Nachdem sie sich mit Hingabe und Raffinesse angezogen hat, wie fast jeden Tag, seit sie in den Vereinigten Staaten sind, trifft Frida Diego zum Mittagessen. Sie bringt ihm etwas mit, denn wenn er malt, vergisst er alles und arbeitet immer weiter. Die Technik der murales ist ein Wettlauf gegen die Zeit, die Farbe muss aufgetragen werden, solange der Putz feucht ist. Diego ist ein Purist. Er hat die Rezepturen aus Italien mitgebracht – Malen a fresco, ins »Frische«. Er spricht mit fiebernder Begeisterung über die Entdeckung von Giottos Fresken. Eine Schicht Putz braucht etwa zehn Stunden, um zu trocknen, so bleiben sieben oder acht Stunden für die Arbeit übrig, danach ist das Bild sozusagen in Stein gemeißelt, und will man es nachbessern, muss man es zerstören. Außerdem steht nicht fest, wie die mit Wasser verdünnten Pigmente wirken, man muss vorhersehen, was daraus wird, hinzu kommt, dass der Maler bei der Arbeit nicht die ganze Wand im Blick hat, weil er so dicht vor ihr steht. Viele Herausforderungen, die Rivera begeistern.
Wenn Frida an der Arbeitsstelle auftaucht, gönnt sich Diego eine Pause. Sie ist seine Vertraute und weiß von den Hindernissen und kleinen Siegen über die Materie, reicht ihm einen stets mit Deckchen und frischen Blumen geschmückten Picknickkorb. Gemeinsam reden sie über die Fortschritte des mural, über gewagte Details und notwendige Kompromisse, aber auch über die Feste vom Vorabend und die Schar der vielen wunderschönen Frauen, denen sie dort begegnet sind. Diego klagt über die mangelnde Qualität der lokalen Farben. In Mexiko arbeitet er gern mit traditionellen Pigmenten, die die Indios schon vor der spanischen Eroberung benutzt haben. Sie essen wie Liebhaber und lieben sich danach wild hinter einer Plane. Frida redet viel, wenn sie dabei sind, chíngame, chíngame, fick mich, mach es mir, schreit sie, aber nicht zu laut, sie flucht – sie kennt jede Menge obszöne Worte –, und sie setzt sich neben ihn, wenn er wieder zu malen beginnt.
Beruhigt.
Sie liest, und manchmal zeichnet sie.
Frida ist lieber allein, wenn sie malt. Sie redet nicht gern darüber. Sie malt nicht morgens mit offenen Haaren, mit nachtschwarzer Indiomähne, sie malt weder in Unterwäsche noch ohne Schmuck, sie malt keine großen Allegorien und nicht nach dem Sex.
Sie malt, wenn sie Zuflucht sucht.
Um nicht allein zu sein.
Seit einer Woche arbeitet sie an einem Bild von Diego und sich am Tag ihrer Hochzeit. Wenn sie zu malen beginnt, entscheidet sie eigentlich nicht vorher über das Motiv. Oft ist sie überrascht von dem, was geschieht, was auf der Leinwand zum Vorschein kommt. Von dem, was nicht stimmt. Sie feilt es nicht weiter aus. Sie erholt sich von sich selbst.
Am Abend ihrer Hochzeit hat Tina beschlossen, dass dies, Herrgott noch mal, gefeiert werden muss. »Diego und Frida haben die Dummheit begangen zu heiraten, alle Flaschen raus, das ist zu komisch!« Sie hat ihr Haus geöffnet und die Freunde und die Freunde der Freunde eingeladen, und alle sind gekommen, mit Speisen und alegría.
Sie stellen Tacos hin, Teller mit panela, pico de gallo, Sangrita und Pulque werden ausgeschenkt. Im Garten trocknet die Wäsche, Frida hat gedacht, dass die Dessous der Modotti das passende Dekor für den Scherz sind, Musiker haben die Höschen erobert.
»So, Diego, der Spaß ist vollzogen.«
»Du bist jetzt meine bessere Hälfte, Fisita. Dein Kleid erzählt eine Geschichte.«
»Es gehört dem Hausmädchen meiner Eltern. Und es ist deine dritte Hochzeit.«
»Nein, es ist dein Kleid für deine Hochzeit mit einem Elefanten und es ist meine erste mit dir. Deine Eltern haben mich so genannt, el elefante, das ist großartig!«
»War Tina eigentlich gut im Bett?«
»Wundervoll, ehrlich gesagt. Sehr schmiegsam. Beachtliche Brüste.«
»Wirst du mir nie treu sein, Diego?«
»Nein, niemals, Frida.«
»Und du, fragst du mich das nicht?«
»Nein, Frida, ich frage es dich nicht.«
»Und fragst du mich auch nicht, warum ich dich danach frage?«
»Nein, Frida, das frage ich dich nicht.«
»Kommt es dir nicht komisch vor, dass ich dich solche Sachen frage und du mich nicht?«
»Mir wird schwindelig.«
»Warum hast du mich gefragt, ob ich dich heiraten will, Diego?«
»Weil du besser malst als ich und so laut bellst!«
»Natürlich male ich besser als du, elefante.«
Frida hat das Gefühl, in einem Wirrwarr zu schweben, der sie nichts angeht. Jede Gelegenheit, das Ende der Welt zu feiern, ist gut, und wenn zwei heiraten, die so wenig zusammenpassen, strengen die Seelen ihre Fantasie doppelt an. Der reinste Karneval. Frida tanzt, friert ihre Schmerzen mit Alkohol ein, um ihren Körper in Schwung zu bringen und ihm die Illusion zu geben, ganz neu zu sein, sie will tanzen, weil sie geheiratet hat, sie flirtet mit den Männern, Küsse wie Kekse, kitzelt zwischendurch Diego, brüllt Parolen in die Menge, fieberhaft erregt, gebärdet sich wie eine Königin, nimmt das bunte Treiben in sich auf, wie man etwas für später sammelt. In den langen Monaten, in denen sie dalag und darauf wartete, dass ihr Skelett wieder zusammenwächst, hat sie den Lärm so sehr vermisst, jetzt will sie mehr, Gitarrenklänge, Knallkörper, Gekicher und Gesang, die meisten Frauen hier haben schon mit Diego geschlafen, so ist es nun mal, das ist die Poesie ihres Mannes, sogar Lupe ist da, seine letzte Ehefrau, die ihre trüb gewordenen grünen Augen über diese gottlose Feier wandern lässt und dann direkt auf Frida zukommt:
»Meine Damen und Herren, hier ist sie, Frida Kahlo de Rivera, aus Fleisch und Blut, doch vor allem aus Haut und Knochen!«
Frida mag Lupe, die attraktive Guadalupe Marín, bekannt für ihre legendären Wutausbrüche. Sie haben einander gezähmt, Frauen können einen geliebten Mann mit der Behutsamkeit einer sorgenden und müden Mutter an andere weitergeben, jetzt bist du dran, viel Glück! Lupe hat ihr erzählt, wie sie bei einem ihrer rasenden Eifersuchtsanfälle Diegos Bilder zerfetzt, seinen Nachruhm ins Feuer geworfen hat oder an einem Tag des Zorns die präkolumbianischen Figuren, die Diego begeistert sammelte, zu Pulver schlug und in die Suppe mischte, die sie ihrem Mann dann mit diabolischer Freude servierte. Frida lachte Tränen. Sie stellte sich vor, wie Diegos riesiger Mund sich an der Asche seiner Leidenschaft gütlich tat. Gierig.
In der Zeit, in der sie als Schülerin der Prepa hinter den Säulen einer Balustrade versteckt zusah, wie Rivera die Wände des Bolívar-Hörsaals bemalte, beobachtete sie, wie Lupe herbeieilte. Sie brachte Diego in einem liebevoll dekorierten Korb sein Mittagessen, die beiden plauderten, wahrscheinlich nur belangloses Zeug, und lachten gemeinsam, wie Verliebte. Frida war zu weit entfernt, um ihr leises Gespräch zu verstehen, aber manchmal kam Lupe und stieß spitze Schreie aus. Frida kauerte sich tiefer in ihren Schlupfwinkel und sah, als sei sie im Kino, Szenen wie aus dem Vaudeville, in denen die Ehefrau mit ihrem treulosen Ehemann abrechnet, der verletzend ist und Geduld und Glauben zerstört, Lupe wie ein Vulkan, die in medusenhafter Wut die Szenerie verwüstet, bereit, wenn notwendig ihre Kinder zu verschlingen, um der Ehre eines letzten aufrichtigen Blicks willen. Frida dachte damals, sie wäre nicht gern an ihrer Stelle, jetzt denkt sie kurz, ohne die Ironie zu beachten, dass auch sie Frau Rivera geworden ist, aber Lupe ist betrunken, traurige Trunkenheit der Albträume.
»Meine Damen und Herren, hier ist Frida Kahlo de Rivera aus Fleisch und Blut, doch vor allem aus Haut und Knochen!«
Frida versucht, freundschaftlich ihren Arm zu berühren.
»Rühr mich nicht an! Sieh dich mal an! Schaut sie euch an, ihr anderen!«
Um die beiden Frauen wird es unruhig, es riecht ein bisschen nach Blut, einem bevorstehenden Totschlag. Lupe lüpft Fridas Rock und sagt schnaufend:
»Seht euch ihre kranken Beine an, verglichen mit meinen, mein Gott, warum bloß?«
Diego erkundigt sich nach dem Streit, lacht darüber, abgefüllt mit Tequila, Lupe ergreift die Flucht, beleidigt, der Abend gerät deshalb nicht aus dem Takt. Frida ist ernüchtert und zunehmend bedrückt, während die Feier immer mehr in Schwung gerät, Pantomimen und Marionetten, düstere Gesichter, Schüsse fallen, el gran pintor hat sein Gewehr gezückt, was müssen die großen Machos bloß beweisen, wenn sie ihr Geschlecht oder ihre Pistole hervorholen, wie man eine Zigarette anzündet, sie schießen herum, sie feuern, peng peng, höchste Lust, es kommt zur Schlägerei, Frida wird angestoßen, sie sucht ihren Mann mit den Augen und entdeckt sein heiteres Gesicht, plötzlich, durch einen Impuls aus dem Nirgendwo, stürzt sie sich auf ihn und prügelt auf ihn ein, sie weiß selbst nicht, warum, sie schlägt fest zu, ballt die Fäuste: »Los, Diego! Kämpfe!«, schreit sie. »Komm!« Diego steckt die Schläge ein, was seine Heiterkeit nicht trübt, er ist an weibliche Kapricen gewöhnt wie an unvorhersehbare Launen des Himmels. Frida lässt den Maler los, gibt ihn einer Feier zurück, die sie nichts mehr angeht. Sie zieht sich zurück, rennt die Treppe hinunter, landet auf der Straße, holt Luft, lange und tief, kümmert sich nicht um den krachenden Lärm in ihrem Rücken, das Geschrei, das Lachen, die falsche Freude, entfernt sich, läuft zu schnell für ihre Beine, außer Atem, sie weint nicht. Sie weiß nicht, wo sie hinsoll. Wo ist ihr Zuhause? Sie geht zu ihrem Elternhaus. Sicheres Terrain. Sie muss plötzlich lachen, die Lage ist so absurd. Sie denkt an eins der vielen Votivbilder ihrer Sammlung, auf dem man eine junge Braut einsam und verlassen über eine Straße laufen sieht. Da die Inschrift nicht mehr lesbar ist, hat sie sich immer gefragt, wovor diese Braut sich zu retten versucht. Wovor kann man so fliehen außer vor der eigenen Entscheidung?
Es bedarf lasziver Lust am Tod, damit ein Fest gelingt.