Kapitel
8

Vierundzwanzig Stunden später hatte ich noch immer keine Antwort auf diese Frage. Trotz nächtlicher Google-Eskalation, die ich irgendwann im Morgengrauen abgebrochen hatte, aus Angst, bald ein Swat-Team vor der Tür stehen zu haben. Falls meine Anfragen, die aus verschiedenen Variationen von Bombe, Explosion, Stromschläge und Zerstörung durch Gedankenkraft geflaggt wurden. Aber ich hatte ohnehin nichts gefunden! Denn Menschen konnten nicht allein mithilfe ihrer Gedanken und seltsam glühenden Augen Kameras kaputt machen.

Die Befürchtung, dass ich verrückt wurde, wuchs stetig. Aber es war egal. Zurzeit hatte ich größere Probleme.

»Oh Gott, Dad«, murmelte ich, legte eine Hand über meine Augen und sank tiefer in den Sitz. »Bitte, tu mir das nicht an. Nichts ist uncooler als mit einer neuen Freundin … und seinem Vater shoppen zu gehen!«

»Ach, stell dich nicht so an«, meinte er und schaltete den Motor aus. »Heute ist mein freier Tag und es ist einfach unsinnig, getrennt zu gehen, wenn ich auch Zeug brauche. Vorhänge zum Beispiel. Vielleicht einen Teppich. Und Kerzen. Kerzen sind gerade in, oder? Na ja, ihr werdet kaum merken, dass ich da bin. Ich bin ein fescher Dad. Kein peinlicher Dad!«

Kopfschüttelnd sah ich ihn an. »Du musst wirklich aufhören, das Wort fesch zu benutzen. Aber schön! Dann komm halt mit. Nur: Könntest du einfach … ein paar Meter hinter uns gehen? Ich mag Kala, sie könnte eine gute Freundin werden, wenn du sie nicht verscheuchst.«

»Krümel: Wenn sie etwas verscheucht, dann dein ständiges Gejammer über deinen Vater.«

»Dad! Nenn mich nicht ›Krümel‹!«

Er lächelte breit. »Und da wirfst du mir vor, ich würde zu viele Regeln aufstellen. Aber na gut. Ich halte mich zurück. Du hast nichts zu befürchten.« Er zwinkerte mir zu und stieg aus. Ich folgte ihm. Genauso wie es das unheilvolle Gefühl tat, das in mir aufgestiegen war.

Ich liebte meinen Dad, aber gerade am Anfang nach einem Umzug, hatte er immer das Bedürfnis, sich in mein Leben einzumischen. Sicherzugehen, dass ich mich mit den richtigen Leuten anfreundete und gut akklimatisierte. Ich vermutete, weil es ein paar Male gegeben hatte, an denen mir in den ersten Schulwochen üble Streiche gespielt worden waren und er es erst nach einem Monat mitbekommen hatte. Aber das war Jahre her. Damals war ich noch nicht so tough und außerdem Besitzerin einer unglücklich blauen Zahnspange sowie einer Zwei Kaugummis mussten aus meinen Haaren herausgeschnitten werden -Frisur gewesen. Das rechtfertigte definitiv nicht, dass mich meine Mitschüler mit Essen beworfen und Bratzen-Billie genannt hatten, aber heute hätte mich das nicht mehr so mitgenommen. Ich war … stärker. Mir war nicht mehr so wichtig, was andere von mir dachten. Klar, ich wollte gemocht werden, aber ich würde nicht mehr alles dafür tun. Denn manche Menschen waren einfach kacke und verdienten meine Aufmerksamkeit nicht.

Trotzdem: Seitdem war Dad immer extra-vorsichtig und bestand darauf, meine neuen Freunde möglichst schnell kennenzulernen, um sich ein besseres Bild von ihnen zu machen. Weil ich ihm seiner Meinung nach nicht genug aus meinem Leben erzählte. Obwohl ich wirklich viel mehr mit ihm redete, als es jeder andere Teenager tat. Da war ich mir fast sicher. Und ja, eigentlich war es sehr einfühlsam und süß von ihm, sich um mich kümmern zu wollen – aber manchmal wäre es mir lieber, wenn er die ersten Wochen einfach Abstand nähme und mich machen ließ.

Doch jetzt waren wir schon hier und Kala – und zu meiner Überraschung auch Max – standen vor dem Laden, vor dem wir uns verabredet hatten … da konnte ich ihm die beiden ebenso gut vorstellen. Solange er im Laden wie versprochen Abstand hielt und nicht Helikopter spielte!

Kala winkte und lächelte breit. Ihre riesigen goldenen Ohrringe klirrten dabei im Wind. Max hob nur freundlich die Hand und nickte mir zu.

»Hey!«, sagte sie atemlos, sobald wir sie erreichten. »Ich hoffe, es ist okay, dass ich Max mitgebracht habe. Er hat mich den ganzen Morgen damit genervt, dass ihm langweilig ist, die Zwillinge keine Zeit haben und Ash keine Lust zum Spielen.«

Hitze kroch meinen Hals hoch, sobald ich Ashs Namen hörte … und ich zeigte meinem Körper innerlich den Mittelfinger. Er sollte sich verdammt noch mal zusammenreißen!

Max verdrehte nur die Augen. »Ash und ich treffen uns nicht auf ein Playdate, Kala. Wir sind keine Kinder mehr.«

»Ach ja? Sag das unserem Chatverlauf, in dem: Meh, nimm mich einfach mit, jammer, jammer! drinsteht.«

»Siehst du, Billie? Es war okay, jemanden mitzubringen«, schaltete sich mein Vater zufrieden ein.

Ich warf ihm einen angesäuerten Blick über die Schulter zu. »Ja, Dad. Das ist exakt dasselbe«, murmelte ich, bevor ich lauter hinzufügte: »Klar ist es okay, dass Max dabei ist. Freut mich. Und Leute, das hier ist mein Dad! Er muss auch ein paar Sachen kaufen, aber hat versprochen uns nicht zu belästigen.«

»Ach, meine charmante Tochter«, sagte er seufzend und drückte meine Schulter, bevor er Kala und Max anlächelte. »Hallo. Ich bin Calvin Knox, Billies Vater. Freut mich sehr.«

»Ebenfalls, Mr Knox«, erwiderte Max sofort höflich und reichte ihm die Hand.

»Ja, ich freu mich auch«, stimmte Kala fröhlich zu. »Es kann nicht schaden, Eltern dabeizuhaben, wenn man viel Geld ausgeben will, Billie.«

Ich musste lachen. »Das ist ein guter Gedanke. Ich schätze, es ist also okay, dass du hier bist.« Ich grinste meinem Vater zu.

»Na, da bin ich aber froh«, meinte er. »Sollen wir uns einfach in einer Stunde wieder hier treffen? Ich kann euch mit zurücknehmen.«

»Max ist mit dem Auto hier, er kann uns fahren«, winkte Kala ab.

»Ach ja … und wie fährt Max so?«, wollte mein Vater kühl wissen.

»Mit einer Menge PS«, meinte der grinsend, fügte jedoch, als er den Blick meines Dads bemerkte, hastig hinzu: »Aber langsam. Und mit sehr viel Verantwortungsbewusstsein.«

Ich musste ebenfalls grinsen.

»Machen Sie sich keine Sorgen, Mr Knox«, versicherte ihm Kala. »Er ist der Sohn der Bürgermeisterin. Er ist ein richtig nerviger Musterknabe. Seine Weste ist so weiß, dass sie Meister Proper blendet.«

»Du bist der Sohn der Bürgermeisterin?«, fragte ich neugierig.

Max winkte ab, wollte den Mund öffnen … doch jemand kam ihm zuvor.

»Und Schulsprecher«, fügte eine weiche, weibliche Stimme hinzu. »Wenn man also einem Jugendlichen vertrauen kann, dann wohl Max Roys.«

Ich blickte auf und sah überraschenderweise in das Gesicht unserer Rektorin, die auf dem Bürgersteig stand und freundlich lächelte.

Sie hatte dunkle, lange Haare und ebenso dunkle Augen, die sie wohl ihrer südamerikanischen Abstammung verdankte. Meiner Meinung nach war sie viel zu hübsch, modisch und jung, um eine Schule zu leiten … und wenn ich meinen stark blinzelnden Vater richtig las, dann war ihm das auch aufgefallen.

»Hallo, ich bin Ms Varquez, die Schulleiterin der Amber Lake High. Wir hatten telefoniert, als es um Billies Wechsel ging.«

»Oh, ja«, fing sich mein Dad und ergriff nun ihre ausgestreckte Hand, bevor er mit leicht geröteten Wangen lächelte. »Natürlich. Schön, Sie persönlich kennenzulernen.«

Oh, Mann. Das war nicht sein Ernst.

»Ebenfalls.« Sie lächelte warm, bevor sie sich zu uns umwandte. »Und freut mich, Kala, dass ihr Billie die erste Woche so geholfen habt.«

»Jup«, meinte meine neue Freundin nur. »Kein Ding. Der Einzige, der sich beschwert hat, war Ash. Aber der stellt sich einfach gerne an.«

Ich presste die Lippen zusammen. Soso. Ash hatte sich beschwert. Das fiel mir überhaupt nicht schwer zu glauben.

»Und Ash ist …?«, wollte mein Vater wissen.

»… überhaupt nicht wichtig«, ergänzte ich schnell. »Wir gehen jetzt rein, Dad, okay? Du kannst uns dann ja in gesittetem Abstand folgen.« Ich klopfte ihm gegen den Arm, bevor ich Kala und Max eine Grimasse zog und ihnen voran in den Dekoladen lief.

Denn meinen Vater und unsere Schuldirektorin dabeizuhaben, wenn ich mein Zimmer neu einrichtete, war doch etwas zu viel des Guten. So zumindest hatte ich mir den Nachmittag nicht vorgestellt. Dabei hatte ich mich wirklich gefreut. Meine Laune war seit dem gestrigen Vorfall nämlich rapide gesunken und nach der unruhigen, schlaflosen Nacht konnte ich etwas Ablenkung gebrauchen.

Denn was zur Hölle fiel Ash ein, so mit mir zu reden? So grundlos wütend auf mich zu sein? Abgesehen davon war ich mir fast sicher, dass er mir gedroht hatte. Und das … das machte man einfach nicht! Zumindest nicht, wenn man normal war. Obwohl das Wort nicht im Geringsten passte, wenn es um Ash ging. Denn er war nicht normal! Ich wusste nicht, was los war. Wie er gegen mein Auto gerannt sein konnte, ohne sich zu verletzen. Wie er meine Kamera unbrauchbar hatte machen können, ohne sie auch nur zu berühren. Wieso Lichter über den See getanzt waren, an dem er lebte. Normalerweise glaubte ich an absurde Zufälle – aber in diesem Fall waren es einfach ein paar zu viele gewesen. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm. Und mir war erst gestern klar geworden, was Kala an meinem ersten Tag damit gemeint hatte, dass er geheimnisvoll sei. Denn scheiße noch mal, er war geheimnisvoll! Nicht auf eine: Ich werfe dir verträumte mysteriöse Blicke zu und niemand kann meine Lieblingsfarbe erraten -Art und Weise. Sondern auf eine What the fuck!? -Art und Weise. Mir war es bis jetzt nicht bewusst gewesen … aber diese Art und Weise mochte ich nicht!

Die Klimaanlage des Deco House blies mir unsanft ins Gesicht, als sich die Schiebetüren zum Laden öffneten, und ich schüttelte mir die Gedanken aus dem Kopf. Zeit, es zu vergessen und mich in einen Haufen Glitter und Farbmuster zu werfen. Denn davon gab es hier mehr als genug. Und Fragen über Ash stellte ich ohnehin am besten äußerst beiläufig. Sonst dachte Kala nur wieder, ich hätte Interesse an ihm. Also, mehr als mein rein wissenschaftliches jetzt.

»Meine Fresse, ich dachte immer, ich hätte Ausdauer, aber gegen Kalas Shopping-Enthusiasmus kommt niemand an«, meinte Max eine Dreiviertelstunde später, als wir noch nicht mal die Hälfte des Ladens gesehen, aber schon Hunderte Vielleicht -Produkte entdeckt hatten.

»Ich habe nie behauptet, ich hätte Ausdauer«, sagte ich seufzend. »Aber es ist schon deprimierend, es so ins Gesicht gedrückt zu bekommen.«

»Ihr seid beide schwach«, meinte Kala pikiert und zog eine Grimasse, als sie mit dem Ellbogen beinahe eine Lampe umstieß, die Max gerade noch mit der rechten Hand vorm tiefen Fall bewahren konnte. »Es ist dein Zimmer, Billie! Deine leere Leinwand. Du meintest, du willst eine Wand streichen, also such dir eine Farbe aus.«

»Ich hab gesagt, ich hätte es gern , dass eine Wand gestrichen ist – nicht, dass ich sie streichen will. Das ist ein Unterschied«, stellte ich klar.

Max grinste und Kala sah mich missbilligend an. »Du bist eine faule Socke.«

»Schuldig«, meinte ich kleinlaut. »Aber die Bilderrahmen, die wir ausgesucht haben, sind wirklich toll! Ich wedelte zu den Rahmen, die Max für mich schleppte. Wie sich herausgestellt hatte, war er nämlich lächerlich höflich und freundlich. Das komplette Gegenteil von Ash. An den ich überhaupt nicht dachte. Natürlich.

Mr Schulsprecher hatte innerhalb der letzten zehn Minuten zwei älteren Damen die Einkäufe zum Auto getragen, mir alles aus den Armen genommen, was zu schwer für einen Schmetterling war, und einem jungen Kerl gezeigt, wo er die Duftkerzen finden konnte. Ms Varquez hatte recht: Wenn es einen vertrauensvollen Jugendlichen gab, dann ihn. Und er kannte Ash gut, oder? Wenn ich jetzt also ein paar unverbindliche, völlig unauffällige Fragen stellte, wäre er wahrscheinlich höflich genug, sie zu beantworten.

Was zur Hölle ist Ashs Problem? , war aber vermutlich nicht subtil genug, also wollte ich stattdessen wissen: »Sagt mal, wusstet ihr, dass es am See eine Ruine gibt?«

Kala hob die Augenbrauen, während sie verschiedene Farbmuster durchging, und Max sank auf eines der Sofas im Ausstellungsraum und zog sein Handy hervor. »Eine was?«, fragte er abwesend.

»Eine Ruine. Ein kleines Haus aus Stein, das … vollkommen zerstört ist. Es sieht ein wenig so aus, als hätte ein Blitz eingeschlagen und seine Grundfesten …« Ich zögerte einige Sekunden lang, bevor ich hinzusetzte: »Nun, geschmolzen.«

Kala blickte sofort auf, Max ließ abrupt das Handy sinken. Jap, sie wussten, wovon ich sprach.

»Ach, die Ruine«, meinte Max langsam.

»Ja. Die kennen wir«, setzte nun auch Kala hinzu und rieb die Lippen übereinander. »Alle kennen sie. Aber … ähm … ich würde sie mir nicht allzu genau ansehen. Sie steht auf dem Grundstück von Ash und seiner Mutter und sie sehen es nicht gern, wenn sich Leute dahin verirren.«

Was sie nicht sagte. »Ja, das Gefühl habe ich auch bekommen«, erwiderte ich trocken.

Kala bekam große Augen. »Sag nicht, du warst da!«

»Natürlich war ich da«, erwiderte ich angespannt. »Ich wollte den See erkunden und das Haus ist schwer zu übersehen. Ich wusste nicht, dass es zu ihrem Grundstück gehört. Aber Mann, Ash war wütend , als er mich gefunden hat.«

Kala biss sich auf die Unterlippe und nickte. »Das kann ich mir vorstellen. Hat er … geschrien?«

»Ja. Laut!«

»Ja, sein Stimmvolumen ist beeindruckend«, gab sie zu und betrachtete mit hochgezogenen Schultern ihre Fingerspitzen, mit denen sie immer noch an den Farbmustern herumnestelte.

»Ich habe ihm ehrlich gesagt gar nicht zugetraut, dass er so zornig werden kann«, meinte ich. »Er nimmt doch sonst gefühlt nichts ernst.«

»Das stimmt nicht«, murmelte Max, der wieder auf sein Display sah. »Er nimmt eine Menge ernst.«

Ach ja? Was denn noch außer der Ruine?

»Mach dir nichts draus. Er wird sich schon wieder beruhigen«, sprang Kala ein und lächelte breit. »Er ist etwas … empfindlich, wenn es um die Ruine geht.«

Das war eine glatte Untertreibung.

»Warum?«, wollte ich wissen.

»Na ja, weil …«

»Kala!«, sagte Max scharf.

Sie seufzte und sah gequält zu ihrem Freund. »Jaja, ich weiß. Es ist seine Sache. Du musst ihn fragen, wenn du es wissen willst, Billie.«

Ja, das würde nicht passieren. Abgesehen davon gab Ash die schlechtesten Antworten der Weltgeschichte. Immer, wenn man ihm eine direkte Frage stellte, erzählte er einem in aller Länge irgendetwas, das absolut nichts mit ihr zu tun hatte! Es war entnervend.

»Er hat nicht gewirkt, als wäre er offen für eine Fragestunde«, bemerkte ich trocken. »Wirklich, ihr hättet ihn sehen sollen. Er hat vollkommen seine Beherrschung verloren!«

Aus irgendeinem erzürnenden Grund brachte Max das zum Lächeln. »Nein, glaub mir. Er hat nicht die Beherrschung verloren.«

»Woher willst du das wissen?«, fragte ich scharf.

»Weil … ich es eben wüsste«, sagte Max vage.

»Die ganze verdammte Stadt wüsste es«, murmelte Kala.

Mit dem Kopf fuhr ich zu ihr herum. »Was?«

»Ach, nichts.« Sie winkte ab. »Aber Ash ist sehr gut darin, seine Beherrschung zu bewahren, also … ich bin mir sicher, es war halb so wild.«

Ich öffnete den Mund, um ihr zu widersprechen. Denn ich verstand überhaupt nichts und es regte mich auf, doch Max sprang in diesem Moment auf und kam mir zuvor.

»Pass auf, Billie«, meinte er mit gesenkter Stimme und sah sich rasch im Verkaufsraum um. »Ash ist mein bester Freund … doch manchmal eben ein Arsch. Die letzten Jahre waren hart für ihn, seitdem hat er nicht immer die Kontrolle über seine Emotionen. Nimm es nicht persönlich. Er kann manchmal etwas aufbrausend sein, aber er kriegt sich schon wieder ein.«

Alles in mir schrie danach zu fragen, was so hart an den letzten Jahren gewesen war, doch ich kannte die Antwort darauf bereits: Frag Ash selbst.

Ich fand es ja toll, dass sie alle ihre Freundschaft so ernst nahmen, aber verdammt noch mal, könnten sie bitte aufhören, so geheimnisvoll zu sein? Langsam fühlte ich mich wie in einer Teenie-Mysteryserie. Wieso nur bekam ich das Gefühl, die gesamte Stadt hätte ein Geheimnis – und hatte nicht vor mich einzuweihen?

»Lass uns über etwas anderes reden«, schlug Kala vor. »Hier, Billie: Was hältst du von Himmelblau? Oder Moosgrün? Du meintest, Grün ist deine Lieblingsfarbe?«

Das war ein sehr uneleganter Themenwechsel, aber offenbar redeten die Leute hier genauso ungern über Ash, wie auch Ash über Ash redete, also …

»Ja, das Grün gefällt mir«, meinte ich. »Meinst du, ich kann ein paar Farbsamples mitnehmen und sie bei mir an die Wand hängen, um zu gucken, was mir am besten gefällt? Und dann kann ich nächstes Wochenende oder so streichen?«

»Wir können streichen. Aber nicht nächstes Wochenende«, meinte Kala. »Da feiert Max seinen Geburtstag. Am Samstag. Du feierst übrigens mit uns, richtig Max?«

Wir. Uns .

Aus irgendeinem Grund trieben mir diese Worte die Röte in die Wangen. Wieso hatte es nicht an jedem Ort, an den ich gezogen war, eine Kala gegeben? Jemanden, der sich Mühe gab, mich kennenzulernen und zu integrieren?

»Klar feiert sie mit uns. Die gesamte Stufe ist eingeladen«, bemerkte er und hob einen Mundwinkel.

»Oh, danke. Ja. Samstag …«

»Billie hat am Samstag auch Geburtstag!«, drang eine Stimme hinter ein paar Vorhängen hervor.

»Dad!«, beschwerte ich mich sofort.

Er schob den Vorhang zurück und lächelte unschuldig. »Entschuldige. Ich bin still. Aber du hättest es ihnen nicht erzählt und ich meine ja nur: Ihr könntet zusammen feiern. Von mir aus auch bei uns im Haus. Wäre in Ordnung für mich.«

»Hey, wir haben am selben Tag Geburtstag«, meinte Max und grinste. »Der zweiundzwanzigste September ist nun einmal das beste Datum. Nice.«

Die Röte in meinen Wangen intensivierte sich.

»Weißt du, dein Dad ist ganz cool, Billie«, murmelte Kala. »Meiner würde mir nie erlauben, in unserem Haus eine Party zu feiern! Und er sieht auch echt noch gut aus. Dafür, dass er superalt ist.«

»Oh Gott, lass ihn das bitte nicht hören!«, erwiderte ich sofort. »Sonst kommt er ab jetzt immer mit, wenn wir uns treffen. Und uäh, Kala: Das ist mein Vater, von dem du da sprichst!«

»Es gibt Schlimmeres, als einen Vater zu haben, der sich für dich interessiert, Billie«, sagte Max und lächelte knapp. Bevor er rief: »Wir feiern bei mir, aber danke, Mr Knox.«

»Ja, Max’ Haus ist riesig«, fügte Kala hinzu. »Perfekt für eine Party, denn seine Eltern sind reich und er hat sogar einen Pool!«

Max zog beschämt die Schultern hoch. »Kala …«

»Na, ist doch wahr! Keine falsche Bescheidenheit.« Sie drückte seinen Arm. »Euer Haus ist krass.«

Max seufzte und wandte sich mir zu. »Was meinst du, Billie?« Er wackelte mit den Augenbrauen. »Möchtest du einfach bei mir mitfeiern? Aber dein Dad müsste zu Hause bleiben.«

Ich lachte. »Er wird enttäuscht sein, aber … gern.«

Ich hatte meinen Geburtstag ewig nicht mehr gefeiert. Er war nun einmal im September, dem Monat, in dem ich meistens gerade frisch auf einer Schule anfing und noch keine Freunde hatte. Deswegen erzählte ich es fast nie jemandem. Weil die Mitschüler sich nur unwohl dabei fühlten, einer Fremden zu gratulieren oder, Gott bewahre, etwas schenken zu müssen. Mein Vater kaufte immer eine Torte (weil er mir keine abgefackelte Küche zum Geburtstag schenken wollte), machte zu viele Witze darüber, dass ich eine alte, runzelige Frau war, und gab sich Mühe dabei, den Tag für mich besonders zu gestalten. Aber es war nicht dasselbe, wie eine Party mit … Freunden.

Meine Brust zog sich vor Freude zusammen und ich nickte erneut hastig. »Doch, ja, das wäre toll. Nur, wenn es dir nichts ausmacht, deinen Geburtstag zu teilen, natürlich …«

»Ach, was«, meinte Max und schob sein Handy weg. »Ich freu mich darüber, dass du dich freust.« Er lächelte … und ich glaubte ihm.

Denn Amber Lake war irgendwie merkwürdig – doch vielleicht war das überhaupt nichts Schlechtes.