Frida hat sich hingesetzt und eine Zigarette angezündet. Eine Lucky Strike. Ihre bevorzugte Marke, die sie aus New York mitgebracht hat, denn hier sind sie zu selten und sehr teuer. Nun raucht sie schon die dritte in tiefem Schweigen. Diego sitzt reglos da. Wahrscheinlich wartet er auf eine Reaktion von ihr, dass sie etwas sagt. Sie sagt nichts. Sie kann nichts mehr sagen. Sie starrt die Wand an, während sie raucht, die blaue Küchenwand, an der lauter kleine Tonschalen hängen, so angeordnet, dass sie ihre beiden Namen bilden: Diego und Frida. Sie schaut den Papagei Bonito an, dem sie manchmal Tequila zu trinken gibt und die derbsten spanischen Flüche beibringt, da steht ein großer Tisch mit Blumen, die Frida jeden Tag wechselt, da sind die Affen Fulang Chan und Caimito de Guayabal, die ständig die Essensvorräte stibitzen, wenn sie sich nicht gerade wie besitzergreifende Liebhaber oder Neugeborene an ihren Hals hängen, mit Obst, das sie auf dem Markt kauft und in geflochtene Körbe legt, wie ein Füllhorn auf Renaissancebildern. Die Küche ist ihr Lieblingsraum. Wohnzimmer sind etwas für blasierte Europäer, findet sie, und hier in der Küche mit den gelb verfärbten Fliesen empfängt sie Gäste, dabei kocht sie mit Begeisterung, aber ohne Zeremonie inmitten von Limetten, Avocados und heiligen Kräutern; die Zeremonie ist sie selbst, ihre Kleider und Schmuckstücke, ihre Goldzähne, ihre Lieder und Aussprachefehler, ihre exzentrischen Ideen und ihr Gehabe einer verdorbenen Verführerin, ihre grenzenlose Zuneigung zu jedem, jeder, jedem Gegenstand.
»Niemals, Diego.«
Endlich hat sie geredet. Sie hat etwas gesagt. Wie ein Reflex, ohne nachzudenken. Sie versteht nicht, was er von ihr fordert, sie will es nicht mal versuchen.
»Das wird nichts ändern, Frida. Wir werden uns dauernd sehen, wir gehen weiter zusammen ins Theater, zeigen uns unsere Bilder und reden miteinander, aber ohne uns wehzutun.«
»Du tust mir weh.«
»Gut, du wirst geschützt sein.«
»Ich kann alles eher ertragen als das, Diego.«
»Was meinst du mit das?«
»Dich nicht mehr zu haben.«
»Genau. Und das ist unerträglich.«
Fridas Augen weinen unaufhörlich. Kein Wimmern, kein Schluchzen. Nur der Strom stummer Tränen, so wie sie sie auf den Bildern darstellt. Diego ärgert sich über dieses nicht endende Leid, das jedes Geräusch unterdrückt.
»Bist du traurig, Frida? Ich weiß. Du warst dein ganzes Leben lang traurig. Habe ich dich belogen? Nein, ich habe dich nicht belogen. Du wusstest, wer ich bin, als du dich mit deinem Mädchenkleid vor meinem Gerüst aufgebaut hast. Und weißt du was? Ich habe bemerkt, je mehr du gelitten hast, desto besser hast du gemalt. Ich tu dir also einen Gefallen.«
»Du bist ein Monster!«
»Oh, das Monster, das habe ich doch schon mal gehört, el monstruo! Von Lupe, Angelina und wer weiß wie vielen anderen! Willst du, dass ich eins bin? Dann hör mir gut zu: Ich habe lieber mit deiner Schwester gevögelt als mit dir. Tut dir das weh? Gefällt dir der Schmerz? Fühlst du dich lebendig? Willst du noch mehr?«
Außer sich vor Wut packt er einen hübschen, kunstvoll gearbeiteten Bilderrahmen, in den Frida einen kleinen Zettel gesteckt hat, auf den er vor sehr langer Zeit Ich liebe dich geschrieben hatte. Sie hatten sich gerade kennengelernt, hatten zusammen die Nacht verbracht, sie hatte ihm von ihrem Unfall erzählt, und am nächsten Morgen war er zur Arbeit gegangen, sie schlief noch, Diego hatte das versehrte wilde Mädchen betrachtet, in das er sich auf Anhieb verliebt hatte, da schrieb er es auf einen herumliegenden Zettel, einfach so Ich liebe dich.
Das hieß: dich. Nur dich. Für immer, dich.
Er zertrümmert den Rahmen mit der Faust. Der Zettel fällt zu Boden, Diego schnappt ihn sich und hält ihn an eine Kerze, die auf dem Tisch brennt, die Flamme züngelt einen Augenblick am Papier, dann verschlingt sie es. Vor ihren Augen. Ihre liebe Erinnerung. Ihre Reliquie. Basta. Frida hatte dieses Stück Papier zehn Jahre aufgehoben. »Den wirst du jetzt nicht wieder zusammenkleben, mi hija.«
Unerträglich. Es zerreißt Frida, sie schirmt sich ab, mauert sich ein, lässt die Worte an sich herunterrinnen. Ihr ist, als atmete sie die Laute eher, als dass sie sie hört. Sie nimmt sie durch die Nase auf und entwaffnet sie. Dieser Zettel hatte etwas Magisches. Sie will nicht leben ohne diesen Zettel. Ihr ist nach Sterben zumute. Sie muss atmen, sich beruhigen, weiterkämpfen. Sie will nicht aufgeben. Graue Gespenster spuken um sie herum, sie ist hundert Tonnen schwer und zweihundert Jahre alt. Sie kennt diesen Diego genau, den, der gern Autodafés vollzieht. Für den eine Verletzung ein Spiel ist. Das Herz des anderen ein Trottoir.
»Ich verstehe das nicht, Diego. Was willst du denn noch? Du machst doch sowieso, was du willst. Du vögelst jede Frau, die dir über den Weg läuft, übernachtest woanders, wenn dir danach ist, ich habe dich nie an etwas gehindert, Diego. Ich kümmere mich um deine Geschäfte, ordne deine Papiere, ich mache dir das Haus schön, wasche dich, ernähre dich, singe dir Lieder vor, bin dir überallhin gefolgt. Also, was willst du? Niemand kann dich so lieben, wie ich es tue.«
Frida fleht ihn an. Sie glaubt noch, dass sie ihn umstimmen kann.
»Ich will meine Freiheit.«
»Aber du bist doch frei!«
Jetzt schreit sie, endlich, zornig, empört.
»Nein, ich werde nie frei sein, solange du vor meinen Augen bist, Frida«, wirft ihr Diego an den Kopf, sehr ruhig.