Es schmeckt neu und fremd und schön.

Zum ersten Mal in ihrem Leben trinkt Rita Champagner. Zuerst nippt sie nur, dann nimmt sie einen großen Schluck. Es prickelt auf ihrer Zunge.

Der Geschmack verführt sie, macht Lust auf mehr, es ist die nächste Aufgabe, die sie bewältigen muss. Eine Herausforderung.

Rita wird stark sein. Sie wird nicht einknicken, sie wird es durchziehen. Auch wenn alles in ihr schreit vor Aufregung, wenn eine Stimme in ihr sagt, dass sie davonrennen soll.

Rita bleibt.

Sie sitzt in Bachmairs Salon. Sie spürt wieder, wie ihr Herz schlägt, nichts anderes ist im Moment wichtig. Nur der Milliardär, der sie zu sich gebeten hat. Niemand sonst. Nicht Manfred, nicht Kamal.

Rita weiß noch nicht, dass sie ihn in genau zwanzig Stunden finden wird. Sie wird früh aufstehen und die Erste im Supermarkt sein, sie wird aufsperren, ins Lager gehen und sein Röcheln hören. Überall wird Blut sein. Kamal wird am Boden liegen und sich nicht mehr rühren.

Halb tot wird sie ihn finden.

Aber davon ahnt Rita jetzt noch nichts.

Jetzt zählt nur dieser Moment. Sie muss Bachmair auf ihre Seite ziehen, ihn überzeugen. Sie spielt ihre Rolle, gelassen und anmutig.

Sie lässt sich Zeit.

Rita nimmt noch einen Schluck.

Champagner. Luxus. Eine Ahnung von dem, was noch kommt.

Rita schaut zu, wie die Perlen in ihrem Glas nach oben steigen. Selbstbewusst lächelt sie Bachmair an.

Ich würde Sie gerne zu mir einladen, hatte er am Telefon gesagt.

Ich würde nichts lieber tun, als mich mit Ihnen zu unterhalten.

Ich muss zugeben, Sie haben mich überrascht.

Seine Stimme war freundlich gewesen. Charmant, da war keine Wut mehr, nur Neugier. Er sagte, er brenne darauf, sie kennenzulernen.

Ich bin Ihre Putzfrau, hatte Rita erwidert.

Gerda hielt sich die Hand vor den Mund. Rita grinste lautlos vor sich hin. Weil da plötzlich Bachmairs Stimme aus dem Lautsprecher des Mobiltelefons kam. Weil er sie tatsächlich angerufen hatte.

Der Milliardär und seine Putzfrau.

Es war genau so, wie Gerda es vorausgesagt hatte. Der Plan funktionierte, Bachmair tat, was er tun sollte. Die Vorratsdose in seinem Badezimmer hat ihn dazu gebracht, Rita zu umgarnen, sie zu überreden, sich von seinem Chauffeur abholen zu lassen. Bachmair hat darauf bestanden. Er will wissen, wer diese Frau ist. Dass sie nur eine einfache Putzfrau ist, daran will er nicht glauben. Was Rita sagt, ignoriert er.

Von Anfang an tut er so, als sei sie eine andere.

Er mustert sie, seit sie aus dem Wagen gestiegen ist.

Eine Frau Mitte fünfzig, schlecht gekleidet, aber durchaus hübsch.

Wie sie das Glas hält.

Wie selbstbewusst sie seinen Blicken standhält.

Wie sie lächelt.

Du hast nichts zu verlieren, hatte Gerda gesagt.

Und Gerda hatte recht.

Rita holt die Packung Zigaretten aus ihrer Tasche. Sie nimmt eine heraus und zündet sie an. Sie hat nicht gefragt, ob sie rauchen darf, sie tut es einfach. Fast ist es so, als würde sie ihn provozieren wollen. Sie fordert ihn heraus, sie weiß, dass Bachmair Nichtraucher ist, dass er es hasst, wenn es irgendwo im Haus nach Rauch riecht. Sie rechnet erneut mit seiner Wut, doch Bachmair bleibt ruhig.

Er lässt sie rauchen, stellt ihr sogar einen Aschenbecher hin. Eine kleine, antike Schale, die Rita schon so oft abgestaubt hat. Sündhaft teuer, so wie alles, was hier herumsteht. Teppichböden, Vasen, Möbel, Bilder. Bachmair ist ein Sammler. Er umgibt sich gerne mit wertvollen Dingen, er zeigt gerne, was er hat, präsentiert seinen Reichtum voller Lust.

All die schönen Dinge im Raum fallen Rita ins Auge, während sie an ihrer Zigarette zieht und darauf wartet, dass Bachmair die Fragen stellt, die ihm unter den Nägeln brennen.

Doch er geht es ganz langsam an. Er kommt nicht sofort zum Punkt, er umkreist sie, behutsam beginnt er seine Gedanken laut auszusprechen. Er geht durch den Raum, bleibt immer wieder stehen, macht eine Pause, sucht nach Worten, wägt ab, was er sagen soll. Bachmair inszeniert seinen Auftritt.

Er will Rita verunsichern, sie aus der Fassung bringen, er will ihr zeigen, dass er mit ihr machen kann, was er will. Ein Wechselbad der Gefühle soll es sein, von Anfang an unvergesslich will er sich machen. Er ist höflich, freundlich, macht ihr Komplimente, im anderen Augenblick aber demütigt er sie. Bachmair bemüht sich, witzig zu sein, er schmeichelt ihr, gleichzeitig aber bedroht er sie. Mit vielen verschiedenen Nadeln sticht er in Ritas Fleisch. Er will herausfinden, wo es wehtut. Er beobachtet sie, registriert jedes Zucken in ihrem Gesicht. Er will wissen, wie sie tickt, ob sie unter ihrer perfekten Fassade vielleicht doch Angst vor ihm hat.

Bachmair will die Kontrolle zurück.

Rita hört die meiste Zeit nur zu.

Manchmal nickt sie.

Bachmair stellt Fragen. Behauptet Dinge.

Lässt Rita nicht zu Wort kommen.

Ich habe mich sehr über Ihr Geschenk gefreut.

Diese schöne Vorratsdose. Dieses wunderbare Blumenmuster.

Gefällt mir. Genauso wie der Inhalt. Erstklassige Ware.

Ich habe selten so etwas Großartiges konsumiert.

Sie heißen also Rita? Schöner Name.

Soll ich Sie duzen?

Nein, ich werde Sie nicht duzen. Noch nicht.

Sie wollen Geld, oder?

Fünfzigtausend. Das scheint mir angemessen.

Geschenke in dieser Größenordnung kann ich nämlich nicht annehmen.

Darf ich Sie fragen, wo Sie das herhaben? Wer hat Sie geschickt?

Und gibt es noch mehr davon?

Vom Alter her könnten Sie meine Mutter sein.

Meine Mutter war aber nie so verrückt.

Sie hat mir das alles hier vererbt.

Aber so ein Geschenk hätte sie mir nie gemacht.

Unglaublich ist das.

Sie wollen wirklich kein Geld?

Aber was wollen Sie dann? Alle wollen mein Geld.

Wollen Sie ficken, Rita?

Ein bisschen von dem weißen Zeug, und los geht’s.

Warum nicht?

Ich habe schon Schlimmeres gefickt.

Nein. Verzeihen Sie.

Ich wollte Sie nur schockieren. Ihnen Angst machen.

Haben Sie Angst, Rita?

Nein?

Keine Angst also.

Zuerst dachte ich, Sie sind von der Polizei.

Aber Sie sind nicht von der Polizei.

Sind Sie immer so schweigsam?

Vielleicht haben Sie ja Lust, mit mir einkaufen zu gehen?

Lieben Sie schöne Kleider?

Vielleicht müssen wir das Eis ja so brechen.

Ein schickes Kostüm, ein paar schöne Schuhe, eine neue Frisur?

So können Sie hier ohnehin nicht herumlaufen. Das hier ist schließlich kein Supermarkt. Das hier ist die Oberliga, Rita.

Schönes Aussehen ist oberstes Gebot.

Aussehen und Vertrauen.

Kann ich Ihnen vertrauen, Rita?

Rita nickt.

Sie schaut ihn nur an, während er spricht.

Bachmair will sie erobern, das Ungewisse reizt ihn, das Fremde. Noch tappt er völlig im Dunkeln, aber er genießt es. Es gefällt ihm, dass Rita sich ihm nicht gleich an den Hals wirft. Dass sie sich Zeit lässt, überlegt, bevor sie etwas sagt.

Bachmair will seinen Spaß mit dir haben, hatte Gerda gesagt.

Rita soll ihren Joker nicht schon in der ersten Runde ausspielen. Rita soll ein Geheimnis bleiben, das Bachmair lüften will. Je weniger sie sagt, desto besser.

Stell dir einfach vor, du spielst eine Rolle, Rita.

Du wolltest doch immer Schauspielerin werden, oder?

Du gehst da rein und gibst die geheimnisvolle Fremde.

Du kannst das, Rita.

Ja, sie kann das.

Und sie liebt es.

Sie hält sich in seinen Räumlichkeiten auf, als wäre sie schon oft hier gewesen. Nicht als Putzfrau, sondern als Gast.

Sie bewegt sich so gelassen und selbstsicher in Bachmairs Salon, als hätte sie ihr ganzes Leben lang nichts anderes gemacht. Sie ist ein kleiner flinker Fisch, der sich mit einem Hai anlegt. Die kleine Putzfrau, die sich mit dem Milliardär einlässt.

Er will mit ihr spielen, und Rita spielt mit.

Sie ist die Maus, kurz bevor sie von der Katze gefressen wird. Er ist der Kater, der sich an ihr die Zähne ausbeißt. Bachmair schleicht um sie herum, er könnte sie in der Luft zerreißen, aber er tut es nicht.

Rita sieht es in seinem Gesicht. Er ist überzeugt davon, dass sie keine Gefahr für ihn darstellt. Rita weiß, dass er ihren Hintergrund längst hat überprüfen lassen, er weiß, wo sie wohnt, wo sie arbeitet, wer sie wirklich ist. Dass sie weder vorbestraft ist noch irgendwelche Kontakte zur Unterwelt hat. Eine ganze Armada an Leuten hat in den letzten drei Stunden telefoniert und Ritas Leben durchleuchtet. Bestimmt haben sie bereits herausgefunden, wie klein und unbedeutend sie ist.

Und doch ist sie hier.

Weil da etwas ist, auf das niemand eine Antwort gefunden hat. Es ist ein Rätsel, das er unbedingt lösen will, eine spannende Herausforderung, die er angenommen hat. Bachmair will es verstehen. Er will wissen, wo sie dieses scheißgeile Zeug herhat.

Dieses Geheimnis wird dir alle Türen öffnen, hatte Gerda gesagt.

Und Gerda hatte recht.