DER SIMULATOR

Guten Morgen! Führen Sie auch Simulatoren?«
Die Dame, die mir die Frage stellt, ist um die fünfzig Jahre, hübsch aufgebrezelt, lässt meine Lebensgefühle tief in mir aufwallen. Ich selbst bin Besitzer der kleinen Quartiersbuchhandlung mit ihrer treuen Stammkundschaft. Die Frau habe ich aber noch nie gesehen. Wohnt wohl nicht, oder erst seit kurzem hier. Neben meinen Lebensgefühlen, ich zähle doch bereits achtundsechzig Jahrringe, meldet sich auch mein Geschäftssinn, der, ich muss es zugeben, in letzter Zeit am Verkümmern ist, was zu einigen Liquiditätsproblemen in meiner Kassenhaltung führt.

Aber was soll's! Meine Passion sind Bücher. Neuerscheinungen. Das Entdecken von Autorinnen und Autoren. Und da gibt es neben den zahlreichen, nur auf rasches Geldmachen ausgerichteten Nieten auch wahre Perlen! Perlen, die ihr Innenleben kundtun, mich immer wieder zu Gefühlswallungen führen. Abends. Zuhause. Wenn ich, eingefleischter Junggeselle, lesend am Kaminfeuer sitze, das mir dann brav und ohne Worte die literaturbedingten Tränen trocknet.

Der Geschäftssinn gaukelt mir nun eine neue Stammkundin vor. Eine Kundin, die sich für Wertvolles interessiert. Simulatoren sind ja als Schnäppchen nicht zu haben. Also addiere ich den Charme der Lebensgefühle zu dem Geschäftssinn, setze meine freundlichste Miene auf, was mir nach dem soeben geöffneten Brief meines Treuhänders, der mir mitteilt, dass ein Nachlassverfahren kaum mehr zu vermeiden sei, nicht leicht fällt. Und doch, möglicherweise ist die Dame Multimillionärin oder zumindest wohlhabend und könnte mir aus der Patsche helfen. Ein Mensch, der nach Simulatoren verlangt, muss per Definition wohlhabend sein, denke ich, ihr antwortend:

»Ja wir führen alle Simulatoren. Wir haben sie zwar nicht alle auf Lager, in zwei Arbeitstagen jedoch können wir jeden Ihrer Wünsche erfüllen. Woran haben Sie denn gedacht? An einen Flugsimulator? Einen Schiffssimulator? Einen Feuerwehrsimulator? Einen Kriminalsimulator? Einen Tram- oder Traumsimulator?«

Die Dame sieht mich verstört an. Ich muss völlig daneben liegen, was meinem hoffnungsfrohen Geschäftssinn einen starken Dämpfer versetzt, ihn zum Erblassen bringt.

»Bitte«, fahre ich fort, »können Sie ihren Wunsch besser zum Ausdruck bringen? Also ich kann Ihnen selbst einen echten Flugsimulator besorgen, auf dem Piloten ihre Routinechecks absolvieren. Airbus A320? Oder lieber Boeing 747? Letzterer etwas günstiger, da es bereits zahlreiche Occasionen davon gibt, die aber noch zu neunundneunzig Prozent funktionieren.«

Nochmals voll daneben.

Die Frau sieht mich mit ihren herrlichen blauen Augen an, als sei ich nicht ganz bei Sinnen.

»Also«, entgegnet sie mit frisch gewetzter, durchdringender Stimme, »was soll das? Wenn ich in eine Buchhandlung komme und einen Simulator suche, dann doch einen, der in Beziehung zu Büchern steht!«

Ich muss furchtbar wie ein beim Abschreiben ertappter Schüler erröten.

»Ich suche einen Lesesimulator. Mir fehlt das Wissen über klassische Literatur, über die Bestseller der letzten Jahre. Habe dem Mann meiner Träume – bin bereits nahe am Ziel, ihn für immer für mich zu gewinnen – einiges vorgemacht. Er ist Germanistikprofessor und ich habe ihm vorgegaukelt, dass ich freie Literaturkritikerin für zahlreiche Blätter sei, was ihn sehr für mich einnahm. Natürlich neben meinem Aussehen.«

Dabei setzt sich die Dame vor mir richtig in Pose, fährt mit einer Hand über ihre streng nach hinten gekämmten, gebändigten blonden Haare.

»Ich muss innert kürzester Zeit alles nachholen. Sonst ist meine Zukunft geschlossen. Schwarz. Und ich verliere ihn. Denn bis zu diesem Zeitpunkt sah ich meinen Liebsten nur jeweils für einige Stunden, in denen wir anderes betrieben, als Literaturkenntnisse auszutauschen.«

Es war jetzt an der Frau, heftig zu erröten.

»Doch in fünf Tagen unternehmen wir für drei Monate eine Weltreise – er hat Semesterferien – und drei Monate das Thema Literatur zu vermeiden, wird bestimmt nicht möglich sein. Ein Lesesimulator ist meine letzte Hoffnung. Helfen Sie mir. Bitte!«, und ich sehe in den blauen Augen der Dame einige blaue Tränen, die sich den Ausgang erkämpfen.

Da ist guter Rat wirklich teuer. Wie kann ich ihr helfen? Literaturoder Lesesimulatoren? Keine Ahnung, wo diese erhältlich sind. Ich könnte der Wissensdurstigen Bücher empfehlen. Wie wäre es mit: »Neuere deutsche Literaturgeschichte: Eine Einführung« (Bachelorwissen) von Benedikt Jessing?

Nein, denke ich, das geht nicht! Ich will es mit dem Autor des Buchs »Buchhandlung zum goldenen Buchstaben«, das Sie in Händen halten, nicht verderben. Sein Werk ist dort nicht aufgeführt.

Und so entlasse ich die Nichtkundin, ohne sie konvertiert zu haben, aus meiner Buchhandlung und überlege, ob ich nicht nach einem Buchhandlungssimulator suchen soll, um künftig meiner Leidenschaft ohne zu leiden, kundenfrei frönen zu können.