Ja, was unsere Kundschaft alles sucht! Manchmal verschämt, rot anlaufend. Dann wieder munter und fordernd. Ein anderes Mal bissig. Und wenn wir nicht finden, was gesucht wird, schlägt uns ein Ärger-Nieselregen entgegen, der sich gewaschen hat und uns den ganzen Tag verderben kann.
Nun, mit den Jahren habe ich mich an Misserfolge gewöhnt. Stecke sie weg. Freue mich an den Erfolgen. An den glücklichen Gesichtern der Kunden. An das von Herzen kommende Strahlen von Kindern, die, es ist verständlich, sich schlecht umfassende bibliographische Angaben merken können. Von Freundinnen und Freunden unvollständige oder gar falsche Tipps erhalten haben, nun aber mit aller Kraft die ihnen empfohlene Bücherwelt suchen. In sie eintreten wollen.
Da gibt es Umschreibungen, die mich oft zum Schmunzeln bringen: »Zwei die sich gerne haben und nicht zueinander finden können. « Oder: »Ein mächtiger Zauberer, der Berge versetzen kann«. Da sind wir gefordert. Aber ich liebe es, aus Indizien Buchtitel zu eruieren. Wenn diese eruierbar sind.
Da kam doch gestern kurz vor Geschäftsschluss ein älterer Herr zu mir. Gut gekleidet, den Schlips akkurat gebunden, eine Jacke aus feinstem Leder tragend. Modisch wirklich ansprechend, beinahe wie einem Katalog entstiegen. Jedenfalls fühlte ich mein Herz höher schlagen, als er mich ansprach. Mit so einem Mann ausgehen, das wäre ein Geschenk, sandte meine Seele, oder waren es meine Gene, eine Eilbotschaft an mein Hirn. Ich setzte darauf mein bestes, so wie ich denke, verführerisches Lächeln auf, das ich so lange nicht mehr benutzt hatte, dass ich fürchtete, es habe einen abgestandenen, ja, miefigen Geruch angesetzt, und befragte den Herrn nach seinen Wünschen.
In mir tobte ein Kampf verschiedener Willen. Der eine forderte mich auf, die Chance zu nutzen, der Ladenschluss sei ja in unmittelbarer Nähe und ich könnte doch den Herrn bei einem Kaffee ausserhalb der Buchhandlungsräume beraten, könnte doch das Gespräch in die Länge ziehen; der andere Willen forderte mich auf, nicht Träumen nachzuhängen, dieser wohlbetuchte Herr hätte ganz andere Möglichkeiten, sein Lächeln Frauen zu schenken. Nun, ich nahm wie so oft, wenn in meinem Inneren Kämpfe ausgetragen werden, meine virtuelle Schiedsrichter-Trillerpfeife zwischen die Lippen, rief die um meine Gunst ringenden Gedankengänge zur Ordnung, drohte mit gelber und roter Karte, sodass sich beide in meine Gedankennebenhöhlen verkrochen, aus denen sie höchstens noch in Träume entweichen konnten, und konzentrierte mich auf meine Aufgabe, dem Kunden zu dienen.
Dieser druckste zunächst herum. Danach gestand er mir, dass er ein Lottokönig sei, letzten Mittwoch sechs Richtige mit Zusatzzahl getippt habe und sich nun beinahe als Dagobert Duck im Geldspeicher schwimmend fühle. Als erstes habe er sich neu einkleiden lassen, er betonte das »lassen«, denn er verstehe nichts von Kleidern und Mode und solchem Schnickschnack. Haare und Bart habe er sich auch stutzen »lassen«. Und jetzt wolle er eine sichere Geldanlage finden. Denn, selbst wenn er nun mehr als eine Million besitze, diese könnte dennoch leicht entfliegen, sich in nichts auflösen, wenn er unvorsichtig sei. Nun sei er hier und suche ein Buch, eines, das möglichst viel Zinsen abwerfe. Wozu ich ihm denn raten könne.
Ich führte meinen »Schwarm« – wie hatte er wohl vor dem Lottogewinn ausgesehen, meldete sich, ein Warndreieck sendend, ein Gedanke – in die Finanzabteilung. Zeigte ihm alle Titel über Anlagestrategien, Gewinnmöglichkeiten, Finanzerfolge, Crashs. Und alle möglichen Szenarien. Doch er war nicht glücklich. Kein befreiendes Lächeln erschien auf seinen Lippen. Dann erkundigte er sich nach der Zinshöhe. Ich zeigte ihm die Abhandlungen über Zinsen. Über die Strategien, das meiste herauszuholen. Doch immer noch blieb sein Gesicht dunkel. Keine Befreiung. Bis er mir schliesslich zu verstehen gab, dass er ein Sparbuch suche. Er sei doch hier hoffentlich richtig.
In meinem Inneren laut lachend, wies ich meinem Schwarm den Weg zur nächsten Bank, in der Hoffnung, dass er nicht auf einer Parkbank lande.