Günther Wolf (64), Hausmeister

– Wie lange arbeiten Sie schon hier?

– Vierunddreißig Jahre. Aber demnächst gehe ich in Pension, mein Körper macht das nicht mehr lange mit. Ich habe es an den Bandscheiben. Diese Arbeit kann ganz schön anstrengend sein.

– Das glaube ich Ihnen. Man hat mir gesagt, dass Sie der gute Geist hier im Haus sind. Die Dame, mit der ich vorhin geredet habe, ist ganz ins Schwärmen gekommen.

– Schön, wenn die Leute etwas Gutes über mich sagen. Ich habe mich mein ganzes Leben lang bemüht, es allen rechtzumachen.

– Wenn Sie schon so lange hier arbeiten, dann kennen Sie doch bestimmt alle persönlich, oder?

– Natürlich. Manche von ihnen holen mich immer wieder mal auf einen Kaffee rein in die Wohnung, man plaudert, Sie wissen ja, wie das ist.

– Und Sie wissen auch, worüber ich mit Ihnen reden möchte, oder?

– Rita Dalek, ja. Ein großes Unglück ist das. So eine nette Frau war das, in all den Jahren hat es nie etwas gegeben. Im Gegenteil, sie hat geholfen, wann immer sie konnte. Sie hat den Müll aufgehoben, wenn irgendwo etwas herumlag, sie hat Ordnung im Fahrradraum gemacht. Und sie hat sich um die ältere Dame aus dem dritten Stock gekümmert, Rita war ein guter Mensch.

– Können Sie sich vorstellen, dass jemand aus dem Haus sie umgebracht hat?

– Für die Leute hier lege ich die Hand ins Feuer.

– Auch für Rita Daleks Ehemann?

– Aber natürlich. Manfred hat zwar sein Leben nicht mehr im Griff, aber er würde doch nicht seine Frau umbringen.

– Wenn Sie das sagen, dann wird es wohl so sein.

– Für mich ist völlig klar, wer das getan hat. Diejenigen, die meine Fassade vollgeschmiert haben, haben auch Rita umgebracht. Man hat ihr gedroht, und ein paar Tage später hat man sie umgebracht.

– Ich dachte, das waren ein paar harmlose Graffitis. Kommt ja immer wieder mal vor in der Gegend, oder?

– Harmlos? Rita würde bestimmt noch leben, wenn die Polizei die Sache damals ernster genommen hätte.

– So etwas Ähnliches habe ich kürzlich schon einmal gehört. Aber bitte glauben Sie mir, wir alle geben unser Bestes. Ich habe mir die Protokolle der Kollegen durchgelesen. Offiziell war es am Ende tatsächlich nichts weiter als Sachbeschädigung. Niemand hat daran geglaubt, dass es sich um eine ernstgemeinte Todesdrohung handelt. Nicht einmal Rita Dalek selbst.

– Wie meinen Sie das?

– Die Kollegen haben natürlich mit ihr gesprochen. Aber sie hat vehement darauf bestanden, dass wir in dieser Sache nichts weiter unternehmen sollen.

– Oh, das wusste ich nicht. Ich hatte ihr zu einer Anzeige geraten. Dass sie sich dagegen entschieden hat, habe ich nicht mitbekommen. Bitte verzeihen Sie, ich wollte Sie in keiner Weise beschuldigen, etwas falsch gemacht zu haben.

– Ist schon in Ordnung. Frau Dalek hat ausgesagt, dass es Jugendliche aus der Nachbarschaft gewesen seien, die sich hier regelmäßig herumtreiben und randalieren.

– Hier treiben sich keine Jugendlichen herum. Niemand randaliert hier.

– Trotzdem mussten die Kollegen aufgrund von Frau Daleks Aussage von einem Vandalenakt ausgehen. Die Sache ist im Sand verlaufen, ich habe erst davon erfahren, als Frau Dalek bereits tot war.

– Aber die Schmierereien waren nicht nur an der Außenfassade, sie waren auch im Treppenhaus, im Lift und an Ritas Wohnzimmerwand.

– Ich weiß.

– Gewöhnliche Sprayer brechen doch nicht ein, um im elften Stock Drohungen gegen eine unbescholtene Frau zu hinterlassen. Jemand hat sich gewaltsam Zutritt zu ihrer Wohnung verschafft, das ist doch mehr als ungewöhnlich, oder?

– Sie haben recht. Wir hätten in dieser Sache weiter ermitteln und eingehender mit allen Beteiligten sprechen müssen, dann hätten wir vielleicht auch verstanden, wie das alles zusammenhängt. Wahrscheinlich hätten wir tatsächlich das Schlimmste verhindern können.

– Stimmt es, dass einer von Ritas Kollegen fast totgeprügelt wurde?

– Ja, leider.

– Aber wer macht so etwas?

– Ich bin mir noch nicht ganz sicher. Ich weiß nur, dass sich Rita Dalek definitiv mit den falschen Leuten eingelassen hat.

– Vielleicht ist es aber auch meine Schuld.

– Wie kommen Sie darauf?

– Ich hätte es melden müssen.

– Was hätten Sie melden müssen?

– Den ersten Einbruch. Wenn ich darauf bestanden hätte, dass die Polizei kommt, hätte man sie vielleicht beschützen können.

– Es war schon einmal eingebrochen worden? Wann? Und woher wussten Sie davon?

– Ein oder zwei Wochen vorher. Rita hat mich gebeten, das Schloss zu reparieren. Ich habe damals versucht, sie zu überreden es zu melden, aber das wollte sie nicht. Es sei nichts gestohlen worden, hat sie gesagt. Sie wollte einfach nur, dass alles repariert wird, bevor Manfred aus der Schweiz zurückkommt. Sie wollte ihn nicht beunruhigen, Manfred sollte nichts von alldem mitbekommen. Auch von den Schmierereien nicht.

– Warum nicht?

– Weil er wahrscheinlich wieder die Fassung verloren hätte.

– Wieder?

– Verzeihen Sie mir, dass ich es so deutlich sage, aber dieser Mann hat ihr nicht gutgetan. Er war ein fürchterlicher Klotz am Bein. Rita hat bis zum Umfallen gearbeitet, und er hat das ganze Geld verspielt. Er hätte sie eigentlich auf Händen tragen müssen.

– Hat er aber nicht?

– Nein.

– Er hat öfters die Fassung verloren?

– Ja.

– Er hat sie auch geschlagen, wie ich gehört habe.

– Das weiß ich nicht. Ich habe nur mitbekommen, dass er oft laut geworden ist. Das hat man im ganzen Haus gehört. Rita hat mir leidgetan. Als das mit den Graffitis war, hat sie mich gebeten, ihr zu helfen, die Wand zu streichen. Sie wollte nicht, dass Manfred sich Sorgen macht, er sollte auf keinen Fall merken, dass jemand in der Wohnung war, sie wollte es unbedingt vor ihm verbergen. Mir kam es fast so vor, als hätte sie mehr Angst vor ihm gehabt als vor den Schweinen, die ihr gedroht haben.

– Das klingt bitter.

– War es auch. Deshalb habe ich mich auch gefreut, als ich erfahren habe, dass sie ihn rausgeworfen hat. Das war längst überfällig.

– Haben Sie Manfred wiedergesehen?

– Bei der Beerdigung. Dann nicht mehr.

– Und diese Nachbarin, von der Sie erzählt haben? Die Frau, für die Rita Dalek gekocht hat? Können Sie mir etwas über sie erzählen?

– Ach, das ist noch so eine tragische Geschichte. Gerda, das heißt, Gerda Danner und Rita waren befreundet. Ich glaube, die beiden haben sich sehr gemocht.

– Sie sprachen von einer tragischen Geschichte?

– Gerda war Richterin früher. Und kurz bevor sie in den Ruhestand ging, hat sie dann Krebs bekommen. Eine verteufelte Ungerechtigkeit ist das. Dass auch sie nicht mehr lange leben wird.

– Wissen Sie Genaueres?

– Gerda macht kein Geheimnis aus ihrer Krankheit. Auch nicht daraus, dass es bald zu Ende gehen wird. Ihre Ärzte geben ihr vielleicht noch ein halbes Jahr. Sie hat es mir erzählt, bevor sie verreist ist. Sie will sich noch ein paar Wünsche erfüllen, Dinge sehen, die sie immer sehen wollte, irgendwo am Meer einschlafen und nicht mehr aufwachen, das hat sie gesagt. Manche Menschen haben wirklich kein Glück.

– Stimmt. Können Sie mir noch sagen, wann genau Frau Danner verreist ist?

– Das war kurz nach Ritas Tod. Das alles hat sie sehr mitgenommen. Ihre Tochter sagt, dass Gerda völlig zusammengebrochen ist. Nicht einmal aufs Begräbnis konnte sie gehen.

– Wissen Sie, wo ich die Tochter von Frau Danner erreichen kann?

– Oben im dritten Stock. Sie wohnt in der Wohnung der Richterin, solange sie weg ist. Sie heißt Agnes.

– Haben Sie eine Idee, wann ich sie am besten antreffen kann?

– Jetzt. Ich habe sie vorhin im Treppenhaus gesehen.

– Das trifft sich ja wunderbar.

– Finden Sie denjenigen, der das getan hat.

– Das werde ich.