MC BOOK

Das junge Paar, kaum älter als sechzehn – obwohl ich mich bei der Schätzung des Alters nicht auf das Aussehen allein verlassen will, zu oft habe ich mich bereits getäuscht – kam Hand in Hand in unsere kleine Buchhandlung, die ich vor beinahe fünf Jahren eröffnet hatte. Kaum zu glauben, dass schon so viel Zeit vergangen war. So schnell huschten die Monate, die Tage an mir vorbei. Hinterliessen kaum Spuren. Höchstens an meinen Schläfen, die langsam ergrauten.

Cool und nonchalant spazierten die beiden durch die Buchhandlung. Sahen nicht auf die Bücher, sondern beachteten sich einzig gegenseitig, als bestünde das riesige Angebot an Literatur gar nicht. Gespannt beobachtete ich, wohin des Weges sie das Schicksal zog. Zu den Romanzen? Zu den Kriminalfällen? Zu den Natur und Wanderzielen, zum Café, das in unseren Mauern Gastrecht genoss? Oder zu den Computerspielen; hatten wir es schon so weit gebracht, dass Verliebte sich mit solchem Firlefanz amüsierten? Oder wollte das Liebespaar sich durch die Klassiker beflügeln lassen? War die Abteilung über Sexliteratur ihr Ziel?

Doch weit gefehlt. Die beiden steuerten zielsicher auf meinen Informationsstand hin, in dem ich an meinem Informationsrechner, der mich mit der Welt der Verlage verband, wie in einer Festung sicher sass. Was wollten die jungen Menschen wohl von mir wissen? Am liebsten hätte ich mit einem Kollegen eine Wette darüber abgeschlossen, aber da weit und breit kein Kollege zu sehen war, beschloss ich, mit mir selbst zu wetten und zwar um einen dicken, fetten Schokoriegel, den mir meiner Diabetes wegen der Arzt strengsten verboten hatte. So würde ich auf alle Fälle gewinnen: Wenn ich die Wette verlor, bei unserer grossen Auswahl höchst wahrscheinlich, gewann ich keinen Riegel, was meiner Gesundheit zugutekommen würde. Gewann ich, würde ich endlich nach langer Zeit wieder einmal in den Genuss meiner Leibsüssigkeit kommen und ohne Reue sündigen können. Denn schliesslich und endlich wäre ich ja dann nicht der Schuldige, vielmehr das junge Paar.

Eifrig begannen meine Hirnströme zu fliessen. Kamen die beiden, um alles über eine Ehe zu erfahren? Wollten sie sich gegenseitig beschenken? Suchten sie, den Eltern beider Seiten eine Freude zu bereiten? Oder wollten sie sich eine Buchhochzeitsliste erstellen, was mich natürlich unmässig gefreut hätte, denn banale Hochzeitslisten mit Tassen und Tellern, Gläsern und Töpfen, Küchengeräten und Kopfkissen waren ja nun alles andere als kreativ.

Da die beiden immer näher kamen, hatte ich mich zu entscheiden. Musste die Worte »Top, die Wette gilt!« schleunigst über Konkretes aussprechen, sonst würden Schokoriegel und Gesundheit in weite Ferne rücken. Ich entschloss mich für Liebesliteratur. Romeo und Julia. Wobei ich den Bogen, um meine Gewinnchancen zu erhöhen, etwas erweiterte und »tragische Liebesgeschichte« als Wettthema bestimmte. Es war höchste Zeit, denn schon hüstelte der junge Mann und das Mädchen strahlte mich wie ein Maikäfer mit umfassendem Lächeln an.

Doch weit gefehlt! Mein Appetit auf Schokoriegel verlor die Wette in Bausch und Bogen, was meiner Gesundheit besonders gefiel. Denn die zwei sahen mich zuerst einen Moment lange an, beinahe wie um zu prüfen, ob sie mir die Angelegenheit anvertrauen könnten oder doch eher in Zurückhaltung glänzen sollten:

»Dürfen wir Sie fragen, ob Ihr Laden auch eine McBook-Abteilung führt? Wissen Sie, so eine, in der man rasch und günstig die Literatur zu sich nehmen kann. Wir denken da an Fast-read-Romane. Führen Sie so etwas?«