KAPITEL 15

SOREN

Erst am späten Nachmittag treibt der Hunger Jet und mich aus den Federn.

Nachdem wir fast den ganzen Tag im Bett verbracht haben, versetzt es mir einen Stich, ihn nicht berühren zu können, während wir über die Insel spazieren.

»Meinst du, Joni und Ema haben den anderen auch Kondome hingelegt?«, fragt Jet. »Uns werden sie bald ausgehen. Wir sollten uns bei den anderen in die Zimmer schleichen und ihre klauen.«

»Die fehlenden Kondome würden natürlich überhaupt keinen Verdacht erregen.«

»Die Jungs wissen doch wahrscheinlich nicht mal, dass welche da sind. Wozu hätten sie danach suchen sollen? Diese ganzen Turteltäubchen in ihren festen Beziehungen vögeln doch bestimmt ohne Kondome.«

Ich muss ein Stöhnen unterdrücken. Die Worte »ohne Kondome« aus Jets Mund klingen zu scharf, um legal zu sein. »Du schlägst also eine Kondombeschaffungsaktion im Stil von ›Mission: Impossible‹ vor? Weißt du, was wir auch tun könnten?«

»Was?«

»Joni und Ema darauf ansprechen, ob sie noch welche haben.«

»Klingt weitaus weniger aufregend, aber okay.«

Auf der Insel ist es ganz still, und ich überlege, ob die anderen alle mit Matt und Noah auf der Hauptinsel sind oder in ihren Hütten ein Nachmittagsschläfchen halten.

Als wir das Haupthaus betreten, kommt Ema sofort von oben runter. Ich frage mich, ob Joni und Ema irgendeinen eingebauten Sensor haben, der es ihnen sagt, wenn sich jemand nähert, oder ob sie über Ninja-Sinne verfügen.

»Ach! Ich dachte, Sie wären mit auf die Hauptinsel gefahren, da ich Sie den ganzen Tag nicht gesehen habe.« Sie lächelt uns warmherzig an, aber ihre Neugier ist nicht zu überhören. Wo habt ihr gesteckt?

»Wir haben ein bisschen zusammen abgehangen. Der Hunger hat uns aus unserem Versteck getrieben«, erklärt Jet.

»Was möchten Sie denn gern essen?«

»Alles«, antworte ich. »Ich könnte ein ganzes Pferd verdrücken.«

»Dann besorge ich was«, sagt Ema und verschwindet in die Küche.

Jet beugt sich zu mir herüber. »Ich hätte etwas Leckeres, das so groß ist wie bei einem Pferd.«

»Pfft«, schnaube ich, »ich brauche was Richtiges zu essen.«

»Na komm, Sperma ist total eiweißreich.«

Aus der Küche ertönt ein lautes Poltern.

»Ups. Schätze, Ema hat mich gehört.«

»Dein Bruder schien über die Vorstellung, dass wir beide etwas miteinander haben, übrigens nicht vollkommen entsetzt zu sein. Ema hat offensichtlich auch geschnallt, was hier vor sich geht. Ollie und Lennon wissen Bescheid. Vielleicht sollten wir es den anderen sagen?«

Jets Gesicht lässt darauf schließen, dass er nichts von der Idee hält. »Welchen Sinn hätte das? Meinst du nicht, das führt nur zu mitleidigen Blicken und ständigen Fragen danach, wie es uns ›seit unserer Trennung‹ geht, wenn unser jeweiliger Alltag uns wiederhat? Und egal, wie oft wir ihnen erklären, dass es nie eine Trennung gab, weil wir dafür erst eine richtige Beziehung hätten haben müssen, werden sie uns mitfühlend angucken und denken: Oh, der arme Kleine hat Liebeskummer.«

»Das hast du dir ja in seltsam blühenden Farben ausgemalt.«

»Ich sehe einfach den Sinn nicht.«

»Na ja, vielleicht, dass mich nicht die gesamte Offensive Line der Chicago Warriors vermöbelt, falls es doch rauskommt?«

»Pfft. Drei Kerle sind wohl kaum eine vollständige Offensive Line.«

»Ach, du meinst also, drei NFL-Spieler allein reichen nicht aus, dass einem angst und bange wird. Plus Noah. Plus, vielleicht, Maddox. Damon müsste sich raushalten, weil Matt und ich beide Klienten von ihm sind. Wenn wir es offen sagen, sind die Konsequenzen viel weniger schmerzhaft, als wenn sie es auf andere Weise herausfinden.«

Jet zögert. Ich wünschte, ich würde den Grund dafür kennen. Sollte nicht ich derjenige sein, der sich sträubt? Ich bin es doch, dessen körperliche Unversehrtheit auf dem Spiel steht.

»Ich denk drüber nach«, verspricht Jet.

Mehr kann ich wohl nicht verlangen.

Nach dem Mittagessen gehen wir jeder in sein eigenes Zimmer, um uns in Badehosen zu werfen und dann ganz lässig nacheinander am Pool aufzuschlagen, falls schon jemand dort ist.

Es ist aber niemand da.

»Hm, wir haben den ganzen Pool für uns.« Jet wackelt mit den Augenbrauen.

»Du bist doch derjenige, der nicht will, dass die anderen von uns wissen. Also musst du deine Finger bei dir behalten, sie könnten schließlich jeden Moment auftauchen.«

»Okay. Wenn es das ist, was du willst.« Jet lässt sein Handtuch auf eine der Liegen fallen.

Statt sofort ins Wasser zu springen, womit ich rechne, sieht er mir direkt in die Augen. Er hat ein Funkeln im Blick, als er den Knoten seiner Boardshorts löst und sie an seinen Oberschenkeln herabfallen lässt. Darunter trägt er eine lächerlich kleine, enge Andrew-Christian-Badehose in Regenbogenfarben.

»Das hast du mit Absicht gemacht.«

»Ich weiß nicht, was du meinst.« Mit einem sorgsam einstudierten Unschuldsblick bückt er sich nach der Flasche Sonnenmilch, die er mitgebracht hat.

»Du bist so ein Luder.«

»Gib zu, du stehst drauf.«

Tu ich, aber das tut hier nichts zur Sache. »Ja klar mag ich es, wenn man mir den Mund wässrig macht, aber nur, wenn ich dann auch was bekomme, nicht –« Ich starre meine Erektion an.

Jet lacht, während ich sie zu bändigen versuche, und cremt sich ein, was meine Lage nur noch misslicher macht.

»Weißt du, Big Daddy, ich bin davon ausgegangen, dass dir nach gestern Nacht und heute langsam die Puste ausgehen würde.«

Ich zeige auf ihn. »He! Dass mir das nicht Schule macht. ›Big Daddy‹ ist nicht drin.«

»Kein Problem, Big D.«

Ich will gerade zum nächsten Protest ansetzen, überlege es mir dann aber. »Na gut, damit kann ich leben.«

»Na also«, sagt Jet.

Er lacht immer noch, als wie aus dem Nichts plötzlich Ollie und Lennon erscheinen.

»Habt ihr Matts Nachricht nicht bekommen?«, fragt Ollie.

»Nachricht?«, hake ich nach und lege den Kopf zur Seite. »Und was ist mit dem Smartphone-Verbot?«

Ollie reicht mir sein Handy rüber. »Ich hab alle Social-Media-Apps deaktiviert. Scheint so, als müssten wir unseren großen Worten Taten folgen lassen.«

Das Display zeigt ein Foto der anderen, die vor einer Eislaufbahn stehen, mit der Bildunterschrift: Mögen die besten Sportler gewinnen .

»Sie sind in Suva und haben festgestellt, dass es dort eine Eislaufhalle gibt. Also haben sie für morgen die ganze Halle für uns angemietet.«

»Echt jetzt? Sie fordern uns wirklich zu einer Partie Eishockey heraus?«

»Ich gehe mal davon aus, dass es besondere Bedingungen geben wird, aber ja. So sieht’s aus.«

»Ich bin so was von dabei.« Ich gebe Ollie sein Telefon zurück, und wir geben uns einen Faustcheck.

»Und, was treibt ihr Jungs so?«, fragt Lennon.

»Wir haben eben zu Mittag gegessen, jetzt wollten wir eine Runde schwimmen.« Es ist mir schleierhaft, wie Jet es schafft, dass sich das so versaut anhört.

»Ihr wolltet gerade im Pool vögeln, stimmt’s?«, meint Ollie.

»Bah. Dann geh ich nicht rein. Ich schwimme doch nicht in Sperma«, sagt Lennon.

Jet kneift die Augen zusammen und murmelt: »Das ist ein Köder. Nicht anbeißen.«

Lennon schlägt mit dem Handtuch nach Jet und erwischt ihn im Gesicht. »Im Pool wird nicht gevögelt!«

»Zählen Handjobs?«, fragt Jet.

»Ja«, entgegnen Lennon und Ollie wie aus einem Mund.

Ich steige über die Treppe an der Seite des Pools ins Wasser. »Mit euch kann man überhaupt keinen Spaß haben.«

»Jet hat einen schlechten Einfluss auf dich«, stellt Ollie fest.

»Warum halten dich hier alle für so bescheiden und unschuldig?«, erkundigt sich Jet. »Wenn ich an die Sachen denke, die du mit mir angestellt hast –«

Lennon hält sich die Ohren zu, und Ollie sieht entsetzt aus.

Ich muss lachen. »Okay, ich nehm’s zurück. Man kann sehr wohl Spaß haben.«

Jet nimmt Anlauf und landet mit einer Arschbombe neben mir im Pool.

Ich streiche mir das Wasser aus den Haaren und werfe ihm einen bösen Blick zu. »Du willst Ärger, oder?«

»Und wenn?«

Ich mache einen Satz in seine Richtung, aber eins muss man unserem Rockstar lassen – er ist verdammt schnell. Er entwischt mir, wenn auch nur für einen kurzen Moment. Ich umklammere seine Taille mit den Beinen und ziehe ihn zu mir unter die Wasseroberfläche.

Saublöde Idee. Seine Haut auf meiner, das winzige, aufreizende Badehöschen und die Bilder aus den vergangenen zwölf Stunden in meinem Kopf – und schon ist mein Körper bereit für die nächste Runde.

»Wollt ihr den ganzen Tag so weitermachen?«, fragt Ollie, als wir nach Luft japsend wieder an die Oberfläche kommen.

Jet wickelt sich um mich. »Nö. Angesichts der Tatsache, dass Sex im Pool verboten ist, werden wir vermutlich bald aufbrechen.«

»Sehr bald«, pflichte ich ihm bei.

Dieses Mal muss Ollie grinsen.

»Was ist?«, frage ich ihn.

»Nix. Ihr wirkt glücklich.«

Jet und ich sehen uns kurz an. Er presst die Lippen zusammen und wendet sich an Ollie. »Logo, Mann. Sex macht glücklich.«

Er macht mich in der Tat glücklich, doch es trifft mich, dass er denkt, das läge nur am Sex.

Ich greife nach Jets Hand und ziehe ihn in Richtung Pool-Treppe. An Ollie und Lennon gewandt frage ich: »Könnt ihr Jungs uns beim Abendessen ein Alibi geben? Ich denke nicht, dass wir es schaffen werden.«

Das sieht Jet anscheinend genauso, denn er läuft schnurstracks an seinen Sachen vorbei und auf unsere Hütten zu.

Ja, Jet macht mich wirklich glücklich, auch wenn er noch nicht so weit ist, dass er das akzeptieren kann.

***

Als wir am nächsten Morgen die Eislaufhalle betreten, atme ich erst mal tief ein.

Ah, das riecht vertraut und heimelig … und ein bisschen nach Kokosnuss. Im Ernst, wie kann es sein, dass hier alles nach Kokosnuss riecht?

Ich bin daran gewöhnt, dass im Geruch des Eises eine Männerschweiß-Note mitschwingt, die eigentlich niemandem zuzumuten ist.

Uns werden schäbige Schlittschuhe ausgehändigt, und eine Wanne mit Schonern und Schlägern, die schon bessere Zeiten gesehen haben, steht für uns bereit.

Ollie und ich lassen die Schoner fürs Erste links liegen, uns zieht es so schnell wie möglich aufs Eis. Wenn die Saison zu Ende geht, brauche ich immer eine Pause von allem, was mit Eishockey zu tun hat, doch nach ein paar Wochen sehne ich mich danach, wieder über eine frisch aufbereitete Eisfläche zu fliegen.

Ich jage Ollie über die Eisbahn, wobei wir uns an den anderen vorbeischlängeln, die noch etwas wackelig wirken.

»’tschuldigung, wer waren jetzt noch mal die ultimativen Sportler?«, ziehe ich Damon auf. »Die Baseballspieler? Das hattest du doch behauptet, oder?«

Ollie läuft auf uns zu und bremst direkt vor uns mit einem Hockey-Stopp scharf ab, sodass uns das Eis um die Ohren fliegt. Maddox zuckt zusammen, da er zu befürchten scheint, dass Ollie nicht rechtzeitig anhalten wird.

»Niemand hat behauptet, dass wir in einer fremden Sportart Meisterschaften gewinnen würden, lediglich, dass wir es hinkriegen können«, sagt Damon.

Ich laufe rückwärts vor Damon und Maddox her, die vorwärtslaufen und sich dabei aneinander festklammern, als ginge es um Leben und Tod. »So sieht es also aus, wenn ihr etwas hinbekommt?«

Langsam frage ich mich, ob der Mittelfinger das wichtigste Kommunikationsmedium in unserer Gruppe ist, da sich mir gerade wieder zwei davon entgegenrecken.

»Mach dir mal keine Sorgen um uns. Die beiden da drüben scheinen es richtig draufzuhaben.« Damon deutet mit dem Kopf auf Lennon und Noah. Matt hat offenbar Angst, die Bande loszulassen, an der er sich festhält.

Für jemanden, der noch nicht mal tanzen kann, wirkt Lennon erstaunlich gut koordiniert. Er breitet die Arme aus und legt eine kleine Pirouette hin.

Wer hätte vermutet, dass unser Nerd zu so eleganten Bewegungen fähig ist?

Der Gedanke ist kaum zu Ende gedacht, da verliert Lennon das Gleichgewicht und fällt beinahe.

Ich drehe mich wieder zu Damon um und sage todernst: »Ich hab richtig Angst.«

Über dem Kick, wieder auf dem Eis zu sein, habe ich ganz vergessen, nach Jet Ausschau zu halten. Er steht noch hinter der Bande und beißt sich auf die Unterlippe.

Ich laufe zu ihm. »Noch nie auf Schlittschuhen gestanden?«

Er schüttelt den Kopf.

»Hast du nicht mal als DJ für Ollies Team gearbeitet?«

»Ich weiß, dass ich kein besonders guter DJ war, aber mir war nicht klar, dass ich auf dem Eis hätte arbeiten müssen statt auf der Empore.«

»Klugscheißer. Ich wollte damit nur sagen, dass du viel Zeit im Eisstadion verbracht hast. Da bist du nie gelaufen?«

»Ich wusste nicht, wie es geht.«

Ich halte ihm die Hand hin. »Komm, ich zeig’s dir.«

»Wenn ich mir den Arm breche, kriegt mein Label die Motten.«

»Wenn du dir einen Arm brichst, kriege ich die Motten. Ich mag deine Arme.«

Jet zieht eine Grimasse. »Das ist eine ziemlich schräge Ansage.«

»Selber eine ziemlich schräge Ansage!«

Ich sehe, dass Jet sich ein Lachen verkneift. »Solltest du nicht der Erwachsene von uns sein?«

»Alter und Erwachsensein haben nichts miteinander zu tun. Das sieht man doch an den beiden.« Ich zeige auf Talon und Miller, die ganz gut mit den Schlittschuhen zurechtkommen. Miller hat Talon von hinten um die Taille gefasst, der mit weit ausgebreiteten Armen vorneweg läuft und laut ruft: »Ich bin der König der Welt!«

»Da hast du wohl recht.« Jet macht einen zögerlichen Schritt auf die Eisfläche zu. »Du lässt mich auch ganz sicher nicht fallen?«

Unsere Finger greifen ineinander. »Niemals.«

Er muss ja nicht wissen, dass ich das ganz allgemein meine.

Seine ersten Schritte auf dem Eis sind unsicher. Er beugt sich instinktiv vor, woraufhin er nach vorn gegen mich fällt.

Mein freier Arm fasst ihn um den Rücken und fängt ihn auf. »Siehst du. Ich hab dich.«

In dem Moment wird mir klar, dass dies ein Schlupfloch in der »Wir fassen uns in der Öffentlichkeit nicht an«-Regel ist.

Am liebsten wäre mir zwar, wir hätten die ganze Eisfläche für uns allein, aber seine Hand unter dem Vorwand halten zu können, ihn vor einem Fall bewahren zu wollen, ist auch nicht schlecht.

Ich richte uns wieder auf und fahre mit meiner Hand an seinem Arm hinab, um auch seine andere Hand zu umfassen. Dann laufe ich rückwärts und ziehe Jet an beiden Händen über das Eis.

Er hat die Augen weit aufgerissen und sieht ständig entsetzt von mir zu seinen Füßen und zurück.

»Schau mich an«, sage ich.

Er hebt den Blick.

»Vertrau mir einfach.«

»Wie soll das gehen, wenn du rückwärtsläufst und keine Augen im Hinterkopf hast?«

»Das hier ist mein Job. Außerdem laufen wir gerade im absoluten Schneckentempo. Selbst wenn ich irgendwo anstoße, werden wir nicht fallen.«

Jet lässt sich ein paar Runden von mir über die Eisbahn ziehen, aber jedes Mal, wenn ich anrege, dass er sich selbst ein bisschen mit den Füßen abstoßen soll, sagt er: »Nö, so ist es schon okay.«

Er hat einen guten Gleichgewichtssinn und wackelt nur hin und wieder ein bisschen. Es wäre sicher einfach für ihn, die grundlegende Technik zu erlernen, aber solange wir uns berühren und in die Augen schauen, bin ich zufrieden damit, ihn hinter mir herzuziehen.

Nach ein paar weiteren Runden sieht Jet nicht mehr abwechselnd auf den Boden und auf mich, sondern guckt sich nach den anderen um, die dank Ollies Anweisungen schon etwas weiter sind. Wobei ich nicht sicher bin, ob er ihnen wirklich erklärt, wie es geht, oder ob er sie nur aufzieht und ihr Konkurrenzdenken sie antreibt.

»Okay, jetzt will ich Schlittschuh laufen«, sagt Jet.

Ich grinse. »Tust du doch gerade.«

»Nein, ich meine, ich will selber laufen.«

»Okay. Du musst dein Gewicht auf deinen rechten Fuß verlagern und dich abdrücken. Dann führst du den Fuß zurück neben den linken, anschließend machst du dasselbe mit dem linken Fuß.«

Er lässt sich gut anleiten und lernt erwartungsgemäß schnell, aber er beugt sich immer noch oft zu weit vor und stolpert, sodass er hinzufallen droht.

Würde ich Jet das Schlittschuhlaufen so beibringen, wie mein Vater es mir beigebracht hat, würde ich ihm jetzt sagen: »Hinfallen gehört zum Eishockey dazu, also bring’s einfach hinter dich.« Bei so einem Lehrer in der Kindheit hat mich nur mein kanadischer Stolz davor bewahrt, mich mein ganzes Leben lang vor dem Eis zu fürchten.

Er ist einer von diesen Vätern, die die Liebe zu ihren Söhnen durch Raubeinigkeit ausdrücken, und er ist ein Wahnsinns-Eishockeyfan. Hätte er das nötige Talent gehabt, wäre er selbst Profi geworden, und er beschwerte sich konstant darüber. Er war gut, und er war ein großartiger Coach, aber eine Karriere bei der NHL war für ihn unerreichbar.

Er war der Trainer meiner Highschool-Mannschaft, verlegte sich jedoch auf das persönliche Coaching, nachdem ich es in die NHL geschafft hatte, und nutzte meine Bekanntheit, um Kunden zu gewinnen. Inzwischen hat er sich zur Ruhe gesetzt. Er und Mom genießen das entspannte Leben eines Rentnerpärchens, das die Welt bereist.

»Warum lächelst du?«, fragt Jet.

Ich lächele? »Ich habe gerade gedacht, was für ein Glückspilz du bist, weil ich nach meiner Mutter komme. Wenn ich wie mein Vater wäre, hätte ich dich mitten auf dem Eis allein stehen gelassen und dir gesagt, dass du zusehen sollst, wie du es zurück zur Bande schaffst.«

Jet wackelt wieder ein bisschen. »Das tust du aber nicht, oder?«

Ich ziehe ihn so schwungvoll zu mir, dass er gar keine Zeit hat, zu erschrecken oder sich Gedanken darüber zu machen, dass er hinfallen könnte. Ich umfasse ihn, und meine Hand an seinem Rücken presst ihn fest an mich. »Ich hab’s versprochen, und leere Versprechungen gibt es bei mir nicht.«

Er sieht mich von unten aus seinen braunen Augen an.

Unser Atem vermischt sich.

Unsere Brustkörbe heben und senken sich synchron.

Nichts auf der Welt täte ich jetzt lieber, als mich zu ihm hinunterzubeugen und ihn zu küssen, doch ich könnte wohl kaum erklären, wie ihm das helfen soll, das Schlittschuhlaufen zu lernen.

Durch die leere Eislaufhalle tönt ein lauter Pfiff.

Als Jet sich danach umdreht, rammt er seinen Schlittschuh gegen meinen.

Ich halte ihn noch fester.

»Also, treten wir jetzt gegeneinander an, oder was?«, ruft Ollie von der anderen Seite der Eisfläche aus.

»Ich setze da definitiv aus«, sagt Jet.

»Dachte ich mir fast.« Ich ziehe ihn bis zum Durchlass in der Bande, damit er von der Tribüne aus zusehen kann.

Matt entscheidet sich auch für die Zuschauerrolle.

»Gibt es in Tennessee etwa keine Eislaufbahnen?«, frotzelt Ollie.

Jet und Matt tauschen einen Blick, an dem sich ablesen lässt, dass sie an ihre schwierige Kindheit denken. Matt hat hin und wieder mal etwas angedeutet, woraus sich schließen lässt, dass ihre Eltern gewiss nicht von der Art waren, die mit ihren Kindern Schlittschuh laufen geht.

Wir ziehen uns die Schutzausrüstung über, die schon fast auseinanderfällt, und schnappen uns die Schläger, die leicht sind und wenig solide wirken. Was soll’s, in der Not frisst der Teufel Fliegen, ich bin einfach froh, wieder Eis unter den Füßen zu haben.

»Wie läuft das jetzt?«, frage ich.

»Wir alle gegen dich und Ollie«, erwidert Damon.

Ich zähle durch. »Sechs zu zwei?«

»Den Porno hab ich gesehen«, sagt Talon.

»Den Porno hast du vermutlich persönlich durchgespielt«, entgegnet Noah.

Talon und Miller grinsen.

Die anderen stecken ihre Köpfe zusammen, als würde ihnen ein ausgeklügelter Plan etwas nutzen.

Lachhaft. Sie schlagen sich zwar ganz gut auf Schlittschuhen, aber einem Puck hinterherzujagen, ist eine andere Hausnummer. Ollie und ich werden uns nicht mal anstrengen müssen, um zu gewinnen.

Eigentlich könnten wir uns auch einfach auf die Bank setzen und den Jungs dabei zusehen, wie sie über ihre eigenen Füße fallen. Stattdessen fahren wir im Kreis um sie herum.

»Wollt ihr euch nicht lieber direkt geschlagen geben?«, fragt Ollie.

»Nie im Leben!«, ruft Talon, bevor er auf den Schlittschuhen ausrutscht und unsanft auf dem Eis landet.

»Na gut«, lenkt Damon ein. »Bevor ihr mir einen meiner Klienten kaputt macht.«

»He, wir haben ihn nicht mal berührt«, werfe ich ein.

»War gar nicht nötig.« Ollie gleitet neben mich, legt mir seinen Arm um die Schultern und stimmt aus voller Kehle – lautstark und falsch – »We Are the Champions« an.

»Okay«, sagt Damon, »wie wäre es, wenn ihr beide gegeneinander spielt?«

Aus dem Handbuch des unnützen Wissens: Echte Sportler können keine Gelegenheit auslassen, sich gegenseitig zu übertreffen.

Ich stupse Ollie an. »Einverstanden. Auf geht’s!«

***

Als wir später auf dem Weg zurück zu unserer Insel sind, spiegelt sich die untergehende Sonne im Wasser, und eine kühle Abendbrise zieht auf, während auf dem Boot weiter Frotzeleien und spöttische Bemerkungen hin und her fliegen.

»Morgen tretet ihr selbstgefälligen Arschgeigen im Football gegen uns an«, sagt Talon und reibt sich die Stelle an seiner Schulter, auf die er gefallen ist.

Ollie antwortet, ohne mit der Wimper zu zucken. »Jederzeit.«

»Was bist du so aufgeblasen?«, fragt Jet. »Du wurdest von einem älteren Herrn geschlagen.«

»He«, protestiere ich. »Er wurde vom besseren Spieler geschlagen, vielen Dank auch.«

»Na klar, Big Daddy«, erwidert Maddox.

»Nein. Auf keinen Fall wird das mein neuer Spitzname.«

»Sollen wir dich lieber weiter ›Kanada‹ nennen?«, erkundigt sich Maddox.

»Kanadischer Big Daddy!«, erklärt Jet japsend.

Ich kann ihm gar nicht böse sein, dafür ist er viel zu süß, wenn er mich mit Unschuldsaugen und diesem unwiderstehlichen Gesichtsausdruck ansieht.

Könnte ich doch nur meine Arme um ihn schlingen und ihn an mich heranziehen.

»Ich hätte da mal eine Frage. Wenn du redest, wie entscheidest du dann, ob du deine Sätze wie ein Kanadier mit einem ›ey‹ oder wie jemand aus New Jersey mit einem ›ne‹ beendest?«

»Erstens, dein kanadischer und dein New-Jersey-Akzent sind immer noch total fürchterlich. Zweitens, ›Saturday Night Live‹ mag eine lustige Sendung sein, aber deren Darstellung der Art, wie Menschen aus New Jersey sprechen, ist völlig daneben. Und drittens, die Antwort ist immer: ›ey‹ … ey

Maddox lacht laut auf, allerdings als Einziger. Na, wenn er es lustig findet, freut mich das für ihn. Wenn ich mit ihm nicht über mich selbst lachen könnte, würde ich das Leben viel zu ernst nehmen.

Als wir wieder bei unserer Insel ankommen, zieht Joni das Boot an den Landungssteg heran und sagt: »Da sind wir, kanadischer Big Daddy.«

»Wie bitte, jetzt habt ihr Joni auch schon damit angesteckt? Ich hasse euch alle.«

Was eine faustdicke Lüge ist. Mal abgesehen von der Zeit, die ich mit Jet verbracht habe, war heute der bisher beste Tag dieses Urlaubs.

Als wir über den kleinen Bootsanleger zum Strand laufen, bin ich noch viel zu sehr damit beschäftigt, mir mit Maddox Wortgefechte zu liefern, um zu bemerken, dass Jet plötzlich stehen bleibt, und laufe von hinten in ihn hinein. Er ist völlig erstarrt.

Die anderen bemerken es auch und gesellen sich zu uns.

Auf dem kleinen Weg vor uns steht ein großer Typ in Business-Hose und -Hemd. Er trägt eine Sonnenbrille, hat die Hände in den Hosentaschen vergraben und eine einschüchternde Körperhaltung. Das Sonnenlicht fängt sich in seinen grauen Haaren.

»Wer –«, setze ich an, werde aber von Matt unterbrochen.

»Ist das der Ex?«

Jet seufzt. »Schlimmer. Es ist mein Manager, Luce.«