Von Lassard war keine Spur zu sehen, doch ansonsten war die Versammlung vollzählig. Wie gelähmt saß Assar Melinder von Sveakraft da und richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf den Kampf zweier rivalisierender Schwärme Krähen und Elstern, der sich vor den Fenstern abspielte.

Spielen Sie einfach Ihre Rolle.

Jonatan fühlte, wie sein Puls raste, wenn er auf den Bericht blickte. Es kam ihm vor, als müsste er Fehler in einem Text suchen, der in einer Sprache geschrieben war, die er nicht einmal kannte. Die Bilder im Bericht zeigten hauptsächlich rostige Gasleitungen. Earth First hatte Teile des Gasnetzes freigelegt und dann fotografiert, was an sich keine besonders beeindruckende Vorgehensweise war. Aber die Menge an Bildern war gigantisch und vermittelte schon beim ersten Anblick Glaubwürdigkeit.

Genau wie der Max-Pendel-Bericht.

Aus irgendeinem Grund musste Jonatan an Max Pendel denken. Während seiner Zeit in Rosenbad hatte Jonatan nur einen einzigen Bericht über die Erdgasinfrastruktur gelesen, und der stammte von einem «Forscher» und Aktivisten namens Max Pendel. Dieser Mann hatte versucht, ein Gasprojekt an der schwedisch-norwegischen Grenze zu verhindern, indem er anhand von Beweisbildern zeigte, dass die Netzbetreiber ihre Wartungsarbeiten an den Leitungen nicht ordnungsgemäß durchgeführt

Ist das Thüringisches Fingerkraut?

In diesem Augenblick wurde die Tür des Saals von Lars Lassard zugeschlagen, der anschließend um den Tisch ging und sich auf seinen Platz setzte. Seine Miene ließ vermuten, dass während seines Telefonats ein paar heftige Beleidigungen gefallen waren.

Trotz seiner offensichtlichen Gereiztheit bewahrte Lassard die Fassung. «Der Preis liegt weiterhin bei fünfzehn Milliarden.»

Morén nickte und beugte sich über den Bericht von Earth First, den er mit der gleichen Bewunderung ansah wie ein Komponist seine Noten. «Dann glaube ich nicht, dass wir heute irgendetwas erreichen werden. Richten Sie dem alten und neuen Betreiber Susjinskij meine Glückwünsche aus. Wie geht es nun weiter? Hat jemand einen Vorschlag?»

Die Frage war an alle gerichtet, und es dauerte nicht lange, bis die Teilnehmer des Treffens engagiert miteinander zu diskutieren begannen. Auch die jüngeren Juristen entlang der Wände brachten jetzt den Mut auf, einen Kommentar darüber abzugeben, wie die Abwicklung vonstattengehen und wer als Erstes über die neueste Entwicklung informiert werden sollte. Alles war eine Frage der Kommunikation.

Jonatan hörte nur mit halbem Ohr zu, da er sich die Bilder des Berichts ein zweites Mal ansah. Er war verwirrt, doch gleichzeitig so aufgewühlt, dass er gar nicht anders konnte, als dem Mysterium auf den Grund zu gehen.

Sind das die Bilder aus dem Max-Pendel-Bericht?

Er holte sein Smartphone aus der Tasche und gab Max Pendel als Suchbegriff ein. Mehrere Zeitungen hatten über den Skandal berichtet, manch einer hatte Jonatan sogar in der Regierungskanzlei besucht, um ihm «ewige Dankbarkeit» für die Enttarnung dieses Bluffs auszusprechen. Für ein paar Tage war Jonatan ein Held, denn er hatte der Regierung ermöglicht, ihren Beschluss zu fassen. Die geplante Gasleitung konnte gebaut werden.

Als er die Ergebnisse der Suche auf dem Display sah, hörten seine Lippen auf zu zittern, und er klickte auf einige Bilder aus

Während Kjell Morén weitersprach, drehte Jonatan sein Mobiltelefon so, dass Kessler die Bilder sehen konnte.

«Böswillige Gerüchte und Schuldzuweisungen nützen niemandem. Ich hoffe, dass wir alle zu unseren Partnern zurückkehren und ihnen mitteilen können, dass es weiterer Fakten bedarf, bevor es weitergeht. Ich finde, auch das Parlament sollte seine Meinung dazu äußern können, doch das bespreche ich mit dem Staatsminister. Sind wir uns darüber einig?»

Rund um den Tisch fingen die Leute an, ihre Sachen zusammenzupacken. Plante Kjell Morén etwa trotz allem ein schnelles politisches Comeback? Jonatan sah Kessler an, der ihn mit eindringlichen Blicken dazu aufforderte, etwas zu sagen. Aus den Augenwinkeln nahm er wahr, wie Morén ihn von seinem Platz aus anstarrte.

«Sie da», sagte er. «Ja genau, Sie, junger Mann. Sie möchten anscheinend etwas sagen. Wie heißen Sie?»

«Stark», antwortete Jonatan stockend. «Jonatan Stark.»

«Wollen Sie uns etwas mitteilen?»

Zögerlich hob Jonatan die Schultern. Innerlich schlug sein Herz wie wild, und er fühlte sich an seinen ersten Schultag erinnert.

«Haben Sie etwas zu sagen oder nicht?»

Jonatan zögerte immer noch, doch die Zeit war gekommen. «Ich kann Ihre Sorge wegen des schlechten Zustands der Gasleitungen wirklich sehr gut nachvollziehen.»

«Es interessiert niemanden, was Sie nachvollziehen können und was nicht.»

«Das mag sein, doch es gibt ein Problem mit dem Earth-First-Bericht.»

Es dauerte einen Moment, bis alle verstanden hatten, was

Jonatan zeigte die Bilder auf seinem Telefon herum. «Die Fotos sprechen für sich selbst, wenn sie sich jemand ansehen will. Die Bilder im Bericht haben mit dem schwedischen Gasnetz jedenfalls nichts zu tun.»

«Behaupten Sie etwa, ich wäre ein Lügner?»

«Sehen Sie selbst.»

Peder Skyttare, der Vertraute des Staatsministers, erhob sich von seinem Stuhl, ging um den Tisch herum, ließ sich das Handy geben und betrachtete die Bilder mit kritischem Blick.

«Sie sind ziemlich ähnlich», schob Kessler ein. «Ich werde das überprüfen.»

Er stand auf und ging zum Fenster, um zu telefonieren.

Alle anderen warteten darauf, dass Skyttare sich äußerte. Jonatan war erstaunt darüber, wie gut das menschliche Gehirn funktionierte, wenn es etwas gewittert hatte, und über die Fähigkeit, kleinste Details selbst unter Stress wieder abrufen zu können. Er hatte die Bilder wiedererkannt. Ihn selbst hatte es nicht sonderlich gefreut, der Erdgasbranche durch das Aufdecken der Fälschungen in Max Pendels Bericht geholfen zu haben, doch er konnte sich an die Stimmung in Rosenbad erinnern: Es war derselbe Rausch gewesen, den er auch jetzt wahrnahm.

«Hier können Sie sehen, dass die Bilderserie des Berichts identisch mit der auf dem Handy ist», erklärte Jonatan und zeigte Skyttare die Übereinstimmungen. «Es sind exakt dieselben Bilder. Sie wurden einfach nur in den Bericht kopiert.»

«Was ist denn das für ein Blödsinn?», meldete sich Morén von der anderen Seite des Tischs.

Niemand am Tisch sagte etwas. «Ich weiß das, weil ich den Fotografen getroffen habe», fuhr Jonatan fort. «Die Bilder wurden an einem stillgelegten Gasnetz auf dem Land in Polen aufgenommen. Vor zehn Jahren.»

«Lassen Sie mich mal sehen», forderte Lassard und ging zu Jonatan hinüber. Er war schon nach wenigen Sekunden überzeugt.

«Entschuldigen Sie», sagte Morén, «aber auf wie viele verschiedene Arten kann man Gasleitungen eigentlich fotografieren?»

«Sicher auf viele Arten», erwiderte Jonatan. «Aber Thüringisches Fingerkraut gibt es in Schweden nur an sehr wenigen Orten. So wurden die Bilder beim letzten Mal entlarvt. Sie wurden hereingelegt, diese Bilder wurden definitiv in Polen aufgenommen.»

Morén schien nicht zuzuhören. «Peder», sagte er mit einem flehenden Unterton in der Stimme, «dieser eingebildete Affe arbeitet doch für Susjinskij und tut alles, um diejenigen in Verruf zu bringen, die seine Geschäfte in Frage stellen. Gehen Sie ihm nicht auf den Leim.»

«Da bin ich mir nicht so sicher», sagte Skyttare und blickte Jonatan an. «Wen genau repräsentieren Sie hier?»

«Er gehört zu mir», sagte Kessler, der mittlerweile vor dem offenen Kamin stand. «Er war in der letzten Regierung politischer Berater für Energiefragen. Er weiß, wovon er spricht.» Damit kehrte er an seinen Platz zurück und steckte das Telefon in seine Tasche. «Earth First hat den Bericht dementiert. Weder hatten sie Pläne, ein solches Gutachten anzufertigen, noch haben irgendwelche Freiwilligen Gasleitungen ausgegraben.»

Doch Morén war da anderer Ansicht. Energisch ging er auf Kessler zu und fuchtelte mit der Hand vor seinem Gesicht herum.

«Es tut mir leid, aber ich muss das unterbinden. Sie und Ihr kleiner Assistent legen niemanden herein. Dieser Bericht wurde mir zugeschickt, damit er weder diskreditiert, verfälscht noch geheim gehalten wird. Wenn Sie versuchen, hier irgendein Spiel zu spielen, um Susjinskij zu schützen, dann haben Sie sich geschnitten. Die Wahrheit kommt immer ans Licht.»

Skyttare versuchte, ihn zu stoppen. «Kjell …»

«Nein, ich bin noch nicht fertig, Peder! Das ist ein solch verdammt gewissenloses Verhalten … Fallen Sie nicht darauf herein, Peder. Sie kennen mich, ich kann es einfach nicht akzeptieren, dass Leute wie Susjinskij und die anderen von LSI Holdings ungestraft damit davonkommen. Das dürfen wir nicht zulassen.»

Mit einem Mal fasste sich Morén wieder und holte tief Luft. Dabei bemerkte er, wie die Anwesenden ihn stumm und unbewegt anstarrten. Auch Melinder saß mit regungsloser Miene da, er wirkte komplett schockiert angesichts der Vorgänge im Saal.

Da begriff Morén, dass etwas nicht stimmte, und er fuhr mit gedämpfter Stimme fort. «Ich hoffe, dass ich … das zum Ausdruck gebracht habe, was alle hier denken und fühlen. Das war alles.»

Immer noch herrschte Schweigen im Raum, doch dann sagte Skyttare: «Würden Sie uns einen Moment alleine lassen, Kjell?»

Morén starrte einige Momente stumm vor sich hin, ehe er antwortete: «Selbstverständlich.»

Dann wankte er aus dem Konferenzsaal.

Nachdem die Tür wieder geschlossen war, sah sich Skyttare im Saal um. Mit betont beherrschter Stimme wandte er sich an

***

Die Absichtserklärung umfasste fünf Seiten auf neutralem Papier. Auf der letzten Seite unterzeichneten Assar Melinder von Sveakraft und Lars Lassard von LSI Holdings, während ein junger Assistent die Szene fotografierte und das Bild in die sozialen Netzwerke stellte.

Um den Konferenztisch bildete sich eine Schlange, da alle den Unterzeichnenden gratulieren wollten.

Was dann geschah, verblüffte Jonatan, obwohl er wusste, dass er einen gewissen Anteil am Geschehen gehabt hatte. Die Konferenzteilnehmer wollten auch seine Hand schütteln und dankten ihm für seinen Einsatz. Sie lachten und warfen ihm Blicke zu, als hätte er persönlich ihre Jahresboni gerettet. Doch Jonatan wollte nur noch verschwinden.

Sogar Bo Kessler wurde zum Helden erklärt. Er hatte so kurz vor einem drohenden Crash noch einen politischen Sachverständigen auftreiben können, der den Deal tatsächlich gerettet hatte. Kessler Consulting war also eine Firma, mit der man rechnen musste. Lassard gratulierte Kessler als einer der Ersten, und genau diesen Moment nutzte Jonatan, um den Raum zu verlassen.

Draußen auf dem Korridor war es sehr ruhig, doch in seinem aufgewühlten Zustand war Stille nicht das, wonach er suchte.

Er ging hinunter an die Rezeption. Bis auf eine junge Dame, die hinter dem Tresen stand, war sie völlig verlassen.

«Ich bräuchte die Tasche und die Autoschlüssel von Bo Kessler, bitte», sagte Jonatan. «Es ist dringend.»

«Ja.»

«Wer übernimmt die Kosten für das Essen?»

«Kessler Consulting», antwortet Jonatan knapp, woraufhin die Dame, ohne zu zögern, kurz verschwand und mit der Tasche und den Autoschlüsseln zurückkehrte.

«Gibt es hier in der Nähe einen ruhigen Ort?», wollte Jonatan wissen.

Die Rezeptionistin händigte ihm Aktentasche und Schlüssel aus, ehe sie auf einen Gang um die Ecke deutete. «Vor der Garderobe gibt es einen …»

«Danke», sagte Jonatan und ging in die Richtung, die sie ihm gezeigt hatte. Vor einem Raum voller orangefarbener Jagdwesten gab es eine Nische mit einer kleinen Bank, die an eine alte Telefonzelle erinnerte.

Die Bank würde Jonatan als Arbeitsfläche dienen müssen. Jonatan stellte Kesslers Aktentasche, die ganz klassisch aus dunklem Reptilienleder gefertigt war, auf einer Zeitung ab, auf deren Titelseite das Flüchtlingsschiff Athena zu sehen war. In der Tasche befanden sich ein kleiner granitgrauer Laptop und eine Mappe, auf der das russische Staatswappen prangte. Jonatan öffnete sie und stieß auf einige Fotografien, die von einem Gummiband zusammengehalten wurden. Ein einzelnes Foto lag lose auf dem Stapel, es zeigte ein Schiff. Der Text in der Ecke lautete: Афина.

Als er das Gummiband lösen wollte, fiel ihm auf, dass es dasselbe Schiff war, das auch auf der Titelseite der Zeitung abgebildet war.

Auf den anderen Fotos war immer dieselbe Frau zu sehen, jedes Mal in einer anderen Situation. Auf einigen war sie komplett zu sehen, sodass Jonatan auffiel, wie groß und schlank sie

Nach einer Weile hörte er, wie einige Konferenzteilnehmer an die Rezeption kamen. Also legte er den Laptop und die Mappe sorgfältig zurück in die Aktentasche, bevor er sie wieder zurückgab. Manche Teilnehmer blieben anscheinend noch für einen kleinen Jagdausflug auf dem Gutshof, während andere direkt zurück nach Stockholm fuhren, um Pressemitteilungen zu verschicken und ihre Vorstände über den abgeschlossenen Deal zu informieren. Die Gesichter der meisten Männer strahlten. Ihre Blicke erinnerten Jonatan an Tiere, die plötzlich und unverhofft aus einer Falle befreit worden waren.

Unter einer immer dichter werdenden Wolkendecke, aus der es zu nieseln begonnen hatte, ging Jonatan zu Kesslers Auto. Er sah, dass Kessler mit Lars Lassard zusammenstand und sich mit ihm unterhielt. Die Männer verabschiedeten sich mit einer kameradschaftlichen Umarmung, ehe Kessler mit einem verträumten Lächeln im Gesicht auf Jonatan zuging.

«Sie haben Ihnen aus der Hand gefressen», stellte er zufrieden fest. «Sveakraft hat nur zwei Nanosekunden gebraucht, um ja zu fünfzehn Milliarden zu sagen, und weitere zwei Nanosekunden, um zu unterschreiben.»

«Dann können Sie jetzt den Mann anrufen, der mich vorhin kontaktiert hat.»

«Wollen wir uns nicht zuerst ins Auto setzen? Können wir

Zwei Autos fuhren an ihnen vorbei. Kessler winkte, doch Jonatan stand nur still da und ließ die Arme hängen.

«Nun ja», sagte Kessler. «Die Hauptsache ist, dass niemand einen Verdacht hegt.»

Ob Kessler diese Bemerkung bewusst fallengelassen oder ob er sich verplappert hatte, konnte Jonatan nicht sagen. Er gab Kessler die Autoschlüssel und sah ihm dabei in die Augen. Ein riesengroßes Lächeln teilte Kesslers Gesicht beinahe in zwei Hälften.

Mit einem Mal wusste Jonatan Bescheid. Die Wahrheit stand in Kesslers Gesicht.

«Der Bericht war ein Trick, er wurde Morén untergeschoben», sagte er.

«Das stimmt», gab Kessler nach einem Moment des Schweigens zu. «Die Max-Pendel-Story ist ziemlich bekannt. Ihre größte Leistung als Referent für Energiefragen.»

Jonatan erwiderte nichts.

«Morén ist kein Mann, der sich mit Details aufhält. Jemand wie er prüft einen Bericht nicht im letzten Augenblick, so etwas liegt ihm nicht.»

«Sie haben ihm den Bericht anonym zugeschickt.»

«Entscheidend war, wann er ihn bekommen würde», erklärte Kessler. «Nach den Ereignissen der letzten Wochen hatte er niemanden mehr, mit dem er den Inhalt des Berichts hätte diskutieren können. In seiner Situation denkt man nicht mehr klar – man glaubt so sehr an die Rettung, dass man die Risiken übersieht.»

«Wann haben Sie den Bericht abgeschickt?»

«Gestern.»

Mit einem müden Blick wandte sich Jonatan von Kessler ab und sah zu Boden. Er wollte etwas sagen, doch das erschien

«Aber ohne Sie hätte das alles nicht funktioniert, Jonatan.»

***

Sie verließen den Gutshof. Kessler fuhr aggressiv, sodass der Regen gegen die Windschutzscheibe prasselte, und vor Jonatans innerem Auge flackerte es, als stünde sein Gehirn in Flammen.

«Warum fahren wir einen anderen Weg als heute Morgen?»

«Dieser Weg ist schneller», antwortete Kessler.

«Warum haben wir ihn dann auf dem Hinweg nicht genommen?»

«Heute Morgen mussten wir uns erst einmal warmreden und uns richtig kennenlernen», sagte Kessler grinsend. «Jetzt sparen wir eine halbe Stunde.»

Vergnügt trommelte er mit den Fingern auf das Lenkrad, und Jonatan verspürte nichts als Abscheu vor diesem Mann.

«Sie sind jemand, der er es immer eilig hat», sagte er. «Und was geschieht, wenn Sie die Szene wieder verlassen haben, ist Ihnen vollkommen egal.»

«Wenn es schnell gehen kann, sollte es auch schnell gehen. In meinem Beruf bedeutet eine halbe Stunde viel Geld.»

«Und der Bericht?»

«Was ist damit?»

«Susjinskij muss zufrieden sein.»

Ohne eine Miene zu verziehen, hielt Kessler seinen Blick auf die kurvige Straße gerichtet. Er schien etwas sagen zu wollen, hielt sich jedoch zurück. Nach einer kurzen Bedenkzeit fand er die richtigen Worte. «Susjinskij kontrolliert uns alle, Jonatan. Auf diese Weise gewinnt er immer. Die Erklärung musste unterschrieben werden. Auf welche Weise dieses Ziel erreicht werden

«Indem Sie den Energieminister ausgetrickst haben?»

«Er hat sich selbst ausgetrickst. Falls es in der Regierungskanzlei je einen Rückzugsplan für ihn gegeben hat, bezweifle ich, dass jetzt noch etwas daraus wird. Das Gasnetz ist eine sensible Angelegenheit. Als Susjinskij das Netz damals über LSI Holdings gekauft hat, gingen die Karrieren von vielen Staatsbeamten den Bach herunter. Sie haben das selbst aus nächster Nähe miterlebt. Jetzt verkauft Susjinskij das Netz an den Staat zurück und macht einen Milliardengewinn dabei. Unser Job, Jonatan, kann sehr befriedigend sein, wenn alles gut läuft, und Susjinskij hat weitere Aufträge für Sie. Betrachten Sie es als einen Anfang. Außerdem wird das alles nicht gerade schlecht bezahlt.»

«Das kommt nicht in Frage.»

«Das mit Ihnen war seine Idee, und es war nur ein Test oder eine Art zweite Chance. Ich weiß nicht mehr genau, wie er es formuliert hat.»

«Wovon reden Sie?»

«Er hat Ihnen schon einmal einen Job angeboten, nicht wahr? Sie haben abgelehnt. Ziemlich mutig. Niemand sagt nein, wenn Susjinskij ruft, und kommt damit davon.»

«Wer ist die Frau?», fragte Jonatan plötzlich.

Kesslers unbewegliche kalte Augen starrten mit nahezu übertriebener Gleichgültigkeit nach vorne.

«Sie haben eine Mappe von der russischen Botschaft über sie», fuhr Jonatan fort.

Kessler sagte immer noch nichts.

«Wenn ich weitermachen soll», sagte Jonatan, «dann sagen Sie mir lieber gleich, wer sie ist und was der nächste Schritt sein wird.»

«Ja.»

«Und mitzuspielen?» Kesslers verstärkte seinen Griff um das Lenkrad. «Sie bewegen sich auf sehr dünnem Eis. Susjinskij hat mich davor gewarnt. Und ich kann nicht akzeptieren, dass Sie in meinen Sachen herumschnüffeln.»

«Beantworten Sie meine Frage.»

Kessler senkte seine Stimme, doch innerlich schäumte er vor Wut. «Die Mappe wurde von einer Fraktion innerhalb des Kremls verschickt. Vermutlich an alle russischen Botschaften in Europa. Sie suchen nach ihr und haben dafür eine riesige Maschinerie in Gang gesetzt.»

«Wer ist sie?»

«Susjinskij will sie haben. Er hat Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um als Erster an sie heranzukommen. Wenn Großes auf dem Spiel steht, muss man groß denken, und größer kann eine Sache kaum sein. Das werden auch Sie bald verstehen.»

Er machte eine Pause, drehte den Kopf zur Seite und betrachtete Jonatan eindringlich, um seine Reaktion zu sehen.

«Ein paar Minuten nachdem die Absichtserklärung unterschrieben war, wurde den Angestellten der Sicherheitsfirma Nordfall, die wiederum ein Tochterunternehmen von Hökbergs ist, mitgeteilt, dass sie ab sofort für einen neuen Mehrheitseigentümer arbeiten. Nordfall ist das Unternehmen, das für die Sicherheit im Värtahafen zuständig ist. Der Gasdeal ermöglicht Susjinskij den Zugriff auf große Fondsanteile, die er jetzt in Nordfall investiert.»

Jonatan bemerkte, dass Kessler mit einer Hand auf das Handy in seiner Brusttasche drückte, das anscheinend klingelte, er wollte nicht gestört werden. Entschlossen drückte Kessler aufs Gaspedal, dann sprach er weiter.

«Susjinskijs Leute sind wahrscheinlich schon vor Ort und

«Dabei mache ich nicht mit.»

«So kurz vor dem Ziel werden wir uns doch nicht lächerlich machen.»

«Dieses Ziel ist mir scheißegal.»

«Da haben wir sie wieder. Ihre Einstellung. Ich habe versucht, mich feinfühlig auszudrücken, doch offensichtlich sind Sie zu beschränkt, um es zu kapieren.»

«Am besten wäre es, Sie gingen an Ihr Handy.»

Kessler schenkte ihm ein eiskaltes, höhnisches Lächeln. «Susjinskij hat Sie völlig im Griff! Es wird so lange eine Waffe auf die Menschen gerichtet sein, die Ihnen lieb sind, wie Susjinskij das für angemessen hält. Sie können heute sterben, morgen, nächste Woche, und es gibt absolut nichts, das Sie dagegen tun könnten.»

Jonatan warf sich nach vorne, und danach ging alles blitzschnell. Es fühlte sich wie ein plötzliches Ziehen in der Magengrube an, eine Art Schwindelgefühl, ein elektrischer Impuls, der durch seine Muskeln strömte. Wie eine Rakete traf Jonatans Faustschlag Kesslers Niere. Der nächste Hieb ging gegen seinen Kopf, und als sich Jonatan nach dem Lenkrad streckte, war es bereits zu spät.

Er konnte nur noch versuchen, sich irgendwie zu ducken, als das Auto die Böschung hinabraste.