Frida unterhält sich in einer Ecke mit Jacqueline Lamba, ihr Wiedersehen war zärtlich, wie es Liebhabern vorbehalten ist. Sie hat New York nach Silvester den Rücken gekehrt und Nick mit Bedauern zurückgelassen. Das Jahr 1939 beginnt für sie in jener Stadt am anderen Ende der Welt. Paris. Rummel. Enge. Unbekanntes, beängstigendes Fieber. Seit ihrer Ankunft wohnt sie bei Jacqueline und André Breton in der Rue Fontaine 42. Sie ist mittendrin, am Montmartre, mit dem ihr Diego ständig in den Ohren gelegen hat, heroische Jugenderinnerungen und Kämpfe mit unverstandenen Genies. Sie hat den Eindruck, die Geschichten besser zu kennen als Breton, der ihr in ständigem Redefluss erzählt, gleich nebenan hätte Degas gelebt und auch Toulouse-Lautrec, Bizet habe seine Carmen im Haus Nr. 26 komponiert et cetera. Versteckt hinter einem Theater mit dem schillernden Namen Aux menus plaisirs wohnt das Ehepaar Breton in einer kleinen Atelierwohnung im vierten Stock. Der reinste Trödelladen! Keine Stelle an den Wänden mit bröckelndem Putz, an der nicht Gemälde von Freunden, Fotografien und afrikanische Masken hängen, überall Bücherstapel und ein riesiges, von einer Reise mitgebrachtes Idol. Würde ihr Breton nicht so auf die Nerven gehen, könnte Frida an diesem Chaos fast Gefallen finden. Jeden Abend drängen sich viele Leute in der übervollen Wohnung zwischen dem durchgesessenen Canapé, dem bollernden Ofen und behelfsmäßigen Hockern. André zählt seine Truppen, auf Frida wirkt er wie ein König, der von seinen Hofnarren umgeben ist. König wovon überhaupt? Diese französischen Intellektuellen sind ihrer Meinung nach lächerlich. Sie scheinen mit sich selbst zufrieden auf ihrem verrottenden Land, dem alten, degenerierten Europa, mit Franco in Spanien, Mussolini in Italien und Hitler in Deutschland, es ist von drohendem Krieg die Rede, und sie halten von früh bis spät sinnlose Reden, lungern selbstzufrieden in Cafés herum, ziehen von einem Bistro ins nächste, tun nichts anderes, als mit den unmöglichsten Wörtern Gespräche zu führen und gemächlich in ihren Tassen zu rühren. Die Surrealisten. Nichts als ein Haufen pedantischer Schwätzer, ihrer Meinung nach. Frida hasst sie. Sie hasst auch diese schummrige Wohnung, in der sie auf einem Behelfsbett schläft, zwischen Bergen vollgekritzelter Zettel und wackligen Möbeln, sie hasst Paris und die französische Sprache, die sie nicht versteht! Breton hatte ihr eine Ausstellung ihrer Bilder versprochen, aber es passiert einfach nichts. Er hat ihre Bilder nicht abgeholt, die noch immer beim Zoll lagern, er hat keine Galerie für die Ausstellung gefunden, und kein Geld. Er hat sogar Frida gebeten, ihm welches zu leihen. Sie ist nun schon seit drei Wochen hier und kommt sich vor wie in einer Falle, weit weg von Diego, dem sie Brief um Brief schreibt, mit Lippenstift und bunten Federn verziert. Er schreibt ihr zurück, sie solle durchhalten, auch wenn nichts stattfinde, den Duft der bistros, der mitten in der Nacht gebackenen Croissants in sich aufnehmen, die Tanzlokale und Konzerte in der Rue de Douai besuchen, picknicken, auf dem Cimetière de Montmartre Blumen pflücken, mit anderen Worten das Leben in der Stadt genießen, die er geliebt hat.

Zum Glück hat Frida Jacqueline, ihre aufreizend blonde Vertraute in all dieser Fremdheit, die sich zärtlich um sie kümmert wie um ihre liebste Freundin und manchmal noch mehr, unter den leicht fassungslosen Blicken ihres Mannes. Heute Abend sprechen die beiden Frauen über ein Bild, das Frida auf dem Schiff während der Überfahrt nach Frankreich zu Ende gemalt hat. Sie würde es gern auf ihrer Ausstellung zeigen, sofern señor Breton endlich seinen Hintern bewegt, um einen geeigneten Ort zu finden. Es ist das Bild über Dorothy Hales Freitod. Nach ihrer Vernissage in New York hat Frida ein langes Gespräch mit Clare Luce, einer engen Freundin von Dorothy, geführt, die bereit war, bei ihr ein Porträt der verstorbenen jungen Frau zu bestellen. Sie möchte es Dorothys Mutter schenken. Clare ist die Chefredakteurin von Vanity Fair. Sie stand la belle morte sehr nah, und eines Abends, als sie mit Frida einen last drink nahm, um über die Sache zu reden, vertraute Clare ihr ein Geheimnis an, das ihr zu schaffen macht. Sie war diejenige, die Dorothy Geld lieh. Die Situation fing an, sie zu belasten, und so drängte sie Dorothy, sich nach einem bezahlten Job umzusehen, ihre glamouröse Lethargie aufzugeben. Sie hatte ihr auch geraten, bei Bernie Baruch vorbeizuschauen, damit er Arbeit für sie findet.

Ein paar Tage ging Clare bummeln, kam zufällig bei Bergdorf Goodman vorbei und sah sich die Modelle an. Ihr Blick fiel auf ein atemberaubendes Abendkleid, das bei den »Bestellungen« hing. Es war unverschämt teuer, und die geschwätzige Verkäuferin verriet ihr, dass Miss Dorothy Hale es kürzlich in Auftrag gegeben habe. Clare war wütend. Das für ihre Miete geliehene Geld verjubelte sie für Luxuskleider? Was für ein krimineller Leichtsinn von Dorothy! Als diese sie am nächsten Tag anrief und zu ihrer angeblichen Abschiedsparty einlud, lehnte Clare die Einladung ab. Sie erklärte, sie habe keine Zeit. Eigentlich hatte sie ihr sagen wollen, dass sie wahnsinnig wütend auf sie sei, doch sie zeigte ihr nur die kalte Schulter und sagte, sie habe keine Zeit. Dorothy fragte Clare dennoch, welches Kleid sie am besten anziehen solle. Clare bremste angesichts dieser Lappalie ihren Zorn, riet ihr aber, das schwarze Samtkleid anzuziehen, das ihr so gut stehe. Da Dorothy für einige Zeit wegfuhr, würde sie sowieso aufhören, sich bei ihr Geld zu leihen. Wozu also noch einen Streit anfangen, bei dem sie sich überwerfen würden.

An diesem Abend stürzte sich Dorothy aus dem Fenster.

Clare weinte, während sie Frida dies erzählte. Sie fügte hinzu, dass Bernie ihr später die Details von ihrer letzten Begegnung verraten habe, auch seinen Rat an Dorothy, sich ein prächtiges Kleid zu kaufen, um einen Mann zu finden, dazu ein Geschenk von tausend Dollar.

Das berühmte Kleid von Bergdorf Goodman, das Dorothy in fine nie wieder anziehen konnte.

Frida erzählt Jacqueline die ganze Geschichte, während sie ihr das Bild zeigt. Die Geschichte einer Frau, der man sagt, dass sie zu nichts anderem taugt als dazu, ein bisschen die Nutte zu spielen, um sich einen Ehemann anzulachen, eine Frau, deren Leuchten und Verlust in diesem hübschen Gesichtchen eingeschlossen sind. Das Bild zeigt die vertikale Majestät von Hampshire House, das die ganze Höhe des Gemäldes einnimmt, in unheimliche Nebelschwaden getaucht, die jeglichen urbanen Horizont verdecken. Hinten sieht man einen winzigen Körper, der aus einem Fenster fällt, das ein wenig größer ist als die anderen, einen Flecken in Form eines Menschen, den Kopf noch nach oben gerichtet; auf mittlerer Ebene wird im Nebel verschwommen der Körper einer Frau sichtbar, diesmal mit dem Kopf nach unten, im Sturz, ihr Gesicht ist gleichmütig, ein wunderschönes Gesicht.

Vorne liegt Dorothy Hale wie auf einer Theaterbühne am Boden, ruht beinahe in den Armen des Betrachters. Sie hat ihre Schuhe verloren, ein Fuß ragt aus dem Bild heraus, als würde sie noch weiter fallen, aber diesmal aus dem Gemälde, wie eine Einladung, diesen Fuß zu streicheln, um ihn zu wärmen. Ihr Gesicht ist unversehrt, eine Kinomadonna, die einem in die Augen schaut, eine schuldhafte Perfektion, lediglich getrübt durch das feine Blutrinnsal, das von ihrem rechten Ohr über ihre Wange zum Mund läuft. Sie trägt ein schwarzes Kleid. Festgesteckt an ihrem Dekolleté, prächtig und noch lebendig die gelben Rosen aus dem Strauß.

Das Blut fließt bis über den Rahmen. Das Blut der Frauen, Du bist schön, also schweig, befremdet von dem unbändigen Begehren, das sie selbst wecken.

»So ein Bild habe ich noch nie gesehen, Frida.«

»Ich habe ein trauriges Porträt gemalt, Jacqueline, das Porträt von Dorothy Hale.«

Breton ruft die beiden Frauen, sie sollen aufhören, sich abzusondern, ihn irritiert das vertrauliche Gespräch, das ihn ausschließt, wie alles, was sich seiner Kontrolle entzieht. Die zehn Männer, die in der Zweizimmerwohnung der Bretons versammelt sind, sitzen inmitten voller Aschenbecher und Bordeauxflaschen und spielen Cadavre exquis, da schlägt André etwas anderes vor: das Wahrheitsspiel. Dabei geht es darum, möglichst indiskrete Fragen zu beantworten, und wer sich weigert, die Wahrheit zu sagen, wird bestraft. Frida ist bereit, sich der Herausforderung zu stellen. Paul Éluard fragt sie, wie alt sie ist. Frida entgegnet ruhig, nie würden sie eine Antwort auf diese Frage bekommen. Jetzt muss sie etwas machen! Eine Strafe, eine Strafe! »Sehr gut«, verkündet Breton Frida, »du musst dich mit dem Stuhl befriedigen, auf dem zu sitzt.«

Frida sagt nichts. Sie legt ihre Zigarette beiseite und zieht langsam ihre Röcke hoch. Zuerst sieht man ihre nackten Füße, Füßchen mit roten Nägeln, die beginnen, über die Sprossen des Stuhls zu streichen, affenhaftes Weibchen, giftig. Ohrenbetäubende Stille im Raum, die Mexikanerin gerät allmählich in Trance, sie betört die erhitzten Mienen, wogt zwischen den Armlehnen, sucht nach Formen, um sich an sie zu schmiegen, wiegt sich in einer Choreografie drängender Lust, die Spannung steigt, auch Fridas Schreie, immer lauter, die graziöse, geschmeidige Frau windet sich in einem beeindruckenden Körper an Körper mit einem unbelebten Objekt. Bis zum Höhepunkt.

Schön wie die zufällige Begegnung einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch, könnte das Großmaul Breton begeistert ausrufen.

Die Herren Surrealisten schweigen.

»Noch eine Frage?«, fragt Frida mit schweißtriefendem Nacken.