Der Junge lernte, seine Ängste zu verbergen. Sie waren nicht weniger geworden, aber sie waren anders. Er fürchtete nicht mehr, die Eltern könnten ihn irgendwohin zurückschicken. Mit den Jahren war er sicherer geworden. Er wurde gelobt, fühlte sich anerkannt. Der Vater war stolz auf seinen Sohn, manchmal jedenfalls.
Der Junge wollte der Beste sein. Immer! Der Vater erwartete es von ihm.
Doch was, wenn er versagte?
Vor jeder Prüfung konnte er weder essen noch schlafen. Die Mutter nötigte ihm an solchen Tagen ein Viertelchen der hilfreichen Tabletten auf und beruhigte vor allem sich selbst damit. Es hatte lange gedauert, bis der Sohn erkannte: Ebenso wie er fürchtete auch sie sich vor dem allzu strengen Vater, und ebenso wie er verbarg sie ihre Angst, so gut es eben ging.
***
»Das ist ja eine reizende Überschrift.« Schwungvoll warf Oberstaatsanwalt Uwe Börner das Angersbacher Tageblatt auf Lenas Schreibtisch. In fetten Lettern sprang ihr ins Auge, was ihn so sehr in Rage gebracht hatte: Grausame Morde in Raglow!
Unter einem Foto der alten Mühle las sie: Einwohner fragen sich: Stochert die Polizei im Nebel herum?
»Wenigstens haben sie das Fragezeichen nicht vergessen«, versuchte Lena, die Situation ein wenig aufzulockern. Was gründlich danebenging.
»Wie schön, Sie können noch scherzen, Frau Hauptkommissarin«, fuhr Börner sie an. »Leider kann ich nicht mitlachen. Hier geht es nicht um Spaß, verehrte Frau Voßberg, hier geht es um solide Ermittlungsergebnisse, die Sie offensichtlich nicht haben.« Börner blickte auf Lena herunter wie ein Professor auf die dümmste seiner Studentinnen. Und genauso fühlte sie sich in diesem Augenblick auch. Bis sie Mandy sah, die sich hinter dem Rücken des hoch aufgeschossenen Mannes an die Stirn tippte.
Jetzt schaffte sie es sogar, ihn honigsüß anzulächeln. »Ganz Ihrer Meinung, Herr Staatsanwalt, wir brauchen Resultate, und zwar schnellstens. Deshalb müssen wir jetzt auch dringend los. Kommst du, Mandy?«
Börner stutzte, blies ein verblüfftes »Ach so?« in die Luft und schob schulterzuckend nach: »Dann will ich Sie mal nicht länger aufhalten. Wo soll es denn hingehen?«
»Nach Berlin, Herr Oberstaatsanwalt. Wir müssen die Witwe des Taxifahrers noch einmal befragen.«
»Unser Börni ist ja heute wieder gut drauf«, stellte Mandy fest, als sie außer Hörweite des Staatsanwalts den Flur entlangliefen.
Beim ersten Schritt hinaus ins Freie blinzelte Lena in die mit-tagshelle Sonne. »Solche Schlagzeilen nerven jeden, geht uns doch auch nicht anders. Börni wird bei schlechter Publicity eben krötig. Anders kennen wir ihn doch gar nicht.«
Mandy konnte ein Kichern nicht unterdrücken. »Dafür gibt er liebend gern ausführliche Interviews. Natürlich erst, wenn der Fall in trockenen Tüchern ist und der Täter hinter Schloss und Riegel sitzt. Muss doch jeder wissen, was für ein cleveres Kerlchen unser Herr Oberstaatsanwalt ist.«
***
Diesmal öffnete Susanne Werner ihre Wohnungstür schon nach dem ersten Klingeln. Mit einer fahrigen Bewegung strich sie ihr dunkles Haar zurück. »Ach, Sie sind’s. Ich dachte schon, meine Mutter hätte den Schlüssel vergessen.«
»Sie wollen ausziehen?« Mandy wies auf die vollgepackten Kartons, die aneinandergereiht im langen Korridor standen. Jeder war in einer anderen Farbe beschriftet. Wäsche grün, Spielzeug rot, Kinderkleidung orange. Das Schaukelpferd der Mädchen war verschwunden.
»Wollen?« Winzige Fältchen gruben sich ins Gesicht der jungen Frau. »Verraten Sie mir, wie ich die Miete zahlen soll, und ich bleibe. Mein Gehalt reicht kaum für Essen, Strom und Telefon. Von Klamotten nicht zu reden.«
»So schlimm?« Mandy biss sich auf die Unterlippe, weil ihr die Kontoauszüge einfielen, die sie beim ersten Besuch in dieser Wohnung gesehen hatte.
»Schlimmer! Würden mir meine Eltern nicht unter die Arme greifen, wüsste ich nicht, wie es weitergehen soll.«
An den vollgestopften Kartons vorbei führte Susanne Werner die Kommissarinnen in ihre Küche. Auch hier sah alles nach Umzug aus. Die Regale über Herd und Spüle waren leer geräumt. In Zeitungspapier gewickelte Teller, Tassen und Schüsseln häuften sich in einer Babywanne unter dem Küchentisch.
Susanne nahm ein Geschirrtuch vom Haken, ließ Wasser über einen Zipfel laufen und begann, an ihrem Shirt herum-zureiben.
»Sorry«, sagte sie, und für einen kurzen Augenblick strahlten ihre Augen auf. »Mein Baby liebt es, mir die Sachen vollzuspucken. Keiner kann das so gut wie mein kleiner Sohn.«
Erst jetzt bemerkte Lena, wie still es in der Wohnung war. Kein munteres Gekicher, kein plappernder Blondschopf. »Wo sind die drei überhaupt?«, fragte sie verwundert.
Beim Gedanken an ihre Kinder lächelte Susanne wehmütig. »Meine Mutter spaziert mit ihnen durch den Park. Die kleinen Monster brauchen frische Luft.«
Sie beäugte die braun gezackten Flecken auf ihrem Shirt. »Mist, geht nicht raus«, murmelte sie und warf das nasse Tuch ins Spülbecken. »Bin gleich wieder da.«
Als sie in die Küche zurückkam, trug sie ein deutlich zu großes Männershirt über der Jeans.
»Wissen Sie schon, wer meinen Mann … Wer ihm das angetan hat?«, fragte sie stockend.
Lena schüttelte den Kopf. »Leider noch nicht. Wir brauchen noch einmal Ihre Hilfe, Frau Werner.«
»Meine Hilfe?« Verwundert krauste Susanne die Stirn. »Ich weiß doch nichts. Mein Mann hatte keine Feinde und schuldete niemandem was, abgesehen vom Kredit für sein Taxi. Aber deshalb bringt man doch keinen Menschen um.« Sie begann, in der Wanne unter dem Tisch zu kramen, sodass die Kommissarinnen ihr Gesicht nicht mehr sehen konnten. Als sie weitersprach, schien es beinahe so, als würde sie sich selbst gut zureden. »Holgers Tod war ein furchtbarer Irrtum. Es ging gar nicht um ihn. Er war einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort.« Dann schwieg sie, den Kopf zur Seite geneigt, als warte sie darauf, dass irgendwer ihr zustimmte.
Vor Lenas geistigem Auge blitzte das Bild des Toten auf – der zertrümmerte Schädel, das dunkel verkrustete Blut auf dem zer-schundenen Körper. Wieder und wieder musste der Täter zugeschlagen haben, in rasender Wut oder tief verzweifelt. Nein, das konnte kein Irrtum gewesen sein.
»Wir stehen noch ganz am Anfang«, wich sie einer Antwort aus. »Es könnte uns helfen, wenn Sie ein wenig über Ihr Leben erzählen würden, Frau Werner.«
»Über unser Leben?« Susanne griff sich eine Zeitung vom Stapel auf ihrem Küchentisch, nahm eine Babyflasche aus dem Schank und wickelte sie sorgfältig ein. »Abgesehen von ständigen Geldsorgen hätte unser Leben nicht besser sein können. Wir haben uns geliebt, mein Mann und ich, und wir haben unsere Kinder geliebt. Für seine Familie hätte Holger alles getan.«
»Auch was Illegales?«, warf Mandy rasch ein.
Susanne riss die Augen auf. Was sie sagen wollte, entschwebte tonlos ins All.
»Ihr Mann hätte alles für die Familie getan?«, versuchte Mandy es erneut.
Die Flasche in Susannes Hand knallte hart auf den Tisch. Ihre Augen funkelten vor Zorn. »Holger ist Taxi gefahren. Ordentlich angemeldet, wie sich das gehört«, fuhr sie Mandy an. »Was sollte falsch daran sein oder illegal?«
»Na ja, was soll ich sagen?« Mandy tat, als müsste sie überlegen. »Man kommt viel rum als Taxifahrer, da könnte man doch so einiges an den Mann bringen.«
Jetzt war die Katze aus dem Sack.
Susanne wurde blass. »Verdammt! Was meinen Sie damit?«
»Ein nettes kleines Nebengeschäft wäre doch nicht zu verachten, besonders wenn man so dringend Geld braucht«, wagte Mandy sich weiter vor. Lieblich ihre Stimme, arglos ihre Miene. Vertrauen aufzubauen, war eine wichtige Regel kriminalistischer Arbeit.
Susannes schlanker Körper bebte vor Wut. »Sie meinen Drogen? Crystal Meth oder solche Sachen? Das schminken Sie sich mal schön ab! Mein Mann war ehrlich und anständig. Ich lass nicht zu, dass Sie ihm solche Schweinereien anhängen.«
»Wir hängen Ihrem Mann gar nichts an«, versuchte Lena, die aufgebrachte Frau zu beruhigen. »Wir wollen nur rausfinden, wer ihm das angetan hat. Nur darum geht es uns.«
»Wenn Sie das sagen …« Susanne verstaute die in Zeitungspapier gewickelte Flasche in der übervollen Babywanne.
Endlich begann sie, zu erzählen. »Wir haben ganz normal gelebt, Holger, die Kinder und ich. Wie man sich eben so durchschlägt, wenn das Geld an allen Ecken und Enden fehlt. Der Zwillinge wegen musste Holger sein Studium aufgeben. Heute sag ich, das war ein Fehler. Aber er hat sich nie beklagt und nie die Hoffnung aufgegeben. Sobald der Kleine aus dem Gröbsten raus ist, wollte er fertig studieren.« Sie ließ den Blick durch ihre Küche gleiten und fixierte Mandy, die lässig am Spülschrank lehnte. Die nächsten Worte galten ihr. »Wir haben von ehrlich verdientem Geld gelebt. Auf krumme Geschäfte hätte Holger sich niemals eingelassen.« Mit weicher Stimme fuhr sie fort: »Ich hatte schon längst aufgehört zu zählen, wie oft Holger Doppelschichten fahren musste. Manche Nächte haben gutes Geld gebracht, auch Trinkgelder. Sie wissen schon, diese speziellen Fahrten. Von Hotels und manchmal auch von Bahnhöfen ließen sich Männer ins Bordell chauffieren. Nicht gerade toll, aber nicht illegal, falls Sie wieder damit anfangen wollen. Auch wenn die Etablissements selbst den einen oder anderen Schein spendiert haben, damit die Taxifahrer ihre Adresse nicht vergessen. Nichts davon war illegal, Frau Kommissarin.«
Abwehrend hob Mandy die Hand. »Ich wollte nichts sagen, Frau Werner, gar nichts.«
»Dann ist ja gut.«
Der Anflug eines Lächelns erhellte Susannes Gesicht. »Wenn unsere Haushaltskasse zu schnell leer wurde, hat Holger ein paar Stunden geschlafen und sich gleich wieder hinters Steuer gesetzt. Er hat niemanden betrogen und auch keinem geschadet. Sie werden nichts finden, falls Sie vorhaben, in diese Richtung zu ermitteln.«
»Um Gottes willen, nein, das hatten wir nie vor«, log Mandy und frohlockte insgeheim: Du hast uns doch selbst in die Richtung geschubst, in die wir jetzt ermitteln werden. Red du nur weiter, ich höre zu. Rotlicht, Drogen, Kriminalität – das passt doch wie die Faust aufs Auge.
Susanne Werner bückte sich, kramte eine Keramikkanne aus der Babywanne und sagte: »Ich hätte Lust auf einen Tee. Sie vielleicht auch?« Als die Kommissarinnen nickten, schaltete sie den Wasserkocher ein und schlug vor: »Lassen Sie uns ins Wohnzimmer gehen, dort ist es nicht ganz so ungemütlich.«
Nach den ersten vorsichtigen Schlückchen vom honiggelben, noch brühheißen Tee ermunterte Lena die junge Witwe. »Möchten Sie uns nicht noch ein bisschen mehr erzählen, Frau Werner?«
»Ja, was denn noch?«
»Fangen Sie einfach mit dem an, was Ihnen gerade einfällt.«
Susanne setzte ihre Tasse ab und sah versonnen vor sich hin. Nur das leichte Zucken der Mundwinkel verriet, wie nahe sie den Tränen war. Unvermittelt begann sie: In der elften Klasse habe sie sich in Holger verliebt. Er sei der Neue aus der Parallelklasse gewesen – blond, schlaksig und sehr schüchtern. Zum ersten gemeinsamen Schulfasching sei er als Pirat gekommen. Schwarze Augenklappe, ein schwarzes Tuch um den Kopf. Keine Kostümierung hätte schlechter zu ihm passen können. Diesem Piraten fehlte einfach alles, was man verwegen hätte nennen können. Sie sei es gewesen, die ihn zum Tanz aufgefordert habe. Sehr spät, als der Abend schon beinahe ausklang. Linkisch habe er getanzt und kaum ein Wort mit ihr gesprochen. Doch er habe sie angesehen – mit nur einem Auge, das zweite unter der schwarzen Klappe verborgen. An diesen Blick erinnere sie sich noch heute. Sie wollte ihn wiedersehen, diesen ernsten schüchternen Jungen. Nicht nur in der Schule und nicht mit all den anderen um sie herum.
An ihrem einundzwanzigsten Geburtstag heirateten sie. Ein Jahr später kamen die Zwillinge zur Welt. Susanne gab ihr Studium auf und kam für eine kurze Zeit bei einer Keramikerin unter. Ihr Mann studierte weiter und jobbte als Taxifahrer, sooft es irgendwie ging. Im geliehenen Auto. Jeder Euro zählte. Doch bald schon verließ auch er die Uni.
»Wir haben es einfach nicht geschafft. Die Mädchen waren oft krank und Geld war auch keins da.« Susanne erzählte, was ihr spontan in den Sinn kam. Der Kummer in ihrer Stimme weckte das frustrierende Gefühl in Lena, versagt zu haben. Vermutungen, Indizien – mehr hatten sie bisher nicht. Es schien keinen Grund zu geben, diesem Familienvater, der sich für Frau und Kinder abgerackert hatte, etwas anzutun. War er wirklich nur zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen, so wie seine Witwe es vermutete? Das zu beweisen würde schwer sein. Und es passte nicht zu dem, was sie in der alten Schneidemühle gesehen hatten.
War es doch Peter Kobs gewesen, der stockbetrunken, rasend vor Eifersucht, auch dann noch auf den Mann eingeschlagen hatte, als der längst tot war? Daran wollte Lena einfach nicht glauben. Und doch konnte es so gewesen sein.
Susanne, die sich über das nachdenkliche Schweigen der rothaarigen Kommissarin zu wundern schien, griff zur leeren Teekanne und sagte: »Ich wusste nicht, wie gut es tut, über Holger zu reden. Ich brüh uns noch mal Tee auf.«
Ja, red du nur weiter, frohlockte Mandy. Wie war das noch gleich mit den Fahrten zu den Bordellen? Erzähl mehr davon, ich will das wissen. Sie sah Susanne nach, die aus dem Zimmer eilte, sah die primitiv zusammengezimmerten Regale, die abgenutzte Couch aus braunem Kunstleder, den Tisch, die Stühle. Nichts in dieser Wohnung sah wertvoll aus. Nichts ließ den Gedanken an Luxus aufkommen. Und das Konto der Werners war überzogen. Doch was hieß das schon? Vielleicht hatte die Frau nur keine Ahnung, wofür ihr Mann sein Geld ausgegeben und wie er es verdient hatte. Bei diesem Gedanken angelangt sah sie Susanne, ein beladenes Tablett in den Händen, ins Wohnzimmer zurückkommen. Ohne zu ahnen, was Mandy durch den Kopf ging, setzte sie sich und goss für sich und die Kommissarinnen noch einmal Tee ein. Mandy gab ausgiebig Zucker und einen Spritzer Zitrone in ihre Tasse und sagte beiläufig: »Erzählen Sie ruhig weiter, Frau Werner, alles könnte wichtig sein.« Sie wollte Susanne nicht erneut in Rage bringen, darum wagte sie nicht, direkt nach dem zu fragen, was sie am meisten interessierte.
Susanne stellte die bauchige Kanne aus bunter Keramik auf das Tablett zurück. »Das Taxi? Haben Sie’s endlich mitgebracht?«, fragte sie zu Mandys Ärger. »Ich will es verkaufen und mir einen kleinen Gebrauchtwagen zulegen.«
»Wir haben es immer noch nicht gefunden«, musste Mandy eingestehen.
»Nicht gefunden?« Susanne setzte die Tasse ab, aus der sie gerade trinken wollte. »Wie soll ich zurechtkommen ohne Auto? Wir ziehen raus aus der Stadt. Meine Eltern schränken sich ein, ich kann mit den Kindern bei ihnen im Haus wohnen. Aber ich muss flexibel bleiben, sonst kann ich meinen Job vergessen.«
»Wir lassen weiter nach Ihrem Taxi fahnden, Frau Werner.« Mandy wusste selbst, wie nichtssagend ihre Antwort klang. Es war sogar eine glatte Lüge. Wahrscheinlich war Werners Taxi längst um-gespritzt und über mehrere Grenzen geschafft worden. »Sie sollten Ihre Versicherung informieren«, schlug sie vor.
»Welche Versicherung? Ich weiß nicht mal, ob Holger die letzten Beiträge zahlen konnte. Wir waren manchmal im Rückstand. Man denkt doch nicht …!«
Susanne sprang auf und lief ohne weitere Erklärung aus dem Zimmer. Als sie zurückkam, trug sie einen prall gefüllten Ordner unter dem Arm. »Alles bezahlt, wenigstens das!« Die Erleichterung war ihr vom Gesicht abzulesen.
»Darf ich?«, fragte Mandy und wollte nach dem Ordner greifen.
Doch Susanne drückte ihn fest an den Körper und sah Lena fragend an. Erst als die nickte, reichte sie Mandy die Papiere.
Mandy begann zu blättern. »Versicherungsunterlagen, Rechnungen«, murmelte sie vor sich hin. »Nichts von sonderlichem Interesse.« Sie las weiter, bis sie plötzlich ausrief: »Ich werd verrückt!« Mit bedeutungsvollem Blick hielt sie Lena den Ordner hin. Lena schaute auf den Kaufvertrag, den Mandy aufgeschlagen hatte. Autohaus Udo Wachtel stand da in fetten schwarzen Buchstaben.
Wer hätte das gedacht! Susanne Werner hatte gelogen. Der Autohändler Udo Wachtel war also doch der alte Bekannte, den ihr Mann auf dem Mühlenfest getroffen hatte.
Lena sah sich den Kaufvertrag genauer an, blätterte vor und zurück und las jedes einzelne Blatt gründlich durch. Dann hatte sie die Fäden aufgedröselt. Die heiße Spur war doch nicht so heiß, wie anfangs vermutet. Aber immerhin, sie führte zu Udo Wachtel.
Das Autohaus Wachtel hatte das Fahrzeug vor Jahren an einen Mirko Thieme verkauft und von diesem wiederum hatte Holger Werner es erworben.
»Wer ist Mirko Thieme?«, fragte Lena die verdatterte Susanne, die sich nicht erklären konnte, was die Kommissarinnen so unverhofft in Aufregung versetzt hatte.
»Warum wollen Sie das wissen?«
»Sagen Sie’s einfach.«
Susanne blinzelte verwirrt. »Mirko ist … war Holgers alter Schulfreund. Von ihm hatte er die Idee, sein Geld als Taxifahrer zu verdienen. Anfangs hatte Mirko uns das Auto geliehen, später hat er’s uns günstig verkauft. Mirko war für Holger beinahe wie ein Bruder.«
In plötzlich aufwallender Verzweiflung stieß sie mit dem Fuß gegen den Wäschekorb unter dem Tisch. »Ist das nicht blanker Irrsinn? Ich pack den ganzen Kram ein, dabei liegt mein Leben in Scherben. Alles, was mir wichtig war, ist kaputt. Holger kommt nicht wieder.«
»Sie haben Kinder, die Sie brauchen!«
Lena ärgerte sich über Mandys altkluge Allerweltsbemerkung. Susanne Werner wusste selbst, dass ihre Kinder jetzt nur noch eine Mutter hatten. Doch zu ihrem Erstaunen verfehlten die unbedacht hingeworfenen Worte ihre Wirkung nicht.
Der Blick der jungen Witwe wurde weich. »Ja, meine Kinder! Wenn sie nicht wären, könnte ich morgens nicht mehr aufstehen. Ich würde im Bett bleiben und heulen. Einfach nur heulen, den ganzen langen Tag!«
***
In dieser Nacht träumte Lena vom Mühlenfest.
Das Sägegatter ratterte.
Betrunkene torkelten umher.
Frauen in langen Kleidern, wie sie vor Jahrhunderten einmal modern gewesen waren, flanierten über die Wiese. Nur Gesichter konnte Lena nicht erkennen. Undeutlich verschwommen wimmelte alles durcheinander. Und irgendwas machte ihr Angst.
Die Musik!
Nein, nicht die Musik.
Es gab keine Musik. In gespenstischer Stille drehten sich die Paare im Tanz. Und doch sah sie Musikanten in wilder Ekstase auf altertümlichen Instrumenten spielen. Aus Flöte, Dudelsack und Fidel floss Blut. Lena erschauderte. Plötzlich drang an ihr Ohr, was die Spielleute ihren Instrumenten entlockten.
Lauter und lauter wurden die grausamen Töne.
Wilder und wilder drehten sich die Paare.
Schmerzerfüllte Schreie und bedrohliches Rattern des Sägegatters verschmolzen zu einer Symphonie des Grauens.
Schweißgebadet wachte Lena mitten in der Nacht auf.
Um dem Albtraum zu entfliehen, der sich in ihr Bewusstsein zurückschlich, sobald sie die Augen schloss, warf sie die Bettdecke von sich und stand auf. In der Küche ließ sie Wasser in ein Glas laufen und trank es im Stehen aus. Langsam, Schluck für Schluck. Sie wollte nachdenken, sich konzentrieren. Schließlich hatte sie zwei Mordfälle aufzuklären.
Doch ihre Gedanken schweiften ab. Plötzlich sah sie Dirk Landgraf wieder vor sich, wie er in nächtlicher Dunkelheit auf der Treppe vor ihrem Haus gesessen und auf sie gewartet hatte. Sie hatte ihn nicht weggeschickt in jener Nacht. Warum nicht? Was nutzten noch so gute Vorsätze, wenn man sie bei der erstbesten Gelegenheit über Bord warf? Sie dachte an die Nacht voller Zärtlichkeit, die nichts hinterlassen hatte als das Gefühl erneuter Einsamkeit.
»Ich kann dir nicht die Sterne vom Himmel holen«, hatte Dirk ihr ins Ohr geflüstert. »Aber ich brauche dich, weil ich dich liebe.«
Wie hatte sie gelechzt nach solchen Worten in den ersten Monaten ihrer Trennung. Und jetzt? Warum spürte sie die Schmetterlinge nicht mehr? Wo waren sie hin? Warum begann ihr Herz seit dieser letzten Nacht nicht mehr, wild zu pochen, wenn das Telefon klingelte und sie seine Stimme hörte?
Erst jetzt, nach diesem verstörenden Albtraum, war Lena sich endgültig sicher: Auch wenn sie diesen Mann einmal sehr geliebt hatte, es war vorbei. Die Schmetterlinge waren fortgeflogen.
***
Misstrauisch starrte Felix, der sechzehnjährige Lehrling der Gärtnerei Kobs, die seltsame Plastiktüte an. Nein, eigentlich war sie nicht seltsam, sondern stinknormal. So wie jede x-beliebige Tüte, die man im Supermarkt kaufen konnte. Seltsam war nur der Ort, an dem er sie gefunden hatte. In einer Ecke des alten Geräteschuppens. Felix liebte diese abgelegene, schon ziemlich baufällige Bretterbude. Für ihn war sie der ideale Ort, wenn er ungestört sein Zigarettchen rauchen wollte, ohne vom Meister entdeckt zu werden. Auch heute hatte er ihm und dem dusseligen Bogemühl gleich zu Beginn der Frühstückspause erklärt, er müsse aufs Klo. Dringend! Dann war er schnurstracks zum alten Schuppen gelaufen, um sich in aller Ruhe die zweite Zigarette des Tages anzuzünden.
Als er den glimmenden Stummel, so wie er es immer tat, sorgfältig austrat, entdeckte er etwas, das am Vortag noch nicht da gewesen war. Als hätte es jemand in aller Eile versteckt, lugte es zwischen rostigem Metall, ausrangierten Hacken und Spaten und dem grau verwitterten Holz abgebrochener Stiele hervor. Nanu, wunderte sich Felix, was ist das denn? Nutzt etwa noch ein anderer meinen supergeheimen Rück-zugsort? Dieser Gedanke empörte ihn geradezu. Er hatte die Hand zwischen die Gerätschaften gezwängt, ein Stück Plastik zu fassen bekommen und geflucht, als ihm der Stiel eines alten Rechens gegen die Stirn schlug.
Der Rechen lag noch immer da, wo er hingefallen war, die ver-maledeite Tüte schien ihn geradezu anzustarren. Ein unauffälliges Stück Plastik. Voller Neugier hob er es hoch, sah hinein und entdeckte ein Portemonnaie. Nichts Besonderes, bloß eine schon ziemlich abgenutzte Geldbörse aus braunem Leder, wie Männer sie in der Gesäßtasche trugen. Als er sie aufklappte, fand er Geld. Er zählte 160 Euro in Scheinen. Sieben Euro und dreißig Cent in Münzen steckten im Fach fürs Klimpergeld. Nicht gerade ein Vermögen, aber für einen Lehrling ein schöner Batzen Geld.
Felix’ Verwirrung währte nur kurz, dann wusste er es. Sein geliebter Platz für ein Zigarettchen war doch nicht so geheim, wie er gehofft hatte. Und jetzt wollte ihm der fiese Bogemühl, der ihn noch nie leiden konnte, auch noch eine Falle stellen. Er war sich sicher, dass Bogemühl das Geld versteckt hatte, um ihn beim Meister an-zuschwärzen, falls er den Fund für sich behielt. Aber diese Suppe würde er ihm schön versalzen. Vorsichtig untersuchte er das Portemonnaie genauer. Neben alten Kassenzetteln, einem unleserlich bekritzelten Stück Papier und einem Zahnstocher in durchsichtiger Folie fand er einen Führerschein, einen Ausweis und eine EC-Karte der Berliner Sparkasse. Auf allen Papieren las Felix den Namen Holger Werner. Er hatte diesen Namen noch nie gehört. Wie jeder im Dorf wusste auch Felix von der Leiche in der alten Mühle. Nur den Namen des Toten, den kannte er nicht.
Dieser komische Werner musste ein Freund vom bescheuerten Bogemühl sein. Und genauso dämlich! Saudämlich sogar, wenn er sein Portemonnaie mit allen Papieren drin für einen derart blöden Streich hergab. Wer weiß, was die gemeinen Kerle sonst noch aus-klamüsert hatten, um ihm zu schaden. Vielleicht lag dieser Werner sogar irgendwo auf der Lauer und beobachtete ihn.
Pech für die Blödmänner. Felix feixte in sich hinein. So dumm, wie die beiden dachten, war er nämlich nicht. Er wusste sogar, dass ihm ein Finderlohn zustand. Von derlei Überlegungen angespornt, steckte der Lehrling das Portemonnaie in die Plastiktüte zurück. Voller Vorfreude auf das dämliche Gesicht, das Bogemühl, der Geizkragen, machen würde, wenn er seinen Finderlohn einforderte, schlenderte Felix hinüber zum Gewächshaus.
»Meister«, rief er aufgeregt. »Guck doch mal, was ich hier habe.« Er gab den ganzen Krempel lieber dem alten Kalle, so konnte Boge-mühl später nicht bestreiten, dass er, Felix, das Geld gefunden und ordnungsgemäß abgegeben hatte. Der Meister würde sein Zeuge sein und Bogemühl musste blechen.
Als er ihm die Tüte hinhielt, zuckten Kalles Mundwinkel in gutmütigem Spott. »Was bist du denn so aus dem Häuschen, Junge? Hast dich wohl an deiner Zigarette verschluckt, hm?«
»Was? Wie? Verschluckt? Nee, guck einfach mal in die Tüte, Meister!« Erschrocken brach Felix ab, er hatte seinen Meister ge-duzt, was sich nun wirklich nicht gehörte.
Kalle lachte kopfschüttelnd. »Was ist denn los, Bengel? Hast du ’nen Schatz gefunden im alten Schuppen?«
Enttäuscht, weil sich sein Meister nicht sonderlich für den Fund interessierte und Bogemühl schon hämisch grinste, riss Felix das Portemonnaie aus der Tüte und hielt es Kalle so dicht unter die Nase, dass der den Kopf zurückbog. Felix wollte schon auf seinen Finderlohn pochen, da griff der Alte mit spitzen Fingern nach dem abgeschabten Leder, kratzte mit dem Fingernagel an den braunen Flecken herum und roch sogar daran.
Felix hatte auch gesehen, wie dreckig das Teil war. Irgendwas war ins Leder eingesickert. Was sollte daran schon interessant sein? Dieser Werner ging eben nicht sorgsam mit seinen Sachen um. Wer wusste schon, was Bogemühl für einen Schmutzfinken zum Freund hatte.
Bevor der Sechzehnjährige seine Vermutung äußern konnte, fragte sein Meister seltsam tonlos: »Wo hast du das gefunden, Junge?«
»Ich hab nichts rausgenommen«, beteuerte Felix, der sich das Verhalten seines Meisters nicht erklären konnte. »Das ganze Geld ist noch drin! Wirklich und wahrhaftig, Chef, ehrlich.«
Felix stockte. Auch wenn er sich keiner Schuld bewusst war, erwartete er ein Donnerwetter. Die Alten hatten doch immer was zu meckern. Doch sein Meister, der sich das Geld nicht einmal angesehen, sondern nur auf die Papiere gestarrt hatte, sagte mit einer Stimme, die an das Krächzen eines kranken Raben erinnerte: »Was stehst du da noch rum, Bengel? Komm endlich und guck nicht so dumm. Wir müssen zur Polizei!«
Die Alten waren wirklich seltsam.
***
»Endlich! Wir haben ihn«, hallte ihr heller Jubel entgegen, als Lena das Büro betrat, das sich Mandy mit Alfred Meichsner teilte, der noch immer seinen gebrochenen Fuß auskurierte und sich nur stundenweise in der Dienststelle blicken ließ.
»Ach wirklich? Wen haben wir denn?« Lena, die gerade von einem höchst unerfreulichen Gespräch mit Oberstaatsanwalt Börner zurückkam, knallte ihre Tasche auf Mandys Schreibtisch. »Ich versteh nur Bahnhof. Wovon redest du überhaupt?«
Als würde eine unsichtbare Hand sie in Richtung Decke ziehen, richtete Mandy sich noch ein Stückchen höher auf. »Dein Bauchgefühl in allen Ehren, Lena, aber diesmal liegst du voll daneben. Du errätst nie, was eben passiert ist. In hundert Jahren kommst du nicht drauf.«
»Nerv mich nicht! Sag einfach, was los ist.« Nach Börners Standpauke hatte Lena nicht die geringste Lust auf Mandys Gehabe. Der Oberstaatsanwalt hatte sie runtergeputzt, als würde sie den ganzen Tag über nur Däumchen drehen. Und das Schlimmste war: Im Grunde genommen hatte der Mann recht. Bisher stocherten sie tatsächlich noch im Nebel herum. Sie hatten keine belastbaren Indizien und schon gar keine Beweise für irgendwas. Und jetzt grinste Mandy auch noch wie ein Honigkuchenpferd.
»Eben war der alte Kobs hier, er und sein Lehrling.« Mandys Lippen probierten das Lächeln einer Sphinx. »Rate mal, was die beiden uns gebracht haben.«
»Was denn, verdammt?«
»Werners Portemonnaie mit allen Papieren drin. Und? Was sagst du jetzt, Chefin?«
»Werners Portemonnaie?« Der Rüffel des Staatsanwalts war schlagartig vergessen. »Wie kommt Kalle Kobs zu Werners Portemonnaie?«
»Er behauptet, sein Lehrling habe es im alten Geräteschuppen gefunden. Vor einer halben Stunde oder so. Außen klebt Blut dran.«
»Werners Geldbörse in Kobs’ altem Schuppen?« Lena ließ sich auf den Stuhl neben Mandys Schreibtisch fallen. »Wie ist das denn da hingekommen?«
Obwohl sie die Frage nicht Mandy, sondern, von der Nachricht überrumpelt, sich selbst gestellt hatte, bekam sie eine Antwort.
»Tja, das ist die Fünf-Millionen-Euro-Frage. Bin sehr gespannt, wie Peter Kobs sie beantwortet.«
»Kümmert sich Krollmann schon um die Blutflecken?«
»Ist der Papst katholisch? Krollmann wird sich bald melden, und Haubi schaut, wer uns mit seinen Fingerabdrücken auf dem Portemonnaie beglückt hat. Auf einen ganz bestimmten Kandidaten würde ich glatt die hier verwetten.« Mandy zog die Beine unter dem Schreibtisch hervor und wippte mit ihren allerneuesten brand-roten High-Heel-Stiefeln. »Todschick, oder? Steckt beinahe mein halbes Monatsgehalt drin. Aber keine Reue, die Teile sind jeden Cent wert.«
Lena sah nicht einmal hin. Mandys dämlicher Schuhtick war ihr im Augenblick so was von schnurzpiepegal. Sie hatte andere Probleme. Sollte sie sich so getäuscht haben? War ihr Freund aus Kindertagen tatsächlich der Mann, den sie suchten?
Als Mandy den Blick endlich von ihren exorbitant teuren Stiefeln löste, frohlockte sie: »Endlich kommt Bewegung in den Fall. Wir holen Kobs her, Chefin. Falls es einen Kampf gab, stammt das Blut auf dem Portemonnaie vielleicht von ihm.« Sie sah Lenas Miene und gab sich einsichtig. »Versteh schon, es geht um deinen alten Kumpel, da wäre ich auch schweigsam.«
Unschlüssig hob Lena die Schultern. »Beweise, die uns auf dem Silbertablett präsentiert werden, haben mich schon immer misstrauisch gemacht.«
»Auch, wenn sie vom eigenen Vater präsentiert werden?«
»Womöglich wurden sie ja ihm präsentiert, damit er sie uns unter die Nase reiben kann. Ausgerechnet er, der eigene Vater! Hast du daran schon mal gedacht, Mandy? Der alte Schuppen ist nie verschlossen, und das Eingangstor zur Gärtnerei machen sie nur nachts zu, was nicht mal was besagt. Den Zaun schafft jedes Kind.«
»Du kennst dich ja gut aus bei den Kobs, Chefin.«
»So wie jeder bei uns im Dorf.«
Nach einem letzten verliebten Blick auf ihre Stiefel schob Mandy die Beine wieder unter den Schreibtisch. »Gleich meldet sich Haubi! Dann wissen wir, was mit den Fingerabdrücken los ist. Sind welche von Kobs dabei, wovon ich fest ausgehe, ist er fällig.« Sie rekelte sich ausgiebig und seufzte zufrieden. »Das Blut, denk ich, wird wohl eher von Werner stammen. Aber falls irgendwas auf dem Portemonnaie von Kobs ist, egal, ob Fingerabdrücke oder Blut, dann hast auch du keine Zweifel mehr, oder, Lena?«
»Wer ist schon so blöd, Beweisstücke im eigenen Schuppen zu verstecken? Und dann lässt er sie auch noch tagelang da rum-liegen?« Kaum ausgesprochen ärgerte sich Lena über ihre eigenen Worte. Die Antwort lag auf der Hand. Und prompt rieb Mandy ihr unter die Nase: »Im Suff ist alles möglich. Außerdem sagt Kobs ja selbst, er könne sich an nichts erinnern.«
»Hm, ja, stimmt«, gab Lena schweren Herzens zu.
Mandy lächelte nachsichtig. »Tut mir leid, Chefin, aber sein Blackout ist unser Glück. Wahrscheinlich weiß er wirklich nicht mehr, wo er das Teil hingeschmissen hat. Sonst hätte er es längst zusammen mit den Gartenabfällen verbrannt und wir hätten es nie gefunden.«
Dir tut gar nichts leid, du hast dich von Anfang an an Kobs fest-gebissen.
Mandy senkte den Kopf und tippte auf ihrer Tastatur herum. »Haubis Mail ist da«, jauchzte sie. »Ha! Die Abdrücke stammen definitiv von Peter Kobs. Jetzt sitzt er endgültig in der Falle!«
»Sieht ganz so aus.« Lenas Hirn registrierte die Fakten. Wirklich glauben konnte sie daran nicht.
»Hier, überzeug dich selbst.« Mandy drehte den Bildschirm so, dass auch Lena Haubis E-Mail lesen konnte.
»Kobs dürfte noch in Berlin sein«, hörte sie Mandy sagen. »Jedenfalls behauptet das sein Vater. Wir sollten nicht warten, bis er zurück ist. Bis dahin hat ihn der Alte schon dreimal gewarnt, und Mister Copperfield löst sich wieder in Luft auf. Das kann er ja bestens, wie wir wissen. Wir sollten die Kollegen informieren. Sofort! Du bist die Chefin, du entscheidest.«
»Wie gut, dass dir das noch einfällt.«
Überaus geduldig erklärte Mandy der Lampe auf ihrem Schreibtisch: »Auch wenn man die Chefin eines Kripoteams ist, es ist keine Schande, sich mal zu irren. Manch einer soll das sogar zugeben können.«
Ohne zu antworten, sie war ja schließlich nicht die Lampe auf Mandys Schreibtisch, ging Lena hinüber in ihr eigenes Büro. Sie brauchte dringend Nervennahrung. Irgendwo musste sich noch ein Tütchen mit Bonbons verstecken. Hat mein Instinkt mich diesmal komplett im Stich gelassen? Muss wohl so sein. Fingerabdrücke sind Fingerabdrücke und Beweise sind Beweise. In solcherart Gedanken hinein klingelte das Telefon auf ihrem Schreibtisch.
»Danke, Krollmann«, sagte sie, ohne den Gerichtsmediziner ausreden zu lassen. Was sie gehört hatte, genügte ihr fürs Erste.
»Das Blut auf dem Portemonnaie stammt von Holger Werner und nicht von Kobs«, rief sie Mandy zu, die durch die offene Tür gespannt gelauscht, aber kein einziges Wort aufgeschnappt hatte. »Aber wir haben ja Kobs Fingerabdrücke. Versuch Kobs zu erreichen, ansonsten beeil dich mit der erneuten Fahndung. Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.«
Mit lautem Knall schob sie ihre Schreibtischschublade zu. Verflixt! Keine Bonbons. Ach ja, die hatte sie ja schon längst Mandy spendiert. Auch gut. Das süße Zeug würde ihr nur endgültig das Hirn verkleistern.