»Wie könnte man diesen Törtchen mehr Farbe geben?«, fragt Frida laut und kramt in den Schubladen nach einer Idee. »Vielleicht sollten wir sie einfach anmalen?«

»Die Törtchen anmalen? Du vergiftest Diego damit, Frida.«

»Verdient hätte er es, und es sähe sehr viel schöner aus. Rot, Blau, Grün. Ich hole Farben und Pinsel.«

»Ich glaube, ich werde nie wieder in meinem Leben Kuchen essen, wir kneten den Teig nun schon seit Stunden, das ist ja ekelig.«

»Lucienne, ich brauche eine Beschäftigung, wo ich hier im Hotel eingesperrt bin, Diego ist nie da. Ich will meine Zeit nicht mit Kriminalromanen verbringen.«

Es ist kurz nach zwei Uhr morgens, Frida und ihre Freundin Lucienne Bloch backen im Brevoort-Hotel an der Fifth Avenue für Diego Törtchen. Der absurde Einfall, Diego Törtchen zu backen, ist ihr spontan gekommen. Davor haben sie Cadavre exquis gespielt, eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen, bei der Lucienne angesichts der einfallsreichen Pornographie auf Fridas Zeichnungen ins Träumen gerät. Riesige Brüste, erigierte Penisse in allerlei erlesenen Formen, Fridas Darstellungen sind eindeutig. »Es ist nichts unanständig an den Sexorganen, Lucita, nur unser Blick ist es, manchmal.«

Danach wollte Frida die Törtchen backen.

»Jetzt?«, rief Lucienne. »Really

Frida Kahlo und Lucienne Bloch sind mittlerweile unzertrennlich. Die junge Amerikanerin mit Schweizer Wurzeln ist Frida seit dem Krankenhausaufenthalt wegen ihrer Fehlgeburt nicht mehr von der Seite gewichen. Sie half ihr beim Waschen, Aufstehen, Anziehen und Malen, erleichterte ihren Kummer wie eine Schwester. Lucienne ist den Riveras von Detroit nach New York gefolgt, um dem Muralisten bei der Arbeit im Rockefeller Center zu assistieren. Sie hat kein regelmäßiges Gehalt mehr, seit sie für Diego arbeitet. Aber ihr Engagement für den Künstler geht über das Finanzielle hinaus. Die Sache ist ihr wichtig.

Lucienne wird die erste Begegnung mit dem Paar nie vergessen. Es war bei der Diego-Rivera-Ausstellung im Museum of Modern Art. Sie war zum Dinner zu Ehren des Mexikaners eingeladen worden, denn sie war schon im New Yorker Künstler-Milieu zu Hause – Lucienne sollte demnächst die Leitung des Bereichs Plastik der Frank-Lloyd-Wright-Schule übernehmen. Die Organisatoren waren in Verlegenheit, weil niemand Spanisch konnte, und so setzten sie Lucienne neben Diego, die beide fließend Französisch sprachen. Der Abend verlief reibungslos, Diego bezauberte Lucienne mit seinen fantastischen Geschichten und Theorien über Materie und Mechanik, sie war fasziniert von dem »Künstler, von dem man jenseits des Atlantiks am meisten spricht«, wie die New York Sun schrieb. Dann fragte eine kleine, auffallend gekleidete Frau sie, ob sie mit ihr auf der Terrasse des Museums eine Zigarette rauchen wolle. Als sie sich ein Stück entfernt hatten, beugte sich die seltsame Kreatur zu ihr rüber und zischte ihr I hate you ins Ohr. Lucienne, die ihren Sexappeal unter ihrem Bildhauerkittel versteckte und sich sonst anzog wie eine rigide Intellektuelle, war es nicht gewohnt, Eifersuchtsanfälle auszulösen. Sie brach in Lachen aus, konnte gar nicht mehr aufhören zu lachen, bis auch Frida Heiterkeit überkam. Lucienne kannte Rivera kaum, doch sie kannte das Leid der mit einem womanizer verheirateten Frauen. Ihre eigene Mutter hatte darunter gelitten und war die Eskapaden des berühmten Dirigenten Ernest Bloch einmal so leid gewesen, dass sie mit ihren Kindern nach Paris flüchtete.

Ihr Vater war nicht nur Musiker, sondern auch Fotograf. Er hatte seiner Tochter beigebracht, dass man immer einen Fotoapparat bei sich tragen muss, und dies verband die Schweizerin und die Mexikanerin. Sie tauschten sich über ihre Väter, ihre Kindheit und über Filme aus. An diesem Abend im MoMA zogen sich Lucienne und Frida diskret von der steifen Dinner-Gesellschaft zurück und gingen in eine Tanzbar in Greenwich, The Blue Candel, wo Lucienne Stammgast war. Frida sah ein, dass diese Frau kein Interesse hatte, mit ihrem Mann zu schlafen, sondern nur mit ihm arbeiten wollte. Lucienne erlag dem irren Charme der kleinen, temperamentvollen und fragilen Göttin mit dem wüsten und melancholischen Humor.

»Du hast etwas Aschkenasisches an dir, Frida!«

»Ich glaube, mein Vater ist Jude, Lucienne.«

»Meiner auch, I believe. Schlimm, Frau Doktor?«

Damit war alles gesagt.

Mitten in der Nacht sind die beiden Freundinnen noch immer dabei, allerlei Törtchen zu verzieren, die inzwischen überall in der gesamten Wohnung zu finden sind, wie Kunstwerke, die ein betrunkener Galerist in aller Eile aufgestellt hat. Frida verteilt Streusel, Kugeln, Perlen, alles, was ihr in die Finger kommt, und schenkt sich und Lucienne in regelmäßigen Abständen ein randvolles Glas Bourbon ein.

»Frida … warum malst du nicht mehr, seit ihr in New York seid?«

»Ich male doch! Ich male diese hässlichen Törtchen an.«

»Frida, ich meine richtige Bilder.«

»Weißt du eigentlich, wo er steckt?«

»Nein, keine Ahnung.«

»Aber wir wissen, bei wem er ist, nicht wahr. Er macht ja aus seinem neuen Flirt mit Louise Nevelson keinen Hehl. Sie hat ihn von Anfang an umgarnt. Weißt du, Lucienne, eigentlich steigt nicht er den Frauen nach, sondern die Frauen ihm. Ist dir das schon mal aufgefallen? Sie reißen sich um Rivera.«

»Das scheint ihn nicht besonders zu stören.«

»Stimmt. Ich möchte so gern zurück nach Mexiko. Mir fehlt meine Mutter.«

Fridas Mutter ist vor knapp einem Jahr gestorben, am 15. September 1932. Frida gießt sich noch einen Whisky ein. Sie trinkt ihn, als holte sie Luft. Um sich zu sammeln. Und sich zu vergessen. Lucienne beobachtet sie aus dem Augenwinkel. Schwer zu sagen, in welcher Stimmung sie gerade ist, helle Freude kann bei ihr von einem Moment zum anderen in Verzweiflung umschlagen und umgekehrt. Man kann nie wissen, ob sie in der Wirklichkeit oder in Träumereien versunken ist, ihre Freundin kann manchmal ganz bodenständig wirken, und in der nächsten Sekunde schwirren ihr die verrücktesten Ideen durch den Kopf. Mit oder ohne Alkohol. Lucienne mag das sehr an ihr, mehr als alles andere. Ihre Neigung, mit einem Fuß in der Welt zu stehen und mit dem zweiten im Anderswo. Immer zu leben wie beim Hüpfekästchen, bei dem man einen Stein wirft, der auf Hölle oder Paradies fällt, und munter hüpft man hinein, das Leben als grausames Spiel, bei dem man naive Regenbögen auf den Boden malt. Frida ist weder schamhaft noch dumm, sie ist sogar erstaunlich schlau und manipuliert andere, doch manchmal spielt sie das Kind, das sich andere Sprachen ausdenkt, um Spuren zu verwischen. Gegenüber den anderen oder sich selbst?

Zwei Monate nach Fridas Fehlgeburt begleitete Lucienne Frida nach Mexiko und ließ Diego in Detroit seine Arbeit allein machen. Frida musste dringend zu ihrer Mutter, die Neuigkeiten aus Coyoacán über ihren Gesundheitszustand waren beunruhigend. Frida hatte sich gerade erst von ihrer Fehlgeburt erholt. Seit sie aus dem Krankenhaus gekommen war, malte sie ununterbrochen, düstere, verstörende, qualvolle und erhabene Bilder. Wegen des schlechten Wetters gab es kein Flugzeug, Frida war am Rande des Nervenzusammenbruchs, also fuhren die beiden mit der Eisenbahn. Sie weinte auf der mehrere Tage dauernden Reise pausenlos. Die beiden Frauen durchquerten Indiana, Missouri und Texas und erreichten schließlich die mexikanische Grenze. Immer wenn der Zug hielt, versuchten sie, in Mexiko anzurufen, um Neuigkeiten zu erfahren, doch es kam keine Verbindung zustande, man sagte ihr, durch das Hochwasser am Río Grande seien die Leitungen zwischen den beiden Ländern beschädigt.

»Das heißt Río Bravo und nicht Río Grande«, schimpfte Frida. Alles brachte sie in Rage.

Bei längeren Halts stiegen sie aus und gingen essen. Sie redeten wenig. Oft warf Frida argwöhnische Blicke nach oben, als wollte sie prüfen, ob da nicht ein Verräterflugzeug zu sehen war, das sich geweigert hatte, sie an Bord zu nehmen. Wenn die Weiterfahrt sich verzögerte, gingen die beiden ins Kino, Befehl von Lucienne, die sich bemühte, die Freundin von ihrem tiefen Kummer abzulenken. Ins Abteil zurückgekehrt, wiederholte Frida in einem fort: »Wenn Mama stirbt, bin ich ganz allein auf der Welt.« Oder: »Lass uns umkehren, ich will zurück zu Diego.« Oder: »Ich bin eine Mutter, die ihr Baby und ihre Mutter verloren hat.«

Lucienne musste an ein Bild denken, an dem Frida arbeitete. So etwas hatte sie nie zuvor gesehen. Ihr lief es kalt den Rücken herunter, als Frida es ihr zeigte. Man sah darauf eine Frau, die auf einem Bett ein Kind zur Welt brachte, die Beine weit gespreizt, aus ihrem Schoß, an dem weder die Schamhaare noch die geschwollenen roten Schamlippen fehlten, kam der Kopf eines schon erwachsenen Babys mit Fridas Gesichtszügen heraus, ihre Brauen mit der einzigartigen Form waren deutlich zu erkennen, aber ihr fehlten die Haare, das Baby wirkte tot, geschlossene Augen, schlaffer Hals. Das weiße Laken war blutbefleckt, der Kopf der Gebärenden völlig mit einem schaurigen leichentuchartigen Stoff zugedeckt. Der einzige Schmuck in dem strengen Raum, in dem nichts überlebte, war das Bild einer Schmerzensmutter über dem Bett.

Schauerlich. Lucienne fragte Frida, wer unter der Decke liege. »Ich weiß es nicht, Lucienne. Ich denke nicht nach, wenn ich male. Es kommt einfach so aus mir heraus. Und am Ende komme ich selbst dabei heraus.« Und Frida lachte über ihren eigenen Scherz.

Eine Woche nach ihrer Ankunft in Mexiko starb Matilde Calderón Kahlo, el jefe, wie Frida sie nannte. Der Chef. Ihre Mutter.

Die Traurigkeit ließ alles vertrocknen. Fridas Gesicht war eine ausdruckslose Maske. Im Kummer hermetisch eingeschlossen. Sie weigerte sich kategorisch, die Leiche zu sehen. Die sechs Schwestern, Geschwister ohne Bruder, kleideten sich schwarz, niemand wagte es, Vater Guillermo Bescheid zu sagen, der sich in seinem Zimmer ans Klavier zurückgezogen hatte, wo er nicht seine Lieblingskomponisten Beethoven und Johann Strauss spielte, sondern Chopin.

Frida kann klassische Musik nicht ausstehen.

»Als sie jung war, war meine Mutter wunderschön. Klein und zart wie eine Glockenblume. Aber sie hatte einen hundsgemeinen Charakter. Später ist sie pummelig geworden, und ich suchte vergeblich in ihren Hautfalten nach der Glockenblume. Sie war sehr intelligent, aber ungebildet, im Gegensatz zu meinem Vater. Hundsgemein ist vielleicht übertrieben, wenn ich überlege. Im Grunde war sie nett, aber sie schimpfte uns oft aus, als wir klein waren, und da haben wir beschlossen, dass sie bellte. Wenn unser Vater sich zurückzog, wurde sie ruhiger. Ist dir schon aufgefallen, wenn man einmal entschieden hat, welche Farbe ein Mensch vor allem hat, kann man das nicht mehr infrage stellen oder nur sehr schwer. Was verrät das über uns?«

»Dass wir es uns zu einfach machen. Ich berufe mich ständig auf meinen Vater, den berühmten Künstler. Dabei war er auch ein großer Mistkerl. Ich habe gelernt, ihn mit den Augen der anderen zu betrachten, ihn außerhalb unserer Beziehung zu erfassen, wie einen Fremden. Meine Mutter hingegen gehört mir.«

»Habe ich dir schon erzählt, dass der erste Verlobte meiner Mutter sich vor ihren Augen umgebracht hat?«

»Ich glaube nicht, Frida. Warum hat er das getan?«

»Ich weiß es nicht. Warum bringt man sich um? Der Gedanke, dass man es tun kann, macht einen frei. Man macht das Fenster auf und springt. Meine Mutter hielt vieles geheim. Es gibt Dinge, über die wir nie gesprochen haben. Aber ich habe Liebesbriefe von ihm gefunden, die sie aufbewahrt hatte. Er war Deutscher, wie mein Vater.«

»Das ist ein merkwürdiger Zufall.«

»Ich weiß nicht, ob es Zufall ist.«

Lucienne und Frida unterhalten sich, ohne einander anzusehen. Ihre Hände kneten den Teig, holen die fertigen Törtchen aus dem Ofen, dekorieren und bemalen die Leckereien und verteilen sie im Raum, damit sie trocknen. Je abwegiger die Tätigkeit, desto wesentlicher erscheint sie, auch jetzt noch, um halb fünf Uhr morgens, geben sie der Nacht nicht nach, sie verbringen die Zeit, wirbeln mit den Händen herum, ganz in ihre Gedanken versunken, dazu ihr braunes Glas Whisky Sour.

»In jedem dieser Törtchen steckt der Tod, Lucienne.«

»Warum gehst du nicht zurück nach Mexiko, Fridita, anstatt Törtchen zu backen? Hast du Angst, Diego allein zu lassen?«

»Ich möchte, dass er mitkommt! Als dieser hijo de puta Rockefeller Diegos mural abgelehnt hat, dachte ich mir, Glück im Unglück, dann können wir ja endlich weg aus Gringolandia. Von wegen! Diego findet immer irgendeinen Grund hierzubleiben. Nach dem Fresko an der Workers School, das er gerade malt, findet er ein anderes Projekt, eine neue Ausrede. Wie damals, als er wegen ›aufwieglerischer Haltung‹ aus Moskau vertrieben wurde, das hat er nicht ertragen.«

»Aus Moskau?«

Ja, 1927 hatte Rivera fast ein Jahr in der UdSSR verbracht. Er war als offizielles Mitglied der mexikanischen Delegation zum zehnten Jahrestag der Oktoberrevolution eingeladen worden. Frida kannte er damals noch nicht, er sollte ihr erst später begegnen, kurz nach seiner Rückkehr nach Mexiko. El gran pintor revolucionario fühlte sich wie im siebten Himmel, die Sowjetunion war für ihn das Heilige Land. Er wollte ein Fresko für das russische Volk malen. Doch er kam mit seinen dezidierten Meinungen bei der Komintern nicht gut an; nach dem, was er Kahlo erzählte, kritisierte er offen den sozialistischen Realismus und setzte sich für eine Rückbesinnung der Malerei auf ihre slawischen folkloristischen Wurzeln ein. Die sowjetische Führung schickte ihn nach Mexiko zurück. Rápido.

Die beiden Frauen wissen, dass Diego nun auch in den USA zur persona non grata geworden ist. Außer Ford in Detroit und Rockefeller in New York hat er es geschafft, alle amerikanischen Milliardäre gegen sich aufzubringen. Die Riveras und Rockefellers verstanden sich prächtig, doch die Diskussion um ein Gesicht sprengte die schöne Planung.

Diego malt Lenin auf das Gemälde im RCA Building. Ein bedeutungsvolles Gesicht, das auf den Vorbereitungsskizzen, die der Auftraggeber gebilligt hat, fehlte. Pulverfass. Dominoeffekt. Das Fresko getötet, mit einem Pinselstrich, mit einem schweren Tuch vor den Augen des Käufers verborgen. Der nächste große Auftrag aus Chicago gestrichen. Das mural an der Workers School, an dem Diego heute Abend arbeitet, wo Frida nichts Absurderes eingefallen ist, als Törtchen zu backen, um die stillstehende Zeit in New York auszufüllen, ist eine Farce. Das hilft ihm, seine Wut im Zaum zu halten und das Gesicht nicht zu verlieren. »Glaubst du, sie werden sein Fresko im RCA Building zerstören?«, fragt Frida Lucienne, eine rhetorische Frage oder eine Zauberformel. »Das weiß ich nicht, aber Rockefeller ist ja kein Dummkopf, er weiß, dass die Intellektuellen ihn verspotten, weil er es hinter einem Vorhang versteckt. Wenn er es zerstören lässt, steht Diego als Held der Unterdrückten da. Weißt du noch, was Walter Pach über den Wirbel in Detroit gesagt hat: Wenn diese Gemälde übertüncht werden, kann man nichts mehr tun, um Amerika reinzuwaschen.«

Frida und Lucienne waren da, als Rockefellers Handlanger Diego aufforderten, seine Arbeit zu beenden und den Ort umgehend zu verlassen. Frida versuchte symbolisch, sich ihnen in den Weg zu stellen, um den Meister zu beschützen, doch das war vor allem ein Ablenkungsmanöver, damit Lucienne, die stets mit ihrer Leica bewaffnet ist, Diegos großes mural fotografieren konnte. Wenigstens das. Damit es als Bild bestehen bleibt. Als die traurigen Schergen ihren Apparat beschlagnahmten, konnten sie nicht ahnen, dass der Film manu militari in Lucienne Blochs Mieder gesteckt worden war. Unter zivilisierten Menschen spielt jeder sein eigenes Versteckspiel.

Dass das Fresko vernichtet wird, quält sie. Sie hebt ihr Whiskyglas hoch, als wollte sie dem weiten Himmel zuprosten. »Auf Lenin!«, brüllt Frida, mittlerweile völlig beschwipst. »Jetzt sind wir schon fast vier Jahre in den USA, und ich verstehe dieses Land noch immer nicht. Auf dich, Lucita! Und auf alle Hurensöhne! Ich glaube, die Törtchen könnten noch ein bisschen Blau vertragen, was meinst du? Es fehlt noch an Zärtlichkeit.«

»Warum magst du Amerika nicht?«

»Ich weiß es nicht. Weil es mir Diego raubt. Außerdem schlürfen sie pausenlos winzige Cocktails und sehen dabei so furchtbar überheblich aus«, sagt Frida und ahmt ihre snobistischen Mienen nach, indem sie den Mund verzieht.

Lucienne lacht schallend.

»Lach nicht, das ist die Wahrheit! Ich habe den Eindruck, ohne Cocktailparty läuft in diesem Land überhaupt nichts. Man will ein Bild von dir kaufen? Eine Cocktailparty. Man will es nicht mehr kaufen? Eine Cocktailparty! Die USA treten in den Krieg ein? Eine fucking Cocktailparty! Die Amerikaner betrinken sich ohne jeden Humor. Sie können sich nicht berauschen. Da lohnt sich das Trinken wirklich!«

»Aber du trinkst doch auch mit Diego deine Cocktails, auf den Empfängen seid ihr immer abgefüllt.«

»Deswegen kenne ich die Amerikaner ja so gut, ich habe sie aus der Nähe beobachtet. Ich trinke wenigstens, um die anderen zum Lachen zu bringen. Und wenn man sich auf den Partys nicht zeigt, ist man ein Nichts. Was ist das für ein Land, in dem man denken könnte, Ehrgeiz zu haben bedeute im Smoking Petits Fours zu essen. In Mexiko sind die Leute verrückt, aber wenigstens wissen sie, wie man ordentliche Feste feiert.«

»Da muss ich an das Gesicht der Reporter denken, die dich neulich interviewt haben, Frida! ›Was machen Sie in Ihrer Freizeit, Frau Rivera?‹ – ›Liebe!‹ Und du lagst im Bett und hast an einem Lolli gelutscht, du treibst die Leute noch in die Ohnmacht!«

»Was soll’s, Lucienne, wir leben, wir leiden, und am Ende sind wir tot. Warum nicht drei Gringo-Reporter schockieren, die nicht wissen, wie sie ihre Zeilen füllen sollen? Was hätte ich ihnen denn erzählen sollen? Dass ich in meiner Freizeit für einen Mann, den ich mehr liebe als meine eigene Haut, ungenießbare Törtchen backe? Dass ich mir im Kino viermal Frankenstein angeschaut habe? Dass ich keine Kinder kriegen kann?«

»Du hättest über deine Malerei sprechen können. Ist dir eigentlich schon aufgefallen, dass manche Frauen der höheren Gesellschaft deinen Kleiderstil nachahmen?«

»Ja, sie sehen aus wie Baba au rhum. Ich verstecke meine verkrüppelten Beine, aber wenn ich Beine hätte wie ein movie star, würde ich sie zeigen, um das Herz der Männer zum Schwitzen zu bringen! Sie haben keine Ahnung. Meine Malerei interessiert das Publikum nicht. Sie ist ganz klein. Die Schreiberlinge wollten, dass ich über Diego Rivera plaudere. Die Ehefrau des großen Mannes. Sehr originell. Verstehst du, warum all diese Kapitalisten einen revolutionären, kommunistischen Maler haben wollen, um ihre Wände zu schmücken? Sie wollen nur eins: Wandschmuck, aber bloß keine Politik. Und hinterher sind die kleinen Hübschen angewidert.«

»Frida, unsere Törtchen sind fertig.«

Frida schweigt, sieht sich in der Wohnung um. Ihre Hände und ihr Gesicht sind voller Farbe. Draußen die Nacht, die sich bis in die vom spitzen Schatten der Gebäude angekratzte Unendlichkeit ausdehnt. Sie holt ein großes Tablett und türmt die Törtchen darauf. Alle Törtchen. Dann öffnet sie das Fenster, schaut nach unten und wirft mit einer brüsken Bewegung die Törtchen in die Luft.

»Es regnet Törtchen in New York!«, ruft sie. »It’s raining cakes, careful, motherfuckers! Ist das schön!«

»Na los, guapa, ex und hopp! Diego Kröte kommt heute sowieso nicht mehr nach Hause.«