KAPITEL 19

SOREN

Ich bin aus einem Flugzeug gestiegen und mitten in dem Zirkus gelandet, der Jets normales Leben ist.

Vor dem Hauptsitz von Joystar Records warten bei unserer Ankunft noch mehr Paparazzi auf uns.

»Sagt kein Wort. Seht nur zu, dass ihr reinkommt«, bestimmt Luce.

Als ich aus dem Wagen steige, hagelt es Fragen an »Roman« – sie halten mich für Roman Josi. Ich halte kurz inne.

Lass es gut sein.

Roman und ich werden dauernd verwechselt. Wir sind daran gewöhnt. Ärgerlich ist es trotzdem.

Jet rempelt mich von hinten an. »Geh weiter.« In dem Augenblick bemerkt er die Verwechslung auch. Er greift meine Hand und zieht mich in Richtung Gebäude, blickt aber kurz zurück. »Kinder, mehr Sorgfalt bei der Recherche. Ihr habt den falschen Eishockeyspieler.«

Ein erneutes Blitzlichtgewitter und lautstarkes Geschrei begleiten uns, bis wir im Gebäude und vor den Paparazzi in Sicherheit sind.

Worauf habe ich mich da bloß eingelassen? Das ist schließlich nur der Anfang.

Der Gedanke ist genauso schnell verschwunden, wie er aufgetaucht ist. Ein Blick auf Jet, und ich weiß sofort wieder, warum ich hier bin.

Was ich noch immer nicht weiß, ist, wie es weitergehen soll, wenn die Eishockeysaison wieder startet. Oder wie lange ich überhaupt noch Eishockey spielen werde. Vielleicht sind Jet und ich es einander schuldig, dass wir uns ein paar Jahre Zeit geben – in denen er weiter seine Erfolge genießen und ich mich zur Ruhe setzen kann.

Aber ich habe seit dem Moment, als er in Fidschi aus dem Hubschrauber gestiegen ist, an nichts anderes denken können als daran, dass das hier unsere zweite Chance ist und ich sie mir nicht entgehen lassen werde – Paparazzi, Ex-Freunde und Plattenlabel hin oder her.

Ich folge Jet und Luce in den Aufzug, der uns bis ins oberste Stockwerk bringt. Luce bedeutet uns, dass wir im Wartebereich bleiben sollen, während er mit der Rezeptionistin spricht.

»Tut mir leid wegen eben«, meint Jet. »Zumindest sollten die Schmeißfliegen ihre Fakten kennen.«

»Roman wird dir dafür sicher dankbar sein.«

»Ihr solltet beim selben Team spielen und euch ›The Twins‹ nennen. Und dann könntet ihr die Trikots tauschen und alle vollends verwirren.«

Ich lache. »Vielen Dank, aber ich habe keine Lust, für Nashville zu spielen.«

Jet macht ein langes Gesicht. »Zum Glück. In dem Fall wär das mit uns schneller vorbei, als du ›Vaterkomplex‹ sagen kannst.«

»Ich hab schon von euren schwierigen Familienverhältnissen in Tennessee gehört. Matt hat ein paarmal davon erzählt – hauptsächlich davon, wie eure Eltern ihm Wade gegen die Übernahme ihrer Schulden regelrecht verkauft haben.«

Jet wendet den Blick ab und verschränkt die Arme vor der Brust. »Zumindest haben sie gedacht, dass Wade einen Wert hat. Mich haben sie einfach an die Luft gesetzt. Wo ich lande, war ihnen egal.«

Ich gehe einen Schritt auf ihn zu und nehme ihn fest in die Arme. Er vergräbt sein Gesicht an meiner Brust. »Entschuldige, ich hätte nicht davon anfangen sollen.«

»Schon in Ordnung. Wer zuletzt lacht, lacht am besten. Sie haben nie etwas für mich getan, also können sie mich mal. Von dem, was ich verdiene, sehen sie keinen Cent. Ich verstehe nicht, warum Matt sich mit ihnen abgibt.«

Ich kann mir vorstellen, dass Matt sich als Ältester verpflichtet fühlt, sich um die anderen zu kümmern, da die Eltern es nicht können. Aber ich begreife, dass das Thema heikel und der Moment schlecht ist, um sich näher damit zu befassen. Im Augenblick muss Jet erst mal das Management seines Labels beschwichtigen.

Als es Zeit ist, die Höhle der Löwen zu betreten, bittet mich die Rezeptionistin, im Wartebereich zu bleiben. Ich darf nicht mit zu den großen Jungs.

Ich setze mich auf die unbequeme futuristische Couch und blättere in Uraltausgaben von Zeitschriften. Menschen kommen und gehen. Manche schauen sich mit großen Augen um, als wären sie zum ersten Mal hier, manche wirken aufgelöst, wenn sie ein Büro verlassen.

Aha … das ist also das Musikbusiness.

Ich hole mein Telefon aus der Tasche und rufe meine Schwester an, um ihr Bescheid zu geben, dass ich wieder in den Staaten bin. Meinen Eltern, die gerade selbst Urlaub am Mittelmeer machen, schicke ich eine E-Mail.

Damit habe ich all meine Verpflichtungen für die nächsten paar Wochen abgehakt.

Wenn so der Ruhestand aussieht, muss ich sagen, dass ich ganz gut damit leben kann.

Endlich treten Jet und Luce zusammen mit zwei älteren Anzugträgern wieder aus dem Büro. Ich stehe auf und wische mir unwillkürlich die Hände an der Jeans ab – ein Blick von ihnen genügt, dass ich mir ungewaschen und schmuddelig vorkomme.

Als Jet den Mund aufmacht, weiß ich auch, warum.

»Bitte schön. Es gibt ihn wirklich. Die Gerüchte um Harley und mich sind aus der Welt, Harley geht wieder auf die Bühne, und alle verdienen Geld. Sind wir damit durch?«

»In Ordnung«, murmelt einer der Manager, bevor sich beide umdrehen und verschwinden.

»Nehmt ihr ruhig den Wagen, und macht euch auf den Heimweg«, sagt Luce. »Ich bleibe noch und bringe ein paar Sachen in Ordnung. Eleven hat heute einen Auftritt in San Francisco, dann wird eingepackt, in zwei Tagen sind wir in Seattle. Da stoßen wir zur Tour dazu, seid also morgen Mittag abfahrbereit.«

»Kommst du nachher noch bei uns vorbei?«, fragt Jet.

»Nein. Richte Marty aus, dass wir uns zu Hause sehen. Ich bin hier noch eine Weile beschäftigt.«

»Und, wie ist es gelaufen?«, erkundige ich mich, sobald wir im Fahrstuhl sind.

»So lala. Das Label war froh, dass Radioactive für den Rest der Tour nicht dabei sein sollte. Luce konnte sie aber davon überzeugen, dass ich über Harley hinweg bin und wir uns nur noch auf professioneller Ebene begegnen werden. Halten wir uns nicht daran, lässt das Label mich fallen.«

»Einfach so?«

Jet nickt. »Einfach so.«

»Darf ich fragen, wieso Harley sich wie eine Diva aufführen und die Forderung stellen kann, dass ihr wieder mit auf Tour geht, aber es dir angelastet und dir deshalb gedroht wird?«

»Eleven ist der gewinnträchtigste Act des Labels. Dadurch haben sie eine gewisse Macht. Solange Harley weiter große Gewinne einfährt, kann er so ziemlich alles verlangen, was er will.«

»Außer zu seiner Sexualität stehen zu dürfen.«

»Genau. Wenn er auf einer bestimmten Vorband besteht, fällt dem Label dabei kein Zacken aus der Krone. Solange er den Bogen nicht überspannt, kriegt er, was er will. Ende.«

»Mach dir jedenfalls keine Gedanken um mich. Ich bin hier, und wir tun einfach, was immer sie von uns verlangen. Es gibt Schlimmeres, als sich als dein Freund ausgeben zu müssen.«

Jets Lächeln wirkt gezwungen.

»Wobei mich das Gefühl beschleicht, dass du dich dadurch sehr unter Druck gesetzt fühlst.«

Jet zieht mich eng an sich. »Nicht wegen uns oder wegen Harley. Es ist diese Heuchelei. Wenn man bedenkt, was für einen weltoffenen Anstrich sich die Branche gibt, ist es umso lächerlicher, wie viele Stars Scheinbeziehungen führen, wie Menschen von ihren PR-Referenten verkuppelt oder Beziehungen danach beurteilt werden, ob sie für gute oder schlechte Presse sorgen. Ja, ich verstehe den Celebrity-Aspekt dahinter. Dass die Fans das Gefühl haben wollen, dich wirklich zu kennen, dass sie alles über dein Leben wissen wollen, aber …« Er legt mir den Kopf auf die Brust. »Es ist zermürbend.«

»Ich weiß, Babe. Ich bin hier, damit es erträglicher wird.« Keine Ahnung, wie ich es für ihn einfacher machen kann, aber ich bin entschlossen, ihm alles zu geben, was er braucht.

Als wir hinaustreten, rechne ich erneut mit einer Horde von Paparazzi, doch sie sind fort.

»Ich vermute, es ist jemand noch Berühmteres in der Nähe«, sagt Jet.

»Gott sei Dank.« Ich halte die Tür des Wagens auf.

Jet steigt als Erster ein und klettert auf die Rückbank des Escalade. »Was für eine verrückte Woche.«

Ich kann das Lachen nicht zurückhalten. »So was von. Als ich in den Urlaub geflogen bin, habe ich mir Sorgen um meine Vertragsverhandlungen gemacht und überlegt, wie ich es zwei Wochen lang als Single auf einer einsamen Insel mit lauter Turteltäubchen aushalten soll. Stattdessen verbringe ich den Rest der eishockeyfreien Saison auf Tour mit einem Musiker, dem ich vor einer halben Ewigkeit mal über den Weg gelaufen bin. Verrückter geht’s kaum. Und ich glaube, ich habe immer noch nicht begriffen, was da in den nächsten zwei Monaten auf mich zukommt.«

»Es wird chaotisch. Organisiertes Chaos. Das Gute daran ist: Irgendeiner sagt mir immer, wann ich wo sein muss, und irgendwer sorgt immer dafür, dass ich dort auch tatsächlich erscheine.«

»Und wo du hingehst, gehe ich auch hin? Oder werde ich häufig im Wartebereich geparkt werden, so wie eben?«

»Du klebst an mir wie eine Klette, mein Freund. Jetzt, wo das Label will, dass wir unsere Beziehung öffentlichkeitswirksam leben, erst recht.« Jet sieht mich an. »Das ist dir recht, oder? Es tut mir leid, ich habe gar nicht gefragt. Ich bin einfach davon ausgegangen –«

»Es ist genau das, was ich will.« Ich will mit ganzem Herzen dabei sein und uns eine echte Chance geben.

Als Jet erleichtert aufatmet, fällt mir zum ersten Mal auf, wie dick die Ringe unter seinen Augen sind und wie erschöpft er wirkt. Er meinte, er habe im Flieger nicht geschlafen, also muss er todmüde sein.

»Komm her«, sage ich und bedeute ihm, dass er sich mit dem Kopf in meinem Schoß hinlegen soll. Er lässt sich nicht zweimal bitten, legt sich hin und streckt die Füße zum Fenster. Er sieht mich aus seinen warmen braunen, dicht bewimperten Augen an. Ich reibe mit dem Daumen über seine Stirn, und er lässt die Augen zufallen.

»Weißt du, ich habe beobachtet, wie Noah Matt die Stirn massiert, wenn Matt gestresst ist. Wenn das eine feste Beziehung ausmacht, trage ich mich hiermit in die Warteliste ein.«

»Eine feste Beziehung umfasst viele solcher Vorzüge.«

»Oh Mann, da bin ich ja gespannt, was es noch so gibt.« Das klingt so, als wüsste er es wirklich nicht.

»Hat Harley so was nicht für dich getan?«, frage ich.

Jet lässt die Augen geschlossen, als er antwortet: »Unsere Beziehung bestand aus gestohlenen Momenten. So was hier« – er wedelt mit der Hand zwischen uns hin und her – »gab es nicht. Also, dass er sich um mich gekümmert hat, wenn ich erledigt war. Fairerweise muss man dazusagen, dass wir beide ständig erledigt waren.«

»Das wiederum scheint zu einer Tour zu gehören.«

Sein Kopf bewegt sich in meiner Leistengegend, und ich muss mich daran erinnern, dass ich brav sein muss. Jet braucht Schlaf, es ist nicht der richtige Zeitpunkt für Sex.

»Du kennst es doch selbst«, erwidert er. »Man ist acht Monate im Jahr fast pausenlos unterwegs.«

»Siehst du? Ich hab mein ganzes Leben lang für die Rolle als dein fester Freund geübt.«

»Die Jet-Akademie. Wo man lernt, mit Erschöpfung, Divagehabe, schrecklichen Katern und den dauernden Vorschriften umzugehen, die einem das Team um einen herum macht.«

»Klingt definitiv wie die NHL. Wo, sagtest du eben, ist diese Akademie noch mal? Ich schreib mich ein.«

Jet nimmt meinen freien Arm und zieht ihn um seine Körpermitte. »Du bist schon längst Klassenbester.« Mit einem Lächeln auf den Lippen schläft er schließlich ein.

Den Rest der Fahrt über starre ich aus dem Fenster und beobachte, wie L. A. an uns vorbeizieht. Am Anfang meiner Karriere habe ich an der Westküste gespielt, zunächst ein paar Jahre für Vancouver und dann, bevor ich über einen Transfer nach New Jersey kam, eine kurze Saison lang für Anaheim. Ich kenne L. A. zwar, aber die Gegend hier in den Hills kaum.

Jedes Haus, an dem wir vorbeifahren, ist größer und teurer als das davor, bis wir in eine schmale Seitenstraße einbiegen und neben einem schwarzen, viereckigen Gebäude anhalten. Es hat nur wenige Fenster und macht einen kantigen und modernen Eindruck.

Ich möchte Jet gar nicht aufwecken, so friedlich wirkt er.

»Jet«, flüstere ich leise.

Sein Mund steht offen, und sogar der kleine Sabberfaden, der ihm rausläuft, ist süß.

»Wir sind da.«

Der Fahrer reißt die Tür auf, gegen die Jet seine Füße gelehnt hat, und er wird ruckartig wach.

»Wa–?« Er setzt sich auf und dreht den Kopf von links nach rechts.

»Wir sind bei dir zu Hause, glaube ich. Sieht ein bisschen aus wie eine Lagerhalle.«

Er blinzelt mich an. »Stellst du etwa meinen Immobiliengeschmack infrage? Warte, bis du es von innen gesehen hast.«

Ich wünschte, ich könnte den Schlaf auch so abschütteln wie Jet. Er springt aus dem Auto und wirkt hellwach und energiegeladen.

Pfft. Junge Leute.

Vor der Einfahrt gibt es kein Tor, und das bei einem Eckgrundstück.

»Sag mal, ist das kein Sicherheitsrisiko? Habt ihr hier nicht ständig Fotografen in der Einfahrt?«

»Du klingst genau wie Luce, als wir uns zum Kauf entschlossen hatten. Benji, Freya und ich wollten es nicht heraufbeschwören. Wir wussten nicht, ob es unser einziger großer Wurf sein würde oder ob es das war mit dem Erfolg, und so hätten wir zumindest ein Haus. Bisher haben uns die Paparazzi jedenfalls noch nicht ausfindig gemacht. Wahrscheinlich, weil die Urkunden auf unsere bürgerlichen Namen lauten, die kaum einer kennt. Ich gehe allerdings nicht davon aus, dass wir hier noch lange wohnen werden, oder zumindest nicht alle zusammen. Mal sehen, vielleicht wollen Benji und Freya meinen Anteil übernehmen oder so.«

»Gefällt es dir hier nicht?«

»Doch, ich liebe es. Es ist das Symbol meines ersten großen Erfolgs, weißt du? Also, der erste greifbare Erfolg. Eine Nummer eins in den Billboard-Charts zu landen, ist sicher der größere Erfolg, aber den kann man nicht anfassen. Oder darin leben.«

»Warum überlegst du dann, zu verkaufen?«

Jet schüttelt den Kopf. »Ach, vergiss es. Tu so, als hätte ich das nie gesagt. Das ist der Teil von mir, der ständig an allem zweifelt. Die Band wird sich auflösen, das Label wird uns fallen lassen … ich muss lernen, diese innere Stimme zu ignorieren.«

»Da ist es nicht hilfreich, wenn das Label dir damit droht, dich fallen zu lassen.«

»Ach. Es ist doch immer dasselbe. Das ganze erste Jahr lang waren wir fest überzeugt, dass unser Vertrag auf der Kippe steht. Erst als ›Hat Trick Heartbreak‹ zum Erfolg wurde, hatten wir ein bisschen mehr Gewissheit.«

»Na dann, gern geschehen. He, bekomme ich dafür eigentlich Tantiemen?«

»Glaubst du, Taylor Swift zahlt ihren Ex-Freunden Geld dafür, dass sie ihre Muse waren?«

»Dann wäre die Gute doch pleite.«

»Eben.« Jet schiebt die Eingangstür zum Haus auf, und ich verstehe, was er gemeint hat. Innen ist es fantastisch. Echtholzböden, eine Holztreppe, die rechts nach oben führt, eine kleine Sitzecke. Was wirklich atemberaubend ist, sind die breiten Fenster und die Glastüren, die zu einem großen Balkon mit Blick über das ganze Tal führen.

Ich steuere ganz automatisch darauf zu. »Wow.«

»Hab ich doch gesagt.«

Auf einmal bewegt sich etwas auf der Treppe, und ein schmächtiger kleiner Typ kommt hastig herunter.

Für jemanden, der ein ganzes Stück kleiner ist als Jet, betritt er den Raum mit ziemlichem Selbstbewusstsein. Er ist süß, wirkt trendy, hat kurzes braunes Haar und braune Augen. Er dürfte höchstens Anfang zwanzig sein, und ich habe keine Ahnung, wer er ist.

Er starrt Jet mit eiskaltem Blick an. »Du hast es verbockt.«

Jet seufzt. »Soren, das ist Marty. Er macht mir gern das Leben schwer, obwohl er vorgibt, mal in mich verliebt gewesen zu sein.«

»Ja, aber das war, bevor ich dich kennengelernt habe.«

»Autsch, Marty. Autsch . Das tut verdammt weh.«

»Marty …«, sage ich. »Luce’ –«

»Bessere Hälfte«, ergänzt Marty mit einer Attitüde, die an Jets erinnert.

»Wie alt –« Ich beiße mir im letzten Moment auf die Zunge. »Ach, ist nicht so wichtig.«

Jet lacht auf. »Marty kommt jünger rüber, als er ist. Er ist sechsundzwanzig.«

Was, dieses Kind soll sechsundzwanzig sein?

»Und Luce wirkt viel älter als vierunddreißig.«

»Moment, Luce ist nur ein Jahr älter als ich?«

»Das kommt von den grauen Haaren«, sagt Marty. »Die machen ihn älter.«

Jet nimmt meine Hand. »Wie du siehst, ist Alter in Hollywood bloß eine Zahl.«

»Wer bist du überhaupt?«, will Marty von mir wissen.

Ich räuspere mich. »Ich, äh, bin Eishockeyspieler.«

Marty bleibt der Mund offen stehen. » Der Eishockeyspieler? Oh mein Gott, stehe ich etwa gerade im selben Raum wie ›Hat Trick Heartbreak‹ und ›Someone Else’s Perfect‹?«

»Werde ich hier in Zukunft von allen so genannt werden?«, frage ich.

»Ja«, antworten Jet und Marty im Chor.

Plötzlich springt Marty wie ein aufgeregter Welpe durchs Zimmer und ruft mit hoher, quietschiger Stimme: »Oh mein Gott, das ist, als würde ich jemand Berühmten treffen!«

»He, ich bin ziemlich berühmt«, protestiere ich.

»Ich meinte, richtig berühmt«, sagt Marty.

»Ich glaube, ich mag die Musikbranche nicht«, murre ich.

Jet stößt mir seinen Ellbogen in die Rippen. »Na, dann sei froh, dass du nur acht Wochen vor der Brust hast. Wenn du die überhaupt durchhältst.«

»Kommst du mit uns auf Tour?«, fragt Marty.

»Nur bis die Eishockeysaison anfängt.«

»Okay, jetzt bin ich nicht mehr sauer, weil unser Spontanurlaub so schnell wieder vorbei war. Das Drama lasse ich mir nicht entgehen.«

»Drama?« Ich ziehe eine Augenbraue hoch.

»Apropos Drama«, mischt Jet sich ein, »wo sind eigentlich Benji und Freya?«

»Im Studio.«

»Vögeln sie, oder streiten sie?«

»Vielleicht beides?«, meint Marty. »Bei den beiden weiß man es nie. Ich bin so dankbar für die Schallisolierung.«

»Das Studio zeige ich dir dann, wenn es sicher ist«, sagt Jet zu mir.

»Ihr habt euer eigenes Tonstudio hier im Haus?«

Jet lächelt. »Es ist klein und nicht gut genug, um eine richtige Single aufzunehmen. Aber wir nutzen es, um Songs zu schreiben und auszuprobieren, was gut funktioniert und was nicht. Komm, ich zeig dir den Rest vom Haus.«

»Wo ist Luce?«, fragt Marty, bevor wir losgehen können.

»Er meinte, ihr seht euch nachher zu Hause. Er musste sich beim Label noch um ein paar Sachen kümmern.«

»Dann mach ich mich auf die Socken. Viel Spaß euch beiden!« Marty verschwindet mit derselben Hast, mit der er aufgetaucht ist.

Als Erstes zeigt Jet mir das Erdgeschoss. Es gibt eine große Küche, ein großes Wohnzimmer mit dem riesigsten Großbildfernseher, den ich je zu Gesicht bekommen habe, und eine Terrasse mit einer Feuerstelle, von der aus man zu einem oberirdischen Pool gelangt.

»Das ist … irre.«

»Ja, oder?«, sagt Jet voller Stolz. »Und das Beste hast du noch gar nicht gesehen.«

»Was, es gibt noch mehr?«

»Viel mehr. Von außen wirkt das Haus klein, aber es ist in den Hang gebaut. Es hat vier Stockwerke, wenn man das Untergeschoss mit dem Studio mitrechnet.«

»Okay, okay«, lenke ich ein. »Ich geb’s zu, du bist ein echter Promi.«

Jet zieht mich zurück ins Haus und die Treppe hoch und geht mit mir direkt ins Obergeschoss. Er zeigt nach rechts.

»Benji und Freya haben ihre Zimmer da lang. Meins ist hier.«

Er wendet sich nach links und öffnet eine riesige Flügeltür, die zu einem großen Schlafzimmer mit eigenem Bad, Balkon und derselben spektakulären Aussicht wie unten führt.

»Jetzt weiß ich, was du meinst.« Ich trete auf das übergroße Bett zu und lasse mich rückwärts hineinfallen. Ich stütze mich auf meine Ellbogen und sehe Jet an. »Zeigst du mir jetzt, was das Beste daran ist?«

»Also, ich hab natürlich von der Doppeldusche gesprochen, aber das hier ist genauso gut.« Jet entledigt sich seines Shirts und steigt rittlings auf mich.

»Doppeldusche? Nach dem langen Flug wäre es vielleicht ganz ratsam, die erst mal zu benutzen.«

»Ich liebe die Art, wie du denkst.« Er sitzt ab und zieht mich hoch. Wir reißen uns beide die Klamotten vom Leib und rennen um die Wette Richtung Bad.

Unter dem Wasserstrahl der Dusche fallen wir mit Händen und Mündern übereinander her, aber nur für schnelle Handjobs. Ich stand schon in Fidschi unter Strom und komme daher nach kürzester Zeit. Als auch Jet kommt, ist sofort klar, dass das Nickerchen im Auto ihm nur einen winzigen Energieschub gegeben hat. Nach seinem Orgasmus ist er völlig erschöpft.

Ich halte ihn eng an mich gepresst. »Bett?«

»Es ist helllichter Nachmittag. Wir kriegen Jetlag.«

»Ich hab schon längst Jetlag. Du weißt schon. Jet …lag.«

»Hab mich schon gefragt, wann es losgeht mit den altersentsprechenden Flachwitzen. In deinem Alter macht man eben gern Dad-Jokes. Wie ein Dadd–«

»Sag. Es. Nicht.«

Jet kichert.

Wir machen uns nicht die Mühe, wieder etwas anzuziehen, sondern trocknen uns nur ab und kriechen nackt ins Bett.

»Das ist also dein Leben …« Ich ziehe ihn ganz nah an mich heran.

Ich liebe die Art, wie unsere Körper zusammenpassen, wie sein langes Haar auf meiner Brust kitzelt, wie es sich anfühlt, wenn er mit der Hornhaut an seinen Fingern über meine Bauchmuskeln fährt.

»Das hier ist bloß die Spitze des Eisbergs«, sagt er.

Ich kann der Steilvorlage nicht widerstehen. »Ich schwöre, ich bin besser gebaut als die Titanic. Ich komme mit allem klar.«

»Okay, Dad–«

Ich schneide ihm mit einem Gutenachtkuss das Wort ab. Oder vielmehr einem Guten-Nachmittag-Kuss.