26. KAPITEL
Den Feinschliff des Plans gingen sie jetzt gemeinsam an. Die Assistenten außen vor zu lassen, hatte sich ja als suboptimal erwiesen.
Das anvisierte Opfer Victor hielt sich selten oder nie im Kellerarchiv auf. Jenny hätte darauf schwören können, dass dort seit ihrem letzten Besuch vor Weihnachten alles unverändert geblieben war. Außer den Akten über den An- und Verkauf von Kunstwerken gab es eine Staffelei und anderes Zubehör zur privaten Ölmalerei. Das war Jennys Verdienst, oder Fehler. Einmal hatte sie ja als Jugendliche allen Mut zusammengenommen und versucht, ihrem Gefühl der Verlorenheit in Farbe und Form Ausdruck zu verleihen. Es war nichts dabei herausgekommen, wie auch sonst in ihrem Leben. Bis vor Kurzem.
Der erste Schritt in Hugos Plan sah vor, dass sich das Trio nachts einschlich und die Ole-Mbatian-Gemälde so auf der Staffelei anbrachte, als ob daran gearbeitet würde. Direkt daneben, mit Pinsel auf Papier, ein paar Versuche, Irma Sterns Signatur zu fälschen. Das stand ja als Einziges zur Vollendung der Werke noch aus. Jeder unbeteiligte Beobachter sollte daraus den Schluss ziehen, dass der Keller eine Fälscherwerkstatt war.
Kevin war nicht damit einverstanden, dass sie die schönen Bilder seines Vaters Ole einfach so weggaben, noch dazu ausgerechnet an den Mann, der sie von allen Menschen auf der Welt am wenigsten verdiente. Aber er konnte sich dann doch mit der Operation anfreunden, da sie ja einem höheren Zweck diente.
Jenny hatte rein sachliche Einwände. Bilder genauso gut zu malen wie ein richtiger Künstler, sei ja kein Verbrechen. Auch nicht, eine Künstlersignatur auf einem Blatt Papier nachzuahmen. Erst wenn eine imitierte Signatur auf einem ebenso imitierten Werk landete, wurde es haarig.
Das hatte sich Hugo auch schon überlegt. Doch in den Zeiten sozialer Netzwerke würde die öffentliche Meinung wie ein Volksgericht fungieren. Wenn die ehrenwerten Mitarbeiter der Rache ist süß GmbH einfach nur ihren Job erledigten, würde sowohl die öffentliche Meinung als auch die globale Kunsthändler-Community Victor Alderheim zu lebenslänglich verurteilen. Und das sei ja wohl mehr wert als ein paar Jahre Haft wegen Betrugsversuchs.
»Warum können wir nicht einfach beides machen?«, sagte Kevin. »Wenn das mit den Gemälden nur halb illegal ist, können wir nicht noch was draufpacken?«
»Rauschgift!«, sagte Jenny.
Es war das Illegalste, das ihr einfiel.
»Porno?«, schlug Kevin vor.
Hugo war stolz auf sein Team. Natürlich, sie könnten ein paar Tüten Heroin auf den Tisch neben der Staffelei legen. Porno war nicht unbedingt genauso illegal, aber schon deutliche Hinweise auf »Kinky Sex«-Praktiken würden ihre Sache befördern.
Weder Jenny noch Kevin waren mit dem Begriff Kinky Sex vertraut. Sie selbst waren noch nicht weiter fortgeschritten, als dass sie sich einmal getraut hatten, die Deckenlampe dabei anzulassen. Aber als Jugendlicher in Bollmora war Kevin auf Gamingseiten verschiedenster Machart unterwegs gewesen, und von da zu allem möglichen anderen war es ja nicht weit. Daher hatte er gewisse theoretische Kenntnisse, was Dinge wie ferngesteuerte Vibratoreier, Analdildos für Anfänger und die klassische Penispumpe anging. Außerdem gab es noch Sachen, die ihm rätselhaft waren, wie Ketten, Rohrstöcke, Augenmasken und fast alles nur Erdenkliche in Leder.
»Ich kann das übernehmen, passendes Sexspielzeug zu besorgen«, sagte er.
»Ach ja?«, sagte Jenny.
»Prima, Kevin«, sagte Hugo. »Du bekommst siebentausend als Spielzeugbudget, aber dann muss auch eine aufblasbare Puppe dabei sein.«
Blieben noch die Drogen. Opiate lagen ja im Trend. Hugo hatte gelesen, dass die USA gerade drauf und dran waren, auf diese Art kollektiv Selbstmord zu begehen. Die Ärzteschaft verschrieb auf breiter Front körperliche und seelische Schmerzmittel in einem noch nie da gewesenen Ausmaß, eifrig angefeuert von der Pharmaindustrie und ihren Marketingstrategen. Die durchschnittliche Lebenserwartung von Männern sank nach einer Berechnung in einem solchen Tempo, dass es, wenn es so weiterginge, in dreihundertachtzig Jahren überhaupt keine Männer mehr geben würde.
»Doof für die Männer«, sagte Kevin.
»Fast genauso doof für die Frauen, kann ich mir denken«, sagte Jenny.
Hugo bat sie, beim Thema zu bleiben. Und noch besser mal eben ruhig zu sein, denn jetzt wollte er seinen Bruder anrufen.
Malte, der große Bruder und mittlerweile ziemlich berühmte Augenarzt, hatte immer alles gemacht, worum ihn sein kleiner Bruder gebeten hatte. Er schaufelte sich auch jetzt ein Zeitfenster frei, als Hugo anrief.
»Hallo, Bruderherz«, sagte Hugo.
»Hallo du. Wie geht’s? Ich muss gleich in den OP , aber sag, was kann ich für dich tun?«
Hugo hatte sich eigentlich vorgenommen, nicht mit der Tür ins Haus zu fallen, doch nun war es eilig.
»Ich wollte dich bitten, mir ein Kilo Oxycodon zu verschreiben. Und ein Kilo Fentanyl.«
Der Augenarzt traute seinen Ohren nicht.
»Hast du völlig den Verstand verloren? Ich meine, richtig verloren? Nicht auf die übliche Hugo-Hamlin-Verliererart.«
»Aber ich brauch es nicht für den Eigenbedarf.«
»Hältst du das für mildernde Umstände?«
»Dann ein halbes Kilo? Vierhundert Gramm sind mein letztes Wort. Dreihundert?«
Malte hatte keine Zeit mehr zum Reden. Ihn rief eine Operation am grauen Star. In aller gebotenen Kürze konnte er aber doch noch den Einwand loswerden, dass seine Approbation, in deren Erwerb er eine Menge Energie gesteckt hatte, im Reißwolf der Gesundheitsbehörde landen würde, wenn er seinem Bruder zu Willen wäre.
Zum Glück legte Malte auf, bevor sich sein kleiner Bruder in Spekulationen erging, ob sich so eine Approbation nicht auch fälschen ließe.
Das mit den Drogen musste also anderweitig geregelt werden. Da sich Hugo nie abends im Zentrum von Stockholm herumtrieb, hatte er keine Ahnung, wie. Höchste Zeit, das Team wieder einzubinden.
»Weiß jemand von euch, wo man Rauschgift und so ’n Zeug kauft?«
»Ich nicht«, sagte Jenny. Ihre Drogenerfahrung beschränkte sich darauf, dass ihr einmal mit sechzehn ein Zug an einer Zigarette angeboten worden war, den sie dankend abgelehnt hatte.
»In der Savanne gibt es ein bestimmtes Blatt, auf dem man kauen kann, wenn man etwas länger laufen muss als üblich und als man eigentlich kann«, sagte Kevin.
Das Problem war nur, dass Hugo keine neue Reise nach Afrika geplant hatte. Ob sie wohl glaubten, dass der Trödelhändler in Bollmora helfen könne? Wer alles von gebrauchten Matratzen bis zu Verlobungsringen aus Katzengold im Angebot hatte, der hatte vielleicht auch etwas Heroin in einer Schublade?
Er hörte selbst, wie dämlich das klang.
»Vergesst es«, sagte er.
In Ermangelung des Unerreichbaren mussten ein paar Tüten mit Mehl reichen, mit Gummihandschuhen daneben, die … auf irgendwas hindeuteten. Vielleicht als Brückenschlag zum Sexspielzeug, irgendwie.
Die Gruppe hatte den Eindruck, dass ihnen ihr Ziel, Victor Alderheims Ruf zu ruinieren, so gut wie sicher war. Blieb noch das wichtige Problem, wie der lange Arm des Gesetzes eigentlich bis in den Alderheim’schen Keller gelangen sollte. Von den drei Mitarbeitern konnte keiner anrufen und einen Hinweis geben, denn alle Anrufe in der Notrufzentrale wurden ja aufgenommen. Jemand Fremdes zwecks Scheinanruf von irgendeiner Parkbank aus anzuheuern, kam ihnen auch nicht richtig vor. Der Anrufer musste seriös und glaubwürdig klingen.
* * *
Seriös und glaubwürdig also. Im Auktionshaus Bukowskis in Stockholm gab es eine Abteilung, die Private Sales hieß. An die wendete sich, wer beispielsweise zu arm für seinen gewohnten Lebensstil geworden war und es weder seinem Umfeld noch sich selbst eingestehen wollte. Um nicht in einen Wohnwagen ziehen und sich in Grund und Boden schämen zu müssen, nahm man üblicherweise ein Gemälde aus Familienbesitz von der Wand – ein Werk von besonders hohem künstlerischem und finanziellem Wert – und wandte sich an Private Sales . Kunstwerk und Geld tauschten die Plätze, ohne dass der Käufer des Werks wusste, wer der Verkäufer war. Danach fehlte bei dem einen zwar etwas daheim an der Wand, doch das ließ sich mit ein oder zwei Notlügen hinbiegen. »Mein Renoir? Äh, den hatte ich satt, der ist jetzt irgendwo im Keller. Blumen gehören nicht an die Wand, sondern in eine Vase.«
Damit das Täuschungsmanöver gelang, musste der Zwischenhändler, Bukowskis, natürlich äußerste Diskretion walten lassen. Und darauf war Verlass. Die Geschäftsidee des ganzen Unternehmens beruhte auf hochnäsigem Auftreten und intakter Glaubwürdigkeit. Das wusste Hugo so genau, weil Great & Even Greater Communications vor circa zehn Jahren versucht hatte, Bukowskis als Kunden zu gewinnen. Da nicht Hugo das Projekt geleitet hatte, hatte eine andere Agentur den Zuschlag erhalten, aber der Misserfolg war in der Firma dermaßen ausgiebig durchgekaut worden, dass Hugo ein für alle Mal Bescheid wusste.
Hugo hatte sich überlegt, dass Bukowskis für sie die Polizei rufen sollte.
Jenny fand, die Idee höre sich gut, aber schwierig an.
»Wenn sie wirklich so diskret sind, wie du sagst, müssen sie dann nicht befürchten, in den Ruf von Polizei-Informanten zu kommen?«
Hugo nickte. Doch seine Zeit als Firmenchef der Rache ist süß GmbH hatte ihm neue Einblicke in die menschliche Seele eröffnet.
»Ich glaube, ich weiß, was die Situation erfordert«, sagte er. »Aber alles zu seiner Zeit.«
Erst mal stand an, den Keller mit allem vollzustellen, was Victor Alderheims Ruf endgültig ruinierte. Die Ölgemälde waren erst der Anfang. Wenn die Polizei zuschlug, sollte Victor außer Kunstfälschung noch ein Rauschgiftdelikt zu erklären haben. Hinzu kam sein degoutantes Sexleben, das zwar nicht direkt gegen das Gesetz verstieß, doch den Freunden war ja daran gelegen, dass ganz Stockholm davon erfuhr. Warum nicht das ganze Land? Und Europa, wenn sie schon dabei waren. Die ganze Welt, verdammt!
Das Projekt warf immer noch kein Geld ab. Aber Schwedens führender Marketingstratege hatte seinen Stolz.
»Davon erholt Victor sich nicht mehr, wenn wir alles richtig angehen.«
»Du bist der Beste!«, sagte Jenny.
»Wir sind noch nicht am Ziel«, sagte Hugo.
Er hatte ja so recht.
* * *
Kevin nahm den Firmenwagen für seine Shoppingtour. Außer Sexspielzeug sollte er ein Kilo Mehl und eine Rolle kleine Plastiktüten besorgen. Vor lauter Eifer, sich nützlich zu machen, vergaß er zu sagen, dass er keinen Führerschein besaß. Autofahren konnte er allerdings. Jedenfalls einen Range Rover vom WWF . Zumindest in der Savanne. Dort gab es weder Rechts- noch Linksverkehr, daran musste er jetzt denken. Rechts in Kenia und links in Schweden. Oder war es umgekehrt?
Bereits nach vier Häuserblocks und einem Kreisverkehr in verkehrter Richtung klappte es prima. Das Auto schaltete außerdem automatisch.
Nach Mehl, Plastiktüten und Spielzeug kam Kevin auf eine Idee. Eine Spitzenidee, wie er selbst fand. Er würde in der Gruppe als Held gefeiert werden. Oder auf ewig unten durch sein.
Kevin parkte das Auto an einer Bushaltestelle und griff zu seinem neuen Smartphone. Suchte im Internet und fand, was er suchte. Bloß zweitausend Kronen? Die konnte er an einem Geldautomaten ziehen.
Es erforderte einen Umweg von ein paar Stunden, aber Hugo und Jenny würden so stolz auf ihn sein. Oder etwa nicht?
»Du bist ein Genie, du verdammter Idiot!«, rief der Creative Director. Das war mit das Tollste, was je ein Mensch zu Kevin gesagt hatte. Er war nämlich zu einem Bauernhof bei Sigtuna gefahren, um eine Ziege zu kaufen.
»Ziege oder Bock?«, hatte der Bauer gefragt, um Missverständnissen vorzubeugen.
»Was ist der Unterschied?«
»Weibchen oder Männchen?«
»Weibchen geht klar«, sagte Kevin.
Alles hatte ja seine Grenzen.