6. DEZEMBER 1193

Am nächsten Morgen wurde Seyfrid von Glockengeläut geweckt. Es war der Tag des heiligen Nikolaus, und alle Kirchen in Köln riefen die Menschen zur Messe. Unter normalen Umständen wäre Seyfrid der Aufforderung gefolgt, doch es wartete ein Treffen auf ihn, das er nicht aufschieben konnte.

Er hatte in der Nacht noch lange gegrübelt und war zu dem Entschluss gekommen, Heribert Grimmel auf den Kopf zuzusagen, dass er vor dem Blutgericht gelogen habe. Er war sicher, dass der Hafenknecht den Mord nicht beobachtet hatte, sondern bestochen worden war. Er würde ihm drohen, den Büttel zu holen, und Grimmel würde nicht den Mumm haben, standhaft bei seiner Behauptung zu bleiben, wenn er wegen Meineids in den Wegschnapp wandern würde. In dem berüchtigten Turm brachten sich die halb verhungerten Gefangenen schließlich selbst um, indem sie nach einem aufgehängten Stück Brot sprangen und dann in das Loch im Boden fielen, wo sie unweigerlich von spitzen Holzpfählen aufgespießt wurden.

Seyfrid verließ kurz nach Sonnenaufgang sein neues Heim in der Severinstraße und machte sich auf den Weg zum Hafen. Er kam rasch voran, weil viele Menschen in den Kirchen waren. Dennoch wurde in den meisten Werkstätten schon gearbeitet. Die Luft war frostig, und Raureif lag auf den Häusern. Der Matsch in den Straßen war halb gefroren. Doch ein blauer Himmel verhieß wenigstens vorerst keinen weiteren Schnee.

Als Seyfrid durch die Hafenpforte schritt, herrschte auch auf den Stegen reges Treiben, aber Grimmel war nirgends zu sehen. Dafür entdeckte Seyfrid dessen Knechte, die gelangweilt am Ufer herumlungerten. »Wo ist Grimmel?«, fragte er und erntete ein kollektives Achselzucken.

»Noch nicht aufgetaucht. Eigentlich müsste er längst da sein«, nuschelte ein älterer Hafenknecht, der nur noch vier Zähne im Mund hatte.

»Wo wohnt er?«

Der Mann erklärte ihm den Weg. Das Haus von Grimmel lag nördlich von Köln, etwa eine halbe Stunde Fußmarsch vom Hafen. Seyfrid wollte umgehend ein paar Antworten, also machte er sich mit einem Seufzen auf den Weg. Diesmal würde er nicht davor zurückschrecken, Grimmel hart anzupacken, um die Wahrheit zu erfahren. Dann würde er beweisen können, dass sein Vater den Mord nicht begangen hatte und zu Unrecht hingerichtet worden war.

Die Sonne hatte die Straße an manchen Stellen inzwischen aufgetaut und schlammig gemacht. Seyfrid lief über den Eigelstein und verließ dort die Stadt in Richtung Norden. Er hielt sich parallel zum Rhein und traf an der beschriebenen Stelle schließlich auf eine Ansammlung von Hütten mit einfachen Reetdächern. Bei einer war die Tür sperrangelweit offen. Zwei Männer standen unentschlossen vor der Hütte und sahen argwöhnisch in den dämmrigen Raum. Seyfrid überfiel eine böse Vorahnung.

Als die Männer sich zu ihm umwandten, gaben sie den Blick frei auf eine reglose Gestalt am Boden der Hütte. Heribert Grimmel lag dort und schien ziemlich tot zu sein.

Seyfrid fluchte lautlos. Er kam zu spät.

»Wer bist du?«, fragte ihn der bärtige Mann im blutroten Mantel. Seyfrid erkannte den stämmigen Büttel, der vor wenigen Tagen die Leiche Eckards begutachtet hatte.

»Ulrich von Schwarzenberg.«

»Der neue Medicus?«

Seyfrid wunderte sich schon gar nicht mehr, dass inzwischen offenbar ganz Köln den Namen kannte. »Genau jener. Und mit wem habe ich die Ehre?«

»Wolfram Pütz, ich bin der Büttel der Stadt Köln.«

Seyfrid versuchte, eine unbewegte Miene beizubehalten. Dies war der Mann, der seinen Vater auf der Burg Viskenich festgenommen hatte. Der Büttel hatte zwar nur seine Pflicht getan, und dennoch fühlte Seyfrid, wie sich alles in ihm sträubte.

Seyfrid registrierte, dass aus einigen Hütten ängstliche Gesichter hinausspähten. Ein kleines Kind mit dreckverschmiertem Gesicht drängelte sich neugierig an seiner Mutter vorbei nach draußen, wurde jedoch direkt wieder hineingezogen. »Was ist hier geschehen?«, fragte er Pütz.

Der Büttel trat angespannt von einem Fuß auf den anderen. »Der Bewohner der Hütte, Heribert Grimmel, ist letzte Nacht umgebracht worden.«

»Weißt du, wer es war?«

Pütz tauschte einen betretenen Blick mit dem anderen Mann.

»Der Teufel hat ihn geholt«, flüsterte dieser.

»Darf ich erfahren, wer du bist?«, fragte Seyfrid unbeeindruckt.

»Lothar Malmedey. Mir gehört die Hütte, ich habe sie im Sommer an Grimmel vermietet. Vorher hat er in einer Nische der Stadtmauer gehaust, weiß der Himmel, wie er sich auf einmal die Hütte leisten konnte. Grimmel hatte sich bei mir beschwert, dass das Dach undicht sei, und ich hatte es mir gestern Abend noch angesehen. Als ich heute Morgen kam, um es abzudichten, stand die Tür auf, und er war tot.« Malmedey bekreuzigte sich mehrmals.

Seyfrid sah zur Tür. Ein solider Holzriegel war innen befestigt. »Hat Grimmel die Tür verriegelt, nachdem du gestern gegangen bist?«

»Ja, natürlich. Niemand lässt hier nachts die Türen unverschlossen. Ich erinnere mich genau, dass ich gestern Abend gehört habe, wie er den Riegel vorschob.«

»Wie kommst du darauf, dass ihn der Teufel geholt hat?«, fragte Seyfrid.

Nun bekreuzigten sich sowohl Malmedey als auch Pütz hastig. »Nur der Leibhaftige kann durch geschlossene Türen gehen«, erklärte Malmedey mit gedämpfter Stimme und guckte sich ängstlich um.

Seyfrid hätte ihn am liebsten einen törichten Trottel gescholten. Das Naheliegendste war, dass Grimmel selbst die Tür geöffnet hatte. Doch es hatte wohl kaum der Leibhaftige vor dem Haus gestanden, vielmehr ein Mörder aus Fleisch und Blut.

Bevor die beiden Männer ihn hindern konnten, war Seyfrid an ihnen vorbeigegangen und betrat die Hütte. Mit einem entsetzten Aufschrei wich Malmedey einige Schritte zurück. Unbeeindruckt kniete sich Seyfrid neben die Leiche. Grimmel starrte mit weit aufgerissenen Augen an die Decke. Seyfrid erkannte eine drei Finger breite Wunde neben dem Hals. Für einen Dolch war sie zu groß, es musste ein Schwert gewesen sein. Ein direkter Stich von oben hinter das Schlüsselbein. Die Klinge war durch die Lunge bis ins Herz gedrungen. Grimmel musste augenblicklich tot gewesen sein.

Seyfrid schloss ihm die Augen, verweilte dabei etwas länger als nötig mit der Handfläche im Gesicht. Er fühlte noch eine Restwärme. Grimmel konnte erst wenige Stunden tot sein. Dann fasste er den Leichnam an der Schulter und drehte ihn auf die Seite.

Pütz rief angewidert: »Großer Gott, was machst du da?«

Seyfrid musste gar nicht nach draußen blicken, um zu wissen, dass sich Malmedey schon wieder bekreuzigte. Es war Aufgabe der Totengräber, Leichen anzufassen, ehrbare Christenmenschen taten so etwas nicht. Schon gar nicht, wenn vielleicht teuflische Mächte ihre Finger im Spiel hatten. Seyfrid kannte die Furcht der Menschen vor Leichen.

Er gab keine Antwort und betrachtete aufmerksam Grimmels Rücken. Keine weitere Wunde. Der Mörder war sich absolut sicher gewesen, dass er Grimmel mit einem einzigen, gezielten Stich getötet hatte. Eine kalte Furcht stieg in Seyfrid auf. Nicht weil er fürchtete, dass es der Teufel persönlich gewesen wäre. Ganz sicher nicht. Seyfrid hatte diese Schwerttechnik vor einer gefühlten Ewigkeit das letzte Mal gesehen. Sie war nicht einfach, denn die Klinge musste sehr präzise, schnell und dennoch kraftvoll geführt werden. Das Opfer war sofort tot, ohne noch einen Laut von sich zu geben. Im Heiligen Land hatten sie diese Methode vervollkommnet, um feindliche Wachen blitzschnell auszuschalten, sodass sie keinen Alarm schlagen konnten.

Das hier war nicht die Tat des Teufels, auch nicht die eines gewöhnlichen Diebes, der Grimmel vielleicht ausrauben wollte. Hier war jemand gewesen, der sein tödliches Handwerk meisterhaft verstand. Der geplant und kaltblütig vorging. Wie ein Kreuzritter.

Seyfrid erhob sich langsam und verließ die Hütte.

»Weshalb wolltest du Grimmel eigentlich aufsuchen?«, erkundigte sich der Büttel, der inzwischen etwas Mut gefasst hatte und nicht tatenlos herumstehen wollte, während die Bewohner der umliegenden Hütten ihn beobachteten.

»Ich wollte seine Dienste in Anspruch nehmen«, log Seyfrid. »Doch da er am Hafen nicht auftauchte, kam ich her. Seine Knechte sagten mir, wo er wohnt.« Seyfrid blieb vor dem Büttel stehen. »Was gedenkst du zu unternehmen?«

»Nun, ich werde dem Bürgermeister den Toten melden.« Pütz wirkte ratlos. »Vielleicht sollte er einen Priester mit Weihwasser herschicken, bevor der Totengräber die Leiche holt.«

Seyfrid starrte ihn einen Augenblick an, ehe er sagte: »Wenn du meinst.«

Er ging ein paar Schritte und drehte sich dann noch einmal um. »Sag, ist nicht vor Kurzem bereits ein Mann vor den Toren Kölns erstochen worden?«

»Ja, vor ein paar Tagen, nahe dem Duffesbach.«

»Hast du den Mörder gefunden?«

Der Büttel schüttelte den Kopf. »Nein, niemand kennt den Toten, und es hat auch niemand gesehen, wer ihn nächtens erstach. Vermutlich war er ein Pilger, und Räuber hatten es auf sein Geld abgesehen.«

Seyfrid warf einen letzten Blick auf den Toten. »Da scheinen einige nicht zu wissen, dass Köln eine sichere Stadt ist«, bemerkte er spöttisch. Ohne eine Antwort abzuwarten, ließ Seyfrid den Büttel stehen und trat den schlammigen Heimweg an.

Jemand hatte Grimmel zum Schweigen gebracht. Für Seyfrid bestand kein Zweifel, dass der Grund dafür die falsche Zeugenaussage war. Grimmel hatte vor dem Blutgericht gelogen, denn er hatte den Mord gar nicht gesehen. Doch er hatte den Mörder gekannt, der ihn bestochen hatte, um einen Meineid zu leisten. Jetzt hatte jemand, der ein Meister des Schwerts war, dafür gesorgt, dass Grimmel sein Wissen niemals mehr ausplaudern konnte.

***

Der Getreue fühlte sich elend. Er hatte in der Nacht keinen Schlaf gefunden, und seine Augen brannten nun vor Müdigkeit. So überzeugt er auch von der gemeinsamen Sache war, wurde die Lage immer komplizierter. Nicht, dass er an der Richtigkeit seines Handelns zweifelte, aber die Gefahr, entdeckt zu werden, schien mit jedem Tag zu steigen. Er beruhigte sich mit dem Gedanken, dass es bald vorbei sein würde.

Um Grimmel tat es ihm nicht leid. Auch wenn er sich selbst für einen guten Christen hielt, aber Grimmel war Abschaum gewesen. Seine Dummheit hatte den Plan gefährdet, es war nur recht und billig, dass der gierige Hafenknecht dafür seine Strafe erhalten hatte, genau wie Hackenbroich. Tote reden nicht.

Der Getreue stieß einen verächtlichen Laut aus. Schlimm genug, dass er nun selbst in den Verdacht der Unzuverlässigkeit geraten war, denn schließlich hatte er Grimmel ausgesucht. Damals war ihm der verschlagene Hafenknecht als gut geeignet erschienen. Er hatte sofort gewusst, dass der skrupellose Grimmel, ohne zu zögern, einen Meineid vor Gericht leisten würde, wenn nur das Handgeld stimmte. Dass der Hafenknecht danach jedoch sein loses Maul nicht halten konnte und mit seinem plötzlichen Reichtum prahlte, hatte der Getreue erst zu spät erkannt. Wenn sich jetzt jemand neugierig nach Grimmels Zeugenaussage vor Gericht erkundigt hatte, war die sofortige Beseitigung des Hafenknechts die einzige Lösung gewesen.

Er schenkte sich erneut Wein ein. Es war schon das dritte Glas an diesem Morgen, doch erst jetzt tat der Wein so langsam seine beruhigende Wirkung. Der Getreue wusste, dass sein Leben nicht verschont werden würde, wenn es ihnen ratsam erschien, auch ihn zum Schweigen zu bringen.

Er verspürte wieder die Angst in sich aufsteigen, als er an letzte Nacht dachte. Der Hafenknecht hatte ohne Argwohn die Tür geöffnet, nachdem der Getreue seinen Namen geflüstert hatte. Den Unbekannten neben ihm hatte Grimmel nur erstaunt angeblickt, als ihn auch schon der Faustschlag in den Magen getroffen hatte, der ihn auf die Knie hatte sinken lassen – dorthin, wo ihn sein Begleiter für den tödlichen Stoß hatte haben wollen. Ohne jegliche Gefühlsregung hatte der Mann Grimmel das Schwert blitzschnell hinter das Schlüsselbein bis ins Herz gejagt.

Ein Menschenleben auszulöschen ist für den Mann mit dem kalten Blick nicht anders, als würde er eine lästige Fliege zerquetschen, dachte der Getreue schaudernd. Er nahm noch einen kräftigen Schluck Wein und fühlte, wie er ihm die Kehle hinabrann.

Nicht mehr lange, dann war es geschafft, beruhigte er sich. Wenn er nur wüsste, wer der Kerl gewesen war, der sich bei Grimmel so neugierig nach dem Blutgericht erkundigt hatte. Der Hafenknecht konnte sie jetzt zwar nicht mehr verraten, aber offensichtlich war jemand misstrauisch geworden und stellte lästige Fragen. Es würde schon reichen, wenn ein leiser Verdacht aufkäme oder – Gott bewahre – der Büttel Pütz einen Hinweis erhielte.

»Mach dich nicht verrückt!«, murmelte der Getreue und leerte das Glas Wein in einem Zug. Dann erhob er sich, um am Tag des heiligen Nikolaus die Messe zu besuchen.

***

Seyfrids Schritte schmatzten im weichen Untergrund, und der Schlamm spritzte ihm über die Knöchel, doch er achtete nicht darauf, sondern ärgerte sich, dass er von Grimmel nichts weiter erfahren würde. Der sollte für seinen Meineid ruhig in der Hölle schmoren, aber sein Tod war zu früh gekommen.

Je länger Seyfrid nachdachte, desto klarer wurde ihm, dass er immerhin den Mörder Hackenbroichs aufgescheucht hatte. Bislang hatte sich der wahre Täter sehr sicher gefühlt und sogar zugelassen, dass Grimmel das Bestechungsgeld mit vollen Händen ausgegeben und dadurch die Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. So anmaßend konnte nur jemand sein, der sehr mächtig war.

Für Seyfrid stand zweifellos fest, dass Grimmel nach seinem gestrigen Besuch am Hafen zu seinem verruchten Auftraggeber gelaufen war und ihm erzählt hatte, dass sich jemand bei ihm nach seiner Aussage vor dem Blutgericht erkundigt hatte. Das musste den Mörder sehr aufgewühlt haben. Grimmel hatte sein eigenes Todesurteil gefällt.

Zu Seyfrids Glück hatte Grimmel keine Ahnung gehabt, wer der junge Mann gewesen war, der ihm so neugierige Fragen gestellt hatte. Wenigstens einer, der den neuen Medicus von Köln noch nicht gekannt hatte, dachte er. Somit war er dem Mörder einen Schritt voraus.

Seyfrid näherte sich der Stadtmauer und hob seinen Blick. Er spürte die Sonne in seinem Gesicht, als ob die zarte Wärme ihm Mut machen wollte. Er musste den Mörder weiter aus der Deckung locken.

Er lenkte seine Schritte erneut zum Hafen. Der Knecht mit den Zahnlücken lungerte immer noch untätig am Ufer herum. Er hatte keine Ahnung, dass Grimmel tot war, und Seyfrid wollte auch nicht derjenige sein, der ihm die traurige Nachricht überbrachte. Mit einer Kopfbewegung brachte er den Mann dazu, ihm zu folgen, bis sie etwas abseits des Gewühls am Flussufer standen.

»Auf ein Wort, mein Freund! Seit wann arbeitest du für Grimmel?«

»Seit Ende des Sommers.«

Seyfrid warf einen Blick auf die anderen zerlumpten Gestalten, die Waren von den Schiffen schleppten. »Vorher hat er sich genau wie du als Hafenknecht verdungen?«

Der Mann nickte und zog geräuschvoll die Nase hoch.

»Woher hatte er plötzlich das Geld, um euch alle für sich arbeiten zu lassen?«

Der Hafenknecht zuckte mit den Schultern. »Das hat er nie gesagt. Als ihn einer von uns danach fragte, hat Grimmel gleich einen heftigen Händel mit ihm begonnen und ihn nie wieder beschäftigt. Seitdem hat keiner mehr zu fragen gewagt.«

»Hast du eine Vermutung?«

»Nein, und solange er mich bezahlt, ist es mir auch egal.«

Von den Hafenknechten würde er nichts erfahren, war Seyfrid klar, aber es gab noch eine Chance. »Zu welcher der Hafenhuren ist er gegangen?« Dass jemand wie Grimmel sein Geld an die billigen Hübschlerinnen verschwenden würde, stand für ihn außer Frage.

Der Mann entblößte seine Zahnlücken und grinste frech. »Wieso? Willst du es mit derselben treiben?«

Seyfrid drückte ihm unauffällig einen Pfennig in die Hand. »Keine dummen Fragen! Wer ist sie?«

Der Hafenknecht ließ die Münze rasch in einer ausgefransten Tasche verschwinden. »Sie heißt Barbara. Steht fast immer am Markmannsgassentor. Mächtige Brüste und rote Haare, kannst du gar nicht verfehlen.«

Seyfrid drehte sich wortlos um und marschierte das Ufer entlang zum besagten Tor. Grimmel hatte zu der Sorte Mensch gehört, die gern prahlte, um sich wichtigzumachen. Vielleicht hatte er Barbara erzählt, woher sein Geld stammte.

Er brauchte gar nicht lange zu suchen; direkt hinter dem Markmannsgassentor lehnte eine mollige Frau mit feuerroten Haaren an der Mauer. Sie mochte vielleicht Ende zwanzig sein, ihre üppige Oberweite wurde durch die enge Schnürung am Bauch noch hervorgehoben. Der Saum ihres Kleides und die Ärmelenden waren gelb gefärbt, wie es die Stadt von den Huren verlangte, um ihren Stand kenntlich zu machen.

Als Seyfrid auf sie zuging, wich ihr gelangweilter Blick schlagartig einem lasziven Lächeln. »Grüß dich, edler Herr! Suchst du etwas Vergnügen?«

»Bist du Barbara?«

Sie zog misstrauisch die Augenbrauen zusammen. »Ja, die bin ich. Warum?«

»Ein gewisser Heribert kommt regelmäßig zu dir.«

»Der alte Bock!« Sie verdrehte die Augen. »Hat er mich empfohlen? Egal, was er gesagt hat, ich bin sogar noch besser.«

»Darum geht es mir nicht. Ich möchte etwas über ihn wissen.«

»Warum fragst du ihn nicht selbst?«

Seyfrid hielt es für besser, wenn sie vorerst nicht wusste, dass Grimmel tot war. »Er würde mir vermutlich keine ehrliche Antwort geben.«

»Hör zu, ich erzähle grundsätzlich nichts über meine Freier, das würde mir das Geschäft verderben!«

»Ich bezahle natürlich für dein Wissen.«

Er hielt einen Pfennig hoch. Barbara sah ihm forschend ins Gesicht. Sie schien unschlüssig, ob sie ihren Prinzipien treu bleiben oder das Geld nehmen sollte.

»Grimmel hat keine Gattin und macht auch kein Geheimnis daraus, dass er sich mit dir vergnügt. Also, wird ihm kein Nachteil entstehen, wenn du mir etwas über ihn erzählst.«

»Was willst du denn über ihn wissen?«

»Woher sein plötzlicher Reichtum stammt.«

Barbaras Gesichtsausdruck entspannte sich. Sie griff nach der Münze. »Also gut! Du gefällst mir, du hast Manieren. Deshalb will ich dir sagen, was ich weiß, aber nur, wenn du mir schwörst, Heribert nicht zu verraten, dass du es von mir erfahren hast.«

Das konnte Seyfrid guten Gewissens versprechen. Grimmel würde von niemandem je wieder etwas erfahren.

Sie verfiel in einen Flüsterton. »Ein reicher Mann hier aus Köln gab ihm Geld, weil er Heriberts Hilfe gegen einen anderen mächtigen Mann brauchte.«

»Wie hieß der Mann, und gegen wen brauchte er Hilfe?«

»Den Namen des Mannes hat Heribert mir nicht verraten, er sagte, er hätte es ihm schwören müssen. Ich glaube eher, dass er mächtig Schiss vor ihm hatte. Doch den Namen des Mannes, gegen den es ging, den hat er mir wohl gesagt.« Sie machte eine kurze Pause, um es dramatischer klingen zu lassen. »Es war der Ritter von Viskenich.«

»Du weißt, dass Grimmel vor dem Blutgericht bezeugt hat, er hätte gesehen, wie der Ritter den Salzhändler Hackenbroich ermordet habe?«

Sie grinste breit, als sie antwortete: »Da hat wohl jemand mit klingender Münze nachgeholfen, dass Heribert sich erinnern konnte.«

»Hast du irgendeinen Verdacht, wer der Mann sein könnte?«

Barbara wiegte bedächtig den Kopf, wobei ihr eine rote Haarsträhne ins Gesicht fiel. »Vor ein paar Wochen kam Heribert spätabends ziemlich betrunken zu mir. Er war nicht mehr ganz Herr seiner Sinne, deshalb weiß ich nicht, was von seinem Gerede wahr und was dem Wein geschuldet war. Aber er behauptete, dass er jemanden aus der Richerzeche in der Hand hätte. Zunächst glaubte ich ihm nicht, doch dann sagte er, dass der Mann Haus und Hof verlieren würde, wenn er dem Büttel die Wahrheit erzählen würde.«

Seyfrid horchte bei dem Wort »Hof« auf. Hatte Grimmel nur eine Redewendung benutzt, oder hatte er Gerhard vom Hof gemeint? »Ich danke dir vielmals, und sei gewiss, dass ich dein Geheimnis gut bewahren werde, edle Dame!«, sagte er galant und verbeugte sich.

Barbara strahlte über das ganze Gesicht. Er verabschiedete sich von ihr und ging nachdenklich in Richtung Heumarkt. Endlich hatte er einen Anhaltspunkt. Jemand aus der Richerzeche hatte eine böse Intrige gegen seinen Vater gesponnen. Doch sollte es sich tatsächlich um Gerhard vom Hof handeln? Falls ja, würde er sich mit dem reichsten Mann in Köln anlegen.

Die Lintgasse war nicht weit entfernt, und Seyfrid beschloss, nach seinem Patienten zu sehen. Schließlich durfte er seine Pflichten als Medicus nicht vernachlässigen. Als er raschen Schrittes in die Gasse einbog, wäre er beinahe in Rebecca hineingerannt. Die junge Frau war völlig in Gedanken versunken und erschrak.

Als sie Seyfrid erkannte, hellte sich ihre Miene auf. »Dich schickt der Himmel!«

Zwar war auch Seyfrid hocherfreut, Rebecca wiederzusehen, dennoch zeigte er sich über die Bemerkung irritiert. »Weniger der Himmel als vielmehr die Pflicht, denn ich wollte nach deinem Vater sehen.«

Ihre Wangen und Nase waren von der Kälte leicht gerötet, und ihr Atem kondensierte zu kleinen Dampfwölkchen. »Ich möchte dich um eine Gunst bitten.«

»Jederzeit zu deinen Diensten«, antwortete er galant.

Sie sah sich verstohlen um, ob sie auch niemand beobachtete, und winkte ihm, dass er ihr folgen sollte. Rebecca bog schließlich in die Salzgasse ein, fasste ihn plötzlich am Ärmel und zog ihn in eine kleine Nische zwischen zwei Häusern. Sie stand nur eine halbe Armlänge vor ihm und sah ihm direkt in die Augen. Seyfrid fühlte, wie sein Herz schneller schlug.

»Du sagtest, dass mein Vater durch Arsenik vergiftet wurde.«

Mit dieser Eröffnung hatte er nicht gerechnet. »Seine Symptome weisen darauf hin.«

»Ich muss herausfinden, wer meinen Vater vergiften wollte.«

»Wie willst du das –«

Sie unterbrach ihn aufgeregt. »Arsenik gibt es bekanntlich nicht auf dem Markt zu kaufen, nur in der Apotheke.«

Seyfrid begriff, worauf sie hinauswollte. »Du willst die Apotheker befragen, ob jemand Arsenik gekauft hat.«

»Du bist ein heller Kopf, Ulrich von Schwarzenberg! Es gibt nur einen Apotheker in Köln, der dafür in Frage kommt: Bartholomäus Brosach.«

Seyfrids Hochachtung vor diesem nicht nur hübschen, sondern auch klugen Geschöpf wuchs beständig. »Ich habe schon Bekanntschaft mit Bartholomäus Brosach gemacht. Aber heute ist doch der Festtag des heiligen Nikolaus. Hat der Apotheker da nicht geschlossen?«

»Brosach ist dafür bekannt, dass man ihn zu jeder Tages- und Nachtzeit um Hilfe bitten kann. Ich war gestern bei ihm.«

»Nun, ich fürchte, dass er dir keine Auskunft darüber geben darf, an wen er welche Medizin verkauft hat«, erklärte Seyfrid, »nur Steuereintreiber und Richter haben in der Stadt das Recht auf diese Auskunft.«

»Und genau für die muss ein Apotheker Buch führen«, triumphierte Rebecca.

In Seyfrid keimte eine Ahnung auf. »Du willst doch wohl nicht das Register des Apothekers stehlen?«

Sie blickte ihn unschuldig an, als sie antwortete: »Nein, nicht stehlen! Nur ausleihen, um es zu lesen.«

Seyfrid schluckte seine Verwunderung darüber, dass sie lesen konnte, im letzten Moment herunter. Er hatte bislang kaum Frauen kennengelernt, die der Schrift mächtig waren, außer an der Scola Medica Salernitana. Noch so etwas, das Rebecca offensichtlich ihrem Vater abgetrotzt hatte. Bemerkungen darüber hätten bei Rebecca aber vermutlich wieder helle Empörung ausgelöst.

»Ich bräuchte dafür aber deine Hilfe«, sagte sie.

»Wenn der Apotheker den Diebstahl bemerkt, wird er es dem Büttel melden, und wir landen vor dem Schöffengericht.«

Rebecca stemmte die Hände in die Hüften und lächelte ihn an. »Bist du ein Mann oder eine Maus?«

Seyfrid war so perplex, dass er nichts erwidern konnte.

»Es ist ganz einfach«, erläuterte Rebecca. »Du gibst dich als Medicus zu erkennen und beauftragst den Apotheker, irgendeine Medizin für meinen Vater zuzubereiten, die du noch am selben Tag abholen kommst. Während du mit ihm redest, stellst du dich vor ihn, sodass er mich nicht sehen kann, wie ich das Register nehme. Draußen werden wir das Register durchlesen, um herauszufinden, wer in letzter Zeit Arsenik gekauft hat. Wenn wir später die Apotheke erneut betreten, um die Medizin abzuholen, lege ich es unauffällig wieder zurück. Er wird gar nicht bemerken, dass sein Register weg war.«

Diese junge Frau steckte voller Überraschungen, stellte Seyfrid fest.

»Nun, traust du dich?«, fragte sie.

Die Sache war riskant, wenn sie erwischt würden, könnte das seinen ganzen Plan zunichtemachen.

Rebecca legte ihren Kopf leicht schief und sah ihn aus ihren großen dunklen Augen an.

»Zufällig wollte ich tatsächlich erneut bei dem Apotheker eine Medizin zubereiten lassen, die deinem Vater gegen seine Schmerzen hilft. So lass uns gehen, edles Fräulein, denn es wäre gar nicht gut, wenn dein Vater noch länger warten müsste.«

Rebeccas strahlendes Lächeln erfüllte ihn mit Wärme.

***

Bei seinem Anblick traten die erzbischöflichen Wachen sofort zur Seite, ohne nach seinem Begehr zu fragen. Dietrich von der Mühlengasse schritt in Gedanken versunken an ihnen vorbei, als wären die Männer nicht vorhanden. Adolf von Altena hatte ihn kurzfristig um seinen Besuch gebeten. Wobei es weniger eine Bitte als vielmehr eine Aufforderung durch einen Boten gewesen war. Aber Dietrich hatte damit schon gerechnet. Je näher die erwartete Freilassung von König Richard rückte, desto unruhiger wurde der Erzbischof, ob nicht noch etwas schieflaufen könnte.

Von seinem Haus in der Mühlengasse bis zur Drachenpforte des erzbischöflichen Hofs waren es kaum dreihundert Schritte. Dennoch schmerzten Dietrich die Kniegelenke, als er eintraf, und er verfluchte die Gicht, die ihn in letzter Zeit immer stärker plagte. Vielleicht sollte er doch auf den Rat des jungen Medicus hören und weniger Fleisch essen.

Er betrachtete die kostbaren Wandvorhänge in der großen Halle und überlegte, wie viele davon wohl mit seinem Geld bezahlt worden waren. Inzwischen hatten sich die Schulden des Erzbischofs auch bei ihm zu einem ansehnlichen Berg angehäuft. Adolf von Altena hatte einen ausgeprägten Hang zur Verschwendung und umgab sich gern mit kostbaren Sachen.

Schon als Domprobst hatte er seine Kredite bei Gerhard vom Hof über die Jahre reichlich ausgereizt und es mit dem Zurückzahlen nie eilig gehabt, wenn er es denn überhaupt tat. Deshalb war von Altena vor geraumer Zeit auf Dietrich als neue Geldquelle verfallen. Seit seinem Amtsantritt als Erzbischof hatte er die Schatztruhen des Kölner Erzbistums bereits arg geleert, um den Palast noch weiter auszuschmücken, edelste Kleider für sich anfertigen zu lassen, opulente Feste zu geben, Jagden zu veranstalten oder einflussreiche Männer zu bestechen. Zwar besaß der Erzbischof von Köln eine eigene Münzprägeanstalt am Alter Markt, wo der berühmte Kölner Pfennig hergestellt wurde, doch für neue Münzen brauchte es teures Erz, und dafür hatte von Altena zurzeit kein Geld.

Ein Diener eilte Dietrich entgegen und geleitete ihn unter allerlei Höflichkeitsfloskeln zur Tür der bischöflichen Privatgemächer. Auf das Klopfen erscholl umgehend ein ungehaltenes: »Ja!«

Adolf von Altena steckte in seinem Messgewand. Am Festtag des heiligen Nikolaus hatte er die Frühmesse im Dom persönlich gehalten, und da er sie heute noch einmal zelebrieren musste, hatte er es nicht für nötig befunden, sich umzuziehen.

»Ah, mein lieber von der Mühlengasse! Wie schön, dass Ihr meiner Einladung kurzfristig folgen konntet.«

»Es ist mir ein Vergnügen, Eure Exzellenz!«

Dietrich kam es jedes Mal lächerlich vor, wenn er den erheblich jüngeren Adolf von Altena mit »Exzellenz« anredete und das höfische »Euch« benutzte, schließlich hatte er ihn schon gekannt, bevor dem jungen Adligen der erste Flaum am Kinn gesprossen war. Damals hatte er ihn selbstverständlich geduzt, wie es im Alltag üblich war. Aber er wusste, dass Adolf von Altena jetzt sehr erbost reagierte, wenn ihm jemand nicht den gebührenden Respekt zollte.

»Setzt Euch doch, bitte!« Der Erzbischof wies auf die andere Seite des Tisches, an dem er selbst Platz genommen hatte. »Mögt Ihr ein Glas Wein? Ich habe just einen vorzüglichen Tropfen von der Mosel bekommen.« Ohne eine Antwort abzuwarten, winkte er dem Diener zu, der daraufhin eifrig ein Glas befüllte.

Dietrich betrachtete weniger den Wein als vielmehr das aufwendig geschliffene Glas. Er hatte dem Erzbischof gleich zehn der teuren Gläser zur Amtseinführung geschenkt, um sich dessen Wohlwollen zu sichern. Es gab Mitglieder des Rats, die Dietrich das Umschmeicheln des neuen Erzbischofs übel genommen hatten, vor allem Gerhard vom Hof war sehr ungehalten gewesen. Eine Reaktion seines Erzrivalen, die Dietrich ganz besonderes Vergnügen bereitet hatte.

Adolf von Altena scheuchte seine Diener mit einer ungeduldigen Handbewegung hinaus. Damit war für den Besucher klar, dass er aus einem sehr wichtigen Anlass hier war, den niemand sonst kennen sollte.

»Die Freilassung König Richards steht bald bevor«, begann der Erzbischof. »Ich muss Euch wohl nicht erklären, was das für Köln bedeutet.«

»Unsere Handelsbeziehungen nach England dürften sich dadurch wieder erheblich verbessern.«

»Richtig. Ich habe in den letzten Monaten viel Mühe aufgewendet, um den Kaiser zur Freilassung seines Gefangenen zu bewegen.«

Als wenn du das ganz allein geschafft hättest, dachte Dietrich verächtlich. »Ich bin sicher, dass König Richard Euch dafür überaus dankbar sein wird, Exzellenz.«

»Das Lösegeld hat die Königsmutter Eleonore zwar vollständig aufgetrieben, aber nicht nur der Kaiser will bedacht werden, wie Euch wohl bekannt sein dürfte.«

Dietrich ahnte längst, worauf das Gespräch hinauslaufen würde.

»Es gibt einige enge Berater des Kaisers, die einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf ihn haben«, fuhr der Erzbischof fort. »Nicht alle von ihnen waren erfreut zu hören, dass König Richard freikommen soll. Der englische König hat mächtige Feinde, die sehr umtriebig daran arbeiten, ihn weiter in Gefangenschaft zu belassen.«

Dietrich nickte bestätigend, sagte aber nichts. Die Feindschaften zu König Philipp von Frankreich, aber auch zu Richards jüngerem Bruder John waren hinreichend bekannt.

Der Erzbischof fuchtelte mit dem Zeigefinger in der Luft, um seine Ausführungen zu unterstreichen. »Es hat mich nicht nur viel Überredungskunst, sondern auch viel Geld gekostet, einige wichtige Männer umzustimmen, sodass sie sich der Freilassung des Königs nicht mehr entgegenstellen. Doch einer von ihnen, dessen Namen ich aus Diskretion nicht nennen möchte, erwartet noch mehr Geld, um sich meiner Bitte anzuschließen.«

Dietrich von der Mühlengasse lächelte, denn er wusste ganz genau, dass es sich dabei um Herzog Konrad von Schwaben handelte, keinem Geringeren als dem Bruder Kaiser Heinrichs. Richard Löwenherz hatte Konrad und einigen anderen deutschen Fürsten ein großzügiges Geldlehen versprochen, das er aber in Anbetracht des immensen Lösegelds von hundertfünfzigtausend Silbermark nicht mehr aus eigener Tasche zahlen konnte. So machte Adolf von Altena für Richard die Bittgänge – natürlich nur, weil er sich später davon eine reiche Belohnung versprach.

Dietrich lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und erwartete die unvermeidliche Frage.

»Ich bin dem Rat der Stadt dankbar, dass er bereits eine gewisse Summe beigetragen hat, auch wenn er sich damit Zeit gelassen hat. Wir Ihr natürlich wisst, war Quentenberg sehr hartnäckig in den Verhandlungen. Erneut den Rat der Stadt um Hilfe zu bitten, wäre daher wohl nicht von Erfolg gekrönt. Deshalb frage ich Euch, wäret Ihr bereit, Eurer Heimatstadt Köln einen großen Dienst zu erweisen?«

Dietrich zog die Augenbrauen hoch. Der Erzbischof richtete seinen Zeigefinger auf ihn. »Bedenkt, dass auch Euer Geschäft Vorteile daraus ziehen würde. König Richard wird sich gewiss erkenntlich zeigen, sobald er nach Hause zurückgekehrt ist.«

»Über welche Summe sprechen wir hier?«

»Es werden dreißig Mark erforderlich sein, um jenen Berater des Kaisers für unsere Sache zu gewinnen.«

Dietrich schwieg eine Weile, um die Vor- und Nachteile abzuwägen. »Nun, meine Geschäfte laufen zurzeit nicht so prächtig, die Preise für Mehl sind gefallen, wie Ihr wohl vernommen habt«, begann er schließlich. »Dennoch würde ich mich bereit erklären, mich über den von mir bereits geleisteten Anteil an der Summe, die der Kölner Rat zur Verfügung gestellt hat, mit weiteren zehn Mark zu beteiligen.«

»Fünfundzwanzig Mark, und ich werde König Richard persönlich auf Euren Beitrag aufmerksam machen.«

»Zwanzig.«

»Abgemacht.«

Der Erzbischof hob erneut sein Glas und prostete seinem Gast zu. »Es ist wie immer ein Vergnügen, mit Euch Geschäfte zu machen.«

»Das Vergnügen ist ganz meinerseits, Exzellenz.«

Adolf von Altena begann mit einem seiner Ringe am Finger zu spielen und starrte dabei zu Boden. Ihm lag noch etwas auf der Seele, doch es war ihm offensichtlich unangenehm, darüber zu sprechen, nachdem er Dietrich gerade einen ansehnlichen Betrag abgerungen hatte.

»Ich hörte, dass der Rat der Stadt auf dem Marktplatz ein Turnier zu Ehren der Königsmutter veranstalten will«, begann er schließlich, »und dass die Idee von Euch stammt. Ihr wart sogar willens, den Großteil der Kosten für das Turnier zu tragen.«

»Ja, Exzellenz, es haben sich bereits zahlreiche edle Ritter von nah und fern für das Turnier angemeldet. Ich bin sicher, dass es der Königsmutter sehr gefallen und den Ruhm Kölns mehren wird.«

Der Erzbischof seufzte. »Ihr wisst, dass die Kirche solche Turniere auf das Schärfste verurteilt? Bereits Papst Innozenz II. hat sie auf dem zweiten Laterankonzil 1139 verboten.«

»Nun, da Ihr es nicht veranstaltet, sondern der Rat der Stadt, wascht Ihr doch Eure Hände in Unschuld.« Dietrich wusste nur zu genau, dass der Erzbischof in seinem Inneren über das Turnier erfreut war. Es demonstrierte wie keine andere Schau die Pracht und den Reichtum der Stadt. Natürlich musste sich der Erzbischof offiziell gegen das Turnier aussprechen, um keinen Ärger mit dem Papst zu bekommen.

»Haltet Ihr es nicht für zu gewagt, im Dezember ein Turnier abzuhalten? Wenn der Winter einbricht, versinkt der Marktplatz unter einer Schneedecke.«

»Es freut mich, dass Ihr Euch über den Erfolg des Turniers Sorgen macht«, stichelte Dietrich, schaffte es aber, seine Stimme höflich klingen zu lassen. »Wir werden Feuer in Eisenkübeln rund um den Alter Markt entfachen, und für den Fall eines Wintereinbruchs stehen Dutzende Knechte bereit, um den Schnee vom Platz zu fegen. Die Teilnehmer des Turniers und die Zuschauer werden gar nicht merken, dass es Winter ist.«

»Wie immer habt Ihr an alles gedacht«, nickte der Erzbischof anerkennend. »Ebenso wie Ihr das Hürther Feld als den besten Lagerplatz für den Tross unseres Gastes aus England ausgewählt habt. Ich bin Euch dankbar, dass Ihr mich darauf aufmerksam gemacht habt und Euren Besitz in Hürth dafür zur Verfügung stellt.«

Dietrich hob abwehrend die Hände. »Das ist doch eine Selbstverständlichkeit. Zu dieser Jahreszeit liegt das Feld ohnehin brach.«

»Ihr habt Euch sehr um das Ansehen Kölns verdient gemacht, mein lieber von der Mühlengasse! Aber nun muss ich Euch leider bitten zu gehen, da ich mich auf die Messe zu Ehren des heiligen Nikolaus vorbereiten muss.«

Dietrich erhob sich mühsam, die Schmerzen in den Gelenken verlangsamten seine Bewegungen. »Natürlich, Exzellenz, auch ich werde die Messe im Dom besuchen.«

***

Auf dem Weg zur Apotheke hatte Rebecca die Kapuze ihres Umhangs weit ins Gesicht gezogen. Weniger wegen der Kälte, vielmehr, um unerkannt zu bleiben. Sie unterhielt sich leise mit Seyfrid, damit niemand ihrem Gespräch lauschen konnte.

»Du musst dich so vor den Apotheker stellen, dass er mich nicht sehen kann, wenn ich das Register nehme«, ermahnte sie ihn erneut.

Seyfrid war belustigt darüber, dass Rebecca gehörig Angst vor ihrem eigenen Plan hatte, aber es sich nicht anmerken lassen wollte. »Ich werde versuchen, dich so unsichtbar wie möglich zu machen.«

Sie warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu. »Du machst dich über mich lustig.«

»Aber auf keinen Fall!«, versicherte er sofort.

Als sie vor der Apotheke am Hof von Sankt Maria im Kapitol angelangt waren, atmete Rebecca tief durch. Sie war so aufgeregt, dass sie am liebsten kehrtgemacht hätte. Seyfrid drückte die Tür auf und ließ der jungen Dame galant den Vortritt. Rebecca nestelte verlegen an der silbernen Fibel, die ihren Umhang vor der Brust zusammenhielt.

Bartholomäus Brosach saß wie beim letzten Besuch hinter einem Tisch und zerstampfte etwas Längliches in einem Mörser. Seyfrid starrte ungläubig darauf: Es war tatsächlich der Schwanz einer Ratte. Der junge Medicus ermahnte sich im Stillen, keine abfällige Bemerkung zu machen, aber er war sich sicher, dass Rattenschwänze keinerlei heilende Wirkung besaßen.

Brosach erhob sich ächzend und rückte seine Haube auf dem Kopf zurecht. »Sei gegrüßt, Medicus! Was kann ich für dich tun?«

»Nun, ich bräuchte erneut ein Mittel gegen Schmerzen.«

Brosach kniff die Augen zusammen, als er in Richtung von Rebecca sah. »Ah, Fräulein Quentenberg. Die Medizin ist also für deinen Vater. Dachte ich es mir doch!«

»Guten Tag, Meister Brosach«, grüßte Rebecca artig.

Seyfrid räusperte sich. »Da du seine Tochter bereits kennengelernt hast, kann ich wohl meinen Patienten nicht mehr verheimlichen. Sie war so freundlich, mir den Weg zu zeigen, da ich mich das letzte Mal auf dem Weg hierher verlaufen habe.«

»Wie reizend von dir, Rebecca!« Brosach schien ganz begeistert von der jungen Frau zu sein, wandte sich dann aber wieder Seyfrid zu. »Hat meine Medizin denn genützt?«

»Ja, aber sie hatte noch nicht ganz die Wirkung, die ich mir erhofft hatte. Deshalb würde ich gerne die Ingredienzien ein wenig ändern.«

Seyfrid trat direkt vor den Tisch, um den Apotheker zu instruieren, und verdeckte ihm dabei die Sicht auf Rebecca. Sie schlich lautlos zu dem Pult, wo das Register lag, griff hastig zu und ließ die Schriftrolle rasch unter ihrem Umhang verschwinden.

»Zuletzt müssen außerdem noch zwei Tropfen Bilsenkrautöl in den Trank«, beendete Seyfrid schließlich seine Aufzählung. Er hoffte, dass er Rebecca genügend Zeit verschafft hatte.

Brosach hob bei der letzten Anweisung die Augenbrauen. »Ich fürchte, mein Vorrat an Bilsenkrautöl ist leider erschöpft«, sagte er zerknirscht.

»Das ist sehr bedauerlich.«

»Da das Schwarze Bilsenkraut nur im Sommer wächst, wüsste ich nicht, wo ich es um diese Jahreszeit bekommen könnte.«

»Aber ich«, ließ sich Rebecca vernehmen.

Beide sahen verblüfft zu der jungen Frau hinüber, die wieder an der Tür stand, als könne sie kein Wässerchen trüben.

»Hier in Köln?«, fragte Seyfrid.

»Fast«, sagte sie schmunzelnd, äußerte sich aber nicht weiter.

Da sie offensichtlich den Ort nicht nennen wollte, wandte sich Seyfrid wieder an den Apotheker. »Dann bereite den Saft ohne das Bilsenkrautöl zu, ich werde es später selber beimischen! Könntest du sofort beginnen, damit ich es in zwei Stunden abholen kann?«

Seyfrid wusste, dass die Zeit für die Zubereitung knapp bemessen war, aber so würde der Apotheker nicht auf die Idee kommen, etwas in sein Register einzutragen.

Brosach versprach, rechtzeitig fertig zu sein, und seine Kunden verließen die Apotheke.

Seyfrid wartete, bis sie einige Schritte entfernt waren, bis er fragte: »Hast du das Register?«

Rebecca zog die Rolle schelmisch lächelnd unter ihrem Umhang hervor. »Es war ganz einfach.«

»Nun, dann lass uns das Register bei mir zu Hause lesen!«

Sie blieb abrupt stehen und blickte ihn streng an. »Es geziemt sich nicht für eine Dame, alleine das Haus eines Junggesellen zu betreten.«

Seyfrid stotterte eine Entschuldigung: »Oh, ich … Natürlich. Ähm, es liegt mir fern, dich zu kompromittieren.«

»Es war nicht ernst gemeint!«, prustete Rebecca los und konnte sich vor Lachen kaum noch halten. »Es ist lustig, dich so verlegen zu sehen.«

Er sah sie verdattert an. Die junge Frau schaffte es immer wieder, ihn völlig aus dem Konzept zu bringen.

Wenig später erreichten sie sein Haus in der Severinstraße, und Seyfrid sperrte die Tür auf. Rebecca spähte unter ihrer Kapuze rasch nach beiden Seiten, bevor sie eintrat. Keiner der Menschen in der Nähe schien sie zu beachten.

In der dämmrigen Stube entzündete Seyfrid eine Öllampe und stellte sie auf den Tisch. Rebecca legte das Register daneben, dann setzten sich beide auf die schmale Bank, um es gemeinsam zu lesen. Dabei berührten sich ihre Ellenbogen, doch keiner rückte vom anderen ab.

Entschlossen rollte Rebecca das Register des Apothekers auf. Die Einträge auf dem Pergament waren in holprigem Latein verfasst, offensichtlich beherrschte Brosach die Sprache nicht sonderlich gut.

»Die letzte Eintragung ist von gestern«, stellte Rebecca fest. »Es ist jetzt vier Tage her, seit mein Vater das Arsenik verabreicht bekommen hat. Also müssen wir in der Zeit davor suchen.«

Akribisch gingen sie die Eintragungen durch, arbeiteten sich auf der Liste immer weiter in die Vergangenheit zurück. Es war einiges an gängiger Medizin dabei, darunter jedoch auch ein paar ungewöhnliche und sogar völlig absurde Mittel. Einige Male musste Seyfrid unwillkürlich lachen und erklärte Rebecca, warum die betreffende Medizin keinerlei Wirkung haben konnte. Sie hörte ihm aufmerksam zu, schien das Wissen geradezu in sich aufzusaugen.

Als sie sich bis zurück zum Juli durch das Register gearbeitet hatten, ohne einen Eintrag über den Verkauf von Arsenik zu entdecken, wuchs Seyfrids Befürchtung, nichts zu finden. Seine Augen fingen durch das mühsame Entziffern langsam an zu brennen.

Da stieß Rebecca einen leisen Schrei aus und deutete auf eine Zeile. »Sieh! Hier ist Arsenik eingetragen.«

Beide beugten sich gleichzeitig vor und wären fast mit den Köpfen zusammengestoßen.

»Am achten Juli«, übersetzte Seyfrid laut ins Deutsche. »Eine Unze Arsenik. Verkauft an …« Er hielt verblüfft inne.

»Gottfried Hackenbroich«, rief Rebecca überrascht aus.

Fassungslos starrte Seyfrid auf den Namen. Er las die Eintragung erneut durch und dann zur Sicherheit noch einmal.

»Wie überaus merkwürdig! Gottfried Hackenbroich ist kurz darauf umgebracht worden«, sagte Rebecca aufgeregt.

Genau einen Tag später, am neunten Juli, ergänzte Seyfrid in Gedanken, hütete sich aber, es laut auszusprechen.

»Hackenbroich gehörte auch zur Richerzeche, musst du wissen«, erklärte Rebecca. »Ein Ritter, der nicht weit von Köln seine Burg hatte, tötete Gottfried Hackenbroich im Streit und wurde dafür zum Tode durch den Henker verurteilt. Ich erinnere mich noch genau, ganz Köln sprach darüber.«

Seyfrid fühlte eine eisige Kälte in sich aufsteigen. Hackenbroich kaufte Arsenik beim Apotheker und wurde nur einen Tag später umgebracht. Das war kein Zufall. Zwischen dem Tod seines Vaters und der Vergiftung Quentenbergs bestand ein Zusammenhang. Welcher das war, entzog sich noch seiner Kenntnis, doch hier war der eindeutige Beweis, aufgezeichnet im Register des Apothekers.

»Gottfried Hackenbroich ist schon seit fünf Monaten tot, er kann nicht versucht haben, meinen Vater zu vergiften. Nur, wer hat es dann getan?«

Das ist die entscheidende Frage, dachte Seyfrid. Wer hatte das Arsenik von Hackenbroich an sich genommen? War es derselbe, der den Salzhändler getötet hatte? Wusste Matthias Quentenberg womöglich etwas über den Mord an Hackenbroich?

»Wir müssen das Register vollständig lesen, um sicherzugehen, dass nicht noch jemand Arsenik gekauft hat«, ermahnte Rebecca.

Seyfrid nickte nur, denn er war nicht in der Lage, ein Wort herauszubringen. Akribisch studierten sie das komplette Register, doch Arsenik tauchte nicht mehr in den Eintragungen auf.

»Das Register reicht bis zum Anfang des Jahres zurück. Aber was ist, wenn jemand das Arsenik noch früher gekauft hat?«, fragte Rebecca.

Seyfrid schüttelte skeptisch den Kopf. »Ich halte es für unwahrscheinlich, dass jemand so lange wartet, wenn er einen Mord begehen will. Nein, ich bin überzeugt, dass Gottfried Hackenbroich das Arsenik gekauft hat, mit dem dein Vater vergiftet wurde.«

»Er hat es aber nicht wegen einer Krankheit für sich selbst gebraucht, denn einen Tag nachdem er es erwarb, ging es ihm noch gut. Er war auf einem Fest der Richerzeche, wo er sich vergnügte. Er muss das Arsenik jemandem übergegeben haben«, stellte Rebecca fest. »Doch wer trachtet meinem Vater nach dem Leben?« Ihre Stimme klang gefasst, aber ihre Augen füllten sich mit Tränen.

Seyfrid ergriff ihre Hand. »Sei unbesorgt! Wir werden es nicht zulassen, dass deinem Vater erneut etwas geschieht.«

Rebecca kämpfte mit den Tränen und lehnte ihren Kopf an Seyfrids Schulter. »Danke!«, sagte sie leise.

Seyfrid legte behutsam den Arm um sie. Er spürte ihre Wärme und genoss den Duft ihrer Haare. Er wünschte sich, dass sie nie wieder aufstehen müssten.

Die Kirchenglocke von Sankt Severin erklang, und Rebecca sprang erschrocken auf. »Die zwei Stunden sind um! Wir müssen das Register zurückbringen, ehe der Apotheker es merkt!«

Sie hatten tatsächlich die Zeit vergessen. Eilig rollte Rebecca das Pergament wieder zusammen und steckte es unter ihren Umhang. Zusammen hasteten sie zur Apotheke. Etwas außer Atem traten sie ein und fanden Brosach immer noch hinter seinem Tisch sitzend vor.

»Seid gegrüßt!«, sagte er freudestrahlend. »Das trifft sich vorzüglich, ich bin just mit der Medizin fertig geworden. Nun ja, bis auf das Bilsenkrautöl natürlich.«

Er hielt einen kleinen Lederbeutel hoch, in den er die Medizin gefüllt hatte. Seyfrid trat wieder direkt vor Brosach und nahm ihm damit die Sicht, während Rebecca rasch das Register an seinen Platz zurücklegte. »Wie viel schulde ich dir?«

Der Apotheker nannte den Preis, und Seyfrid fischte ein paar Münzen aus seiner Tasche, bevor er sich verabschiedete. Auch Rebecca richtete Brosach ihren Dank aus und verließ das Haus.

»Wie sollen wir nun herausfinden, wer das Arsenik von Hackenbroich benutzt hat, um meinen Vater zu vergiften?«, fragte sie.

»Ehrlich gesagt bin ich ratlos. Lass mich darüber nachdenken, vielleicht fällt mir etwas ein.« Dann hielt er den kleinen Lederbeutel mit der Medizin hoch. »Du kannst also Bilsenkrautöl beschaffen?«, fragte er.

Ihre Miene hellte sich ein wenig auf. »Ja, aber leider kann ich dich heute nicht mehr an den Ort führen, denn ich muss nach Hause, sonst wird meine Mutter unruhig. Sie mag es nicht, wenn ich lange fortbleibe, sie hält es für unziemlich. Ich werde ihr erzählen, dass ich morgen mit meiner Freundin Siglinde in die Frühmesse gehe. Ich treffe dich dann eine Stunde nach Sonnenaufgang vor Sankt Aposteln.«

»Hab Dank! Ich werde dort sein.«

Sie schenkte ihm ein Lächeln. Seyfrid blickte ihr nach, bis sie hinter der nächsten Häuserecke verschwunden war.

***

Wolfram Pütz blickte mit einer Mischung aus Erleichterung und Unbehagen dem Totengräber hinterher, als dieser den Leichnam von Heribert Grimmel auf seinem Karren davonzog. Der Totengräber hieß Ogbert, und obwohl der Büttel ihn schon seit vielen Jahren kannte, war er ihm immer ein wenig unheimlich gewesen. Die klapperdürre Gestalt sah fast selbst aus wie ein Skelett, die Haut spannte sich über den Schädel mit den eingefallenen Wangen, und die Augen lagen tief in den Höhlen. Niemand wollte etwas mit einem Totengräber zu tun haben, aber als Büttel musste er ihn von Amtes wegen immer wieder holen, um Leichen wegzuschaffen.

Die sterblichen Überreste von Heribert Grimmel würde er auf einem Armenfriedhof verscharren. Selbst der Priester der nächstgelegenen Dorfkapelle hatte sich geweigert zu kommen. Er hatte schon das Gerücht gehört, dass Grimmel vom Teufel geholt worden wäre, und die nackte Panik hatte dem frommen Mann ins Gesicht geschrieben gestanden.

Pütz nahm seinen ausladenden Hut ab und kratzte sich am Hinterkopf. Zunächst hatte ihn die Vorstellung, dass hier teuflische Mächte im Spiel waren, auch Angst eingejagt, aber als der Medicus die Leiche untersucht hatte, ohne dass ihm etwas Schreckliches widerfahren wäre, hatte er sich wieder beruhigt. Er hatte angefangen nachzudenken. Erst darüber, ob Grimmel nicht einfach nur Dieben zum Opfer gefallen wäre. Dem widersprach aber, dass Pütz – nachdem die Leiche hinausgeschafft worden war – in der Hütte einen Beutel mit fünf Denaren und achtzehn Pfennigen gefunden hatte. Er lag in einer nicht abgeschlossenen Truhe, und wenn es dem Mörder um Geld gegangen wäre, hätte er die Münzen nicht übersehen.

Dann, ob Grimmel aus Rache erschlagen worden sein könnte. Der Büttel wusste wohl, dass der Tote lange Zeit als Hafenknecht geschuftet und plötzlich andere für sich hatte arbeiten lassen. Pütz war der Sache nie nachgegangen, weil er es für nicht wichtig genug erachtet hatte. Vielleicht war das ein Fehler gewesen, und er nahm sich vor, demnächst nach dem Grund für Grimmels Aufstieg zu suchen.

Während er noch darüber nachgrübelte, kam ihm auf einmal eine ganz andere Frage in den Sinn: Was hatte Ulrich von Schwarzenberg hier draußen von Grimmel gewollt? Der Medicus hatte zwar behauptet, dass er ihn mit irgendetwas hatte beauftragen wollen, aber was war so wichtig, dass er sich in aller Frühe und in Eiseskälte auf den langen Weg hier heraus machte? So etwas taten adlige Herren normalerweise nicht, sondern sie ließen im Hafen ausrichten, dass sie Grimmel zu sprechen wünschten.

Außerdem hatte von Schwarzenberg die Ungeheuerlichkeit begangen, die Leiche anzufassen und sie zu untersuchen, was schon frevelhaft genug war. Gut, er war Medicus, aber dass Grimmel tot war, hatte sogar der einfältige Lothar Malmedey sofort gesehen, als er ihn fand. Dann hatte von Schwarzenberg auch noch diese ganzen Fragen gestellt, fiel Pütz wieder ein.

Als Büttel der Stadt Köln hatte er im Laufe der Jahre gelernt, auf sein Bauchgefühl zu hören. Und es sagte ihm, dass irgendetwas merkwürdig an diesem Ulrich von Schwarzenberg war. Er sollte ihn im Auge behalten.