»Genosse Rivera!«, brüllt Frida, eine Hand als Schalltrichter am Mund, an jenem Morgen im Bildungsministerium.

Der Meister steht auf einem drei Meter hohen Gerüst, er dreht sich um, als man seinen Namen ruft, und beugt sich hinunter. Da steht ein Mädchen in stoischer Ruhe und sieht ihn an, mit wildem Blick, das schwarze Haar nach hinten gekämmt, eigentlich kein Mädchen, ein schöner runder Busen, kaum verborgen hinter den Paketen, die sie unterm Arm trägt.

»Was gibt’s? Ich arbeite.«

»Ich möchte Ihnen was zeigen.«

»Keine Zeit, niña

»Komm runter, Rivera, rápido

Die Dreistigkeit, die das Geschöpf an den Tag legt, amüsiert ihn, er lässt es sich nicht anmerken, er malt schon seit acht Stunden, hat die ganze Nacht gemalt, kann sich ruhig eine Pause gönnen, und eine Pause in weiblicher Begleitung schlägt man niemals aus. Er steigt von seinem Olymp zu dem Mädchen herab. Dann steht er vor ihr, welch komischer Kontrast zwischen dem Monstrum von einem Meter neunzig und dem eigensinnigen Kolibri. Er sagt ihr, sie soll seine Zeit nicht vergeuden.

Sie hat zwei Bilder mitgebracht und will seine professionelle Meinung dazu hören, und auch sie, so sagt sie ihm, habe keine Zeit zu verlieren.

Frida wartet, ohne mit der Wimper zu zucken, auf die Reaktion des berühmtesten Mannes Mexikos.

»Stell sie an die Wand dort ins Licht und geh zur Seite.«

Diego wischt sich die Hände an seinem Hemd ab und zündet sich einen kleinen Zigarillo mit einer saphirblauen Binde an, der nach Safran riecht. Er betrachtet die Bilder lange, dann wendet er sich ihr zu, öffnet den Mund, um zu sprechen, besinnt sich und versinkt aufs Neue in die Betrachtung der Bilder. Dann bricht er das Schweigen und fragt sie, wo sie wohnt.

»In Coyoacán.«

»Ich komme am Sonntag«, sagt er, »mal bis dahin noch eins.«

»Ich will jetzt Ihre Meinung.«

»Wenn ich am Sonntag nach Coyoacán komme, ist das eine Meinung. Habe ich dich nicht schon mal gesehen? Dein Gesicht sagt mir etwas. Die Stimme, die frechen Augenbrauen, ich glaube, so was vergisst man nicht.«

»Nein.«

Sie schreibt ihre Adresse auf eine Streichholzschachtel, die sie ihm zuwirft.

Sie ist schon weg, sie entfernt sich, anmutig, sehr würdig, humpelnd, als der Meister ihr hinterherbrüllt: Wie heißt du?«

Aber sie dreht sich nicht um, und alles an diesem Weggang ist schön.