52. KAPITEL
Inspektor Carlander schob ein Ein-Personen-Fertiggericht in die Mikrowelle. Eigentlich war es abends nach halb zehn zu spät für Frikadelle mit Kartoffelbrei. Aber ihm war nach Frustessen.
Je näher seine Pension rückte, desto öfter fragte er sich, was er eigentlich geleistet hatte, vermengt mit Gewissensbissen, was zu leisten er in den letzten Jahren unterlassen hatte. Vorige Woche hatte er außerdem Spanisch geschwänzt. Irgendwie sah er keinen Wert darin, genau wie in allem anderen. Falls ein Spanier aufkreuzte, konnte er sein »El perro está bajo la mesa« sagen, also dass der Hund unter dem Tisch war. Aber wenn das dann gar nicht stimmte? Oder wenn es eine Katze war? Oder wenn sich der Spanier am Ende als Portugiese entpuppte? Oder, am allerschlimmsten: wenn der Knilch Englisch konnte?
Carlander war klar, dass seine Grübeleien an Depression grenzten. Noch drei Tage im Beruf. Und dann? Noch mehr Spanisch? Wozu?
Das Telefon klingelte. Um diese Zeit? Der Kommissar!
»Hallo, hab ich dich aus dem Bett geholt?«
»Nein, ich esse Frikadelle mit Preiselbeeren.«
»Interessant.«
»Wieso?«
»Jemand hat heute den Ziegenficker erschlagen. Mit einem Glas Preiselbeeren.«
»Stehe ich unter Verdacht?«
»Jetzt hör aber auf.«
Bis ganz vor Kurzem hatte Carlander vorgehabt, die Ermittlungen gegen den Bilder fälschenden Kunsthändler einzustellen. Seine Gründe dafür waren einleuchtend. Erstens war es nicht strafbar, im selben Stil wie eine weltberühmte Kollegin zu malen. Das wurde es erst, wenn man die Signatur der Kollegin imitierte und die Bilder unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zum Verkauf anbot.
Was Alderheim nicht getan hatte.
Zweitens war es auf einmal gut möglich, dass die Bilder echt waren, und dann waren Alderheim nicht mal irgendwelche finsteren Absichten vorzuwerfen.
Drittens, viertens und fünftens war an Sexspielzeug, Tüten mit Mehl oder ungewöhnlichen Haustieren im Keller nichts strafbar.
Und dann gab es da noch einen siebten Aspekt. Zu dem wenigen, das Victor Alderheim standhaft leugnete, nachdem er alles andere zugegeben hatte, zählte der Anruf bei Bukowskis. Wenn jemand mit verstellter Stimme den seriösen Private-Sales -Mitarbeiter gefoppt hatte – wer konnte es dann gewesen sein, und warum? Offenbar jemand, der Alderheim ans Leder wollte, und davon gab es bestimmt so einige, dachte Carlander.
Unterm Strich kam für Carlander bei seiner Abwägung trotzdem heraus: Ermittlungen einstellen! Es gab keine erkennbare Straftat, an der man den ganzen Klumpatsch aufhängen konnte.
Bis ganz vor Kurzem.
Denn jetzt war Victor Alderheim tot. Noch dazu vor seiner eigenen Kunsthandlung getötet, mit einem Glas Preiselbeeren erschlagen.
Der Massai, der behauptet hatte, die afrikanischen Bilder zwar besessen, sie dann aber kurz entschlossen an Alderheim verkauft zu haben, hatte ihn mit der Frage, was die Bilder plötzlich in einem Stockholmer Keller zu suchen hatten, an seinen schwedischen Sohn Kevin verwiesen. Kevin seinerseits besaß weder einen Nachnamen noch eine Personennummer, jedenfalls keine, die sein Vater, der Massai, kannte.
Bis ganz vor Kurzem war es nur von mäßigem Interesse gewesen, Kevin zu treffen und ihm ein paar Fragen zu stellen. Das Gespräch sollte am nächsten Tag um zehn Uhr dreißig stattfinden. Das kam zwar kaffeepausentechnisch ungelegen, aber manchmal musste man die Zähne zusammenbeißen.
Nun ja, bis ganz vor Kurzem.
Denn jetzt ließ sich alles an einem Mord aufhängen.
Carlander hörte abrupt mit Essen auf und warf die Frikadelle, den Kartoffelbrei und – vor allem – die Preiselbeeren in den Müll.