11

Das Erste, was ihm entgegenschlug, war heiße Luft. Durch die dunkle Farbe der Außenwände hatte sich der Innenraum wie eine Sauna aufgeheizt. Da alle Fenster geschlossen waren, konnte die Hitze nirgendwo entkommen. Adam sah sich um. Der Raum, in dem er sich befand, bestand aus einem Wohnzimmer mit einer Kochzeile, die sich an die linke Wand drängte. Ein kleiner Esstisch stand daneben. Auf der gegenüberliegenden Seite standen zwei Feldbetten. Im hinteren Teil des Raums befand sich eine dicke Holzsäule, die wohl das Gewicht des oberen Geschosses trug. Yasemin betrat die Hütte. Durch den Staub, den Adam beim Betreten des Wohnzimmers aufgewirbelt hatte, musste sie niesen.

»Gemütlich ist es hier nicht gerade«, meinte Yasemin, als sie zu Adam stieß. »Die Luft kann man ja mit dem Messer schneiden.«

Sie ging zu einem der Fenster, die die Lichtung überblickten, und öffnete es. Adam fühlte, wie unvermittelt ein Gefühl der Trauer in ihm hochstieg. Er stellte sich vor, wie sein Vater hierhergekommen war, um irgendwelche geheimen Dinge zu erledigen. Adam setzte sich auf eines der Feldbetten. Hatte er hier geschlafen, wenn er bis tief in die Nacht gearbeitet hatte? Wie gern wäre Adam mit ihm hierhergekommen, um tolle Abenteuer zu erleben. Yasemin merkte, dass Adam still geworden war.

»Brauchst du einen Moment? Soll ich draußen warten?«

Adam blickte sie an.

»Nein, nein. Schon gut.« Er stand auf. »Lass uns hier alles durchsuchen«, sagte er.

Yasemin nahm sich die linke Seite des Raumes vor und Adam die rechte. Sie suchten jeden Winkel ab. Die Küche, die Wandschränke und sogar die wurmstichigen Holzdielen, die den Boden bildeten.

»Hier ist nichts«, sagte Adam. »Ich habe nur Staub, ein paar alte Zeitungen und fünf Spinnen gefunden. Zwei tote und drei lebendige.«

»Bei mir ist auch Fehlanzeige«, sagte Yasemin. »Im Küchenschrank sind ein paar Dosen Thunfisch, die vor drei Jahren abgelaufen sind, und hier im Wandschrank ist rostiges Werkzeug. Eine Axt, eine Säge, ein Hammer und ein Werkzeugkasten, bei dem die Hälfte der Teile fehlt.«

Adam seufzte. »Ich glaube nicht, dass wir heute noch einen Baum fällen müssen«, sagte er.

»Ganz schön primitiv, diese Hütte«, sagte Yasemin. »Kein Strom und kein fließendes Wasser. Die Kochzeile läuft mit Gas.«

»Kein Wunder, dass wir hier nie die Ferien verbracht haben«, meinte Adam.

Yasemin widmete sich der Rückseite der Hütte. »Hier hinten ist noch ein kleiner Raum«, antwortete sie. »Den nehme ich mir vor.«

Yasemin betrat das Hinterzimmer. Adam blickte zur Decke. Im vorderen Teil der Hütte war dort eine Luke eingelassen. Neben der Eingangstür hing eine Stange, mit der man die Luke an einem Haltegriff herunterziehen konnte. Adam schnappte sich die Stange, die am Ende mit einem Haken versehen war. Er hob sie an und manövrierte den Haken in die Öse der Luke. Dann zog er sie auf. Staub rieselte aus dem Obergeschoss herab und tanzte in der Luft. An der Luke kam eine Klappleiter zum Vorschein. Adam benutzte erneut den Haken an der Stange, um diese herunterzuklappen. Dann stieg er daran hinauf. Er fand sich auf einem engen Dachboden wieder. Die Wände spitzten sich schräg über ihm zu und durch ein Fenster, das die Lichtung überblickte, fiel schummriges Licht in den Raum. An der Rückwand der Dachkammer befand sich ein zweites Fenster. Dieses war klein und kreisrund wie das Bullauge eines Schiffes. Hier oben war die Luft noch heißer und stickiger als im Erdgeschoss. An den Seiten des Dachbodens waren reihenweise Kisten aufgestapelt, und auf jeder dieser Kisten standen zwei Buchstaben: AP. Darunter war ein merkwürdiges Symbol abgebildet. Es stellte ein Auge dar, aus dem eine Träne rann. Oder war es ein Blutstropfen?

Am anderen Ende des Raums stand ein Schreibtisch. Auf diesen ging Adam jetzt zu. Eine Kiste, deren Deckel entfernt worden war, stand auf der Schreibfläche. Sie war vollgestopft mit Dokumenten, die in großen gelben Umschlägen steckten. Einer dieser Umschläge lag auf dem Schreibtisch. Adam setzte sich auf den kleinen Stuhl, der vor dem Tisch stand, und öffnete den Umschlag. Einige zusammengeheftete Papiere kamen zum Vorschein. Adam überflog das erste Dokument. Es handelte es sich um einen Frachtschein. Auf diesem Schein heftete ein Klebezettel. Darauf stand eine Nachricht in der Handschrift seines Vaters.

Adam las:

D., diese Papiere wurden mir von Blue Fox zugespielt. Ich glaube, das ist ein Volltreffer. – F.

Adam betrachtete den Umschlag. Er besaß weder eine Empfängeradresse noch einen Absender. Sein Vater musste wohl kurz davor gewesen sein, die Dokumente abzuschicken. Doch an wen hatte er sie schicken wollen? Wer war D.? Adam nahm sein Handy aus der Hosentasche und fotografierte den Frachtschein und die Notiz. Es schepperte hinter ihm. Er fuhr herum. Ein Stein war durch die Fensterscheibe geflogen und in einem Scherbenregen auf dem Boden gelandet. Einen Moment später segelte eine brennende Leuchtkerze durch das Loch in der Scheibe. Sie kam auf dem Boden auf und rollte in eine Ecke des Raumes – genau neben eine der Kisten, die mit Papier vollgestopft waren. Die Flamme des roten Signalfeuers steckte den Pappkarton sofort in Brand. Das Feuer fraß sich blitzschnell durch das trockene Holz der Bodendielen. Eine Wand aus Feuer loderte zwischen Adam und der Luke auf – der einzige Ausweg aus dem Dachboden.