HAUSTÜRABHOLUNG

Da schneit doch wieder, obwohl an meinem Briefkasten klar und deutlich steht »Werbung nicht erwünscht«, eine Einladung von unserer Buchhandlung, in der wir regelmässig schmökern gehen und unregelmässig Abschlüsse tätigen, ins Haus: Am nächsten Freitag sei zu einer Buchvernissage eine Haustürabholung vorgesehen. Wir hätten nichts weiter zu unternehmen, als uns telefonisch zur Haustürabholung anzumelden, falls wir diese wünschten, was uns, doch schon ältere, nicht mehr automobiltaugliche Semester sehr erfreute. Glücklicherweise also hatte dieses Schreiben die hohe Hürde der »Werbung nicht erwünscht« elegant übersprungen und wir bereiten uns am heutigen Freitag – ältere Menschen benötigen für alles etwas mehr Zeit – schon am Vormittag auf das erfreuliche Erlebnis vor. Wir duschen, uns der dabei eingehenden Gefahren voll bewusst, ausgiebig, meine Gemahlin onduliert die Haare nach allen Regeln der Kunst und ich wähle während mindestens zweieinhalb Stunden die passende Krawatte zu meinem aprikosenfarbenen Jackett aus. Es ist nicht einfach, aus einem Bestand von dreihundertzweiundzwanzig Exemplaren das richtige herauszufinden. Übrigens sind Aprikosen meine Lieblingsfrüchte und ihnen zu Ehren, aber auch um Blicke jüngerer Damen auf mich zu lotsen, habe ich dieses Stück vor einiger Zeit erworben.

Ich empfinde grosse Dankbarkeit für meine Buchhandlung, die doch an alte Menschen und ihre Mobilitätsprobleme denkt und diese berücksichtigt. Berücksichtigt unter keiner Kostenfolge, was heutzutage kaum mehr vorkommt. Beispielhaft, denke ich. Ja, man soll nicht alle Unternehmen in einen Topf werfen. Es gibt stets löbliche Ausnahmen, so wie heutiger Corpus Delicti – ach das ist der falsche Ausdruck, wie heisst nur der korrekte? … nun das Alter, die Festplatte in meinem Kopf ist doch scheinbar ziemlich voll, also sei es, wie es sei: Die Abholtat ist zu begrüssen. Ich werde es dem Inhaber mitteilen. Oder dem Geschäftsführer. Oder handelt es sich um eine Geschäftsführerin? So viel Empathie kann nur einer Frau zugeschrieben werden. Ein Haudegen-Direktor käme niemals auf eine solche Idee. Ich sehe nach meiner Frau. Sie ist ausgehfertig. Ein Anklang an Jugendlichkeit flackert in ihrem Gesicht. Ja, so einen Ausdruck der Freude trug die damals Angebetete immer zur Schau!

Es klingelt. Mühsam trete ich den Treppengang an, der manchmal zur Qual wird. Ungeduldig sind die Klingler. Betätigen das Summen ununterbrochen. Klopfen an die Türe. Müssen junge Menschen sein. Die Geschäftsführerin sollte besser auswählen. Ich werde es ihr sagen. Personalauswahl ist das A und O des Kundendienstes. Da kann die Dame, wenn es tatsächlich eine Dame ist – ich habe mich im Leben auch schon getäuscht, wenn auch nur selten –, etwas von mir und meinen lebenslangen Erfahrungen lernen.

Ich schliesse das zweifache Sicherheitsschloss auf. Drei kräftige Männer stehen vor dem Eingang. Sehen eher nach Umzugsmännern aus, die alle zwei Stunden eine kräftige Jause zu sich nehmen müssen. Sie scheinen tatsächlich ausgehungert.

»Sie haben sich zur Haustürabholung eingetragen«, bemerkt der Kräftigste und sieht mich dabei aus stechenden Augen an. Ich bemerke, dass meine Frau gleich da sein werde. Er antwortet: »Braucht nicht zu erscheinen. Wir drei sind stark genug!« Und die Kraftprotze beginnen, die Haustüre auszuhängen. Der Kleinste, immer noch ein Koloss, sagt dann mit beruhigender Stimme: »Ihre Haustüre wird in der Live-Ausstellungseröffnung zum neuen Buch ›Die passende Haustüre, eine Ideen-Fundgrube‹ einen Ehrenplatz erhalten. Wirklich hervorragend und typisch fürs letzte Jahrhundert.«