Rita ist ihm nie zuvor begegnet. Seit über fünf Jahren arbeitet sie hier in seiner Villa am See. Seine Angestellten lieben und hassen ihn. Rita ist eine von vielen, die sich darum kümmern, dass die Welt von Ferdinand Bachmair funktioniert.
Der Milliardär, der nur damit beschäftigt ist, sein Geld auszugeben. Auch seine Angestellten bezahlt er fürstlich, doch er erwartet auch, dass sie seine Launen ertragen, dass er sich gehen lassen kann, wann immer er will. Alle sollen springen für ihn, wenn er pfeift, alles soll so sein, wie er es sich vorstellt, wie sein Hausmanager es für ihn plant. Ein streng organisiertes System ist es. Rita ist nur ein winzig kleiner Teil davon.
Bis jetzt war sie unsichtbar für Bachmair. Dieses Leben, das er führt, findet unendlich weit weg von ihrem statt. Sie hält sich zwar in seinem Haus auf, doch es fühlt sich so an, als wäre er Hunderte Kilometer weit weg. Er ist nur derjenige, für den sie sauber macht, derjenige, der ihr jeden Monat das zusätzliche Geld überweisen lässt, das Manfred und sie so dringend zum Leben brauchen.
Bachmair ist ein Phantom.
Nur einmal hat sie kurz mit ihm telefoniert. Sie war in der Küche gewesen, hatte Pause gemacht, als es klingelte. Die Köche waren beim Rauchen, Rita war allein. Sie nahm den Hörer ab und hörte ihn brüllen.
Was ist hier los, warum meldet sich niemand?
Ich will ein verdammtes Butterbrot mit Kresse.
Ihr habt fünf Minuten.
Ich werde alle, die in dieser verfickten Küche arbeiten, entlassen.
Rita weiß noch, wie sehr sie Bachmair in diesem Moment verachtet hat. Schnell war sie zu den Köchen gerannt, hatte Bescheid gegeben. Sie war sprachlos, weil die Köche fast panisch das Butterbrot zubereiteten, sie rannten durcheinander, überschlugen sich, um Bachmair wieder zufriedenzustellen. Sie hatten Angst. Erwachsene Männer. Wegen eines lächerlichen Butterbrots. Bachmair war gnadenlos.
Er ist es immer noch. Die Küche muss Tag und Nacht besetzt sein. Wenn er nach einem fünfgängigen Menü schreit, muss gekocht werden. Egal zu welcher Uhrzeit. Wenn er Hunger hat, muss in kürzester Zeit serviert werden. Sollte das nicht passieren, wird jemand entlassen. Köche, Servicekräfte, Putzpersonal. Schon viele hat Rita kommen und gehen sehen. Aber sie hat es nie kommentiert, hat sich nicht eingemischt. Sich nie daran beteiligt, sich das Maul über ihn zu zerreißen, Gerüchte in die Welt zu setzen.
In den Zigarettenpausen hat sie den anderen nur zugehört, wenn sie über Bachmairs ausschweifendes Leben sprachen, darüber dass er sich hemmungslos dem Rausch hingibt. Alkohol, Drogen, Frauen.
Das war ihr immer egal. Berührte sie nicht.
Rita macht einfach ihre Arbeit.
Sie redet nicht viel, sie putzt.
Die Hausdame vertraut ihr.
Deshalb kümmert sie sich auch um Bachmairs Salon. Sie macht in seinem Schlafzimmer sauber, in seinem Badezimmer. Und genau dort treffen sie auch zum ersten Mal aufeinander.
Warum im Badezimmer, hat Gerda gefragt.
Weil er dort nackt ist, hat Rita geantwortet.
Rita geht die Treppen nach oben.
Den Gang entlang, sie betritt das Ankleidezimmer.
Sie hört, wie das Wasser in der Dusche nach unten fällt.
Rita steht an der Tür zum Bad.
So oft hat sie hier schon geputzt, sie kennt jede Fliese, jede Fuge, den Inhalt jeder Lade. Immer war sie alleine hier, die Hausdame legt Wert darauf, dass Bachmair dem Reinigungspersonal nicht begegnet. Er soll nicht sehen, wie saubergemacht wird, die kleinen Putzfeen sollen zaubern, wenn er nicht da ist.
Bachmair singt.
Sie darf jetzt nicht zögern.
Sie wird es genau so machen, wie sie es sich ausgedacht hat.
Die Putzfrau überrascht ihn. Sie trägt ihre Schürze, hat den Kübel mit den Putzmitteln in der Hand. Es ist völlig egal, wie er reagieren, was er sagen wird. Ob er stehen bleiben oder wütend auf sie zukommen wird. Ob er brüllen oder sie aus dem Badezimmer werfen wird.
Sie wird es jetzt einfach tun.
Rita atmet noch einmal tief durch.
Dann schaut sie durch den Türspalt.
Er hat fertig geduscht. Stellt das Wasser ab.
Rita sieht, wie er sich vor den Spiegel stellt, wie er sich mit beiden Händen durch die Haare fährt. Er dreht sich hin und her. Nicht in hundert Jahren würde er damit rechnen, dass ihn jetzt jemand stören würde. Dass eine unbekannte Frau sein Bad betritt.
Mit einem Lächeln im Gesicht.
So wie Gerda es gesagt hat.
Du wirst dich unvergesslich machen, Rita.
Es wird ihm die Sprache verschlagen.
Und bevor er irgendwie reagieren kann, bist du wieder weg.
Du wirst so schnell wie möglich aus dem Haus verschwinden.
Mach dir keine Sorgen, Rita.
Das wird schon.
Rita zwingt sich, ihre Mundwinkel nach oben zu ziehen.
Sie versucht, entspannt zu wirken. Sie blinzelt. Dann nimmt sie die Vorratsdose mit dem Blumenmuster aus ihrem Putzkübel und stellt sie neben das Waschbecken. Bachmair greift nach einem Handtuch. Da sieht er sie. Sein Gesicht läuft rot an vor Scham.
Schockiert und wütend.
Wer sind Sie verdammt noch mal?
Was wollen Sie hier?
Sie sind doch nicht wirklich die Putzfrau, oder?
Sind Sie wahnsinnig?
Verschwinden Sie sofort aus meinem Badezimmer.
Rita rührt sich nicht vom Fleck.
Mit einer Gelassenheit, die ihn noch mehr verunsichert, macht sie weiter. Unbeirrt, sie bleibt in ihrer Rolle. Sie kann alles sein, sie ist unverwundbar, sie muss keine Konsequenzen fürchten.
Auf der Bühne ist alles möglich.
Ich möchte dir das hier schenken, sagt sie.
Sie zeigt noch einmal auf die geblümte Dose, lächelt ihn an.
Sie dreht sich um und geht. Die Putzfrau, die es gewagt hat, ihn im Bad zu überraschen, die dreiste Person, die ihn nackt gesehen und angelächelt hat, während er die Fassung verloren hat.
Rita verschwindet.
Die Vorratsdose bleibt zurück.
Sie hört ihn immer noch brüllen, während sie langsam das Haus verlässt. So als wäre nichts passiert, geht sie auf direktem Weg zum Parkplatz. Sie steigt in ihren Wagen. Rita schaut nicht zurück. Sie hat nicht auf seine Rufe reagiert, die durch das Haus hallten, sie ignoriert, dass sich irgendwo oben ein Fenster öffnet und er sie verflucht.
Man soll diese Person aufhalten, hat er geschrien.
Man soll sie verfickt noch mal davon abhalten, das Grundstück zu verlassen. Bachmair ist außer sich. Und Rita fährt zufrieden die Einfahrt hinauf. Weg von Bachmair. Nach Hause.
Sie wird nichts von dem Drama mitbekommen, das sich gleich abspielt. Der Hausmanager, die Hausdame, das Securitypersonal, alle wird er antanzen lassen. Es wird Konsequenzen hageln, Bachmair wird kochen vor Wut. Er will wissen, wer diese Frau ist, die in seine Privatsphäre eingedrungen ist, die sich ihm so dreist widersetzt hat. Er will, dass man sie zurückholt, dass sie bestraft wird. Er will sie demütigen, ein Exempel statuieren. Keiner dringt einfach so in Ferdinand Bachmairs Badezimmer ein.
Bachmair rotiert, während Rita gemütlich durch die Stadt fährt.
Rita sieht es vor sich. Alles, was in den nächsten dreißig Minuten passieren wird, wie in einem Film. Bachmair in der Hauptrolle. Schimpfwörter werden aus seinem Mund kommen, er wird toben, die Angestellten werden in Deckung gehen. Dann wird Bachmair sich wieder beruhigen.
Er wird zurück in sein Badezimmer gehen. Er wird kurz zögern.
Dann aber wird er die Vorratsdose in die Hand nehmen, die Rita für ihn zurückgelassen hat. Bachmair wird die Dose öffnen und das weiße Pulver sehen. Er wird überrascht sein. Dann wird er daran riechen, seinen Zeigefinger ablecken und in das Weiß tauchen. Er wird den Finger wieder herausziehen und ihn abschlecken. Bachmair wird sofort wissen, was los ist.
Er wird sich das Pulver auf sein Zahnfleisch reiben. Er wird die Dose hochheben. Das Gewicht schätzen. Und er wird spüren, wie alles taub wird in seinem Mund.
Ach du heilige Scheiße, wird er sagen.
Bachmair wird zur Kommode im Schlafzimmer gehen und die Hausdame anrufen. Er wird sie anweisen, in der Sache mit der durchgeknallten Putzfrau vorerst doch nichts zu unternehmen.
Ich werde mich selbst darum kümmern, wird er sagen.
Er wird sich Ritas Telefonnummer geben lassen.
Er wird noch eine Zeit lang überlegen und zögern. Wird mit der Dose in der Hand in seinem Salon auf und ab spazieren.
Dann wird er sie anrufen.