Farbenprächtig, aber lebensfeindlich: Die Danakil-Senke in Äthiopien. Für die bunten Krusten sind Mineralien aus den heißen Quellen verantwortlich.
Benjamin von Brackel
Die Danakil-Senke in Äthiopien ist einer der unwirtlichsten Orte der Welt. Forscher suchen dort nach Mikroorganismen, die im extrem heißen, salzigen Säurebad überleben können, um die Grenzen des Lebens abzustecken.
Manchmal vergisst Barbara Cavalazzi, auf welchem Planeten sie sich gerade befindet. Ende Januar 2017 stiefelt die Astrobiologin und Geologin von der Universität Bologna durch eine Vulkanlandschaft. Schwefel und Chlor dampfen aus dem Boden und verhüllen die Luft. Cavalazzi blickt immer wieder auf ein kleines Gerät, das ihr anzeigt, wann sie ihre Gasmaske aufziehen muss, um nicht zu viele Gifte einzuatmen. An manchen Tagen klettert hier das Thermometer auf über 50 Grad Celsius. In den heißen Quellen, die blubbern und spritzen, haben Cavalazzi und ihre Kollegen sogar bis zu 115 Grad gemessen. Normalerweise kocht Wasser schon bei 100 Grad – an diesem Ort. aber herrschen andere physikalische Bedingungen.
Die Danakil-Senke im Norden Äthiopiens ist einer der lebensfeindlichsten Orte der Welt. Sie liegt 124 Meter unterhalb des Meeresspiegels. Bizarre gelbe oder neongrüne Mineralienschichten überziehen Lavagestein und Salzkrusten. Verantwortlich dafür ist die Geologie des Ortes: Magma erhitzt Grundwasser, das durch die Sedimente emporsteigt und an der Oberfläche Schwefeldämpfe freisetzt. In nur wenigen Stunden kann die Farbe von Gelb in Rot umschlagen – wie bei einem Chamäleon. Dann, wenn eisenhaltiges Wasser an die Oberfläche gelangt, an der Luft oxidiert und sich eine rote Kruste über den Boden zieht.
Salzkrusten zeugen davon, dass einst das Rote Meer die Gegend bedeckte, die etwa halb so groß ist wie Deutschland. Erst das Auftürmen des Danakil-Hochlands im Osten schirmte das Meer ab, und die Sonne ließ das eingesperrte Meerwasser wieder verdunsten. Übrig blieben Salzkristalle, die das Nomadenvolk der Afar heute in Blöcken herausschneidet und mit Hunderten Kamelen in die Provinzhauptstadt Mekele transportiert.
Ausgerechnet hier suchen Cavalazzi und ihr Kollege Felipe Gómez vom Zentrum für Astrobiologie in Madrid nach Leben. Und zwar nach Extremophilen – Kleinstlebewesen, die selbst im heißen, salzigen Säurebad überleben. „Diese Kombination ist einzigartig“, sagt Cavalazzi. Sollten sie in dieser Umgebung Organismen finden, könnte das die bekannten Grenzen des Lebens verschieben. Aber selbst wenn sie nicht fündig werden, würde das wichtige Hinweise darauf geben, ab wann Leben möglich ist und wo es sich auf anderen Planeten lohnen könnte, nach Leben zu suchen.
Im Oktober 2015 begann Cavalazzi, die Hydrothermalquellen rund um den Dallol-Krater im Norden der Senke zu kartieren – einen implodierten Vulkan, den die Afar „Eingang zur Hölle“ nennen. Über Jahre sammelten sie und ihr Kollege Gómez mit sterilen Spateln Mineralien und Wasser, in denen Mikroben leben könnten und schlossen sie in Glasflakons ein. Um zu vermeiden, dass die Proben in der Hitze ohne adäquate Kühlung gleich wieder zerfielen, mussten sie jedes Mal so schnell wie möglich zurück nach Europa fliegen. In den Laboren in Madrid und Bologna untersuchten sie dann die Proben – und zwar mithilfe von Elektronenmikroskopen, chemischer Analyse und DNA-Sequenzierung.
Dass sie tatsächlich auf Leben stoßen würden, hätten sie anfangs gar nicht erwartet. Der Ort war einfach zu extrem. Extremer als jeder Ort, den Felipe Gómez je zuvor besucht hatte. Und der war schon am Nordpol gewesen, am Südpol, in der Atacama-Wüste in Chile und am Salzsee Chott el Djerid in Tunesien – ein wahrer Spezialist für extreme Orte. Umso überraschter war der 52-Jährige, als er in den Proben DNA fand, also organisches, stark kohlenstoffhaltiges Material. „Das bedeutete, dass es zumindest in der Vergangenheit Leben dort gegeben haben muss. Oder es war eine Kontamination.“ Etwa durch Haare oder Hautschuppen von Touristen oder den Forschern selbst, die auf die Geräte gelangt waren.
Nachdem Gómez das aber ausschließen konnte, sah er sich die Proben genauer an. Und bekam die ersten Bilder der Extremophilen unterm Transmissions-Elektronenmikroskop zu Gesicht: kugelförmige Gebilde, die je nach Auflösung wie Seifenblasen, Wolken oder Sternenkonstellationen aussahen. Gerade einmal 50 bis 500 Nanometer im Durchmesser, also über 6000-mal kleiner als der Punkt am Ende dieses Satzes. Ein sehr facettenreiches Spektrum an Bakterien und Archaeen. „Dieses Leben war aktiv“, sagt Gómez. „Es gab viel Bewegung.“
Die Nomaden vom Volk der Afar bauen in der Senke Salz ab, transportieren es in die Städte und verkaufen es dort.
Barbara Cavalazzi bei der Probenentnahme in der Danakil-Senke. Die Astrobiologin sucht nach Mikroorganismen, die in den heißen, salzigen Quellen überleben.
Die Pools im Geothermalgebiet Dallol sind derart hoch mit Salzlauge gesättigt, das sich pilzförmige Salzstrukturen bilden, die aus dem Wasser ragen.
Die Arten, die der Astrobiologe in der Probe fand, waren an sich nichts Besonderes. Darunter zum Beispiel kleine halophile Mikroben, wie sie erstmals in Salzseen bei Alicante an der Costa Blanca in Spanien entdeckt worden waren. Diese können nur deshalb in der extrem salzhaltigen Umgebung überleben, weil sie Anpassungsmechanismen entwickelt haben, um den Unterschied zwischen ihrem eigenen und dem äußeren Milieu zu regulieren. Zum Beispiel indem sie den Salzgehalt in ihrer eigenen Körperflüssigkeit erhöhen, damit diese nicht in die salzhaltige Umgebung abwandert und sie austrocknen.
Im Dallol-Krater aber herrschen noch weitere Extrembedingungen: Säurebäder ohne Sauerstoff, in extremer Hitze. Und dennoch – oder vielmehr gerade deswegen – schienen sich die Mikroben wohl zu fühlen. „Die Überraschung war, dass das die optimale Umgebung dieser Art von Mikroorganismen in Dallol war“, sagt Gómez.
Vor allem der hohe Säuregehalt der heißen Quellen war außergewöhnlich. An einem kleinen gelb-orange gefärbten Salzkrustenschlot hatte Gómez einen pH-Wert von annähernd null gemessen. Je niedriger dieser Wert, desto leichter zerfällt organisches Material. Und in dem Fall war die absolute Untergrenze beinahe erreicht. „Es war schwer vorstellbar, dass diese Umgebung Leben unterstützen kann“, so Gómez.
Manche Wissenschaftler bezweifeln das bis heute. Eine Forschergruppe um die Evolutionsbiologin Jodie Belilla von der Universität Paris-Saclay machte sich ebenfalls im Januar 2017 in die Dallol-Gegend in Ostafrika auf, um dort Proben aus dem Höllenpfuhl zu entnehmen – mit einem pH-Wert von null und einer Salzsättigung von über 35 Prozent. Das Ergebnis: eine sterile Umgebung. „Das legt nahe, dass molekulare Anpassungen an zugleich sehr niedrige pH-Werte und einen extrem hohen Salzgehalt über diese Grenzen hinaus nicht kompatibel sind“, schreiben die Wissenschaftler 2019 im Fachblatt Nature Ecology & Evolution. Eine praktische Konsequenz hätte das für die Suche nach Exoplaneten: Zwar gilt Wasser als die Grundlage für alles Leben – aber nicht überall, wo es Wasser gibt, muss demnach auch Leben existieren.
Für Gómez ist das noch kein Beweis. Er verweist darauf, dass seine Konkurrenten an ganz anderen Stellen Proben entnommen haben und er nicht beurteilen kann, wie akkurat jene vorgegangen seien. Er könne nur für seine Proben sprechen. In manchen habe auch er sterile Bedingungen vorgefunden. In anderen aber Leben. Eine davon, als „Dallol 9“ gekennzeichnet, kratzte er von einem kleinen Salzschlot ab – und fand darauf Mikroorganismen der Ordnung Nanohaloarchaea. Von diesen Wesen weiß man, dass sie mit salzhaltigen Lebensräumen klarkommen. „Aber wie diese Jungs in solch einem extremen pH-Milieu überleben können, müssen wir erst noch verstehen“, sagt Gómez.
Eine Zusammenstellung ultrakleiner Mikroorganismen (D–L), die Gómez, Cavalazzi und ihr Team in der extremen Umgebung des Dallol-Kraters (A) nachweisen konnten
Der Marsrover Curiosity sammelt seit 2012 Messdaten und sucht auch nach Spuren von Leben auf dem roten Planeten. Die Ergebnisse aus der Danakil-Senke sollen seine Suche verfeinern.
Dazu kommen die extrem hohen Temperaturen: Die Probe „Dallol 9“ etwa musste bei 86 Grad Celsius bestehen. Um die Abtrennung ihrer beiden DNA-Stränge durch solch eine Hitze zu verhindern, haben thermophile Organismen besondere Reparaturmechanismen und hitzeresistente Proteine entwickelt.
Für viele Orte der Erde gilt: Was vor einigen Jahrzehnten noch als unbewohnbar galt, offenbart sich heute als Lebensraum einer Vielzahl unterschiedlichster Kleinstlebewesen. Egal ob unterm Eis der Antarktis, in den heißesten Wüsten oder am Grund des Marianengrabens – überall existiert Leben. So auch am wohl extremsten Ort der Welt – dem Dallol-Krater. „Die Extremophilen versetzen die Grenzen dessen, was wir für bewohnbar halten“, sagt William Martin von der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität.
Auch Evolutionsbiologen wie Martin sind an den Extremophilen interessiert, erhoffen sie sich von den kleinen Grenzgängern doch Antworten über den Ursprung des Lebens. Schließlich war schon unser Urvorfahr LUCA (last universal common ancestor) extremophil. Vor etwa vier Milliarden Jahren kühlte sich die Erde soweit ab, dass sich eine Kruste auf ihr bildete und darauf Ozeane entstehen konnten. Allerdings war es eine sterile Ursuppe ohne Zucker oder Fette. „Es gab nichts zu essen“, sagt Martin. Die ersten Organismen auf der Erde mussten alles selbst synthetisieren, was sie fürs Leben benötigten. „Am Anfang gab es nur Kohlendioxid und Wasserstoff, daraus musste sich das Leben aufbauen.“
Das erste Leben musste also ohne Sonnenlicht auskommen und die Energie allein aus nichtorganischen Quellen wie Mineralien ziehen. So wie die Mikroben von Gómez. Diese ernähren sich von Schwefel, den sie oxidieren. Das kannte der Astrobiologe schon vom Rio Tinto im Südwesten Spaniens, dem „roten Fluss“, der seine Farbe erst durch Mikroorganismen erhält. Oder von heißen Quellen am Meeresgrund. „Hydrothermalquellen eignen sich am besten, um zu untersuchen, wie Leben auf der Erde entstanden ist“, sagt Barbara Cavalazzi. „Und vielleicht auch auf dem Mars.“
Denn Hydrothermalquellen blubberten und dampften einst auch auf dem Roten Planeten. 2011 gehörte Gómez zur Curiosity-Mission. Er hatte den Einsatzort auf dem Mars mit ausgewählt, an dem der Rover von der Größe eines Kleinwagens abgesetzt wurde, um Messdaten einzusammeln. Wenn die Astrobiologen im nächsten Schritt auf dem Mars nach ähnlichen Bedingungen suchen, werden sie jedoch kaum auf Leben stoßen: Die Strahlung an der Oberfläche ist zu stark und es fehlt dort heute an einer Grundvoraussetzung für Leben: flüssiges Wasser.
Aber das war nicht immer so. Einst gab es auch auf dem Mars flüssiges Wasser. Und so werden Cavalazzi und Gómez zumindest nach Spuren von früherem Leben suchen, etwa Hinweise auf Fett- oder Protein-Ablagerungen. Die Danakil-Senke ist dafür sozusagen ihr Übungslager. „Wir untersuchen die potenzielle Bewohnbarkeit von extremen Orten auf der Erde, um uns zu trainieren, Biomarker im Körper von anderen Planeten finden zu können“, erklärt Gómez.
Bis heute wertet er die Daten aus einer kleinen Wetterstation auf dem Nachbarplaneten aus, die etwa Temperatur, Luftfeuchte und Windgeschwindigkeit misst. Und damit genau das Gleiche erledigt wie die Wetterstation in der Danakil-Senke. Je mehr die Bedingungen übereinstimmen, desto näher kommt er seinem Ziel, Lebensspuren auf fremden Planeten zu finden und Antworten auf die Frage zu erhalten: Was ist Leben? „Darüber sind sich die Wissenschaftler nämlich keineswegs einig“, sagt Gómez.
1) Die Methanogenen leben vor allem in Sümpfen oder in stehenden Gewässern, in denen aller Sauerstoff aufgebraucht ist. Mithilfe von Wasserstoff wandeln sie Kohlendioxid in Methan um, das in Sümpfen als Sumpfgas aufsteigt. In Biogasanlagen zersetzen sie ebenfalls unter anaeroben Bedingungen die organischen Abfälle. Aber auch im Darm von Rindern kommen sie vor und helfen bei der Verdauung von Pflanzenmaterial – das Methan, das Rinder dann vor allem in Form von Rülpsen ausstoßen, trägt allerdings zum Treibhausgaseffekt bei.
2) Die extrem Halophilen findet man bevorzugt in Salzseen wie dem Toten Meer, wie es ihr Name schon andeutet (griechisch: „Salzfreund“). Manche können diese Bedingungen tolerieren, andere brauchen sie regelrecht, um zu überleben. Dem osmotischen Druck arbeiten die Mikroorganismen mit einem hohen Gehalt an Kaliumionen in ihren Zellen entgegen.
3) Die extrem Thermophilen lieben es heiß. Bei Temperaturen von 60 bis 80 Grad Celsius fühlen sich die Archaeen dieser Gruppe am wohlsten. Zum Beispiel nahe von Hydrothermalquellen, wo die Mikroorganismen durch die Oxidation anorganischer Stoffe wie Schwefel ihren molekularen Treibstoff ATP gewinnen (= Chemolithoautotrophie). An diesen schwarzen Rauchern vermuten Forscher den Ursprung des Lebens auf der Erde. Die Archaee Methanophyruskandleri, 1991 an einem Schwarzen Raucher im Golf von Kalifornien entdeckt, kann sogar bei 122 Grad Celsius wachsen.
Monika Offenberger
Austrocknen und abwarten: Tardigrada, die „langsam Schreitenden“, gehen jedem Stress aus dem Weg. Sobald es ihnen zu kalt oder zu heiß, zu trocken, salzig oder stickig wird, schalten sie auf Pause und fahren ihren gesamten Stoffwechsel auf null.
Bärtierchen heißen sie auf Deutsch, und tatsächlich erinnern sie mit ihren acht Stummelbeinchen an zerknautschte Teddybären. Um sie zu betrachten, braucht es eine große Lupe, denn die Winzlinge messen höchstens einen Millimeter. Wo immer Biologen nach ihnen suchten, wurden sie fündig: in Pflasterritzen und Regenrinnen ebenso wie 4690 Meter tief am Grund des Indischen Ozeans oder 6000 Meter hoch im Fels des Himalaja. Es gibt sie in allen Meeren und auf allen Kontinenten einschließlich des antarktischen.
Viele der mehr als tausend bekannten Arten können beliebig oft und manchmal jahrelang zu Scheintoten werden. So kapseln sie sich von der widrigen Welt ab und warten auf bessere Zeiten. Kein sichtbares Lebenszeichen findet sich dann mehr an Tardigraden – ein Zustand, den Biologen Kryptobiose nennen. Ihr Trick: Sie trocknen einfach ein und bilden eine Art Tönnchen. Erst wenn draußen wieder annehmbare Bedingungen herrschen, saugt sich die Tonne voll Wasser und findet zu ihrer ursprünglichen Form zurück. Klingt so, als hätten diese Wesen das ewige Leben gepachtet. Doch wie oft sie die Reise ins Reich der Toten und zurück antreten können, ist noch nicht erforscht.
Kryptobiose erhält die Bärtierchen sogar im Weltraum am Leben. Den Beweis erbrachten getrocknete Exemplare, die 2007 fast zwölf Tage lang an den Außenflächen der Internationalen Raumstation ISS dem Vakuum ausgesetzt waren. Einige Tiere schirmte man mit Filtern vor UV-A-, -B- und -C-Strahlung ab, andere nur vom besonders aggressiven UV-C-Anteil, die übrigen bekamen die volle Weltraumstrahlung ab. Ohne jeden Schutz überlebte nur eines von hundert Bärtierchen, die später in einem Labor der Universität Stuttgart ins Wasser gesetzt wurden; doch auch diese wenigen Tiere starben binnen Tagen. UV-A- und -B-Strahlung ertrugen immerhin ein Drittel der Tierchen. Vakuum ohne Strahlung stecken die Winzlinge dagegen problemlos weg – als einzige Tiere überhaupt. Die Heimkehrer entwickelten sich völlig normal und pflanzten sich über viele Generationen fort.
Ein aktives Bärtierchen Paramacrobiotus richtersi (o.) und im Vergleich dazu ein Tönnchen (u.), die eingetrocknete Form, unterm Raster-Elektronenmikroskop
Monika Offenberger
Grünes Mischwesen: Die Meeresschnecke Elysia chlorotica sieht nicht nur aus wie ein Blatt, sondern ernährt sich auch nach Pflanzenart: via Photosynthese.
Ähnlich wie ein Schmetterling, schlüpft die Meeresschnecke als Larve aus dem Ei. Kaum hat sie sich zum erwachsenen Tier verwandelt, frisst sie eine Woche lang hemmungslos Algen in sich hinein. Hülle, Saft und Kern der Algenzellen werden komplett verdaut, nicht aber die eigentlichen Photosynthese-Fabriken alias Chloroplasten. Denn diese enthalten das wertvolle Blattgrün samt der notwendigen Enzyme, um aus Licht und Kohlendioxid Zucker herzustellen.
Wenn Elysia sich genug lebende Solarmodule einverleibt hat, hört sie auf zu fressen. Jetzt ist regelmäßiges Sonnenbaden angesagt. Den Rest ihres Lebens, also rund zehn Monate lang, lebt die grasgrüne Schnecke von der Energie, die die geraubten Sonnenkollektoren produzieren. Damit diese funktionstüchtig bleiben, müssen sie regelmäßig mit Chlorophyll und anderen Biomolekülen versorgt werden. Das Know-how zur Fertigung dieser Ersatzteile hat sich die Schnecke im Lauf der Evolution vermutlich ebenfalls von den Algen zusammengeklaut; zumindest fanden Forscher in ihrem Erbgut Kopien von Algengenen, die als Bauanleitung für wichtige Photosynthese-Proteine dienen.
Elysia ist nicht das einzige Meerestier, das solarbetriebene Nahrungsquellen für sich nutzt. Quallen und Seeanemonen, Plattwürmer und Amöben, Schwämme und Korallen profitieren ebenfalls von grünen Algen und lassen sich – ganz oder teilweise – von ihnen versorgen. Anders als Elysia lassen sie ihre Zuckerlieferanten jedoch am Leben und bieten ihnen als Gegenleistung für ihre Dienste ein schützendes Zuhause. Um die Photosyntheseleistung ihrer Untermieter anzukurbeln, halten Seeanemonen gezielt ihre Ärmchen in die Sonnenstrahlen. Und die Qualle Cassiopeia xamachana liegt mit dem Bauch nach oben auf dem Meeresgrund und streckt ihre von Algen bewohnten Tentakeln ans Licht. Auch die bis zu 200 Kilogramm schweren Exemplare der Großen Riesenmuschel Tridacna gigas heften sich verkehrt herum ans Korallenriff und halten ihre geöffneten Schalen nach oben. So gelangt Licht auf die fleischigen Mantellippen des Muschelkörpers und bescheint die grünen Algen darin, die in Symbiose mit den Muscheln leben.
Die Atlantische Meeresschnecke Elysia chlorotica kann Photosynthese betreiben – eine Fähigkeit, die sie von Algen übernommen hat.
Ein Blockmeer am Moorkopf im Nationalpark Bayerischer Wald. Überleben kann hier kaum etwas – außer Flechten.
Benjamin von Brackel
Je unwirtlicher die Umgebung, desto wohler fühlen sich Flechten, eine einzigartige Verbindung aus Pilz und Alge. Eine Wanderung mit meinem Vater zu einem der extremsten Orte Deutschlands.
Die Sonne steht tief, als ich Finsterau erreiche. Ein Sträßchen schlängelt sich durch den niederbayerischen Ort hinauf zum Waldeingang und mündet in einen Schotterpfad. Ein Holzschild kündigt den Nationalpark Bayerischer Wald an und ein verwittertes Metallschild die Staatsgrenze zu Tschechien. Der dunkle Fichtenforst im Grenzland auf 1000 Höhenmetern fühlt sich an wie das Ende der Welt. Ausgerechnet hier will ich verstehen, warum mein Vater einen Großteil seines Lebens damit verbracht hat, nach Flechten und ihren winzigen Bewohnern zu suchen.
Hinter einem Toyota-Allrad-Bus mit abgedunkelten Scheiben taucht ein Mann in Fleecejacke auf, mit Schnurrbart und leicht verstrubbelter graubrauner Mähne. Seit zwei Tagen kartiert mein Vater, Wolfgang von Brackel, ein 67-jähriger Botaniker und passionierter Flechtenforscher, in der Gegend. Weil wegen der Corona-Krise Mitte Mai noch alle Hotels geschlossen haben, hat er am Waldrand in seinem Bus übernachtet. „Das mache ich doch immer so!“, sagt er auf meinen Blick hin.
Am nächsten Tag wollen wir entlang der Grenze bis hinauf auf 1300 Meter wandern, um einen extremen Ort aufzusuchen. Das Landesamt für Umwelt hat meinen Vater beauftragt, sämtliche 50 großen Blockschutthalden in Ostbayern zu kartieren. Die Beamten wollen wissen, wie es dem nach der FFH-Richtlinie geschützten Lebensraum geht, der Arten beherbergt, die nur dort zusammenleben. Die Blockschutthalden sind Relikte der Erdgeschichte: Vor 320 Millionen Jahren, im Karbon, drückten in Mitteleuropa Kontinentalblöcke aufeinander und falteten das Variszische Gebirge auf. Über Jahrmillionen trugen Wind und Wetter die Deckschicht bis zum Granitmassiv ab. Im Eiszeitalter, dem Pleistozän, verwitterte auch dieses: Wasser drang in die Spalten, dehnte sich beim Gefrieren aus und sprengte Blöcke vom Fels ab. Ein Blockmeer entstand, das die Menschen einst als das Werk von Riesen oder des Teufels deuteten.
Für einen Lichenologen, einen Flechtenkundler, ist es einer der spannendsten Orte auf der Erde: Im Winter können sich die Felsblöcke bis auf minus 30 Grad Celsius abkühlen und im Sommer bis auf über 50 Grad Celsius aufheizen. Mal ist es über Wochen staubtrocken, dann wieder flutet der Regen den Raum zwischen den Gesteinsblöcken. Überleben kann dort kaum etwas – abgesehen von den Flechten. Es ist ihr Reich. Seit Jahrtausenden.
Wolfgang von Brackel in seinem Element: Der passionierte Lichenologe bestimmt und notiert sämtliche Flechtenarten auf einer Blockschutthalde.
„Flechten können völlig austrocknen und trotzdem Wochen oder Monate überstehen“, erklärt mein Vater, als wir am nächsten Morgen um sieben Uhr über zwei Holzplanken den Schwarzbach überqueren. Wir nehmen einen Pfad, der durch einen Fichtenwald sanft ansteigt, begleitet vom Gesang des Buchfinks und Zilpzalps.
Flechten habe ich lange nur als die verfilzten und staubigen Stränge wahrgenommen, die mein Vater im Urlaub von Bäumen oder Steinen am Wegrand gekratzt und in Hunderten Kartons in seinem Arbeitszimmer archiviert hat, beschriftet mit Fundort, Datum und Namen. Die Welt in den Pappkisten war mir fremd. Aber ich wusste, dass es irgendeinen Grund für die Begeisterung meines Vaters für die Strauch-, Laub- und Krustenflechten geben musste.
„Im Prinzip ist die Flechte ein Pilz, der es geschafft hat, eine Alge zu beherbergen“, erklärt er mir. Ohne Algen – oder manchmal auch Cyanobakterien – können die Pilze nicht überleben. Sie sind vom Zucker abhängig, den ihr Pflanzenpartner mittels Photosynthese herstellt. Im Gegenzug gewährt das Pilzgeflecht der Alge Schutz vor UV-Strahlen und hungrigen Schnecken und Raupen. Zusammen bilden sie ein Polster, den Thallus. Eine der erfolgreichsten Symbiosen der Erdgeschichte.
Flechten sind eine perfekte Symbiose zweier Organismen: Pilzhyphen, hier in Grün, und Algen oder Cyanobakterien, im Bild als dunkelrote Punkte erkennbar.
Die Chance, dass diese beiden Puzzlestücke zusammenfinden, erscheint allerdings verschwindend gering: Pilze verteilen über ihre Fruchtkörper unzählige Sporen in der Luft. Wie eine Wolke sieht das aus. Gelingt es einer Spore, auf einem Fels zu keimen, braucht sie einen Partner, um zu überleben. Also fährt sie ihre Hyphen aus – Zellstränge, die auf gut Glück die Umgebung nach Algen absuchen. Trotzdem haben sie es in den 600 Millionen Jahren ihrer Evolutionsgeschichte geschafft, sich durchzusetzen.
Das liegt auch an ihrer Beständigkeit. Zwar wachsen manche Flechten nur weniger als einen Millimeter pro Jahr, dafür hören sie einfach nicht mehr auf. Ihre Erfolgsformel: ein einfacher Organismus, der sich ständig erneuert und nicht altert. Manche Arten können älter als 1000 Jahre werden. „Sie könnten fast ewig weiter wachsen“, erklärt mein Vater. „Im Prinzip sind sie unsterblich.“
Und sie können fast überall siedeln – in Bächen und an Meeresküsten, in Wüsten und Polargebieten; selbst auf Schwermetallen oder uranhaltigen Mineralien in Abraumhalden wurden manche Arten gefunden. Allerdings bekommen selbst diese Überlebenskünstler heute Grenzen aufgezeigt – durch den Menschen. In den 1980-Jahren verursachten Abgase aus Erzverhüttung und Braunkohlekraftwerken in Osteuropa schwere Schäden in den deutschen Mittelgebirgen. Folgen dieses berüchtigten sauren Regens sind bis heute zu sehen: Als wir höher steigen, säumen Baumskelette unseren Weg. Alle Gipfel rings herum sind gespickt mit toten Fichten. Wie riesige Igel wirken die Hügel. Von unten wachsen zwar junge Fichten mit grün glänzenden Nadeln nach, die aber sind kaum höher als wir selbst. „30 Jahre hat das gedauert“, sagt mein Vater und runzelt die Stirn.
Auch den Flechten hat der Schwefel damals zugesetzt; manche Bartflechten sind in den 1980er-Jahren ganz aus dem Bayerischen Wald verschwunden. Sie reagieren besonders empfindlich auf Luftverschmutzung, da sie Wasser und Nährstoffe nicht wie Pflanzen über Wurzeln beziehen, sondern direkt aus der Luft: über Regen, Tau oder Wasserdampf. Vor allem Flechten auf Baumrinden gelten als gute Bioindikatoren für die Luftqualität – wo die Flechtenvielfalt hoch ist, lässt es sich besonders gut atmen.
Vielfalt auf kleinstem Raum. Allein an diesem Ast wachsen drei verschiedene Flechtenarten, die man häufig auf Nadelbäumen im Gebirge findet. Wasser und Nährstoffe holen sie sich aus der Luft.
Nachdem Kohlekraftwerke Filter und Pkw schwefelfreies Benzin verpasst bekamen, konnten sich die Flechten langsam erholen. Allerdings stehen sie heute vor einem neuen Problem: Stickoxide und Ammoniak aus Autoabgasen und Gülleausbringung wäscht der Regen aus der Luft, und die Flechten saugen ihn mit ihrer ganzen Oberfläche auf. Diese Düngung können nur wenige Flechtenarten wie die Gelbflechte Xanthoria gut verwerten. Dieser Generalist gedeiht in Massen sogar an Bäumen und Sträuchern entlang von Autobahnen und überwächst alle spezialisierten Arten, die es dort ebenfalls probieren.
An einem Grenzstein biegen wir nach rechts auf einen Pfad ab, der Bayern und Tschechien trennt. Hinter uns liegt die imposante Blockschutthalde am Gipfel des Lusens – eine geologische Sehenswürdigkeit und ein beliebtes Wanderziel. Wir wollen aber in die Gegenrichtung, zu Gesteinsblöcken, die wegen der Abgeschiedenheit fast unberührt sind. Durch das Gestrüpp von Blaubeersträuchern arbeiten wir uns durch eine Senke und dann den 1330 Meter hohen Moorkopf hinauf. Am Hang tauchen Granitsteine auf, die sich auf einer Fläche von 20 mal 20 Metern stapeln. Sie sind mit grüngelben Flecken gemustert und wärmen sich in der Mittagssonne auf. Nur zwei verkrüppelte Ebereschen und ein paar Fichtentriebe wurzeln zwischen den Blöcken, sonst ist kein Leben erkennbar.
Mein Vater klettert von Fels zu Fels. Manche Flechten erkennt er mit einem Blick. Wie die „Landkartenflechte“, die gelbe Muster auf dem Stein bildet und tatsächlich einer Landkarte gleicht; die „Rentierflechte“, die in der Arktis die Huftiere ernährt oder das „Isländisch Moos“, eine Strauchflechte, die als Hustenmittel dient. Einmal bleibt er vor einem Felsen stehen und resümiert: „Na, der Brodoa geht´s ja hier ziemlich gut!“ (Brodoa intestiniformis, die „Eingeweideflechte“, die nur auf hohen Gipfeln vorkommt und deshalb zu den Verlierern des Klimawandels gehören dürfte). Dann wieder blickt er auf einen Felsen mit Rentierflechten und schwärmt: „Das ist doch eine schöne boreale Vegetationsstelle!“
Auf einem DIN-A-4-Blatt streicht mein Vater Flechtenarten ab. Es sind viele Striche, trotz des unwirtlichen Orts. Oder besser gesagt: gerade deswegen. Auf den kargen Gesteinsblöcken finden die Flechten Nischen auf den Steinen und darunter sowie an den Wänden, wo nur wenige andere Pflanzen überleben können. Das zeigt auch die Ausbeute: 27 Flechtenarten samt ein paar näher zu bestimmenden Kandidaten, fünf Moose, fünf Blütenpflanzen.
Paradoxerweise erhöht gerade der Nährstoffmangel die Vielfalt unter den Flechten: Auf der Blockschutthalde setzt sich nicht der Stärkste durch, der alles überwachsen kann, sondern der, der zuerst kommt. Einmal etabliert, lässt sich eine Flechtenart nur schwer verdrängen. „Je unwirtlicher ein Ort, desto weniger umkämpft ist er und desto artenreicher wird eine Flechtengesellschaft“, erklärt mein Vater. Deswegen dürften die meisten Flechten auch zu den Gewinnern des Klimawandels gehören. Je mehr Dürren oder Starkregen die Vegetation auflichten oder wegspülen, desto weniger Konkurrenz haben die Flechten, die ans Leben am Extrem angepasst sind.
Die Landkartenflechte ist recht leicht zu erkennen. Ihren Namen erhielt sie, weil sie gelb-grüne Muster bildet, die an eine alte Karte erinnern.
Das gilt umso mehr für die kaum sichtbaren Flechtenbewohner, die mein Vater ganz genau unter die Lupe nimmt. Winzige Pilze, die auf den Flechten siedeln. Sie bilden keine Symbiose, wie die Pilze und Algen, die sich zur Flechte vereinen, sondern sind bloße Schmarotzer. Und für diese kleinen Nutznießer hat mein Vater Jahre am Mikroskop und im Gelände verbracht? In der Botanik und Lichenologie sei schon viel erforscht, erklärt er. Die flechtenbewohnenden Pilze hingegen seien zwar seit Anfang der Flechtenkunde bekannt, aber bis vor wenigen Jahren wurde ihnen nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt.
Fast ganz Italien hat er von Sizilien bis zu den Alpen nach den kleinen Dingern abgesucht und kartiert – oft während Urlauben mit meiner Mutter. Eine Art, die er in Süditalien entdeckte, gefiel ihm besonders gut – sie hatte sternförmige Sporen in einem kugelförmigen Gehäuse. Er benannte sie nach meiner Mutter Gisela „Asteroglobolus giselae“.
Sind schon Flechten an sich Überlebenskünstler, so gilt das umso mehr für die Pilzchen, die sie besiedeln. Sie müssen sich nicht nur mit der gleichen Hitze und Kälte, Trockenheit und Nässe herumschlagen, sondern haben es auch umso schwerer, einen Wirt zu finden: Verstreuen sie ihre Sporen in der Luft, treffen sie nur in Ausnahmefällen auf Flechten, die genau zu ihnen passen. „Je spezialisierter, desto seltener sind die Arten“, sagt mein Vater.
Haben sie ihre Flechte endlich gefunden, fängt schon das nächste Problem an. „Am Anfang der Infektion keimt die Spore, dringt in die Flechte ein und zapft Nährstoffe ab.“ Doch der unfreiwillige Wirt wehrt sich – schließlich handelt es sich um einen Eindringling. „Flechten stoßen eine ganze Menge chemischer Abwehrstoffe aus, sogenannten Biozide. In den meisten Fällen gelingt das auch. Aber dort, wo sie vorgeschädigt sind, in der abgashaltigen Luft der Städte zum Beispiel, können die Invasoren besonders viel Schaden anrichten. Wie beim Corona-Virus.“
Die Schlanke Scharlachflechte (Cladonia macilenta) wächst vor allem auf liegenden toten Stämmen von Nadelbäumen. Die kleinen roten Punkte oben auf den Stämmchen sind die Fruchtkörper.
Wie auch bei Viren gibt es bei Pilzen zwei Typen: Zerstörer und Parasiten. Ein Zerstörerpilz versucht seinen Wirt umzubringen. Am erfolgreichsten sind aber die Schmarotzer unter den Pilzen, die sich im Laufe ihrer Evolution an ihren Wirt angepasst haben und ihm nur gerade so viele Nährstoffe entziehen, dass sie kaum Schaden nehmen. „Wie Erkältungsviren.“
Am Vormittag hatte mein Vater ein Stück Fichtenrinde abgebrochen, auf der eine graugrüne Laubflechte namens Hypogymnia physodes hauste. Er zeigte auf den Rand, der ausgeblichen und schwarz umrandet war, als hätte sie jemand angekokelt – ein Zeichen für einen Pilzbefall. „Schau mal zur Verzweigung, wo das Tal beginnt“, dirigierte mich mein Vater, als würden wir eine Höhenkarte studieren, und reichte mir seine Lupe. Erst sah ich gar nichts, dann entdeckte ich die beiden roten Punkte. Runde Fruchtkörper mit feinen Haaren. Trichonectria anisospora, frei übersetzt „die ungleichsporige Haarnektrie“. Keine besondere Art, sie gibt es überall in den Bergwäldern, und trotzdem hat sie mein Vater für Deutschland, die Schweiz und Italien als Erster nachgewiesen. „Das Schöne ist, dass ich vor der Haustür neue Arten entdecken und die Forschung vorantreiben kann“, sagt er.
Während ich meinem Vater dabei zuschaue, wie er auf den uralten Blocksteinen herumwandert, hier ein paar Proben abklopft und dort sich herabbeugt, um den kleinen Bewohnern auf den Flechten möglichst nahe zu kommen, bekomme ich eine Ahnung, warum er tut, was er tut. Und denke daran, was er mir gesagt hat: „Wenn ich mit der Lupe über die Wiese oder den Stein kriechen, immer tiefer ins Detail gehen und völlig neue Welten entdecken kann, dann kann ich mich darin regelrecht verlieren.“
Interview: Monika Offenberger
Prof. Dr. Christian Wild ist Meeresbiologe an der Universität Bremen.
natur: Herr Professor Wild, was ist an einem Korallenriff paradox?
Prof. Dr. Christian Wild: Korallenriffe sind berühmt für ihre Biodiversität. Man schätzt, dass dort mehr als eine Million verschiedene Tiere und Pflanzen vorkommen. Zu dem großen Artenreichtum kommt eine hohe Produktivität. Dabei gibt es tropische Korallenriffe zumeist in sehr klarem Wasser, das extrem wenige Nährstoffe enthält. Für diesen scheinbaren Widerspruch hat Charles Darwin den Begriff „Riffparadoxon“ geprägt.
natur: Wie lässt sich das erklären?
Wild: Wo es Mangel gibt, müssen die Organismen Strategien entwickeln, um die wenigen Nährstoffe zu nutzen – und zwar anders zu nutzen als andere. Zum Beispiel gibt es im Riff sehr viele Meereswürmer, die ihre zwei vorderen Segmente zu riesigen Filterapparaten umgebaut haben. Diese Notwendigkeit gibt es in nährstoffreichen Meeren nicht.
natur: Aber dazu kommt ja, dass Korallenriffe sehr produktiv sind, also so beständig wachsen und Biomasse erzeugen? Woher kommt das?
Wild: Korallen sind Nesseltiere. Sie leben mit Unmengen von Algen zusammen, die durch Photosynthese einen steten Nachschub an Kohlenhydraten an das Korallentier liefern – und von ihm im Gegenzug wichtige Nährstoffe bekommen. Diese Symbiose besteht seit Millionen von Jahren. Inzwischen weiß man, dass auch noch Mikroorganismen dazugehören. Alle diese Lebensformen interagieren und kommunizieren miteinander und bilden zusammen einen „Holobionten“, einen „ganzen Organismus“. Wir wissen durch unsere Forschung im Roten Meer, dass spezielle Bakterien immer dann, wenn besonders wenig Ammonium und Nitrat im Umgebungswasser ist, gasförmigen Stickstoff fixieren und in bioverfügbare Verbindungen umwandeln. Das ermöglicht eine hohe Produktivität über das gesamte Jahr, unabhängig von Schwankungen in der Umwelt.
natur: Sind also die Bakterien die Lösung des Paradoxons?
Wild: Es gibt verschiedene Erklärungsansätze. Neben der Bereitstellung von Kohlenstoff durch die Algen und Stickstoff durch die Bakterien findet im Riff ein sehr effektives Recycling von Nährstoffen statt. Große Bedeutung hat dabei ein Prozess, den wir als Schleimfalle bezeichnen. In Australien haben wir gemessen, dass jeder Quadratmeter Korallenriff pro Tag etwa fünf Liter Schleim absondert. Er enthält bis zu 95 Prozent des Zuckers, den die Algen an die Korallen abgeben.
natur: Welche Funktion hat dieser Schleim?
Wild: Zunächst reinigt er die Koralle: Weil er sehr klebrig ist, nimmt er Sedimente mit und verhindert, dass sich Organismen wie Seepocken festsetzen. Außerdem wirkt er wie eine Art Fliegenfalle, denn er fängt alle möglichen organischen und anorganischen Partikel aus der Wassersäule ein und sinkt mit ihnen zum Boden der Riffe ab. Dort werden sie durch Bakterien sehr schnell in ihre Bestandteile zerlegt, die dann wieder dem Riff als Nährstoffe für neues Wachstum dienen. Diese Schleimfalle sorgt also dafür, dass das vom Riff produzierte Material schnell recycelt wird. Und zusätzlich fängt sie auch kleine Krebse und sonstiges Material ein, das mit der Strömung über das Riff treibt und ohne die Schleimfalle für das Ökosystem Korallenriff verloren wäre.
Ein Stein voller Leben, bewachsen mit Korallen und Schwämmen, umringt von Fischen. Doch woher kommt diese Pracht?
natur: Die Korallen ernähren sich also selbst?
Wild: Ja, die Schleimfalle trägt zu ihrer Nährstoffversorgung bei. Aber auch Schwämme spielen eine große Rolle. Sie können sehr kleine Partikel aus dem Wasser filtrieren und wirken so wie eine Schleimfalle im Nano- und Pikobereich. Und sie können darüber hinaus sogar gelöste Biomoleküle wie Einfachzucker, kurze Fettsäuren, und Aminosäuren aus dem Wasser aufnehmen und extrem schnell umsetzen. Anschließend sterben die Schwammzellen und werden in Form von kleinen Klümpchen abgegeben. Durch diesen Prozess werden also gelöste Biomoleküle in feste Partikel transformiert, die dann wieder in der Korallen-Schleimfalle landen oder direkt von Fischen und anderen Riffbewohnern verwertet werden. Ein Korallenriff ist ein System mit vielen Interaktionen. Da reicht eine kleine Veränderung, um ein Ungleichgewicht reinzubringen. Deshalb ist der Klimawandel eine große Bedrohung für die Riffe.
Der Schimpanse Ham nach seinem suborbitalen Flug im Rahmen des Mercury-Programms der Nasa 1961. Der erste Mensch folgte wenige Monate später.
Monika Offenberger
Seit den Anfängen der Raumfahrt mussten immer wieder Tiere als Versuchskaninchen herhalten, bevor sich die Menschen in die engen Kapseln und unendlichen Weiten trauten. Und noch heute versprechen sich Wissenschaftler von tierischen Passagieren neue Erkenntnisse über das Leben in Schwerelosigkeit – und überhaupt.
Als die Raumstation Skylab-3 am 28. Juli 1973 vom Kennedy Space Center abhob, waren neben drei menschlichen Astronauten auch zwei Spinnen mit an Bord. Arabella und Anita nannte man die beiden und gab jeder von ihnen eine Fliege mit. Eine einzige Fliege als Wegzehrung für ganze 59 Tage im All. Dort sollten die Achtbeiner zeigen, ob sie auch in der Schwerelosigkeit brauchbare Radnetze spinnen können. Und wie sie können! Schon am zweiten Tag legte Arabella los und hatte tags darauf ein tadelloses Netz fertig. Es war sogar regelmäßiger gewebt als irdische Pendants, die typischerweise leicht asymmetrisch sind. Die Seidenfäden waren lediglich etwas dünner als zuhause. Auch Anita war erfolgreich. Wie die beiden Kreuzspinnen zu Werk gingen, wurde nie geklärt. Dass sie es taten, leuchtet freilich ein: Ihr Proviant war aufgebraucht. Und frische Beute fängt man als Spinne eben nur mit einem ordentlichen Netz. Mehrmals boten die Astronauten ihren Begleiterinnen kleine Happen Rinderfilet an – vergeblich. Anita magerte auf ein Viertel ihres ursprünglichen Gewichts ab und starb; auch Arabella verhungerte noch während der Mission.
Die Episode lehrt uns zweierlei: wie verlässlich das ererbte Verhaltensmuster eines von Instinkten geleiteten Tieres funktioniert – und wie stümperhaft die NASA einst biologische Experimente plante. Der diensthabende Wissenschaftsastronaut Owen Garriott, ein promovierter Elektroingenieur, hatte offensichtlich keinen Schimmer von den elementaren Bedürfnissen seiner Versuchstiere. Das fragwürdige Experiment reiht sich ein in eine lange Folge mehr oder weniger sinnvoller Forschungsprojekte, mit denen man für die Raumfahrt bedeutende Fragen ausloten wollte: Ob und wie an die Erde angepasste Lebewesen mit den extremen Bedingungen des Weltalls zurechtkommen. Ob sie überhaupt eine Reise ins All überstehen. Ob sie die Startbeschleunigung aushalten oder dabei womöglich zerbersten. Ob sie zur Ausübung wesentlicher Verhaltensweisen fähig sind. Und ob man sie wohlbehalten wieder zurück auf die Erde bringen kann.
Um all dies herauszufinden, musste man es einfach ausprobieren. Doch für riskante Tests mit ungewissem Ausgang war natürlich kein Mensch zu haben. Also machte man es wie anno 1783 mit der ersten Ballonfahrt: Damals mussten eine Ente, ein Hahn und ein Hammel als Passagiere herhalten. Für die Premiere im Weltraum wurden Taufliegen auserwählt. Man brachte sie am 20. Juli 1946 an Bord einer V2-Rakete, schoss sie ins All und setzte sie minutenlang der Schwerelosigkeit aus. Die ersten Weltraumfahrer hießen demnach nicht Jurij Gagarin und John Glenn, sondern Drosophila melanogaster. Wie wohl ihre schwerelose Zeit verging? Vermutlich eher nicht im Fluge. Das legen Filmaufnahmen von Fliegen und Faltern nahe, die man einen Parabelflug im Flugzeug hatte miterleben lassen. Sobald die Insekten mit den Flügeln schlugen, erzeugten sie Auftrieb und knallten mangels Schwerkraft prompt an Wände oder Decke. Diese Lektion saß, und so lernten die Tiere binnen kürzester Zeit: Ist die Gravitationskraft gleich null, bewegt man sich besser krabbelnd als fliegend. Davon abgesehen hatten die Insekten die Schwerelosigkeit heil überstanden.
Von der Schwerelosigkeit ließ sich Spinne Arabella nicht aus der Ruhe bringen und webte in der Raumstation Skylab-3 ein fehlerloses Netz.
Die Hündin Laika flog 1957 mit dem sowjetischen Satelliten Sputnik-2 als erstes Tier ins All. Überlebt hat sie den Flug nicht.
Seither wurden alle möglichen Tiere, Pflanzen, Pilze und Bakterien in den luftleeren Raum verfrachtet. Dort hat man sie mehr oder weniger lange in Raketen, Satelliten und Raumstationen gehalten – oder sogar draußen, in direktem Kontakt mit dem großen Nichts. Nach den Taufliegen flog, ebenfalls mit einer V2-Rakete, 1958 der erste Rhesusaffe ins All. Bis 1967 folgten mehrere Dutzend suborbitale Testflüge mit amerikanischen, russischen, chinesischen und französischen Raketen. Sie trugen 20 Affen, 47 Hunde, zwei Katzen und zahllose Ratten und Mäuse in den grenzenlosen Raum, manche von ihnen bis zu 600 Kilometer weit von der Erde weg. Einige dieser Versuchstiere starben, die meisten jedoch überlebten die extremen Belastungen: minutenlange Schwerelosigkeit, Fluggeschwindigkeiten von 16 000 Kilometern pro Stunde, 38-fache Erdbeschleunigung.
Während die Amerikaner noch mit suborbitalen Flügen experimentierten, schossen die Sowjets am 3. November 1957 den zweiten von zehn Sputnik-Satelliten in die Erdumlaufbahn. Mit an Bord: die Hündin Laika. Ihre Rückkehr zur Erde war nicht vorgesehen. Die Umstände ihres Todes kamen erst 45 Jahre nach der Mission an die Öffentlichkeit: Sie starb – vermutlich an Überhitzung und Stress – bereits wenige Stunden nach dem Start. Doch schon im Jahr darauf brachte Sputnik zwei weitere Hunde in den Orbit – und gesund zurück zur Erde. Nach diesem mutmachenden Ausgang wagte sich im April 1961 schließlich Jurij Gagarin in den Weltraum. Zehn Monate später umkreiste auch der Amerikaner John Glenn die Erde, nachdem es ihm ein Schimpanse namens Enos vorgemacht hatte. Damit hatten die Versuchstiere ihren eigentlichen Zweck erfüllt, der Mensch hatte seinen ersten Schritt ins All gewagt. Doch sofort stellten sich neue Fragen. Wie wirkt sich die Schwerelosigkeit über längere Zeit auf den Körper aus? Welche Effekte hat die erhöhte UV-Sonnenstrahlung im Erdorbit auf Lebewesen? Was bewirken die schweren geladenen Teilchen der kosmischen Strahlung, die es in der Erdatmosphäre gar nicht gibt? Und wieder wollte oder konnte man dies alles nicht oder nicht nur an Menschen untersuchen.
Omegahab ist ein in sich geschlossenes Ökosystem mit Fischlarven, Algen und Posthornschnecken, das zu Forschungszwecken ins All geschickt wurde.
Antworten sollte diesmal ein systematisches Forschungsprogramm bringen. Dazu bauten die USA 1966 den ersten von drei Biosatelliten, die in mehr als 300 Kilometern Entfernung um die Erde kreisen sollten. Mit ihnen reisten Pflanzen, Kleinstlebewesen und Insekten sowie ein Äffchen namens Bonnie, das nach der Landung starb. Geräumiger und besser ausgestattet waren ab 1973 die russischen Bion-Satelliten. Die vielen Hundert Einzelexperimente, teils ergänzt durch Kontrollversuche in mitgebrachten Zentrifugen, in denen die Versuchstiere eine künstlich erzeugte Schwerkraft zu spüren bekamen, brachten grundlegende Erkenntnisse zur Wirkung der Schwerelosigkeit: Sie verändert das Knochenwachstum, die biochemische Zusammensetzung und Stärke der Muskeln, den Zustand der roten Blutkörperchen, die Enzyme der Leber und das Verhalten der tierischen Astronauten. Im November 1975 schickten die Sowjets neben diversen Pflanzen auch Schildkröten mit einer unbemannten Sojus 41 ins All. Die genügsamen Kriechtiere – sie kommen notfalls mehrere Wochen ohne Nahrung aus – waren 90 Tage und 12 Stunden unterwegs, länger als jedes andere Tier zuvor. Dieser Rekord wurde von menschlichen Raumfahrern und Raumfahrerinnen inzwischen um ein Mehrfaches überboten, seit Raumstationen ihnen eine komfortablere Bleibe bieten. Dort konnte man nun auch längere Experimente ausführen. Und so reiste mit den Menschen nach und nach eine halbe Arche Noah ins Weltall: Neben den Radnetzspinnen Arabella und Anita waren Schnecken und Würmer, Frösche und Molche, Fische und Vögel, Mäuse und Ratten, Hunde und Affen an Bord, dazu alle möglichen Mikroben, Flechten, Pilze und Pflanzen: An ihnen erprobte man – mit Erfolg! –, ob sich Salat und Zwiebeln ziehen oder Zinnien und Sonnenblumen zur Blüte bringen lassen.
1984 weilte gar ein ganzes Bienenvolk im Weltall, in einem Aluminiumkasten mit Glasdeckel. Es hob am 6. April mit der Challenger vom Kennedy Space Center ab, zusammen mit fünf menschlichen Begleitern. Deren eigentliche Aufgabe war es, den defekten Sonnenbeobachtungssatelliten SolarMax zu reparieren. Nebenbei schauten sie den rund 3300 Bienen zu. Diese fanden sich schnell in der schwerelosen Umgebung zurecht: Die Königin legte während der siebentägigen Reise insgesamt 35 Eier; nicht eben viel, aber immerhin. Und die Arbeiterinnen bauten Waben, die in Größe, Form, Volumen und Wandstärke nicht von der Erdennorm abwichen – das zeigte der Vergleich mit einem Bienenvolk, das in einem identischen Aluminiumkasten am Boden lebte. Die Weltraumbienen bekamen Zuckerwasser, das mit Gelatine verdickt war, damit es sich nicht im Raum verteilen konnte. Damit waren sie gut versorgt: Nur 110 von ihnen überlebten die Reise nicht; im Volk der Daheimgebliebenen starben indes mehr als dreimal so viele Bienen.
Auch Ameisen sind unter den zahlreichen lebenden Forschungsobjekten auf der ISS. Im Fokus steht ihr Verhalten im Vergleich zu einer Gruppe auf der Erde.
Inzwischen hatte auch die Europäische Weltraumbehörde ESA ein wiederverwendbares Weltraumlabor entwickelt. Es pendelte von 1983 an insgesamt 19-mal mit dem Space Shuttle Columbia zwischen Himmel und Erde. Seine letzte Mission 1998 brachte Schnecken, Grillen, Fische sowie trächtige und neugeborene Ratten in die Schwerelosigkeit und war auf neurobiologische Experimente ausgerichtet. Fische im Weltraum? Klingt komplizierter, als es ist. Die wechselwarmen Wirbeltiere lassen sich im All sogar leichter halten als Mäuse oder Ratten: Ihre Eier sind robust, die Embryos ernähren sich anfangs vom eigenen Dotter und wachsen schnell heran. Zudem brauchen sie kaum Platz, wenig Futter und keinerlei Pflege. Als man im Sommer 1994 vier Reisfische an Bord des Space Shuttle Columbia brachte, paarten sie sich sogleich in ihrem Weltraum-Aquarium und legten Eier, aus denen noch während der 15-tägigen Mission gesunde Fischbrut schlüpfte. 2013 schickten deutsche Forscher ein ganzes Ökosystem namens Omegahab ins All. Zehn Tage lang konnten sich die 55 Buntbarsch-Larven sowie Krebse, Schnecken, Algen und Wasserpflanzen gegenseitig versorgen. Dann fiel eine LED-Lampe aus – und damit gleichsam die Sonne. Mangels Licht produzierten die Pflanzen keinen Sauerstoff mehr, sodass nach und nach alle Tiere starben.
Deutlich einfacher zu handhaben sind da Mikroben. Viele von ihnen sind schon auf Erden hart im Nehmen, überleben in Permafrostböden, Salzseen und heißen Quellen. Neben Bakterien wurden auch Pilzsporen, Pflanzensamen, Flechten und sogar Bärtierchen den harschen Bedingungen des Weltraums ausgesetzt. Fazit: Das Vakuum überstehen die meisten dieser Organismen einige Zeit unbeschadet. Auch einen Teil der Strahlung stecken sie weg, nicht aber das aggressive niederwellige UV-Licht. Dass irdische Zellen auch völlig ungeschützt im freien Weltraum überleben können, zeigt ein ungeplantes Experiment mit Bacillus subtilis-Sporen: Sie harrten fast sechs Jahre lang auf der Außenwand eines Satelliten aus, der wegen des Challenger-Unglücks am 28. Januar 1986 nicht planmäßig heimgeholt werden konnte. Zurück am Boden, fanden sich in den Langzeit-Proben noch lebensfähige Bazillen. Der kuriose Fund wirft die Frage auf, was Mikroben sonst noch so alles aushalten – und ob sie womöglich auch einen langen, weiten Trip durchs Weltall überleben, Vakuum und tödlicher Strahlung zum Trotz. Falls ja: Könnten nicht auch die Urformen des irdischen Lebens aus fernen Welten stammen, transportiert von Meteoriten? Ist extraterrestrisches Leben denkbar oder wahrscheinlich? Antworten auf diese sehr weit reichenden Spekulationen sollen Experimente mit Biomolekülen und extremophilen Mikroben geben, die auf der Außenseite der Internationalen Raumstation ISS dem All ausgesetzt sind.
Seit November 2000 wird die ISS kontinuierlich von Menschen bewohnt. Jetzt lassen sich auch Mäuse und Ratten über längere Zeit dort halten, und es gibt spezielle Aquarien für Süßwasser- und Meeresorganismen. Dazu kommen Mini-Labore mit Pumpvorrichtungen zum automatischen Austausch von Nährmedien: Sie erlauben es, auch empfindliche Zellkulturen am Leben zu halten und zu testen. Zum Beispiel menschliche Immun- oder Krebszellen, deren Verhalten in der Schwerelosigkeit Aufschluss über allgemeine Mechanismen krankhafter Prozesse liefern sollen. Und auch die Astronauten selbst werden auf Herz und Nieren geprüft, um die Grenzen ihrer Belastbarkeit auszuloten: Welchen Bedingungen wären Menschen auf einer Marsmission ausgesetzt? Wie würde jahrelange Schwerelosigkeit ihren Körper verändern? Wie kann man sie gesund erhalten und versorgen?
In der Spacelab-2-Mission wurde unter anderem untersucht, wie sich Schwerelosigkeit auf die Entwicklung von Amphibieneiern auswirkt.
An der Lösung dieser Fragen beteiligen sich auch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt, DLR. Am 3. Dezember 2018 brachte eine Falcon 9-Trägerrakete den DLR-Satelliten Eu:CROPIS 600 Kilometer hoch in eine Erdumlaufbahn. Tomaten sollten darin unter Mond- und Marsbedingungen, die der Satellit durch entsprechende Rotation simulieren kann, wachsen und Früchte ansetzen. Zugesetzte Bakterien und einzellige Algen sollten den nötigen Dünger liefern und Abfälle aufbereiten. Doch das Experiment scheiterte – aus technischen Gründen: Die Bewässerung ließ sich nicht starten. Auf ein Gewächshaus mit frischem Gemüse müssen künftige Langzeit-Astronauten also wohl noch eine Weile warten.