Frida betrachtet die beiden Puppen, die sie auf dem Markt von Saint-Ouen erstanden hat, eine dunkelhaarige und eine blonde, wie sie und Jacqueline. Sie lagen verlassen auf einem Stand herum, in schmutzigen Kleidern und mit von Staub bedeckten Porzellangesichtern. Sie hat sie gebadet und die Kleider geflickt. Eine wollte sie Jacqueline schenken, doch sie bringt es nicht übers Herz, das Paar zu trennen, sie kann nicht anders, und so wickelt sie die beiden vorsichtig ein, sie packt endlich ihre Koffer, endlich macht sie sich aus dem Staub.

Ohne Bedauern hat sie die Ausstellung in London abgesagt, die in der Galerie von Peggy Guggenheim stattfinden sollte. Doch hier riecht alles nach Krieg, spanische Flüchtlinge kommen massenhaft in Frankreich an, seit Frankreich und England im letzten Monat das Franco-Regime anerkannt haben, es ist ein Elend, ganze Familien in Lumpen sind in Durchgangslagern untergebracht. Frida setzt sich dafür ein, dass Mexiko diese Flüchtlinge aufnimmt.

Gestern hat in der Galerie Renou & Colle, die auch die von Salvador Dalí ist, die Vernissage stattgefunden. Die Vernissage der Ausstellung Mexique, um genau zu sein. Nach zähen Verhandlungen werden siebzehn ihrer Bilder gezeigt. Wassily Kandinsky und Joan Miró waren da und haben sie in die Arme geschlossen, als eine von ihnen. Jacqueline und Dora Maar finden, dass sie mit ihrer explosiven Malerei großen Eindruck gemacht hat. Der französische Staat hat für tausend Francs eins ihrer Gemälde erworben. Der Staat! Pablo Picasso hat ihr Ohrringe geschenkt, die zwei kleine Hände darstellen, die er selbst angefertigt hat, er hat sie geküsst und laut und sehr ernst zu ihr gesagt:

»Weder Derain noch ich, noch Diego Rivera werden je in der Lage sein, ein Gesicht so zu malen wie du, Frida Kahlo.«

Frida hat das Fest kaum genossen, wie nach einem schlechten Drink, der eine schon verblasste Freude in die Länge zieht. Mehrere Wochen hat sie mit heftigen Schmerzen im Amerikanischen Krankenhaus verbracht, mit Schmerzen und Übelkeit. Durch ihren Körper abgenutzt, der nie allzu lange vergisst, sie zu quälen. Sie fühlt sich in sich selbst eingesperrt, in Atemnot, nichts fühlt sich richtig an. Um sie herum ein Höllenlärm, was für eine Farce. Diego hat auf ihre letzten Briefe nicht geantwortet, Lucienne hat ihr geschrieben, dass Nick Muray, ihr Nick, bald heiraten wird. Was, schon wieder? Er hat doch schon dreimal geheiratet. Und wen? Was ist mit ihr, seiner Göttin Xochitl? Frida hat versucht, ihn anzurufen, doch er ist nicht ans Telefon gegangen. Frida sieht sich im Spiegel, wie sie verzweifelt versucht, einen Mann anzurufen, der schon fort ist. Eine Ersatzliebe, eine vorgetäuschte Liebe, um den eigentlichen Schiffbruch zu überwinden. Es ist schwer zu stürzen, wenn man Königin gewesen ist.

Nick hatte ihr in New York vor ihrer Abreise gesagt: »Frida, das Problem ist, dass man mit dir immer zu dritt ist. Und von diesen dreien gibt es nur dich und Diego.«

Sie fühlt sich alt. In den vergangenen Tagen hat sie es nur noch mühsam bis zum Louvre geschafft, wohin sie sich täglich begibt, um sich Bilder anzusehen. Als Marcel Duchamp sah, wie sie sich quälte, schlug er ihr vor, sich mit einem Stock zu behelfen. »Nach meinem Tod, mi amor, gehe ich vielleicht mit einem Stock«, antwortete sie ihm.

Jeden Tag schmückt sie ihr Haar mit ihren Bändern und zierlichen Kämmen, stiehlt frische Blumen aus den Hotelvasen und steckt sie dazu, sie wechselt ihre Ketten, den Schmuck, den Diego ihr geschenkt hat. Doch sie hat den Eindruck, feierlich ein Skelett anzukleiden. Sie ist nicht mehr richtig da. Sie hat Schmerzen, Schmerzen im ganzen Körper, Schmerzen überall im Kopf. Sie hat Angst. Eine unergründliche Angst, die ihr vom breakfast bis zur Abenddämmerung im Nacken sitzt und ein unheilvolles Tuch über Lichter und Farben legt. Sie denkt nur an Flucht – oder an das Ende. Seit dem Bild von Dorothy Hale hat sie nicht mehr gemalt.

Keinen Tropfen. Keine Träne.

Morgen nimmt sie in der Gare Saint-Lazare den Zug nach Le Havre. Dort wartet das Schiff Normandie auf sie, das sie zurück nach New York bringt. Dann nach Mexiko.

Nach Coyoacán, dem Hafen der Langeweile, der so schön wird, wenn man weit fort ist.

Ihr Lieblingsbild im Louvre ist Der heilige Franziskus von Assisi empfängt die Stigmata von Giotto. Das Fehlen von Schatten und Perspektive erinnert sie an ihre geliebten retablos. Und an ihre eigenen Bilder. Giotto, von dem Diego so oft gesprochen hatte, auf seiner Italienreise hatte er sich in die Fresken des florentinischen Malers verliebt. Als Diego dreißig war und sie ihn noch nicht kannte.

Als Frida Diego eroberte, war er schon über vierzig. Dieser Gedanke peinigt sie. Während sie wartet, dass die letzten Stunden vergehen, bis sie von hier verschwindet, betrübt dieser Gedanke sie. Vor ihr war er schon zweimal verheiratet, war durch ganz Europa und Russland gereist. Er hatte in Paris die Anfänge des Kubismus erlebt, Picasso war offenbar bettelarm, der Dichter Apollinaire lebte noch und war ein lustiger Geselle. Er hat mehrere Kinder, manche anerkannt, andere geleugnet. Wie viele Kinder? Wie viele Leben, Diego? Zu viel Leben. Das ist unerträglich. Sie wünscht sich, sie hätte Diego schon bei seiner Geburt kennengelernt, lebte überall in ihm. Wäre seine Zwillingsschwester. Würde sich seine Erinnerungen aneignen. Wie konnte er ohne sie leben? Und atmen?

Manches Mal hat Frida vor Franz von Assisi gesessen und ihn betrachtet. Offenbar war er vor seiner Konvertierung recht ausschweifend und sehr krank.

Das Gesicht des heiligen Mannes wird in dem Moment, in dem er die Stigmata erhält, für Frida das eines Bruders im Menschsein.