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Bevor sie in den Zug nach Wolfsbach stiegen, füllten sie ihre Wasserflaschen auf. Die Bahn fuhr ein, und sie setzten sich in ein freies Abteil.

»Ist es nicht gefährlich, wenn wir nach Wolfsbach zurückkehren?«, fragte Yasemin.

»Ich glaube nicht. Wir sind nur knapp mit dem Leben davongekommen. Die Typen, die uns auf den Fersen waren, glauben bestimmt, dass wir in dem Feuer draufgegangen sind.«

»Hast du irgendetwas Interessantes auf dem Dachboden gefunden?«, fragte Yasemin.

»Vielleicht. Da waren eine Menge Kisten mit Papieren, auf denen die Buchstaben AP standen.«

»AP? Was könnte das bedeuten?«

Adam nahm sein Smartphone aus der Hosentasche und suchte im Internet nach der Buchstabenkombination. Eine Seite mit Ergebnissen öffnete sich. Adam überflog die Resultate. Wie erwartet, gab es eine Menge Dinge, für die die Abkürzung verwendetet wurde. »Eine Presseagentur, politische Parteien, eine Luft- und Raumfahrtfirma. Das könnte für alles Mögliche stehen. Auf den Papieren war unter den Buchstaben ein Logo abgebildet. Ein Auge, aus dem ein Tropfen oder eher eine Träne lief. Das ist jedoch bei keinem der Suchergebnisse zu sehen.«

»Hast du was dagegen, wenn wir in den Speisewagen gehen?«, fragte Yasemin. »Ich habe einen Mordshunger.«

Am späten Nachmittag fuhr der Zug im Bahnhof Wolfsbach ein. Adam und Yasemin stiegen aus und liefen zum Haus von Yasemins Eltern zurück. Sie hatten die erste Hälfte der Fahrt im Speisewagen verbracht und waren dann in ihr Abteil zurückgekehrt, wo sie ein wenig eingedöst waren. In Yasemins Zimmer setzten sie sich an ihren Schreibtisch und versuchten, das Rätsel der Akten in der Hütte zu lösen. Yasemin klappte ihren Laptop auf, und Adam öffnete die Fotogalerie seines Smartphones.

»Ich konnte eine der Akten fotografieren, bevor das Feuer ausbrach«, sagte Adam und wischte durch die Fotos. Yasemin hob das Handy auf, vergrößerte eines der Fotos mit Daumen und Zeigefinger und sah es sich genau an. Dann untersuchte sie die folgenden Fotos.

»Liefertermine, Ladelisten, Zollpapiere«, murmelte Yasemin, während sie die Dokumente begutachtete. »Das sieht mir nach Frachtpapieren aus. Hier steht: Ladung: Getreide, Medikamente, Nahrungsmittel. Scheint alles ganz harmlos zu sein.«

Adam rief das Dokument auf, das offen auf dem Schreibtisch gelegen hatte.

»Was ist mit dem Klebezettel?«, fragte Adam. »Bei F. muss es sich um Friedrich, also meinen Vater handeln. Aber wer ist D.? Und was meinst du, wer mit Blue Fox gemeint ist?«

Yasemin las die Notiz.

D., diese Papiere wurden mir von Blue Fox zugespielt. Ich glaube, das ist ein Volltreffer. – F.

Sie fuhr ihren Laptop hoch und öffnete einen Webbrowser. Dann gab sie Blue Fox in der Suchleiste ein. Die Liste der Ergebnisse erschien auf dem Bildschirm.

»Hm … ein Videospiel, ein Restaurant und ein Automechaniker in Schottland. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die irgendwas mit diesen Akten zu tun haben.«

»Eins ist klar«, sagte Adam. »Blue Fox muss eine Art Informant gewesen sein, der meinem Vater und seinem Komplizen diese Papiere zugespielt hat. Wenn sie es als Volltreffer bezeichnen, muss da irgendwas dran sein.«

Yasemin rief den Frachtschein wieder auf. »Hier ist der Name der Reederei angegeben, die die Ladung verschifft hat: De Laurent S.A. Mal sehen, ob wir über die etwas in Erfahrung bringen können.«

Sie öffnete ein weiteres Browserfenster und suchte nach dem Namen der Firma. Auf der offiziellen Webseite klickte sie auf den Über uns-Link. Jetzt erschienen Biografien des Führungspersonals.

»Das ist der CEO – das steht für Chief Executive Officer«, sagte Adam und zeigte auf den Bildschirm. »Rocco De Laurent.«

Er blickte auf das Foto, das neben dem Lebenslauf des Mannes abgebildet war. Es zeigte einen gut aussehenden Mann Mitte fünfzig mit platinblonden Haaren und blauen Augen. Er hatte sein Kinn auf seine Hand gestützt, sodass man die sündhaft teure Uhr, die sein Handgelenk zierte, gut sehen konnte.

Adam wurde das Gefühl nicht los, dass er diesen Mann schon einmal irgendwo gesehen hatte.

»Kannst du mehr über diesen De Laurent herausfinden?«, fragte er Yasemin. »Ich glaube, den kenne ich irgendwoher.«

Yasemin tippte seinen Namen in die Suchleiste. Die Ergebnisse auf der ersten Seite hingen alle mit seiner Firma zusammen. Yasemin klickte auf die Optionen Bildersuche und nach Datum sortieren, um die neuesten Bilder des Mannes zu finden. Als die Seite mit den Ergebnissen erschien, zuckte Adam zusammen. Eines der Bilder verschlug ihm regelrecht den Atem. Yasemin bemerkte, dass mit ihm etwas nicht stimmte.

»Was ist?«, fragte Yasemin.

Mit zitternden Fingern zeigte Adam auf eines der Bilder. Es war auf dem roten Teppich einer Veranstaltung aufgenommen worden, und im Hintergrund war eine Wand mit Sponsorenlogos zu sehen. Er stand neben einer attraktiven Frau, die merklich jünger war als er. Der Bilduntertitel wies sie als seine Ehefrau Monique De Laurent aus. Die beiden waren in teure Abendgarderobe gekleidet. Er im feinsten italienischen Smoking, sie in einem eng anliegenden Ballkleid. Doch das war es nicht, was Adam so aus der Fassung gebracht hatte. Es war der Mann, der hinter ihnen stand. Er war nur halb zu sehen, da der Bildrand ihn senkrecht in der Mitte durchgeschnitten hatte. Adam hatte ihn jedoch sofort erkannt. Es war nicht nur die blank polierte Glatze, die ihm bekannt vorkam, es war der eiskalte Blick, mit dem er in die Kamera blickte.

»Das ist er«, sagte Adam. »Das ist der Mann, der meine Eltern ermordet hat.«