Sir.
Die Halbdrow riss das Handy von ihrem Ohr weg und konnte immer noch jeden Fluch und jeden erfundenen Halbfluch hören, den der FRoE-Direktor brüllte. Als es ruhiger wurde, drückte Cheyenne das Handy langsam wieder an ihr Ohr und hörte sein schweres Atmen.
»Ich habe es bereits überprüft«, berichtete sie. »Und es ist nicht … normal. Deshalb brauche ich hier oben ein paar Leute. Meine Mutter wird ihr Haus sicherlich nicht verlassen, wie Sie wahrscheinlich schon wissen und ich kann es nicht allein bewachen.«
»Was meinst du mit ›nicht normal‹?«
»Es kommen Sachen raus, die nicht rauskommen sollten. Auch das kann ich Ihnen am Handy nicht sagen. Aber ich bin dafür, dass Sie es Ihren Leuten persönlich sagen, wenn Sie sie schicken.«
»Wenn ich sie schicke.«
»Wir haben keine Zeit, uns mit Ihrem Überlegenheitskomplex herumzuschlagen, Sir . Ich hätte Sie nicht anrufen müssen, um Ihnen das zu sagen.«
»Und ich muss dir einen Scheiß schicken.«
Cheyenne nickte langsam. »Okay, gut. Sie haben ja recht. Nennen wir es einen fairen Tausch, ja? Ihr bekommt die volle Kontrolle über das Ding, solange ihr sie braucht.«
»Wir haben sowieso schon die volle Kontrolle über sie alle. Das ist unser verdammter Job.«
»Nicht die, von denen Sie nichts wissen.«
Sir knurrte. »Pass auf, Halbblut. Du bist so kurz davor, abgeschnitten zu werden.«
»Nein, bin ich nicht. Sie brauchen mich und ich bin mir ziemlich sicher, dass Sie diese neue Öffnung in den Griff bekommen müssen, wenn Sie nicht wollen, dass die ganze geheime Welt weiß, dass ihr es vermasselt habt und nicht mehr jede einzelne im Griff habt.«
»Du bist eine verdammte Venusfliegenfalle, Cheyenne. Weißt du das?«
»Eigentlich sind Sie die erste Person, die das so sagt, aber trotzdem danke.«
»Was ist mit deiner Mutter? Sie hat ziemlich deutlich gemacht, dass sie mich nicht in der Nähe des Grundstücks haben will.«
»Sie wird nicht gehen. Ich weiß, dass sie das nicht tun wird. Aber sie hat gesehen, was mit diesem Ding passiert ist und sie wird auch nicht versuchen, Sie aufzuhalten.«
Sir seufzte und das Klirren von Eis gegen Glas kam über die Leitung. »Du gibst den Jungs besser jede einzelne Information, die du hast. Verstanden?«
»Ja. Kein Problem.«
»Eine Stunde. Tu mir einen Gefallen, ja? Ruf diese Nummer nie wieder an und sag mir nicht, was ich mit meiner Organisation machen soll. Ich habe das Sagen. Du bist entbehrlich.«
»Trinken Sie weiter.« Cheyenne legte auf und fühlte sich dadurch ein ganzes Stück leichter. Arschloch.