Die Devise unserer Buchhandlung ist klar, auch in den Geschäftsgrundsätzen, festgehalten, die jeder neue Mitarbeiter schriftlich ausgehändigt bekommt und sogar unterzeichnen muss. Dort ist das Wort »Kunde« kursiv und fett gedruckt. Auch in den monatlichen Ausbildungsstunden weist jeder Lehrbeauftragte (neben dem Inhaber kommen alle Vorgesetzten regelmässig zum Zuge) darauf hin, wie entscheidend wichtig die Kundenzufriedenheit sei. Beliebt sind diese »Schulstunden« beileibe nicht, wickeln sie sich doch morgens eine Stunde vor Geschäftsöffnung ab, und wehe, es gibt Gähner oder gar Unaufmerksamkeiten, solches toleriert der Inhaber nicht, und hat man mal einen Tintenfleck im Reinheft, so schnell wird ihn keiner wieder los.
Unsere Oberen legen besonderes Gewicht auf die Umtauschphilosophie. »Zufrieden oder Bargeld zurück«, ist wie ein heiliges Wort, das von niemandem angetastet oder in Frage gestellt werden darf. Wir, die täglich mit der Kundschaft in Verbindung stehen, werfen dann oft ein, dass mit dieser Umtauschgarantie auch Missbrauch betrieben werden könne. Ganze Bücher würden gekauft, gelesen und dann, manchmal auch mit Eselsohren gegen Bares wieder eingetauscht. Wir empfinden das als ungerecht gegenüber den Anständigen, denen so etwas nie, nicht einmal im Traum in den Sinn kommen würde.
In allen anderen Buchhandlungen, die wir kennen, können die gekauften Bücher nur verschweisst, so wie wir diese den Käufern aushändigen, umgetauscht und meist nur gegen Geschenkgutscheine zurück gebracht werden. Damit ist sichergestellt, dass in den Werken nicht bereits geschmökert worden ist. Unser Inhaber jedoch entgegnet jeweils:
»Falls wir alles dem Handel übers Internet überlassen wollen, müssen wir die Kundschaft in Totalis (das ist eines seiner Lieblingsworte, bei dem wir, immer wenn er es seinem Mund entlässt, das Lachen unterdrücken müssen) verdächtigen. Bedenken wir doch, dass nur ein geringer Prozentsatz sich solche Fisimatenten ausdenkt, und dass der Ladendiebstahl, auf den ich euch besonders zu achten bitte, ein weit grösseres Problem darstellt. Zudem kann heute jeder zuhause verschweissen, denken sie nur an die Lebensmittel, die, um haltbarer aufbewahrt zu werden, gerne mit dieser Methode bedacht werden. Bald jeder Haushalt besitzt heute ein solches Gerät.«
Nun, wir sind nicht dieser Ansicht. Langfinger können der Polizei übergeben werden und entgehen kaum ihrer gerechten Strafe. »Schwarzleser« wie wir diese Art Halbkrimineller untereinander bezeichnen, begehen ja kein offizielles Delikt und können daher nicht belangt werden. Wäre ich Politiker, wäre mein erstes Anliegen, auch diese unanständige Spezies unter Strafe zu stellen. Aber ich habe nicht den Langmut, der zum Politisieren notwendig ist, und auch nicht die Geduld und die notwendige Unverfrorenheit, um Wahlen zu gewinnen, indem ich die Konkurrenz schlecht erscheinen lasse.
Ja, an all dies dachte ich, als der ältere Herr, er trug einen Zwicker auf der Nase – bisher kannte ich solche nur aus historischen Büchern, umso mehr bestaunte ich mit prüfenden Augen-Blicken dieses beinahe vorzeitliche Relikt –, sich nach den Umtauschbedingungen erkundigte. Er habe letzthin im Internet gelesen, dass wir unabdingbar und in jedem Fall, selbst bei Ausserordentlichem, für den Kunden Partei ergreifen würden. Es seien alle Kommentare in diesem, den Kundenrechten gewidmeten Netzwerk, des Lobes über unsere Buchhandlung voll, und das habe ihn sehr gefreut. Doch wolle er sich vorher noch erkundigen, wie genau so ein Umtausch vor sich ginge.
War dieser »Oldtimer« aus der Zeit gefallen oder so ein verkappter Reporter à la Wallraff, der verdeckt ermittelte, oder einfach ein Spassvogel, der sich unser Unternehmen und mich als Opfer ausgesucht hatte? Nun, »zufriedene Kunden«, ich hörte des Besitzers Stimmenecho in meinem Kopf rumoren, »haben Anrecht auf Auskunft «. Daher erklärte ich ihm unsere umfassende Garantie, konnte es aber nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, dass das Verkaufspersonal in unserer Buchhandlung, mich eingeschlossen, lieber verschweisste Artikel entgegen nehmen würde, denn das erspare uns die Zeit der genauen Kontrolle auf mögliche Schäden. Als er sich dann erkundigte, wie die Verschweissung ausgestaltet sein müsse, lachte ich und wies auf den Originalzustand hin.
»Dann ist ja alles in Ordnung«, bemerkte jetzt der Zwickerträger mit einem verschmitzten Lachen, das sein Gesicht erstrahlen liess, »meine Gemahlin hat schon immer einen starken Schweissaustritt mit entsprechendem Geruch und im Originalzustand ist sie auch.«
Diese Geschichte als PDF downloaden: