Frida räumt Diegos neues Atelier auf, sie hebt die präkolumbianischen Figuren an, entstaubt vorsichtig ihre kleinen, geheimnisvollen Köpfe, sucht Pigmentfläschchen, stellt sie nach Farben geordnet in einer Reihe auf und schiebt riesige Judaspuppen aus Pappmaschee herum, die friedlich vor sich hin zu dämmern scheinen. Später will sie ihren Vater bitten, ihr zu helfen, sie an der Decke aufzuhängen. Sie verteilt Tongefäße wie Opferschalen auf den Regalen, säubert in Koffern vergessene Pinsel und zündet heilige Kräuter an, um Wände, Kissen und Sessel mit ihrem Duft zu erfüllen. Sie mag den Geruch neuer Häuser nicht, diesen Geruch ohne Geschichte und von Erinnerungen entblößt. Sie wirbelt bei Diego in seiner Abwesenheit herum, damit es dort in den Ecken und Schränken ein wenig nach Frida riecht, damit die Staffelei in der Mitte des Ateliers wieder verführerischen Charme versprüht. Im Badezimmer nebenan küsst sie auf Zehenspitzen den Spiegel, sodass der Abdruck ihres Lippenstifts auf der Höhe von Diegos Mund ist, auch wenn er nur selten in den Spiegel schaut. Eine Weile bleibt sie vor den an der Wand lehnenden Bildern ihres Mannes stehen, hauptsächlich Frauenporträts. Zum ersten Mal nimmt sie darauf ein ekstatisches Leuchten wahr, ist irritiert von der Leere und Hingabe dieser Ekstase, die mehr über männliches Begehren aussagt als irgendein Spiegel ihrer Seele, dann geht sie schnell hinaus und überquert die Hängebrücke, zwischen dem Dach von Diegos Haus und der Terrasse des Hauses gegenüber, ihres Hauses.
Die Bauarbeiten sind so gut wie abgeschlossen, ihr Freund, der Architekt Juan O’Gorman, hat fleißig gearbeitet, während sie in den USA waren. Ihr neues Zuhause befindet sich in San Ángel, in der Avenida Altavista, unweit von Coyoacán. O’Gorman hat zwei Häuser mit viel Glas entworfen, damit eine Welle von Licht in Diegos Atelier flutet, mit einer Palisade ruhiger Kakteen, welche die beiden einander gegenüberstehenden und sich anschauenden Häuser verbirgt, das große in Rosa, das kleine blau, verbunden und verschieden, wie eine kluge Antwort auf die Gleichung dieses Paars, zusammenzuleben, aber nicht zu sehr.
Seit ein paar Monaten sind sie wieder in Mexiko, und Diego hat sich noch nicht beruhigt.
Er will nicht mehr malen, schiebt Aufträge hinaus oder lehnt sie ganz ab. Er antwortet nicht mehr auf Briefe, verliert Rechnungen, wirft das Geld zum Fenster hinaus, er hasst Frida.
Nachdem er erfahren hatte, dass sein mural im Rockefeller Center vernichtet worden war, und den Schock überwunden hatte, ein Jahr seines Lebens verloren zu haben, suchte er einen Ort, um das verwünschte Fresko noch einmal zu malen. Die mexikanische Regierung hat ihm dazu den zweiten Stock des Palacio de Bellas Artes zur Verfügung gestellt – hier ist die Linke nach der Wahl von Cárdenas wieder an die Macht gekommen. Doch auf einmal will er es nicht mehr; man bietet ihm die Wände der medizinischen Hochschule an, auch das interessiert ihn nicht, er muss die Fresken im Treppenhaus des Palacio Nacional zu Ende malen, mit denen er aufgehört hatte, er ist irritiert, er glaubt, gescheitert zu sein, in seiner Karriere, im Leben, also zerstört er seine Bilder, hat Wutanfälle, wettert gegen alles und jeden, geht unwirsch mit seinen Freunden um. Er verführt die Frauen, küsst manche von ihnen nach reichlich begossenen Abendessen auf den Mund, die Scham und den Speichel überlässt er seinen flüchtigen Eroberungen, die es nicht wagen, dem Blick seiner Frau zu begegnen, und sich insgeheim fragen, wann sie es dem großen Maler eigentlich gestattet haben, sie vor aller Augen zu verführen. Frida schwankt zwischen Wut und Selbstaufopferung. Ihr dickes, beleidigtes, deprimiertes Kind ist ihre Sache, ihre Bürde. Sie öffnet und beantwortet seine überfällige Korrespondenz. Angesichts der Berge von Post besorgt sie einen Ordner mit Alphabet, um den Krempel in Ordnung zu bringen, doch die meisten landen beim Buchstaben P, por contestar, zu beantworten … Sie greift sich die Exemplare mit erfreulichem Inhalt heraus und liest sie Diego vor. »Dein Freund, der Kritiker Élie Faure, schreibt dir aus Paris, er sagt, es war richtig, dass du beim Fresko im Rockefeller Center nicht nachgegeben hast. ›Ein Hurra auf den Erfolg deiner Aktion! Der künstlerische Ruhm eines Matisse oder sogar Picasso zählt nichts neben der menschlichen Leidenschaft, die du entfachst. Zurzeit gibt es keinen Maler auf der Welt, der sich mit dir messen kann.‹«
Sie widmet ihm immer mehr Aufmerksamkeit, muntert ihn zu mehr Leichtigkeit, Freude, alegría, auf. Sie veranstaltet Kostümbälle, auf denen fröhlich gesungen wird, und hat den Alltag dennoch fest im Griff: Sie geht ans Telefon, nimmt Aufträge für ihren Ehemann, den pintor, an und entwickelt Strategien für seine Rückkehr ins Leben, sie nimmt an nichts Anstoß, zeigt das versehrte Lächeln jener, denen man nicht so leicht etwas anhaben kann, die im Kampf schon ganz andere Dinge besiegt haben als großen Liebesschmerz.
Dann lädt sie niemanden mehr ein, sie schreit ihrem alter ihre Verzweiflung und ihre Demütigung ins Gesicht. Sie habe es satt, seine Putzfrau und Assistentin zu sein, sie hätten kein Geld und keine Freunde mehr, es mache sie rasend, dass er die kommunistische Partei als eine Mutter ansehe, der er ständig etwas beweisen müsse, dass er ein Hypochonder sei, grausam, egoistisch und ungerecht. Außerdem habe er nie Kinder mit ihr haben wollen. Plötzlich ist er für alles verantwortlich, sie findet ihn unsensibel, weil er auf nichts Rücksicht nimmt, beim Sex nicht auf sie achtet, sie nicht mehr sieht und sich verflüchtigt. Es stört sie nicht weiter, dass er sie einfach nimmt, aber es missfällt ihr, wenn er hinterher einfach verschwindet. Zum Beischlaf mit anderen. Anderen Lippen, anderen Beinen, anderen Mündern. Sie ist eine großzügige Natur, räumt dem Sex seinen richtigen, nicht wahrnehmbaren Platz ein – Austausch von Schreien, Austausch von Krisen –, aber sich die vielen Male vorzustellen, den ausweglosen Korridor gespreizter Beine, reißt ihr manchmal doch zu sehr die zarte Haut um ihr Herz ab. »Diego, ich kann nichts dafür, dass wir die Vereinigten Staaten verlassen mussten.« – »Nein, deine Malerei ist kein Haufen Mist.«
Und ich, Diego? Und ich?
Wenn sie allzu ungehalten ist, bellt, widerspricht, droht sie ihn zu verlieren. Sie möchte, dass Diego sie liebt, weil sie ihn berauscht. Sie möchte sich ihren Glauben bewahren. Nicht mehr an Diego zu glauben steht ihrer Religion im Wege, ist ein schrecklicher Moment des Zweifels an Jenseitigkeit. Auf Diego zu setzen bedeutet, auf einer verstimmten Harfe zu spielen. Nichts Greifbares deutet darauf hin, dass es richtig ist, auf diese Verehrung zu setzen. Aber sie glaubt daran. Faites vos jeux! Nichts geht mehr.
Frida malt kein einziges Bild, es fällt ihr gar nicht auf, dass sie nicht mehr arbeitet, sie hat die Malerei sowieso noch nie als Arbeit betrachtet, nur als Zuflucht. Sie ist ganz auf Diego fixiert und hofft, dass sich seine Wut bald legt; wenn sie unglücklich ist, sucht sie ihn, um Zuflucht zu finden, sie küsst ihn, berührt ihn, legt sich auf seinen Bauch, doch je schlechter es Diego geht, desto mehr scheint Frida ihm lästig zu sein und ihm auf die Nerven zu gehen. Wie soll sie ermessen, was die richtige Distanz ist?
Sie haben nur noch eine Brücke zwischen ihren beiden Häusern.