Diego und Frida sind bei Henry Ford persönlich zum Dinner eingeladen. Weißes Tischtuch, erlesene Weine, Silberbesteck, jede Menge Diener, alte Elstern der Großbourgeoisie. Seit ihrer Ankunft in Detroit hat Henry Fords einziger Sohn Edsel die Riveras unter seine Fittiche genommen. Er hat Rivera vorgeschlagen, hier am Institute of Arts ein Werk zu schaffen. Ein Fresko zum Ruhm der Industrie der Motor City, ein Fresko zum Ruhm Henry Fords. Diego findet das großartig, er spricht davon, die Geschichte der neuen Rasse des Stahlzeitalters zu malen. Man hatte ihm zwei Wandflächen im glasüberdachten Innenhof angeboten, aber er will drei Flächen, nein, vier, er will einen endlos weiten Himmel. Er hat sämtliche Fabriken und Labors der Stadt besichtigt und fertigt siebenundzwanzig Skizzen für sein Werk an. Als das Budget von 10000 Dollar weit überzogen ist, erhöhte Edsel Ford die Schenkung ohne viel Aufhebens auf 25 000 Dollar.

In diese Industrielandschaft mit den Wolkenkratzern passt Frida mit ihren Kleidern aus Tehuantepec nicht, sie verabscheut die Stadt, sie ist schockiert von der extremen Armut gleich neben den Luxuslimousinen. Sie hat das Gefühl, sich immer im Kreise drehen zu müssen: Sie muss einen ständig aufgekratzten – und überarbeiteten – Mann ertragen, auf Bälle und mondäne Gesellschaften gehen, auf denen das Paar eine Art clowneske Attraktion ist. Aber Diego ist froh wie ein Kind. In Hochstimmung. Frida lässt sich von seiner Freude anstecken.

Ganz einfach.

Auf dem Weg zu den Fords weist sie Diego darauf hin, dass er einen Kapitalisten-Smoking trägt. »Ja, Frida, aber wir Kommunisten müssen uns wie die Leute der großen Gesellschaft kleiden!«, antwortet er ihr. Für jemand, der verlangt, dass seine Frau sich wie eine Indianerin anzieht, ist das allerhand, denkt sie.

Bei Tisch sitzt sie neben Henry Ford, sie ist ein Gast von Rang.

»Wo wohnen Sie denn hier in Detroit?«, erkundigt sich eine Dame mittleren Alters, die ein funkelndes Diadem im Haar trägt. Offensichtlich möchte sie Frida darüber aufklären, was die places to be or not to be sind.

»Wir haben ein kleines Apartment im Wardell-Hotel in der Nähe vom Institute of Arts. Aber wir wären fast schon wieder ausgezogen.«

»Hatten Sie etwa irgendwelche Unannehmlichkeiten?«

»Ja, sie mögen keine Juden.«

Beim Wort Juden (Frida spricht laut) bricht Schweigen aus, das den gleichmäßigen Fluss des üblichen small talk zerstört. Ein Engel zieht vorüber, es herrscht betretene Stille. Henry Ford, das weiß jeder, gilt als Antisemit.

In Detroit nennt Frida sich Carmen. Das ist ihr zweiter Vorname. Ihr erster lautet Magdalena, Frida kommt erst an dritter Stelle, aber die Familie hat sie immer so genannt. Frieda, wie es in ihrer Geburtsurkunde steht, ein deutscher Vorname, abgeleitet von Frieden. Ein schönes Wort, aber mit Ankunft der Nazis auf der politischen Bühne unpassend. In Deutschland finden die Reichstagswahlen statt, und Adolf Hitler ist angesichts von Hindenburg eine ernste Bedrohung. Um sich von ihrer deutschen Herkunft zu distanzieren, hat Frida zuerst das e aus ihrem Vornamen gestrichen, dann hat sie sich Carmen genannt.

Das Schweigen am Tisch ist bedrückend. Keiner der Gäste wagt es, die peinliche Stille zu durchbrechen. Alle hoffen in petto, dass Ford nichts gehört hat. Da wendet sich Frida dem alten Mann zu und fragt ihn (immer noch mit lauter Stimme): »Mister Ford, sind Sie Jude?«

Der Gipfel der Peinlichkeit. Das betretene Schweigen steigert sich. Es zieht kein Engel mehr vorüber, alle Cherubim aus dem Paradies setzen sich an den Tisch. Die Gäste starren auf ihre Teller. Der elegante Siebzigjährige schaut die Amazone mit dem fremden Gesicht forschend an und bricht dann in schallendes Gelächter aus, das kaum zu seiner athletischen Figur und seinem steifen Gehabe passt. »Liebe Carmen«, sagt er schließlich, »mir scheint, Sie malen auch. Ich würde mich freuen, Ihre Werke zu sehen.«

»Ja, das kann ich mir vorstellen, ich bin die beste Malerin der Welt.«

»Haha, davon bin ich völlig überzeugt. Wie gefallen Ihnen eigentlich meine Fabriken?«

»Zu Ihren Fabriken kann ich Ihnen eine Geschichte aus meinem Land erzählen. Ein amerikanischer Tourist entdeckt einen mexikanischen Handwerker, er findet, dass er sehr schöne Möbel baut. Er sagt zu ihm: »Ich mag diesen Stuhl, ich möchte ihn kaufen. Können Sie mir noch fünf weitere machen, damit ich sie um meinen Esszimmertisch stellen kann? Ich bezahle auch gut.« – »Tut mir leid, mein Herr, das ist leider unmöglich.« – »Aber wieso?«, wundert sich enttäuscht der amerikanische Tourist.« – »Es wäre furchtbar langweilig für mich, fünfmal das Gleiche zu machen.«

»Amüsant, indeed. Aber alle meine Autos haben eine Seele, selbst wenn sie am Fließband hergestellt werden. Fahren Sie Auto, Carmen?«

»Nein, dear Henry, ich würde mich auf dem Rücken eines wilden Stiers wohler fühlen als am Steuer eines Wagens.«

»Ich bringe Ihnen das Fahren bei, wenn Sie erlauben.«

»Als ich bei Mister Ford das Autofahren lernte, so könnte ein neuer mexikanischer Witz anfangen. Im Gegenzug kann ich Ihnen, wenn Sie wollen, zeigen, wie man mole negro und pico de gallo zubereitet, das schmeckt besser als die fade amerikanische Küche! Und Sie sehen mit einer Kochschürze bestimmt reizend aus.«

»Ich finde Sie wunderbar, darling. Sie sind köstlich. Ich schenke Ihnen ein Automobil! Edsel, bitte kümmere dich darum, dass Carmen und Diego ein Auto bekommen. Liebe Carmen, nächsten Monat lade ich zu einem Ball, ich hoffe, ich darf als Erster mit Ihnen tanzen. Es wäre mir eine Ehre. Und jetzt erzählen Sie mir noch ein bisschen vom mole negro

Auf dem Nachhauseweg ahmt Diego die Gespräche vom Abendessen nach und bricht in brüllendes Gelächter aus.

»Du bist genial, Frida! Was du ihm um die Ohren gehauen hast!«

»Man muss nur wissen, mit wem man’s zu tun hat, Diego.«

»Michelangelo hat am Tisch der Päpste gut gegessen. Aber er hatte keine Frau, die Kommunistin war! Ford frisst dir jetzt aus der Hand, du hast ihm völlig den Kopf verdreht.«

»Alle um ihn herum sind unterwürfig. Wie alle Machtmenschen findet er ein bisschen Frechheit anregend. Einen kleinen Nervenkitzel kann er sich leisten.«

»Edsel gefallen meine Skizzen, das hat er mir heute Abend gesagt. Das ist unverhofft. Ich will nicht leblose Maschinen malen wie die Europäer. Ich will Leidenschaft, Bewegung und Fortschritt malen!«

»Du solltest die Maschinen als Inkarnation der menschlichen Intelligenz darstellen.«

»Du hast recht.«

Diego schweigt einen Augenblick und bekommt dann den nächsten Lachkrampf. »Wie du ihm erklärt hast, wie man mole zubereitet! Der Alte war hingerissen. Das war fantastisch, Fisita, du hast sie alle ausgestochen! Du warst wie ein bunter Schmetterling unter lauter Regenwürmern.«

»Weißt du, wie viele Augen ein Schmetterling hat?«

»Nein.«

»Bis zu zwölftausend. Da hat er viele Perspektiven, Diego.«