<?xml version="1.0" encoding="UTF-8"?> <!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> <html xml:lang="de" xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> <head> <title>Das Blutgericht von Köln</title> <link href="../styles/stylesheet.css" type="text/css" rel="stylesheet" /> </head> <body> <h1 class="h1"><st c="0">17. </st><st c="5">NOVEMBER 1193</st></h1> <p class="text_noindent"><st c="18">Als Seyfrid endlich nördlich von Freiburg die stolze Schwarzenburg sichtete, schnürte es ihm die Kehle zu. </st><st c="126">Sein Freund Ulrich hatte so oft von diesem Ort erzählt, dass er ihm beinahe vertraut vorkam. </st><st c="219">Der weite Blick vom Berg über das Rheintal öffnete sich vor ihm, am Horizont waren die Vogesen zu erkennen. </st><st c="327">Doch Ulrich würde nie wieder hierher zurückkehren. </st><st c="378">Seine sterblichen Überreste lagen in einem staubigen Grab bei Akkon.</st></p> <p class="text_indent"><st c="446">Das Tor zur Burg stand offen, aber die Wachen versperrten ihm den Weg. </st><st c="518">»Halt! </st><st c="525">Was ist dein Begehr?«, fragte ein dicklicher Wachsoldat mit Pausbacken. </st><st c="597">Sein schüsselförmiger Helm sah aus, als wäre er auf dem runden Kopf festgesaugt.</st></p> <p class="text_indent"><st c="677">»Mein Name ist Seyfrid von Viskenich. </st><st c="716">Ich bringe Conrad von Schwarzenberg Kunde von seinem Sohn.«</st></p> <p class="text_indent"><st c="775">Der Wache klappte die Kinnlade herunter, dann beeilte er sich, den Weg frei zu machen, und rannte zu den Stallungen, um den Stallmeister anzutreiben, sich um das Pferd des Gastes zu kümmern. </st><st c="967">Anschließend lief er, so schnell ihn seine stämmigen Beine trugen, in den </st><a href="ch27.xhtml#S-21" id="S_21"><st c="1041">Palas</st></a><st c="1046">, um seinem Herrn die Nachricht zu überbringen.</st></p> <p class="text_indent"><st c="1093">Freiherr Conrad von Schwarzenberg kam wenige Augenblicke später die steile Treppe vom Hauptgebäude zum Burghof hinuntergeeilt. </st><st c="1221">Er schloss im Laufen hastig seinen breiten Gürtel mit der güldenen Schnalle. </st><st c="1298">Seyfrid versuchte, einen möglichst stolzen Eindruck zu erwecken, indem er sich betont aufrecht hielt. </st><st c="1400">So schickte es sich in adligen Kreisen.</st></p> <p class="text_indent"><st c="1439">Der Burgherr war von stattlicher Figur und trug einen sorgfältig gestutzten Bart, wie er seit Kaiser Friedrich Barbarossa in Mode war. </st><st c="1575">Seine Tunika reichte ihm bis über die Knie und war mit vielen Stickereien aufwendig verziert, um den Reichtum des Trägers zur Schau zu stellen.</st></p> <p class="text_indent"><st c="1718">Er kam schnurstracks auf Seyfrid zu und umfasste dessen Hand mit seinen kräftigen Pranken. </st><st c="1810">»Ich bin Conrad von Schwarzenberg. </st><st c="1845">Du kanntest meinen Sohn?«, fragte er ohne Umschweife. </st><st c="1899">Er hatte eine tiefe Stimme, die zwischen Freude und Trauer schwankte.</st></p> <p class="text_indent"><st c="1968">»Ja«, antwortete Seyfrid. </st><st c="1995">»Ich war mit Ulrich im Heiligen Land. </st><st c="2033">Er war mir ein guter Freund und tapferer Gefährte bis in den Tod.«</st></p> <p class="text_indent"><st c="2099">»Wie ist dein werter Name?«</st></p> <p class="text_indent"><st c="2127">»Seyfrid von Viskenich.«</st></p> <p class="text_indent"><st c="2152">Von Schwarzenberg wiederholte murmelnd den Namen, dann schüttelte er den Kopf. </st><st c="2232">»Du musst verzeihen, aber dieser Name ist mir nicht geläufig.«</st></p> <p class="text_indent"><st c="2294">Seyfrid war insgeheim erleichtert. </st><st c="2330">So hatte von Schwarzenberg auch nichts über das schändliche Schicksal seiner Familie gehört. </st><st c="2423">»Die Ländereien meines Vaters, Ritter Johann von Viskenich, liegen bei Köln.« Er warf kurz einen Blick zu dem imposanten Burgfried. </st><st c="2555">»Im Vergleich zu dieser prächtigen Burg nimmt sich die unsrige aber bescheiden aus.«</st></p> <p class="text_indent"><st c="2639">Der Freiherr schlug ihm mit der Hand auf die Schulter und machte eine einladende Geste zum Palas. </st><st c="2738">»Da stehen wir hier im Burghof! </st><st c="2770">Komm mit, du bist mein Gast, solange es dir beliebt. </st><st c="2823">Wir werden ein Festmahl geben, und du musst mir alles über meinen Sohn im Heiligen Land erzählen!«</st></p> <p class="text_indent"><st c="2921">Sie stiegen die steinerne Treppe bis zu dem mächtigen Hauptgebäude hinauf. </st><st c="2997">Seyfrid fand sich in einer eindrucksvoll ausgestatteten Halle wieder, deren Decke gut fünf Meter über ihm von rußgeschwärzten Eichenbalken getragen wurde. </st><st c="3152">Ein großes Feuer loderte im Kamin und erfüllte den Raum mit Wärme. </st><st c="3219">Die Wände waren mit kostbaren Teppichen geschmückt, auf denen Jagdszenen abgebildet waren.</st></p> <p class="text_indent"><st c="3309">Eine anmutige Dame in einem grünen Kleid mit modisch weiten Ärmeln erhob sich von einem massiven Tisch, der problemlos zwanzig Leuten Platz bot. </st><st c="3455">Sie war dunkelhaarig, hatte hohe Wangenknochen und sanfte braune Augen. </st><st c="3527">Seyfrid war, als blickte er in das Antlitz von Ulrich.</st></p> <p class="text_indent"><st c="3581">»Meine Frau Magdalena«, stellte Conrad von Schwarzenberg sie vor. </st><st c="3648">»Dies, meine Liebe, ist Seyfrid von Viskenich. </st><st c="3695">Ein Freund und Gefährte Ulrichs.«</st></p> <p class="text_indent"><st c="3728">Wie es die guten Sitten verlangten, verbeugte sich Seyfrid und stellte dabei ein Bein etwas zurück, als wolle er sich hinknien. </st><st c="3857">»Es ist mir eine Freude, die Mutter von Ulrich kennenzulernen. </st><st c="3920">Du siehst ihm sehr ähnlich.«</st></p> <p class="text_indent"><st c="3948">Die Unterlippe der Gräfin begann leicht zu zittern, und Seyfrid befürchtete schon, sie würde gleich in Tränen ausbrechen, aber dann holte sie tief Luft. </st><st c="4102">»Ich freue mich sehr, dich kennenzulernen. </st><st c="4145">Es ist nun schon fast zwei Jahre her, dass wir die Nachricht vom Tod unseres geliebten Sohnes erhielten. </st><st c="4250">Seitdem aber blieb jede weitere Kunde aus. </st><st c="4293">Wir kennen noch nicht einmal die genauen Umstände seines Todes. </st><st c="4357">Du wirst sicherlich verstehen, dass dies für uns nur schwer zu ertragen ist.«</st></p> <p class="text_indent"><st c="4434">»Dann habe ich nun die traurige und ehrenvolle Pflicht, euch alles genau zu berichten.«</st></p> <p class="text_indent"><st c="4522">»Aber setz dich doch! </st><st c="4545">Möchtest du einen Becher Wein?«, warf der Freiherr ein und rief nach seinem Mundschenk, ohne Seyfrids Antwort abzuwarten.</st></p> <p class="text_indent"><st c="4666">Nachdem die Becher gefüllt waren, drängte von Schwarzenberg den Gast, zu erzählen. </st><st c="4750">»Wie kamst du ins Heilige Land?«</st></p> <p class="text_indent"><st c="4782">Seyfrid hatte noch nie über seine Erlebnisse auf dem </st><a href="ch27.xhtml#S-19" id="S_19"><st c="4836">Kreuzzug</st></a><st c="4844"> berichtet. </st><st c="4856">Nicht einmal Roger Frugardi hatte er erzählen wollen, was er vor seiner Ausbildung in der Heilkunde bei Abdul Al-Aziz im Heiligen Land getan hatte. </st><st c="5004">Es fiel ihm auch jetzt schwer, darüber zu reden, doch er fand, dass die Eltern ein Recht darauf hatten zu erfahren, wie ihr Sohn Ulrich ums Leben gekommen war.</st></p> <p class="text_indent"><st c="5163">»Ich war Schildknappe bei Graf Martin von Saferau, einem getreuen Diener Friedrich Barbarossas. </st><st c="5260">Als er zum Kreuzzug rief, zögerte mein Herr keinen Augenblick. </st><st c="5323">Der Kaiser sammelte, wie ihr wisst, sein Heer in Regensburg. </st><st c="5384">Dort lernte ich Ulrich kennen, weil sein Herr, Graf Otto von Wulferath, mit Graf Martin bekannt war.«</st></p> <p class="text_indent"><st c="5485">»Ich schätzte Otto von Wulferath sehr, deshalb schickte ich Ulrich zur Ausbildung zu ihm. </st><st c="5576">Leider ist auch Otto auf dem Schlachtfeld in Palästina geblieben«, sagte Conrad von Schwarzenberg betrübt.</st></p> <p class="text_indent"><st c="5682">»Ulrich und ich freundeten uns schon in Regensburg an und verbrachten so manchen heiteren Abend zusammen. </st><st c="5789">Im Mai 1189 brach unser Heer auf, um Jerusalem von den Ungläubigen zu befreien. </st><st c="5869">Bereits auf dem Weg dorthin kam es immer wieder zu Schlachten, und ich kämpfte oft an Ulrichs Seite. </st><st c="5970">Wir gingen aus jedem Gefecht siegreich hervor, nichts schien uns aufhalten zu können. </st><st c="6056">Doch das Schicksal ereilte Kaiser Friedrich, bevor wir unser Ziel erreichten. </st><st c="6134">Er ertrank in Kleinasien im Fluss Saleph, als sein Pferd scheute und er in voller Rüstung in die reißenden Fluten stürzte. </st><st c="6257">Der Verlust war entsetzlich für uns, und viele kehrten entmutigt wieder in ihre Heimat zurück. </st><st c="6352">Doch Graf Martin und Graf Otto entschlossen sich, mit Friedrich Barbarossas Sohn, Friedrich von Schwaben, weiterzuziehen, um unser Gelöbnis zu erfüllen, die heiligen Stätten zu befreien. </st><st c="6539">Wir erreichten Tyros, das schon lange von den Kreuzrittern gehalten wurde, und setzten dort in der Kathedrale die Gebeine des Kaisers bei. </st><st c="6678">Dann zogen wir weiter nach Akkon, um es von Sultan Saladin zurückzuerobern. </st><st c="6754">Wir kämpften dort zusammen mit König Richard von England und König Philipp von Frankreich. </st><st c="6845">Friedrich von Schwaben starb während der Belagerung am Sumpffieber, doch wir blieben trotzdem. </st><st c="6940">Das stark befestigte Akkon war nicht leicht zu nehmen, wir rannten unzählige Male gegen die Mauern an, und immer wieder gelangen den Sarazenen Ausfälle. </st><st c="7093">Dabei war mir Ulrich stets ein prächtiger Waffengefährte. </st><st c="7151">Seine Schwerttechnik war vortrefflich.«</st></p> <p class="text_indent"><st c="7190">An dieser Stelle sah Seyfrid den Stolz in den Augen Conrads aufblitzen. </st><st c="7263">»Ich habe ihn schon als kleines Kind gelehrt, mit dem Schwert umzugehen«, erklärte er.</st></p> <p class="text_indent"><st c="7349">Seyfrid lächelte verständnisvoll und fuhr fort: »Als Akkon im Juli 1191 endlich kapituliert hatte, kam es nach der Besetzung der Stadt zum Disput unter den Heerführern. </st><st c="7519">Herzog Leopold von Österreich war so vermessen, den gleichen Anteil an der Kriegsbeute zu verlangen wie König Richard und König Philipp, doch die lehnten sein Ansinnen ab. </st><st c="7691">Leopold kehrte zutiefst gekränkt umgehend nach Österreich zurück. </st><st c="7757">König Philipp, der Richard nicht wohlgesonnen war, brach ebenfalls kurz nach der Eroberung unter einem Vorwand in seine Heimat auf. </st><st c="7889">Er leistete Richard vor der Abreise einen Schwur, die gemeinsame Grenze mit dessen Ländereien unangetastet zu lassen.«</st></p> <p class="text_indent"><st c="8007">»Daran hat er sich nicht gehalten«, warf der Freiherr ein. </st><st c="8067">»Philipp versucht seit einiger Zeit, die Normandie zu erobern.«</st></p> <p class="text_indent"><st c="8130">»Nun, Graf Martin wollte seinen Schwur einlösen, Jerusalem zu befreien, und so unterstellten wir und etliche andere deutsche Ritter uns in Akkon dem Oberbefehl von König Richard. </st><st c="8310">Doch was dann folgte, hat mich und viele andere zutiefst erschüttert. </st><st c="8380">Die Kapitulationsbedingungen von Akkon sahen vor, dass Sultan Saladin Lösegeld zahlen und christliche Gefangene übergeben sollte. </st><st c="8510">Doch hinter Richards Rücken hatte König Philipps Stellvertreter, Konrad von Montferrat, heimlich eigene Verhandlungen mit Saladin begonnen. </st><st c="8650">Richard erfuhr davon und wollte gegenüber den Franzosen und Saladin Härte demonstrieren. </st><st c="8739">Als bei der ersten Übergabe einige adlige Gefangenen fehlten, betrachtete er Saladins Versprechen als gebrochen. </st><st c="8852">Daraufhin ließ Richard alle muslimischen Einwohner Akkons töten. </st><st c="8917">Über zweitausend Männer, Frauen und Kinder.«</st></p> <p class="text_indent"><st c="8961">Seyfrid schluckte schwer, und seine Augen schimmerten feucht. </st><st c="9024">»Die Straßen schwammen vor Blut. </st><st c="9057">Die Leichen stapelten sich zu Bergen. </st><st c="9095">Es gab kein Erbarmen. </st><st c="9117">Wir zündeten die Toten an, und der schwarze, stinkende Rauch zog weit über das Land.«</st></p> <p class="text_indent"><st c="9202">Conrad von Schwarzenberg starrte Seyfrid ungläubig an, seine Frau Magdalena hatte erschreckt die Hand über den Mund gelegt.</st></p> <p class="text_indent"><st c="9326">»Zwei Tage später brachen wir auf, um Jerusalem zu erobern. </st><st c="9387">Das Heer Saladins folgte uns. </st><st c="9417">Manchmal überfielen sie unseren Heereszug in kleinen Trupps aus dem Hinterhalt, mal griffen wir ihre versteckten Lager an, wenn wir sie fanden. </st><st c="9561">Bei Arsuf erwartete uns schließlich das gesamte Heer Saladins.«</st></p> <p class="text_indent"><st c="9624">Seyfrids Kehle fühlte sich wie ausgedörrt an, und er nahm einen kräftigen Schluck Wein.</st></p> <p class="text_indent"><st c="9712">»Es war der 7. </st><st c="9728">September im Jahre des Herrn 1191. </st><st c="9763">Fünfzigtausend Sarazenen traten gegen unser Heer von nur zwanzigtausend Mann an. </st><st c="9844">Es waren über viertausend Ritter unter uns: Tempelritter, Johanniter, Franzosen, Engländer, Flamen, Ritter aus Antiochia, Tyros und Tripolis und wir, die deutschen Ritter. </st><st c="10016">König Richard war ein geschickter Stratege. </st><st c="10060">Er fiel auf keine List Saladins herein, ließ die Sarazenen immer wieder umsonst gegen einen Wall aus Lanzen anrennen, während unsere Armbrustschützen die Angreifer dezimierten. </st><st c="10237">Erst als die sarazenischen Reiter an einer Stelle unsere Reihen zu durchbrechen drohten, griff die Reiterei der Johanniter geschlossen an und schlug sie vernichtend. </st><st c="10403">Doch Saladin gab noch nicht auf und versuchte, uns in einzelne Scharmützel zu verwickeln. </st><st c="10493">Die Schlacht tobte den ganzen Tag, die Zahl der Toten und Verwundeten stieg ins Unermessliche. </st><st c="10588">Ich habe Menschen gesehen, die nur noch aus blutigen Fleischklumpen bestanden, abgetrennte Arme, Beine und Köpfe lagen über das Schlachtfeld verstreut.«</st></p> <p class="text_indent"><st c="10740">Seyfrid versagte die Stimme. </st><st c="10770">Er musste sich einen Moment sammeln, bevor er fortfahren konnte.</st></p> <p class="text_indent"><st c="10834">»Einem jungen Burschen namens Lothar, der auch mit Graf Martin gezogen war, wurde durch einen Schwertstreich der Bauch aufgeschlitzt. </st><st c="10969">Er versuchte verzweifelt, seine Eingeweide mit den Händen festzuhalten. </st><st c="11041">Ich sah so viele, die einen langsamen, qualvollen Tod starben. </st><st c="11104">Ich fühlte tiefe Verzweiflung in mir, denn ich konnte ihnen nicht helfen. </st><st c="11178">Ich hatte damals noch keine Ahnung, wie man Wunden versorgt. </st><st c="11239">Die Schreie der Sterbenden hallen mir in meinen Träumen immer noch in den Ohren.«</st></p> <p class="text_indent"><st c="11320">Der Freiherr und seine Gattin schwiegen betreten. </st><st c="11371">»Verzeiht mir meine offenen Worte«, sagte Seyfrid, und sein Blick schweifte in unendliche Ferne. </st><st c="11468">Schließlich besann er sich wieder auf seinen Bericht.</st></p> <p class="text_indent"><st c="11521">»Bei einem unserer Angriffe stürzte Graf Martins Pferd, und er lag bewusstlos am Boden. </st><st c="11610">Als die Feinde auf ihn eindrangen, sprang ich hinzu und versuchte sie abzuwehren, doch ich stand allein gegen sie und blutete schließlich aus mehreren Wunden. </st><st c="11769">Da tauchte ein französischer Ritter auf, Graf Louis de Beauvard, und ich hoffte auf Rettung. </st><st c="11862">Doch es hatte zuvor in Akkon eine Fehde zwischen Graf Martin und ihm gegeben, und zu meinem Schrecken wendete de Beauvard sein Pferd und ließ uns im Stich. </st><st c="12018">Ich glaubte schon, mein Schicksal wäre damit besiegelt, da erschien plötzlich Ulrich und drängte mit gewaltigen Streichen die Sarazenen zurück. </st><st c="12162">Wir beide kämpften Rücken an Rücken, ich wüsste nicht mehr zu sagen, wie lange wir uns unseren Gegnern erwehrten. </st><st c="12276">Doch dann endlich türmten die Feinde, unser Heer hatte den Sieg errungen. </st><st c="12350">Als ich mich umdrehte, sah ich in das lachende Gesicht von Ulrich, der seinen Helm abgenommen hatte. </st><st c="12451">Er rief: ›Wir haben Saladin besiegt!‹ In dem Moment bohrte sich ein Pfeil in seine Stirn, und er fiel.«</st></p> <p class="text_indent"><st c="12554">Magdalena stieß einen Schrei aus und schlug die Hände vors Gesicht. </st><st c="12623">In die Augen von Conrad traten Tränen.</st></p> <p class="text_indent"><st c="12661">»Ich stürzte zu ihm, nahm seinen Kopf in meine Hände und wollte nicht glauben, dass er tot war. </st><st c="12758">Ich rief immer wieder seinen Namen, aber es war umsonst. </st><st c="12815">Schließlich half ich dem schwer verletzten Graf Martin auf sein Pferd, legte Ulrich dahinter auf den Rücken des Tiers und brachte sie ins Lager. </st><st c="12960">Dort angekommen, verließen mich meine Kräfte, meine Beine trugen mich nicht mehr.«</st></p> <p class="text_indent"><st c="13042">Seyfrid erhob sich, zog sein Hemd aus und zeigte seinen nackten Oberkörper. </st><st c="13119">Narben zogen sich über seine Brust, die Schultern und den Rücken. </st><st c="13185">»Seit der Schlacht von Arsuf trage ich diese Male auf meinem Körper.«</st></p> <p class="text_indent"><st c="13254">Lange herrschte Schweigen, während Seyfrid sich wieder bekleidete.</st></p> <p class="text_indent"><st c="13321">Schließlich räusperte sich Freiherr Conrad. </st><st c="13366">»Hat Graf Martin überlebt?«, fragte er.</st></p> <p class="text_indent"><st c="13405">Seyfrid schüttelte betrübt den Kopf. </st><st c="13443">»Ich durchwachte die Nacht an seinem Lager, doch er starb im Morgengrauen. </st><st c="13518">Noch auf seinem Totenbett erklärte er meine Ausbildung als Knappe für beendet. </st><st c="13597">Auf Graf Martins letzte Bitte hin verlieh mir König </st><a href="ch27.xhtml#S-22" id="S_22"><st c="13649">Richard Löwenherz</st></a><st c="13666"> höchstselbst am nächsten Tag im Heerlager die </st><a href="ch27.xhtml#S-26" id="S_26"><st c="13713">Schwertleite</st></a><st c="13725">.«</st></p> <p class="text_indent"><st c="13727">»König Richard hat dir die Ritterwürde verliehen!«, rief der Freiherr beeindruckt aus. </st><st c="13815">»Das hattest du dir redlich verdient.«</st></p> <p class="text_indent"><st c="13853">Doch Seyfrid widersprach vehement. </st><st c="13889">»Nein, Ulrich hätte es viel mehr verdient als ich. </st><st c="13940">Es war sein größter Wunsch, die Schwertleite zu erhalten.« In einem Ausdruck der Verzweiflung hob er seine Arme. </st><st c="14053">»Ich habe mich so oft gefragt, warum er gestorben ist und nicht ich. </st><st c="14122">Wie konnte es Gottes Wille sein?«</st></p> <p class="text_indent"><st c="14155">Magdalena stand auf, trat zu Seyfrid und nahm seine Hand. </st><st c="14214">»So darfst du nicht denken! </st><st c="14242">Gottes Wege sind unergründlich. </st><st c="14274">Ich weiß, dass mein Sohn jetzt bei unserem Schöpfer ist, und das spendet mir Trost.«</st></p> <p class="text_indent"><st c="14358">Seyfrid nickte stumm, obwohl er ihrer Meinung nicht folgen wollte. </st><st c="14426">Er hatte seinen Glauben an den Kreuzzug und die gerechte Sache längst auf den Schlachtfeldern verloren. </st><st c="14530">Doch er konnte und durfte nicht darüber reden, es wäre zu gefährlich. </st><st c="14600">Nur zu gern sprachen die Kirchenfürsten bei ketzerischen Äußerungen die Exkommunikation aus. </st><st c="14693">So schwieg Seyfrid auch diesmal über seine Gefühle.</st></p> <p class="text_indent"><st c="14744">»Ich selbst habe das Kreuz für Ulrichs Grab aufgestellt«, fuhr er fort. </st><st c="14817">»Es war leider nur ein einfaches Holzkreuz aus zwei Stöcken, etwas anderes stand mir nicht zur Verfügung. </st><st c="14923">Ich habe darauf seinen Namen und meinen Wunsch eingeritzt: ›Ruhe für immer in Frieden‹. </st><st c="15011">Es war das Letzte, was ich tat, ehe ich selbst vor Schwäche zusammenbrach. </st><st c="15086">Meine Wunden forderten ihren Tribut.«</st></p> <p class="text_indent"><st c="15123">Jetzt konnte Magdalena ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. </st><st c="15184">Sie zog ein kleines Tuch hervor und betupfte ihre Augen.</st></p> <p class="text_indent"><st c="15240">Der Freiherr stand auf und hob seinen Becher hoch. </st><st c="15292">»Ich bin dir zu tiefem Dank verpflichtet, Ritter Seyfrid von Viskenich! </st><st c="15364">Nicht nur, dass du meinem Sohn ein guter Freund warst, du hast ihn auch aus dem Schlachtgetümmel geholt, für ein christliches Begräbnis gesorgt und den weiten Weg aus dem Heiligen Land auf dich genommen, um uns die Kunde zu bringen.«</st></p> <p class="text_indent"><st c="15597">Seyfrid zögerte mit der Antwort. </st><st c="15631">Konnte er dem Freiherrn die ganze Wahrheit sagen? </st><st c="15681">Conrad von Schwarzenberg stand nun in seiner Schuld, und Seyfrid hatte Vertrauen zu ihm gefasst. </st><st c="15778">Er schien ihm vom gleichen Schlag zu sein wie Ulrich: treu und aufrichtig bis in den Tod. </st><st c="15868">»Meine Geschichte ist noch nicht zu Ende erzählt«, sagte Seyfrid also. </st><st c="15939">»So setz dich bitte und lausch mir weiter!«</st></p> <p class="text_indent"><st c="15982">Der Freiherr ließ sich erwartungsvoll wieder auf den Stuhl sinken und gab dem Mundschenk den Wink, eine weitere Runde Wein zu bringen.</st></p> <p class="text_indent"><st c="16117">»Meine Wunden entzündeten sich, und es ging mir immer schlechter. </st><st c="16184">Ich wurde ins Spital des Deutschen Ordens nach Akkon gebracht. </st><st c="16247">Doch dort waren einfach zu viele Verletzte, als dass sie sich um alle hätten kümmern können. </st><st c="16340">Da hörte ich von einem berühmten Arzt namens Abdul Al-Aziz und bat in meiner Verzweiflung, zu ihm gebracht zu werden, da er nicht weit entfernt südlich von Tyros lebte. </st><st c="16509">Ich hatte zunächst Sorge, ob er als Muslim einen Christen überhaupt behandeln würde. </st><st c="16594">Ich kam mehr tot als lebendig bei ihm an, doch zu meiner Überraschung interessierte es Abdul Al-Aziz nicht, welchen Glaubens ich war. </st><st c="16728">Er sagte, es sei seine Pflicht, jeden Menschen zu behandeln. </st><st c="16789">Er gab mir in seinem Haus ein Lager, versorgte meine Wunden und senkte das Fieber. </st><st c="16872">Seine Behandlung war erfolgreich, und es ging mir bald besser. </st><st c="16935">Abdul Al-Aziz hatte meine Neugier geweckt, es interessierte mich sehr, wie er die mannigfaltigen Krankheiten behandelte, mit denen die Menschen zu ihm kamen. </st><st c="17093">Er hatte in seinem Haus mysteriöse Kräuter und seltsame Geräte, die ich noch nie gesehen hatte.«</st></p> <p class="text_indent"><st c="17189">Bei der Erinnerung glitt ein Lächeln über Seyfrids Gesicht.</st></p> <p class="text_indent"><st c="17249">»Abdul Al-Aziz war erfreut, dass ich mich für seine Heilkunst interessierte, und erklärte mir gerne seine Vorgehensweise. </st><st c="17372">Als ich gerade wieder genesen war, kamen drei französische Fußsoldaten in sein Haus und wollten ihn ausrauben. </st><st c="17483">Sie behaupteten, er hätte seine wertvollen medizinischen Geräte von Christen gestohlen. </st><st c="17571">Es waren dumme, gierige Männer ohne jedes Ehrgefühl. </st><st c="17624">Ich nahm einen Stock und jagte die feigen Diebe davon. </st><st c="17679">Abdul Al-Aziz war mir sehr dankbar und bot an, mich in der Heilkunde zu unterrichten. </st><st c="17765">Graf Martin war tot, es gab keinen Herrn mehr, dem ich verpflichtet war, und so blieb ich bei Abdul Al-Aziz und schloss mich nicht wieder dem Heer der Kreuzritter an, um Jerusalem zu erobern.«</st></p> <p class="text_indent"><st c="17957">Der Freiherr zog erstaunt die Augenbrauen hoch.</st></p> <p class="text_indent"><st c="18005">»Abdul Al-Aziz lehrte mich viele erstaunliche Dinge.«</st></p> <p class="text_indent"><st c="18059">»Du bist bei einem Ungläubigen in die Lehre gegangen?«, entfuhr es Conrad von Schwarzenberg nun doch.</st></p> <p class="text_indent"><st c="18161">»Es mag dir merkwürdig erscheinen, aber hättest du Abdul Al-Aziz je kennengelernt, würdest du es verstehen. </st><st c="18270">Er war ein heller Geist, überaus gütig und aufrichtig. </st><st c="18325">Sein ganzes Sinnen galt der Medizin. </st><st c="18362">Er wollte anderen Menschen mit seinen Heilkünsten helfen und ihre Krankheiten und Wunden heilen. </st><st c="18459">Ich kam in das Heilige Land, um die Muslime zu töten, aber der Muslim Abdul Al-Aziz wollte Leben retten. </st><st c="18564">Er hatte, ohne zu zögern, mir, einem Christen und damit erklärtem Feind seines Glaubens, geholfen und mir meine Gesundheit zurückgegeben. </st><st c="18702">Ohne ihn wäre ich mit Sicherheit am Wundbrand gestorben. </st><st c="18759">Die Brüder des Deutschen Ordens und die Johanniter weigerten sich hingegen, Muslime zu behandeln. </st><st c="18857">Nun sag mir, wer dem christlichen Gebot der Nächstenliebe mehr entsprach?« Der letzte Satz war Seyfrid in der Hitze seiner Rede herausgerutscht. </st><st c="19002">Erschreckt hielt er inne.</st></p> <p class="text_indent"><st c="19027">»Ein Muslim, der sich an die christlichen Gebote hält?«, fragte Conrad verblüfft.</st></p> <p class="text_indent"><st c="19109">»Nein«, entgegnete Seyfrid. </st><st c="19138">»Auch die Muslime haben eine heilige Schrift. </st><st c="19184">Sie nennen sie Koran, und sie regelt ihr Leben genauso, wie es bei uns die Bibel tut. </st><st c="19270">Die Gastfreundschaft ist ihnen ebenso heilig, wie es bei uns der Brauch ist. </st><st c="19347">Auch Mildtätigkeit ist für sie Pflicht. </st><st c="19387">Überhaupt gibt es erstaunlich viele Übereinstimmungen zwischen ihnen und uns.«</st></p> <p class="text_indent"><st c="19465">Magdalena hatte ihn die ganze Zeit mit ihren sanften Augen beobachtet. </st><st c="19537">»Du hast den Glauben an deine heilige Aufgabe verloren, Jerusalem von den Ungläubigen zu befreien«, stellte sie ohne Vorwurf in der Stimme fest.</st></p> <p class="text_indent"><st c="19681">Seyfrid war wie vom Donner gerührt. </st><st c="19718">Sie sprach sein tiefstes Geheimnis aus. </st><st c="19758">Seine innere Qual, die ihn fast um den Verstand gebracht hätte. </st><st c="19822">Er schwieg lange und konnte keinen klaren Gedanken fassen. </st><st c="19881">Wie sollte er es jemandem begreiflich machen, der nie im Heiligen Land gewesen war? </st><st c="19965">Der die Schlachten und das Töten nie erlebt hatte? </st><st c="20016">Der keine Erfahrung mit dem Leben der Menschen dort hatte? </st><st c="20075">Wie sollte er erklären, dass er nicht aus Feigheit, sondern aus Gewissensnot das Heilige Land verlassen hatte, bevor der Kreuzzug offiziell für beendet erklärt worden war?</st></p> <p class="text_indent"><st c="20246">»Ihr dürft dies nicht falsch verstehen!«, sagte er schließlich. </st><st c="20311">»Ich stehe fest in meinem Glauben zu Gott, unserem Herrn, aber ich weiß nicht, ob er will, dass Christen und Muslime sich gegenseitig abschlachten. </st><st c="20459">Warum können nicht alle friedlich in Jerusalem und dem Heiligen Land leben? </st><st c="20535">Wir könnten so viel voneinander lernen.«</st></p> <p class="text_indent"><st c="20575">Seyfrid hatte diesen Augenblick immer gefürchtet. </st><st c="20626">Den Moment, wenn er seinen Zweifel an der Kirche offen aussprechen würde. </st><st c="20700">Nicht einmal gegenüber Roger Frugardi hatte er es gewagt, auch wenn sein scharfsinniger Lehrer den inneren Konflikt seines Schülers wahrscheinlich erahnt hatte.</st></p> <p class="text_indent"><st c="20860">An der Scola Medica Salernitana hatte Seyfrid einige Muslime und Juden, denen das Studium der Heilkunde dort offenstand, kennen- und schätzen gelernt. </st><st c="21012">Dennoch war es eine ganz andere und sehr gefährliche Sache, an dem Aufruf des Papstes zu zweifeln, Jerusalem zu erobern. </st><st c="21133">Jetzt hatte Seyfrid sich gegenüber zwei Menschen offenbart, die er erst seit wenigen Stunden kannte. </st><st c="21234">Was er eben gesagt hatte, würde die Kirche als Blasphemie auslegen und gnadenlos bestrafen.</st></p> <p class="text_indent"><st c="21325">»Hast du deshalb das Heilige Land verlassen?«, fragte Conrad von Schwarzenberg schließlich.</st></p> <p class="text_indent"><st c="21417">Seyfrid schloss die Augen und schüttelte den Kopf. </st><st c="21469">»Nein. </st><st c="21476">Eines Nachts wurde ich von Schreien aus dem Schlaf gerissen. </st><st c="21537">Das Haus brannte. </st><st c="21555">Ich rannte zu dem Zimmer der Kranken und half Abdul Al-Aziz, sie aus den Flammen zu retten. </st><st c="21647">Nicht alle schafften es, einige verbrannten bei lebendigem Leib. </st><st c="21712">Doch draußen lauerten Soldaten auf uns, die das Feuer gelegt hatten. </st><st c="21781">Ihr Anführer kam direkt auf mich zu, es war Graf Louis de Beauvard.«</st></p> <p class="text_indent"><st c="21849">Der Freiherr führte gerade seinen Weinbecher zum Mund, hielt aber in der Bewegung inne und starrte Seyfrid gebannt an.</st></p> <p class="text_indent"><st c="21968">»Ihr müsst wissen, dass ich ihn unmittelbar nach der Schlacht von Arsuf angeklagt hatte, Graf Martin und mich während des Kampfs absichtlich im Stich gelassen zu haben. </st><st c="22138">Der Streit ging vor den Stellvertreter König Philipps, Konrad von Montferrat, aber de Beauvard leugnete seine Tat. </st><st c="22253">Weil Graf Martin tot war, konnte niemand meine Anschuldigung bezeugen, und so kam es zu keiner Verurteilung. </st><st c="22362">Aber der Verdacht blieb an de Beauvard haften, und er hasste mich dafür. </st><st c="22435">Sein Weg führte ihn später nach Tyros, wo er zufällig von den französischen Soldaten, die ich aus dem Haus von Abdul Al-Aziz gejagt hatte, meinen Aufenthaltsort erfuhr. </st><st c="22604">Die Soldaten waren nur allzu gerne bereit, ihren Landsmann zu dem Haus zu führen und es anzuzünden.«</st></p> <p class="text_indent"><st c="22704">Freiherr Conrad setzte mit einem Knall den Becher auf dem Tisch ab und knurrte: »Die feigen Schweine!«</st></p> <p class="text_indent"><st c="22807">»De Beauvard wollte mich töten, doch Abdul Al-Aziz stellte sich schützend vor mich. </st><st c="22892">Da erschlug de Beauvard ihn. </st><st c="22921">Al-Aziz war für mich in den Tod gegangen und hatte damit mein Leben zum zweiten Mal gerettet. </st><st c="23015">Ich entriss einem der Soldaten sein Schwert und hieb auf de Beauvard ein, doch seine Rüstung schützte ihn. </st><st c="23122">Noch nie hatte ich eine so unbändige Wut verspürt. </st><st c="23173">Durch das Feuer alarmiert, strömten immer mehr Menschen aus dem Dorf zusammen, und die Franzosen flohen schließlich. </st><st c="23290">Ich habe de Beauvard danach in Tyros gesucht, doch er war Hals über Kopf aufgebrochen und bereits auf einem Schiff nach Frankreich unterwegs. </st><st c="23432">Ich trauerte sehr um Abdul Al-Aziz und kam zu der Überzeugung, dass ich es ihm schuldig war, in seine Fußstapfen zu treten und mich der Medizin zu widmen, um Kranke zu heilen. </st><st c="23608">So ging ich nach Salerno, wo sich die berühmteste Schule für Medizin befindet. </st><st c="23687">Zu meinem eigenen Erstaunen gelang es mir, dort aufgenommen und von Roger Frugardi unterrichtet zu werden. </st><st c="23794">Doch vor Kurzem erreichten mich schlechte Nachrichten aus meiner Heimatstadt Köln. </st><st c="23877">Mein Vater ist gestorben, und ich muss nun zu meiner Familie.«</st></p> <p class="text_indent"><st c="23939">Genaueres über die Umstände des Todes zu erzählen hielt Seyfrid nicht für ratsam. </st><st c="24022">Erst recht konnte er dem Freiherrn nicht von seinem Plan erzählen, sich als Ulrich auszugeben.</st></p> <p class="text_indent"><st c="24116">»Wir sind dir auf ewig dankbar, Seyfrid!«, sagte Conrad ruhig. </st><st c="24180">»Deine Reise war gewiss sehr anstrengend, möchtest du dich bei uns einige Tage ausruhen? </st><st c="24269">Mein Burgvogt wird dich in ein Gemach führen, das du bewohnen kannst, solange es dir beliebt.«</st></p> <p class="text_indent"><st c="24363">»Ich bin tatsächlich müde und danke dir für die Gastfreundschaft.«</st></p> <p class="text_indent"><st c="24430">»Schlaf dich gründlich aus! </st><st c="24459">In drei Tagen werde ich dir zu Ehren ein Festbankett geben. </st><st c="24519">Es wird dir gefallen!«</st></p> <p class="text_noindent"><st c="24541">Seyfrid schlief in dieser Nacht das erste Mal seit Langem tief und fest. </st><st c="24615">Merkwürdigerweise fühlte er sich erleichtert, seit er von seinen Erlebnissen im Heiligen Land erzählt hatte.</st></p> <p class="text_indent"><st c="24723">Die nächsten beiden Tage verbrachte er damit, die Burg und die umliegenden Wälder zu erkunden. </st><st c="24819">Seyfrid war begierig, Ulrichs Heimat mit eigenen Augen zu sehen. </st><st c="24884">Sie war genauso wunderschön, wie Ulrich sie ihm geschildert hatte. </st><st c="24951">Seyfrid sog tief die würzige Luft des Waldes ein und genoss die Ausblicke auf Berge und Täler. </st><st c="25046">Doch er musste oft daran denken, dass Ulrich seine geliebte Heimat nie wiedersehen würde.</st></p> <p class="text_indent"><st c="25135">Am dritten Tag fand das Bankett statt, und Conrad von Schwarzenberg hatte nicht zu viel versprochen. </st><st c="25237">Im Haupthaus waren lange Tafeln und Stühle aufgestellt worden, im Burghof drehten sich auf großen Spießen zwei geschlachtete Schweine, und der Hausherr hatte alles aufgefahren, was die Speisekammer hergab. </st><st c="25443">Als Seyfrid den Saal betrat, hatten sich bereits viele Gäste eingefunden. </st><st c="25517">Ihm war es ein Rätsel, wie Conrad von Schwarzenberg es geschafft hatte, sie alle so schnell zu benachrichtigen. </st><st c="25629">Es waren einige Adlige aus der Umgebung, aber auch reiche Kaufleute darunter. </st><st c="25707">Ein Minnesänger bemühte sich nach Kräften, die Anwesenden mit seiner Musik zu unterhalten.</st></p> <p class="text_indent"><st c="25797">Wahrlich nicht schlecht für so ein kurzfristig angesetztes Bankett, dachte Seyfrid. </st><st c="25882">In dem Moment wurde er vom Freiherrn entdeckt, der mit ausgebreiteten Armen auf ihn zueilte. </st><st c="25975">»Mein Ehrengast! </st><st c="25992">Setz dich neben mich!«</st></p> <p class="text_indent"><st c="26014">Seyfrid empfand es als große Ehre, am Kopfende der Tafel neben den Hausherrn platziert zu werden. </st><st c="26113">Das Essen war vorzüglich, und er griff hungrig zu.</st></p> <p class="text_indent"><st c="26163">Im Laufe des Abends lernte er fast alle Gäste kennen, die neugierig auf den Ritter waren, der im Heiligen Land gekämpft hatte. </st><st c="26291">Immer wieder erzählte er von seinen Erlebnissen in Palästina, lediglich den wahren Grund für seine Rückkehr nach Köln verschwieg er wohlweislich. </st><st c="26437">Die Leute waren freundlich und lauschten ihm gebannt, dennoch schwitzte Seyfrid Blut und Wasser, aber niemand sprach ihn auf seinen Vater an. </st><st c="26579">Offensichtlich hatte sich die Hinrichtung des Ritters Johann von Viskenich in Köln nicht bis in den Süden des Reichs herumgesprochen.</st></p> <p class="text_indent"><st c="26712">Zu später Stunde kamen der Freiherr und einige um ihn gescharte Gäste auf ein Thema zu sprechen, das offensichtlich alle brennend interessierte. </st><st c="26858">»Du weißt, dass König Richard im Dezember letzten Jahres von Herzog Leopold von Österreich gefangen genommen und dann Kaiser Heinrich übergeben wurde?«, wandte er sich an Seyfrid.</st></p> <p class="text_indent"><st c="27037">Dessen Gesichtsausdruck verdüsterte sich schlagartig, als er antwortete: »Ja, ich vernahm, dass er inzwischen auf der Burg Trifels festgehalten wird.«</st></p> <p class="text_indent"><st c="27188">»Leopold behauptet, dass er Richard inhaftierte, weil der sich gegen den Kaiser gestellt habe«, warf ein alter Mann mit schlohweißen Haaren ein, dessen Namen Seyfrid schon wieder vergessen hatte.</st></p> <p class="text_indent"><st c="27384">Zwischen Seyfrids Augenbrauen traten zwei steile Falten. </st><st c="27442">»Glaubt mir, die Gründe Leopolds sind durchweg unehrenhaft! </st><st c="27502">Nachdem wir Akkon erobert hatten, erhob Herzog Leopold den unangemessenen Anspruch auf einen gleich großen Teil der Beute wie die beiden Könige Richard und Philipp. </st><st c="27667">Dabei hatte sich Leopold bei der Eroberung immer im Hintergrund gehalten. </st><st c="27741">Die Könige lehnten die Forderung natürlich ab. </st><st c="27788">Leopold hisste dennoch in dreister Manier seine Standarte auf der Stadtmauer, und Richard ließ sie in den Graben werfen. </st><st c="27909">Leopold zog daraufhin zutiefst beleidigt aus dem Heiligen Land ab.«</st></p> <p class="text_indent"><st c="27976">»Es war höchst unklug von Richard, auf seinem Heimweg nach England durch Österreich zu reisen«, erklärte Conrad von Schwarzenberg. </st><st c="28108">»Man sagt, Richard und seine Begleiter hätten sich als einfache Leute verkleidet, gaben aber zu viel Geld in Wirtshäusern aus, als dass sie nicht aufgefallen wären. </st><st c="28273">Leopold ließ ihn aus Rache festnehmen und wusste, dass der Kaiser ihm für diese Tat gewogen sein würde. </st><st c="28377">Er nahm für den Frevel, einem Kreuzritter bei der Rückkehr aus dem Heiligen Land das freie Geleit zu verwehren, sogar die Exkommunikation durch den Papst in Kauf.«</st></p> <p class="text_indent"><st c="28540">Ein dicker Mann mit roter Knollennase, der Seyfrid als Jasper von Breisen vorgestellt worden war, mischte sich in das Gespräch ein: »Heinrich und Leopold verlangen hundertfünfzigtausend Silbermark Lösegeld von England, weil Richard den König von Jerusalem, Konrad von Montferrat, letztes Jahr ermorden ließ und mit den Ungläubigen einen schändlichen Vertrag ausgehandelt hat, anstatt sie zu unterwerfen.«</st></p> <p class="text_indent"><st c="28945">»Mit Verlaub, aber diese lächerlichen Vorwürfe glaubst du doch wohl nicht wirklich?«, entgegnete Freiherr von Schwarzenberg scharf. </st><st c="29078">»Jeder weiß, dass Sultan Saladin die Meuchelmörder beauftragt hatte. </st><st c="29147">Wir haben Richard viel zu verdanken, hat er doch fast alle Städte im Heiligen Land erobert und schließlich mit Saladin einen Friedensvertrag ausgehandelt, der den christlichen Pilgern den freien Zugang zu den heiligen Stätten von Jerusalem gestattet.«</st></p> <p class="text_indent"><st c="29398">Der wohlgenährte von Breisen machte ein beleidigtes Gesicht, doch Conrad von Schwarzenberg fuhr ungerührt fort. </st><st c="29511">»Kaiser Heinrich muss frohlockt haben, als er die Kunde erhielt, dass Richard gefangen genommen wurde. </st><st c="29614">Die falschen Anschuldigungen sind nur ein Vorwand, um die sagenhaften hundertfünfzigtausend Silbermark Lösegeld zu rechtfertigen.«</st></p> <p class="text_indent"><st c="29744">Von Breisen schnaubte, ließ den Gastgeber aber weiterreden.</st></p> <p class="text_indent"><st c="29804">»Als Richard letzten März beim Hoftag in Speyer sehr wortgewandt die anwesenden hohen Herren von seiner Unschuld überzeugte, hat der Kaiser schnell einen neuen Grund erfunden, um ihn weiter festhalten zu können: Angeblich will Heinrich erst die Fehde zwischen England und Frankreich gütlich beigelegt wissen, um den Frieden im Reich zu sichern. </st><st c="30150">Natürlich wird sich Philipp nicht darauf einlassen, weil ihm nichts Besseres hätte passieren können als die Gefangennahme Richards. </st><st c="30282">In Wahrheit will Heinrich, dass Richard ihn als Lehnsherrn anerkennt. </st><st c="30352">Damit stünde der deutsche Kaiser über dem englischen Thron, und gleichzeitig hätte Heinrich allen Fürsten, die ihm nicht wohlgesonnen sind, ihren stärksten Verbündeten genommen. </st><st c="30530">Jetzt nutzt Philipp die Gunst der Stunde und will das Angevinische Reich zurückerobern, das seit der Hochzeit Eleonores von Aquitanien mit Richards Vater Henry Plantagenet der englischen Krone gehört. </st><st c="30731">Wie ich hörte, hat Philipp die erste Burg in der Normandie angegriffen.«</st></p> <p class="text_indent"><st c="30803">Er ließ ein bitteres Lachen ertönen. </st><st c="30841">»Genau deshalb ist Philipp so früh aus dem Heiligen Land wieder abgereist. </st><st c="30916">Dabei hatte er vorher einen Eid auf die Bibel geschworen, dass er Richards Besitz nicht antasten würde.«</st></p> <p class="text_indent"><st c="31020">»Mir ist zu Ohren gekommen, dass Philipp dem Kaiser ebenfalls hundertfünfzigtausend Silbermark geboten habe, wenn er Richard noch weiter festhält«, sagte der Weißhaarige. </st><st c="31192">»Aber bislang hat sich Heinrich noch nicht dazu geäußert.«</st></p> <p class="text_indent"><st c="31250">Seyfrid schüttelte resigniert den Kopf. </st><st c="31291">»Hundertfünfzigtausend Silbermark! </st><st c="31326">Ich frage mich, woher in England so viel Geld kommen soll, zumal Richards Bruder John sich der Zahlung verweigert, um selbst den Thron besteigen zu können.«</st></p> <p class="text_indent"><st c="31482">»Oh, ich hörte vor Kurzem, dass Richards Mutter Eleonore die Summe aufgetrieben habe«, entgegnete Conrad von Schwarzenberg. </st><st c="31607">»Sie hat auf Geheiß Richards die Steuern erhöht, alles von Wert in ihrem Besitz verkauft, bei den Adligen und Klöstern ihres Reiches kräftig kassiert und sogar jeden einzelnen Bürger und Bauern zu Abgaben gezwungen, bis sie die hunderttausend Mark für die erste Rate des Lösegelds zusammenhatte. </st><st c="31903">Bemerkenswert, welche Macht Eleonore immer noch besitzt. </st><st c="31960">Wie alt ist sie jetzt eigentlich?«</st></p> <p class="text_indent"><st c="31994">Der Weißhaarige dachte angestrengt nach. </st><st c="32036">»Auf jeden Fall über siebzig Jahre«, meinte er. </st><st c="32084">»Man sagt, sie sei immer noch eine Schönheit.«</st></p> <p class="text_indent"><st c="32130">Seyfrid war von der Nachricht völlig überrascht. </st><st c="32180">»Sie hat die Summe zusammenbekommen? </st><st c="32217">Das hieße, Richard käme frei.«</st></p> <p class="text_indent"><st c="32247">»Das ist noch nicht sicher«, entgegnete der Freiherr. </st><st c="32302">»Ich denke, dass Heinrich auf dem Lehnseid bestehen wird, ehe er Richard freilässt.«</st></p> <p class="text_indent"><st c="32386">»König Philipp hat mit Prinz John einen Pakt geschlossen«, warf der Weißhaarige ein. </st><st c="32472">»John will Philipp die Normandie und die Touraine überlassen, wenn er ihn als König anerkennt.«</st></p> <p class="text_indent"><st c="32567">Seyfrid schüttelte angewidert den Kopf. </st><st c="32608">»John verrät seinen eigenen Bruder! </st><st c="32644">Welch eine Schande!«</st></p> <p class="text_indent"><st c="32664">»Ich bin gespannt, was Richard mit John macht, wenn er freikommt«, bemerkte der Freiherr. </st><st c="32755">»Es kann nicht mehr lange dauern, denn seine Mutter will sich wohl bald mit einem Tross auf den Weg zu Kaiser Heinrich nach Speyer machen, um das Lösegeld höchstpersönlich beim ihm abzuliefern.«</st></p> <p class="text_indent"><st c="32949">Der Weißhaarige beugte sich in Seyfrids Richtung. </st><st c="33000">»Wenn du nach Köln reist, hast du vielleicht Gelegenheit, Eleonore zu Gesicht zu bekommen. </st><st c="33091">Sie wird dort bestimmt Rast machen, weil der neue Erzbischof von Köln, </st><a href="ch27.xhtml#S-1" id="S_1"><st c="33162">Adolf von Altena</st></a><st c="33178">, in die Verhandlungen zwischen der englischen Krone und dem Kaiser eingebunden ist. </st><st c="33263">Sicher will Eleonore ihm für seine Hilfe danken.«</st></p> <p class="text_indent"><st c="33312">Seyfrid hörte zum ersten Mal, dass Adolf von Altena sich für die Freilassung von König Richard eingesetzt hatte. </st><st c="33426">Doch es war ihm klar, dass der Kölner Erzbischof sich Vorteile davon versprach. </st><st c="33506">Der Handel mit England hatte in Köln Tradition und brachte dem Erzbischof als offiziellem Reichsfürst des Erzstifts Köln gutes Geld ein. </st><st c="33643">Ein Ausbleiben der Zölle auf Waren aus England würde seine Einnahmen empfindlich schrumpfen lassen.</st></p> <p class="text_indent"><st c="33742">Das Festbankett in der Schwarzenburg dauerte bis weit nach Mitternacht. </st><st c="33815">Seyfrid schleppte sich schließlich in die ihm zugewiesene Kammer und fiel ob des vielen Weins bald in einen tiefen Schlaf. </st><st c="33938">Doch in dieser Nacht quälten ihn Albträume von den Schlachten im Heiligen Land und dem Tod Ulrichs, der Hinrichtung seines Vaters und von seiner verschwundenen Schwester.</st></p> <p class="text_indent"><st c="34108">Als er am Morgen schweißüberströmt erwachte, beschloss er, umgehend nach Köln aufzubrechen. </st><st c="34201">Es war noch ein weiter Ritt.</st></p> <div id="charCountTotal" value="34229"></div></body> </html>