Frida weiß nicht, wem sie das Bild schenken soll, das sie und Diego in einer artigen, altmodischen Haltung zeigt, wie für einen Glücksbringer gemalt, der die Entzweiung der Herzen verhindern soll. Als Vorlage diente ihr ein Foto von der Hochzeit, auf dem sie ihr grünes Indianerkleid und einen dicken orangeroten rebozo-Schal trägt. Diego ist einfach gekleidet, in einem anthrazitfarbenen Anzug mit breitem Gürtel.

Sie betrachtet ihr Bild, wie man bei seinem Kind das Eigene und das Fremde voneinander zu unterscheiden sucht und sich fragt, was von beidem einen mehr erschreckt. Die Frida auf dem Bild wirkt neben ihrem Mann, als sei sie kleiner geworden, sie hat sich ein rundes Puppengesicht gemalt und neigt den Kopf deutlich zu Diego hin, wie um zu unterstreichen, dass sie nun einander gehören, ihre Hand liegt mehr auf der seinen, als dass sie sie drückt, wie eine Libelle scheint sie neben dem massigen Körper zu schwirren, dessen schwere Schuhe übertrieben im Boden verankert sind. Zwei gewöhnliche Ambosse, die sich in einem stumpfen Winkel nach außen öffnen, als ob sie die ganze Welt bedecken und unerschütterlich auf ihr stehen bleiben wollten. Diego sieht den Betrachter an, im Dreiviertelprofil, nicht seiner Frau zugewandt, sondern der anderen Seite, bereit, sich einer wichtigeren Sache zu widmen, in der rechten Hand eine neue Palette und frische Pinsel. In seine silberne Gürtelschnalle ist ein großes D eingraviert. Ein Siegel, mit glühendem Eisen geprägt, geschmiedetes Logo, in einem einzigen Buchstaben enthaltene Macht, das D wie das Bild eines dicken, gefräßigen Bauchs scheint sich auch in der Komposition zu finden, eine unsichtbare Spur, welche die beiden Figuren umgibt. Frida hat sich im Inneren dieses D untergebracht, zusammengekauert, in Haltung eines Fötus. Wie bei einem mexikanischen Votivbild, auf dem sich ein Ort, ein Datum und eine Beschreibung des Geschehens finden, fügt sie eine Fahne im Schnabel einer Taube hinzu und schreibt: Hier sind wir, ich, Frida Kahlo, mit meinem geliebten Ehemann Diego Rivera. Ich habe dieses Bildnis in der schönen Stadt San Francisco in Kalifornien gemalt. Votivbilder stellen im Allgemeinen einen Unfall, ein tragisches Ereignis dar, für das man um Beistand bittet, oder sind ein Dank für eine empfangene Gnade. Auch der angerufene Heilige wird dargestellt. Wer ist hier der Heilige? Um welchen Unfall handelt es sich? Aquí nos veis, ein »Hier sind wir«, das klingt wie Abrahams »Hier bin ich«, Ausdruck seiner bedingungslosen Liebe zu Gott, man kann es aber auch im Sinn der bei Frida so beliebten Inszenierung wörtlich verstehen als »Hier seht ihr uns« auf der Bühne unseres Theaters.

Frida zögert und fügt hinzu: Für unseren Freund Mr. Albert Bender, im April 1931. Ihr ist eingefallen, wem sie es schenken kann. Albert ist ihr amerikanischer Mäzen, er hat ihnen geholfen, ein Visum für die USA zu bekommen, die einen lautstarken Kommunisten nicht in ihr heiliges Land lassen wollten.

Es ist ein trauriges Bild, meint Frida, bin ich traurig? Die Wand, die das Paar umgibt, hat keine Perspektive, kein Entkommen, die Puppe Frida hält ihren Schal über der Brust gekreuzt, als wolle sie sich vor innerer Kälte schützen, auch sie fixiert den Betrachter, doch ihr Blick ist vage. Ihre Füße sind so klein wie die eines Neugeborenen.

Der große Maler und seine Ehefrau, dem großen Maler ergeben.

Oft malt Frida zuerst und überlegt dann, was sie sieht. Sie entziffert ihr Bild, bewertet das lebende Tier, das sich in Bildern nach außen kehrt, untersucht den Eiter der Blessuren, das Wundwasser der Seele. Sie malt für sich selbst, um sich ohne Berechnung und Strategie zur Sprache zu bringen, sich offen auszudrücken.

Sie möchte zurück nach Mexiko, in ihr Land, dabei hatte sie so sehr davon geträumt, es zu verlassen. Was ist nur mit ihr los? Sie langweilt sich nicht. Vielleicht würde sie sich gerne langweilen, auf der Stelle treten, dem sinnlosen, sich im Kreis drehenden Geschwätz der Freundinnen ihrer Mutter zuhören, mit einer Verkäuferin auf dem Markt über die Farbe von Limonen sprechen, über das Grün, das man in der Malerei unmöglich wiedergeben kann, an dem man erkennt, dass eine Limone richtig reif und bitter ist, sich die Zeit nehmen, unwichtige Gesten gar nicht oder langsam auszuführen. Nein, hier in San Francisco langweilt sie sich nicht, sie ist umtriebig und unternehmungslustig, prägt sich viele verschiedene Gesichter ein, barocke Masken, Eindrücke elektrischer Sonne, beobachtet gern die Kinder auf der Straße, ihre affenähnlichen Gesichter, zum Fressen süß, bewundert die Schaufenster voller Krimskrams, ein schillerndes Eldorado, will alles sofort haben, Kleinigkeiten, Schmuck, Nippes, kauft es ein und verschenkt es. Diego lacht sie gern aus, wenn sie mit Taschen voller Nichtigkeiten, die ihr alles bedeuten, nach Hause kommt. Wenn sie jemand trifft, kann sie nicht anders, als ein Schmuckstück abzunehmen und ihm zu reichen oder ihre Tasche zu leeren, um ein unerwartetes Geschenk zu suchen. Spuren von Liebe. Als wollte sie sagen: »Nehmt ein Stück von mir für später. Um mich nicht zu vergessen.«

Sie hat in San Francisco einen zauberhaften Arzt kennengelernt, der Körper und Seele versteht, er heißt Leo Eloesser. Er ist ein renommierter Chirurg und Orthopäde. Seit ihrem Unfall hat sie Ärzte gesammelt wie Liebhaber. Sie sind eher notwendige Gesprächspartner in einem ständigen Dialog über Methoden, Kinder zur Welt zu bringen: Sie sollen ihr helfen, mit ihrem kranken und schmerzenden Körper ein Kind zu bekommen. Seit sie in den USA ist, ist es mit dem rechten Fuß schlimmer geworden, sie geht nur mühsam. Leo tröstet sie, entschlüsselt sie, wurde nach zweimal Schulterklopfen und drei offenen Blicken ihr Freund. Ein kleiner Mann mit Schnurrbart, sprühend vor Intelligenz, ein munterer Gesprächspartner, er spielt virtuos Bratsche, liebt die Kunst und redet ebenso gern über Politik wie über Sehnen und Rückgratverkrümmungen. Er hat sich des Körpers von Frida angenommen, ein Lehrstück. Manchmal lädt er sie zum Segeln in der Bucht ein, auf seinem Boot, einer Sloop. Seltsames Wort, denkt Frida, Sloop.

Leo Eloesser leidet an Schlaflosigkeit und steht seinen Lieblingspatienten Tag und Nacht zur Verfügung, Frida wurde auf Anhieb zu seiner Favoritin.

In San Francisco malt Frida viel.

Vielleicht ist das das Problem.

Sie würde es gern nicht so sehr brauchen. Wenn sie malt, ist sie einsam und in sich zurückgezogen. Betroffen. Sie ist eine Bettlerin.

Diego hat hier die große Auswahl, die Amerikanerinnen sind wunderbar und frivol. Manchmal verschwindet er für zwei Tage mit einer Assistentin, einer neuen Freundin, einer Bekannten. Im Moment schwärmt er für eine Tennisspielerin. Eine Spitzenathletin. Blond. Immer lächelnd. Was für ein Sport ist Tennis überhaupt? Wieder so dekadentes europäisches Zeug? Frida verschließt sich all dem völlig. Ruhig. Doch manchmal brüllt sie los.

»Helen ist nicht blond, Frida, ihr Haar ist hellbraun.«

»Wozu brauchst du all diese Nutten?«

Er sagt, dass sie belle. Das ist praktisch.

»Sind wir alle Hündinnen, Diego? Man legt sich hin, wau, wau, oder bellt, wau, wau. Dieses Bild passt nicht so richtig! Wau, wau, wau!«

»Ich antworte dir jetzt nicht, Frida, das ist ein Hirngespinst, das ich auswendig kenne und du auch.«

»Doch, du antwortest mir jetzt, wieder mit denselben Worten, so lange, bis ich dir sage, dass ich sie nicht mehr hören will.«

»Na los, Frida, antworte an meiner Stelle.«

»Nein, Diego! Du machst es dir zu einfach! Du darfst mir meinen Zorn nicht nehmen, Bastard!«

»Frida, das ist kein Thema. Das ist ein Impuls. Es ist, wie am Morgen aufzustehen und zu pissen. Drei Sekunden vorher gibt es ihn noch nicht, drei Sekunden danach gibt es ihn nicht mehr.«

»Und zwischendrin? Gibt es ihn dann?«

»Ja, es gibt ihn, mi amor, wie endlose Rückenschmerzen. Die kommen und gehen.«

Das soll kein Thema sein? Was ist dann ein Thema? Eine Absicht? Vielleicht ein Verlangen. Die Äußerung des Verlangens? Eine Vorführung? Sie stellt sich diese Fragen, wenn sie ihre Bilder betrachtet. Ihre und die von Diego. Es ist ein politischer Akt, würde er sagen. Die Revolution des Volkes in Bildern. Die Respektlosigkeit des Protests und das Erhabene. Der Starke und der Schwache auf einer Stufe, übermenschlich. Nur ein Fenster, meint Frida. Ein Thema ist ein Fenster, das sich in beide Richtungen öffnet. Durchlässig.

Diegos Betrügereien sind kein Thema, er ist ein Elefant im Porzellanladen. Der Elefant, el elefante, der in Friditas Terrakottaküche hereinplatzt und mit seinem mächtigen, unkontrollierbaren Rüssel alles Geschirr herunterwirft. Doch Betrug ist im Grunde nicht das richtige Wort. Zum Betrügen gehört auch Täuschung. Die Bemühung, etwas vorzuspielen. Dem anderen wenigstens etwas Dramatik zu gönnen.

Auch Frida schläft mit anderen. Am Anfang noch nicht, jetzt schon. Manchmal. Schnell. Um nicht das Nachsehen zu haben. Um zu sehen, wie es ist. Vor allem mit Frauen. Sie findet ihre Brüste wundervoll, besonders wenn die Brustwarzen eher braun sind als rosa. Diego hat recht, mit Frauen ist es üppiger, das muss sie Diego lassen.

Und Frida mag gern Blondinen.