65. KAPITEL
Wenn die verdammte Küsterkonferenz nicht gewesen wäre, hätte Carlander doch glatt an seinem allerletzten Arbeitstag einen Mord- bzw. Totschlagsfall aufklären können.
Während Linus Forsgren noch unter Schock stand angesichts der Gefahr, vor sämtlichen Mitgliedern seiner Kirchengemeinde als HellHell84 entlarvt zu werden, setzte Carlander zum finalen Stoß an. Er nannte Forsgren Tag und Uhrzeit des Totschlags in der Birger Jarlsgatan und riet ihm dringend, zu gestehen, dass er da und dort gewesen war, wenn er nicht wegen Mordes eingesperrt werden wollte.
Zu Carlanders Verwunderung machte das Forsgrens Verzweiflung ein Ende. Wie, er sollte schuldig sein, einen umgebracht zu haben? Völlig unmöglich.
Linus Forsgren bestand nachdrücklich darauf, dass er ein Alibi hatte; da habe er nämlich in Göteborg am Rednerpult gestanden und über biologisch abbaubare Methoden der Unkrautbekämpfung auf Kieswegen gesprochen, genau zu dem Zeitpunkt , in dem er verdächtigt wurde, Victor Alderheim in Stockholm ein Preiselbeerglas auf den Kopf gehauen zu haben, vierhundertsiebzig Kilometer weit weg.
Carlander hatte schon eine Menge erlebt. Verdächtige konnten sich in ihrer Bedrängnis die verrücktesten Ausreden einfallen lassen. »Ich hab am Mittwoch überhaupt nicht die Bank überfallen, da war ich mit meinem Hund zusammen, fragen Sie ihn doch.« Sich auf sein Haustier zu berufen, war jämmerlich genug. Aber wer mit auch nur einem Funken Verstand im Schädel erfand eine ganze Konferenz? Das wäre ja ungefähr so, als würde man behaupten: »Ich kann unmöglich der Mörder sein, weil ich genau zum Tatzeitpunkt im Fußball-WM -Finale mitgespielt hab.« Kaum etwas ließ sich leichter überprüfen.
Linus Forsgren war bestimmt kein Unschuldslamm.
Aber Victor Alderheim hatte er nicht erschlagen.
* * *
»Dann danke für alles und tschüss«, sagte Carlander eine Minute nach fünf an seinem allerletzten Arbeitstag zu seinem Chef.
Aber der Kommissar hatte es nicht so mit schmerzfreiem Abschied.
»So leicht entkommst du uns nicht, Christian«, sagte er lächelnd.
Jedes Mal, wenn er Carlander mit seinem Vornamen ansprach, wurde er persönlich.
»Im Besprechungsraum warten Torte und Schampus und der ganze Scheiß. Gleich kommen auch alle außer denen, die im Außeneinsatz Schurken fangen.«
»Ist ja toll«, sagte Carlander.
»Aber vorher haben wir noch ein paar Minuten für uns«, sagte der Kommissar. »Erzähl mal, was mit dem Mann aus Högdalen war. Das war haarscharf, oder? Wie hieß er noch mal, Forsgren?«
»Ich hab gedacht, ich hätte ihn«, sagte Carlander. »Alles hat so gut gepasst, bis wir aufs eigentliche Verbrechen kamen. Da hat der Schuft behauptet, dass er in Göteborg auf einer Küsterkonferenz war, genau zu der Zeit, als er Alderheim sein Preiselbeerglas auf den Kopf geschmettert haben sollte.«
»Und?«
»Ich hab es noch während der Befragung überprüft. Und rausbekommen, dass vierhundert Küster aus dem ganzen Land im Publikum saßen, die Forsgrens Vortrag bezeugen könnten. Als ob das noch nicht reicht, wurde das Ganze auch auf Youtube hochgeladen.«
Der Chef sagte grinsend, Küster könnten schon ein durchtriebenes Völkchen sein. Carlander konnte über das ganze Event nur den Kopf schütteln. Was sollte das überhaupt, eine Küsterkonferenz? Wer zum Teufel organisierte denn so was?
Jetzt war fünf Uhr auf jeden Fall schon durch, und der Chef wollte dem langjährigen Kollegen viel Glück wünschen beim Taubenfüttern oder was sonst er auch immer so vorhatte.
»Was macht übrigens dein Spanisch?«
»Der Hund ist unter dem Tisch und kommt da nicht weg.«
»Was?«
Carlander bat, ihm Erklärungen zu ersparen. Kam auf das vorige Thema zurück. Sagte, dass der Fall mit dem Ziegensexmann und dem Preiselbeerglas noch lange nicht ins Archiv wandern könne. Jetzt sei er wohl an Gustavsson zurückgefallen? Carlander hatte bereits sorgfältigst vier Verdächtige aus dem führenden Hass- und Hetzeforum überprüft. Das Einzige, was für Gustavsson noch übrig bleibe, seien die restlichen vierhundertsechsundneunzig.
»Höre ich da eine gewisse Schadenfreude heraus?«
»Durchaus. So wie ich Gustavsson kenne, wird er mit den vierhundertsechsundneunzig möglichen Verdächtigen nicht durch sein, bevor die Tat verjährt ist.«
»Mord verjährt nicht mehr.«
»Ich weiß.«
Der Kommissar dachte sich, dass er vielleicht die Mitarbeiter hatte, die er verdiente. Er stand auf, umrundete seinen Schreibtisch und sagte, nun sei es aber höchste Zeit für den Umtrunk mit Torte.
»Deine allerletzte Kaffeepause im Präsidium.«
Es war ein komisches Gefühl. So viele Jahre hatte sich Carlander in die Vormittags- und Nachmittagskaffeepause mit eingeschobener Mittagspause vor der Arbeit geflüchtet. Wovor sollte er sich jetzt drücken, wenn er keine Arbeit mehr hatte? Nun, das würde sich zeigen. Denn die Flucht musste weitergehen.