12

Adam hustete. Dichte Rauchschwaden breiteten sich unter dem Dach aus. Adam wusste, dass der Rauch eine größere Gefahr als das Feuer darstellte. Wenn er keinen Ausweg aus dem Flammenmeer fand, würde er ersticken, noch bevor er dem Feuer zum Opfer fallen würde.

Er konnte die Luke nicht mehr erreichen. Vorsichtig versuchte er einzuatmen, doch der beißende Rauch stach wie Stacheldraht in seiner Lunge. Er zog sich das T-Shirt aus und hielt es sich über Mund und Nase. Voller Panik suchte er nach einem anderen Ausweg. Er drehte sich um. Die Hinterwand der Hütte besaß nur das kleine Fenster. Es war viel zu eng, als dass er sich dort hindurchzwängen konnte. Er hob den Stein auf, der durch das andere Fenster geflogen war, und benutzte ihn, um das kleine Rückfenster einzuschlagen. Dann steckte er den Kopf hindurch und blickte nach unten. Yasemin stand hinter der Hütte. Er rief ihren Namen. »Yasemin!«

»Adam! Die zwei Typen sind aufgetaucht und haben die Hütte in Brand gesteckt.«

»Lauf!«, rief Adam. »Bring dich in Sicherheit! Ich komme schon irgendwie hier raus.«

»Auf keinen Fall!«, antwortete Yasemin. Zu Adams Entsetzen rannte Yasemin auf die Hütte zu und öffnete die Tür.

»Bist du wahnsinnig?«, brüllte er, doch sie war schon im Inneren des Hauses verschwunden.

Adam schaute zurück. Das Feuer breitete sich blitzschnell aus. Jetzt standen beide Seiten des Dachbodens in Flammen. Sollte er versuchen, durch die Feuersbrunst zu rennen, um die rettende Luke zu erreichen? Es war seine einzige Chance. Er nahm all seinen Mut zusammen und wollte gerade loslaufen, als er über sich ein lautes Krachen hörte. Ein Balken hatte sich aus dem Dachstuhl gelöst und knallte mit voller Wucht auf den Boden in der Mitte des Raumes.

»Adam!«, hörte er Yasemins Stimme aus dem Erdgeschoss rufen.

»Ich kann die Luke nicht mehr erreichen! Verschwinde, solange du es noch kannst.«

Yasemin antwortete nicht. Das Feuer nahm nun zwei Drittel des Dachbodens ein, und die Luft war so heiß, dass er die Arme schützend vor das Gesicht halten musste, um den Schmerz zu ertragen. Der dicke Rauch benebelte ihm die Sinne und stach in seinen Augen. Ihm wurde schwindelig. War das das Ende? Wenigstens hatte Yasemin sich in Sicherheit gebracht. Doch dann hörte er ein Geräusch, das aus dem Erdgeschoss kam.

TSCHAKKK!

TSCHAKKK!

TSCHAKKK!

Es rumpelte. Dann krachte es.

Im nächsten Moment brach der Boden unter ihm weg. Adam taumelte abwärts und kam in einem Funkenregen hart auf dem Boden auf. Holzsplitter und halb verbrannte Papierfetzen prasselten auf ihn herab. Adam blieb liegen. Er hatte keine Kraft mehr. Jemand hob seine Arme hoch und begann, ihn aus dem Inferno zu ziehen. Er sah nach oben. Es war Yasemin. Sie hatte ihn nicht im Stich gelassen. Sie zog ihn auf die Wiese hinter der Hütte. Als sie weit genug von der Hütte entfernt waren, ließ sie ihn und sich selbst zu Boden sinken. Sie blickte ihn an. Er atmete.

»Bist du okay?«, fragte sie besorgt.

»Geht schon«, sagte Adam und versuchte sich aufzusetzen. Yasemin blickte zu dem Flammenmeer.

»Mist, die Gasflasche!«, rief sie und deutete auf die Rückseite der Hütte. Sie rappelte sich auf und zog Adam in die Höhe. Zusammen liefen sie zum Waldrand – gerade im letzten Moment, denn mit einer ohrenbetäubenden Explosion ging die Hütte Sekundenbruchteile später in die Luft. Ein Feuerball stieg über dem Flammenmeer in den Himmel, und Yasemin und Adam wurden von einer Druckwelle erfasst, die sie meterweit durch die Luft fliegen ließ. Sie kamen unsanft auf dem Waldboden auf.

Ein Funkenregen ging auf die Bäume nieder. Adam und Yasemin setzten sich auf.

»Alles okay?«, fragte Yasemin.

»Bestens«, keuchte Adam. »So ’ne kleine Explosion wirkt Wunder für meinen Teint. Wie sehe ich aus?«

Sein Gesicht war mit Ruß beschmiert, und er blutete aus mehreren kleinen Wunden. Dennoch grinste er sie an.

»Idiot!«, sagte Yasemin und boxte ihn in die Schulter. Adam musterte Yasemin. Ihre schwarzen Haare waren an mehreren Stellen angebrannt.

»Dich hat’s aber auch ganz schön erwischt«, sagte er.

»Ja, aber wir hatten dennoch verdammt Glück«, antwortete Yasemin.

»Wenn der Boden nicht unter mir eingebrochen wäre, wäre von mir jetzt nur noch ein Häufchen Asche übrig«, sagte Adam.

»Na ja, ich habe ein bisschen nachgeholfen.«

»Wie denn das?«

»Mit der Axt, die wir in dem Wandschrank gefunden haben. Ich habe so lange auf die Säule des Dachbodens eingehackt, bis dieser eingestürzt ist.«

Adam blickte Yasemin bewundernd an. »Yasemin Yıldırım, du bist echt furchtlos.«

»Komm, lass uns hier verschwinden«, meinte Yasemin. »Es dauert sicher nicht lange, bis die Bergwacht hier ist. Kommt ja nicht alle Tage vor, dass hier eine Almhütte in die Luft geht. Ich habe keine Lust, unangenehme Fragen zu beantworten.«

Sie machten einen weiten Bogen um die Hütte und liefen durch den Wald zurück ins Tal. Etwa zwanzig Minuten, nachdem die Hütte explodiert war, hörten sie das Knattern eines Hubschraubers über den Bäumen. Sie duckten sich ins Unterholz und blickten nach oben. Ein roter Hubschrauber jagte über die Baumwipfel und hielt auf die Hütte zu. Sie warteten, bis der Helikopter verschwunden war, und liefen dann weiter. Adam fiel das Atmen schwer. Der Rauch hatte ihm doch ziemlich zugesetzt.

»Jetzt weiß ich, wie sich ein Kettenraucher fühlt«, sagte er und hustete.

Zwei Stunden später hatten sie Gamsstein erreicht. Das Dorf war in hellem Aufruhr. Dorfbewohner und Touristen blickten zum Kuckucksberg hinauf, wo eine dicke Rauchsäule aus dem Wald aufstieg. Niemand achtete auf Adam und Yasemin, die sich in eine Gaststätte schlichen, um sich in den Toiletten frisch zu machen.

Adam wusch sich das Gesicht und sah sich im Spiegel an. Er hatte wirklich Glück gehabt. Bei seinem Sturz aus dem Dachboden hatte er sich eine Wunde direkt über der Augenbraue zugezogen. Einen Zentimeter weiter unten, und er hätte das Auge verloren. Hey, die Narben werden sicher ziemlich cool aussehen, wenn die Wunden verheilt sind, dachte er. Er wischte den Gedanken beiseite und verließ die Toilette. Auf dem Gang traf er Yasemin. Ihre schönen schwarzen Haare wirkten wirklich ziemlich mitgenommen. An mehreren Stellen hatten sie Feuer gefangen.

»Deine schönen Haare!«, sagte er. »Wie wollen wir das deinen Eltern erklären?«

Yasemin zog ein Tuch aus ihrer Tasche und legte es sich über den Kopf, dann steckte sie es mit einer besonderen Technik fest. Ihre Haare waren verdeckt.

»Kopftuch tragen hat seine Vorteile«, sagte sie und zwinkerte ihm zu.

Adam konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.